Verwaltungsrecht

Kostentragungspflicht für die Bestattung der verstorbenen Mutter

Aktenzeichen  AN 4 K 16.01040

Datum:
24.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG GG Art. 2 Abs. 1
VwGO VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BayBestG BayBestG Art. 14 Abs. 2 S. 1 u. 2
BayBestV BayBestV § 1 Abs. 1 S. 2, § 15

 

Leitsatz

In der Regel ist nur die Heranziehung der bestattungspflichtigen Angehörigen zu den Bestattungskosten ermessensfehlerfrei, wenn sie ihrer Bestattungspflicht nicht nachkommen und die Behörde die Bestattung deshalb im Wege der Ersatzvornahme veranlasst (sog. intendiertes Ermessen). Ermessenserwägungen sind deshalb nur im Fall außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen können, angezeigt. (redaktioneller Leitsatz)
Solche Umstände liegen allerdings nicht nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen gegen den Bestattungspflichtigen vor, die zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben. Der Nachweis einer derartigen Straftat ist auch ohne Verurteilung möglich. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Stadt … vom 18. Mai 2016 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch in der Sache begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2016 ist rechtswidrig, da die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat. Der Kläger ist hierdurch in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 des Bestattungsgesetzes (BestG). Danach kann die Gemeinde von einem Pflichtigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen, wenn sie gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG für die Bestattung des Verstorbenen Sorge tragen musste, weil der nach § 15 Satz 1 i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Bestattungsverordnung (BestV) Bestattungspflichtige seiner Bestattungspflicht nicht nachgekommen ist und Anordnungen nach Art. 14 Abs. 1 BestG nicht möglich, nicht zulässig oder nicht erfolgsversprechend gewesen sind.
Im vorliegenden Fall sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 BestG erfüllt. Der Kläger gehört zum einen als Sohn der Verstorbenen zu dem Kreis derjenigen Angehörigen, die gemäß Art. 15 Abs. 1 BestG i. V. m. § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 b BestV bestattungspflichtig sind. Zum anderen musste die Bestattung der Verstorbenen von der Beklagten von Amts wegen durchgeführt werden, da eine Bereitschaft des Klägers, selbst für die Bestattung seiner Mutter Sorge zu tragen, nicht erkennbar war.
Jedoch hat die Beklagte nach Auffassung des erkennenden Gerichts das ihr zustehende Ermessen – auch unter Berücksichtigung einer auf den Maßstab des § 114 VwGO beschränkten gerichtlichen Überprüfung – nicht ordnungsgemäß ausgeübt.
Steht die Bestattungspflicht eines Angehörigen – wie vorliegend – fest, wird die Behörde durch Art. 14 Abs. 2 Satz 2 BestG ermächtigt („kann“), die erstattungsfähigen Kosten für die von ihr veranlasste Bestattung durch Leistungsbescheid gegenüber dem Bestattungspflichtigen geltend zu machen. Es handelt sich insoweit um einen Fall des sog. intendierten Ermessens, das heißt in der Regel ist nur die Entscheidung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen ermessensfehlerfrei. Anders als im Zivilrecht besteht die öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht und infolgedessen auch die Verpflichtung, die Kosten der Ersatzvornahme zu tragen, unabhängig davon, ob die Familienverhältnisse zu dem Verstorbenen intakt gewesen waren (Klingshirn/Drescher/Thimet, Bestattungsrecht in Bayern, Stand April 2014, Erl. XIX Rn. 7). Da die Bestattungspflicht vorrangig der Gefahrenabwehr und der Einhaltung der Bestattungsfristen dient, knüpft das Gesetz die Bestattungspflicht vielmehr formal an die Verwandtschaft zum Verstorbenen. Hintergrund dieser gesetzlichen Regelung ist der Gedanke, dass die in Art. 15 Abs. 2 BestG und § 15 Satz 1, § 1 Abs. 1 Satz 2 BestV genannten Angehörigen eines Verstorbenen diesem im Sinne einer Solidargemeinschaft – ungeachtet ihrer persönlichen Beziehungen zueinander – allein schon aufgrund der familiären Verbundenheit regelmäßig näher stehen als die Allgemeinheit. Die durch die Gemeinde verauslagten Bestattungskosten vom Bestattungspflichtigen zurückzufordern entspricht darüber hinaus auch dem Interesse der Allgemeinheit an der rechtmäßigen, wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Steuergeldern. Ermessenserwägungen sind deshalb lediglich im Fall außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von der Rückforderung rechtfertigen können, angezeigt. (vgl. zu allem: BayVGH, B. v. 17.1.2013 – 4 ZB 12.2374 – juris; B. v. 14.12.2011 – 4 C 11.1910 – juris; B. v. 9. 6.2008 – 4 ZB 07.2815 – juris)
Gemessen an diesen Vorgaben hält die Entscheidung der Beklagten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls einer am Maßstab des § 114 Satz 1 VwGO zu treffenden rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Ausgehend von den Ausführungen der Beklagten im Schreiben an den Kläger vom 11. April 2016, der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 18. Mai 2016 sowie den Ausführungen der Beklagten im gerichtlichen Verfahren geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte den ihr bei Erlass des Kostenerstattungsbescheids zustehenden Ermessensspielraum zwar grundsätzlich erkannt hat, jedoch eine in Wahrheit nicht bestehende Beschränkung desselben angenommen hat.
Die Beklagte ist offensichtlich davon ausgegangen, dass außergewöhnliche Umstände, die ein Eingehen auf die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls in Abweichung von der gesetzlichen Grundentscheidung erforderlich machen, nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, überhaupt in Betracht kommen (vgl. hierzu auch: BayVGH, B. v. 9.6.2008 – 4 ZB 07.2815; VG München, U. v. 13.11.2014 – M 12 K 14.626; VG Würzburg, U. v. 5.9.2012 – W 2 K 11.132). Deutlich wird diese rechtliche (Fehl-)Einschätzung der Beklagten insbesondere aus dem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 11. April 2016, wonach außergewöhnliche Umstände nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, in Betracht kämen. Auch die Begründung des Bescheids vom 18. Mai 2016 selbst lässt darauf schließen, dass die Beklagte davon ausgegangen ist, eine strafrechtliche Verurteilung des Verstorbenen sei zwingend erforderlich. Ohne sich mit der Schwere der durch den Kläger vorgetragenen Verfehlungen seiner verstorbenen Mutter auseinander zu setzen und ohne die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens zu würdigen, stützte die Beklagte ihren Bescheid nämlich ausschließlich auf die Tatsache, dass das Verhalten der Verstorbenen zu keiner strafrechtlichen Verfolgung und Verurteilung geführt hat. Ein Eingehen auf die besonderen Umstände des Einzelfalls und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers ist auch nicht in den Ausführungen im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens zu erkennen.
Die Auffassung, wonach außergewöhnliche Umstände nur bei schweren Straftaten des Verstorbenen zulasten des an sich Bestattungspflichtigen, die zu einer Verurteilung des Verstorbenen geführt haben, in Betracht kämen, findet jedoch weder im Wortlaut des Gesetzes eine Stütze noch ist sie nach Auffassung des Gerichts aus teleologischen Gründen zwingend geboten. Vielmehr sind, ohne dabei jedoch die Ausgestaltung der Norm als einen Fall des sog. intendierten Ermessens im Grundsatz in Frage zu stellen, durchaus weitere Fallkonstellationen denkbar, in denen dem Interesse des an sich Bestattungspflichtigen gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit Vorrang einzuräumen ist und in denen daher die Auferlegung der Bestattungskosten eine unbillige Härte begründen würde. Das Gericht ist daher der Auffassung, dass auch im Falle einer fehlenden strafrechtlichen Verfolgung bzw. Verurteilung außergewöhnliche Umstände anzunehmen sein können, wenn der an sich Bestattungspflichtige die Straftat des Verstorbenen auf andere Weise zur Überzeugung der Behörde bzw. des Gerichts nachweisen kann (vgl. in diese Richtung auch: BayVGH, B. v. 14.9.2015 – 4 ZB 15.1029, der das Erfordernis einer Verurteilung jedenfalls nicht mehr explizit verlangt; VG München, U. v. 30.7.2015 – M 12 K 15.317, das zwar im Ergebnis das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände verneint, sich jedoch inhaltlich mit den behaupteten Straftaten des Verstorbenen auseinandersetzt, obwohl keine strafrechtliche Verurteilung erfolgt ist).
Da sich die Beklagte vor dem Hintergrund dessen, dass eine Verurteilung der Verstorbenen nicht erfolgt ist, zu Unrecht nicht in der Lage gesehen hat, eine andere Entscheidung als die Inanspruchnahme des Klägers zu treffen, erfolgte die Ausübung des Ermessens fehlerhaft.
Dieser Ermessensfehler führt zur Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2016, da angesichts der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles nicht ausgeschlossen ist, dass die Beklagte bei sachgemäßer Ausübung ihres Ermessens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Angesichts der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen, insbesondere dem Behandlungsbericht der …-Klinik … vom 25. Mai 2012, wonach bei dem Kläger zunehmende posttraumatische Belastungssyndrome aufgrund der Missbrauchserfahrungen in der Kindheit diagnostiziert wurden, sowie dem in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gewonnenen persönlichen Gesamteindruck spricht einiges dafür, dass im konkreten Einzelfall nur ein Absehen von der Kostentragungspflicht des Klägers ermessensfehlerfrei ist.
Nach alledem war der Klage daher mit der Kostenfolge der §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift:
Ludwigstraße 23, 80539 München;
Postfachanschrift:
Postfach 34 01 48, 80098 München, oder in
in Ansbach:
Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt oder die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 2.738,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach,
Hausanschrift:
Promenade 24 – 28, 91522 Ansbach, oder
Postfachanschrift:
Postfach 616, 91511 Ansbach,
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen vier Abschriften beigefügt werden.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben