Verwaltungsrecht

Landesinterne Umverteilung eines Asylbewerbers wegen Störung der inneren Ordnung der Gemeinschaftsunterkunft

Aktenzeichen  Au 6 K 18.337

Datum:
4.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11889
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 50 Abs. 4, Abs. 5, § 55 Abs. 1 S. 2
DVAsyl § 7 Abs. 2 S. 5, § 9 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 Nr. 3, Abs. 6, § 10 Nr. 1 lit. d
VwGO § 114

 

Leitsatz

Längere Fahrtzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Sprachkurs und Einkaufsmöglichkeiten stehen der landesinternen Umverteilung eines Asylbewerbers in eine andere Gemeinschaftsunterkunft aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht entgegen. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Beklagten zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht in dessen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die angefochtene Zuweisungsentscheidung ist formell rechtmäßig.
Der Beklagte ist nach § 9 DVAsyl für die Zuweisungsentscheidung zuständig. Der Kläger ist leistungsberechtigt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so dass hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Zuweisungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 5 DVAsyl die Regelungen des § 50 Abs. 4 und Abs. 5 AsylG Anwendung finden. Einer Anhörung und Begründung bedarf es demnach nicht. Der angefochtene Bescheid ist schriftlich erlassen, die Rechtsbehelfsbelehrung:ist beigefügt (§ 50 Abs. 4 Satz 2 AsylG).
2. Die Zuweisung ist auch materiell rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist § 9 Abs. 1 Satz 1 DVAsyl. Es handelt sich um eine vom Kläger nicht beantragte landesinterne Umverteilung aus Gründen des öffentlichen Interesses. Ein öffentliches Interesse besteht insbesondere aus den in § 10 DVAsyl genannten Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (§ 9 Abs. 5 Nr. 3 DVAsyl). Nach § 10 Nr. 1 Buchst. d) DVAsyl liegen Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insbesondere vor, wenn durch die Belegung die innere Ordnung oder die internen Betriebsabläufe in nicht unerheblichen Maße beeinträchtigt werden.
b) Es kann dahinstehen, wie gewichtig im Einzelnen die dem Kläger zur Last gelegten Verstöße gegen die Hausordnung sind.
Nach Schilderung des Beklagten ist er jedenfalls Aufforderungen des Unterkunftspersonals nicht nachgekommen, hat mehrfach die Hausordnung bewusst verletzt und auch die Räume und Einrichtungsgegenstände nicht pfleglich behandelt. Die zugewiesene Wohnung habe nach dem Auszug des Klägers und seiner beiden Mitbewohner von einer Fachfirma gereinigt werden müssen. Dies bestätigte die in der mündlichen Verhandlung als Zeugin vernommene Unterkunftsleiterin. Grundsätzlich ist der Kläger als Unterkunftsbenutzer aber verpflichtet, sachgerechten Aufforderungen des Unterkunftspersonals nachzukommen und die Hausordnung zu beachten. Selbst wenn der Kläger durch sein Verhalten die innere Ordnung der bisherigen Unterkunft nicht erheblich gestört hätte, muss er sich jedoch darauf verweisen lassen, dass seine Belange im Zuweisungsverfahren nachrangig sind, da er keinen Anspruch darauf hat, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten (arg. ex § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG).
c) Dem Kläger stehen andererseits keine familiären oder sonstigen humanitären Gründe von vergleichbarem Gewicht im Sinne von § 9 Abs. 6 DVAsyl zur Seite, denen derart Rechnung zu tragen wäre, dass sich der streitgegenständliche Bescheid trotz des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Unterkunftsbetriebs als rechtswidrig erweisen würde.
Die vom Kläger zunächst angeführte Fortführung seines Sprachkurses in … ist nicht in gleicher Weise schutzwürdig, wie die in § 50 Abs. 4 Satz 2 AsylG, § 9 Abs. 6 DVAsyl aufgeführten Beziehungen zu Eltern und minderjährigen Kindern oder sonstigen humanitären Gründe von gleichem Gewicht. Der Kläger ist in seinem Spracherwerb nicht grundsätzlich beeinträchtigt, ihm ist lediglich angesonnen, zur Fortführung entweder einen längeren Anreiseweg als bisher in Kauf zu nehmen oder sich am neuen Zuweisungsort einen anderen Sprachkurs in der Nähe zu suchen. Da der Kläger sich seine Zeit frei einteilen kann, kann er auch eine längere Anfahrt in Kauf nehmen. Längere Anfahrtswege treffen nicht nur Bewohner der künftig zugewiesenen Gemeinschaftsunterkunft sondern auch vieler Gemeinden des Lechfelds. Zudem hat der Beklagte zutreffend auf vorhandene Bus- und Bahnverbindungen hingewiesen, welche der Kläger benutzen kann.
Nach seinem neuen Vortrag allerdings hat der Kläger nun in einer Sprachschule in … eine Maßnahme „Integration durch Arbeit“ zum 2. Mai 2018 und damit nach Bescheidserlass begonnen, also in Kenntnis seiner Umverteilung.
Zudem wäre der vom Arbeitsmarkt grundsätzlich ausgeschlossene (arg. ex § 61 AsylG) und nicht schulpflichtige Kläger mangels anderer Beschäftigung auch zeitlich in der Lage, die längere Wegstrecke auf sich zu nehmen. Für die behauptete und behandelte Knieverletzung aus Somalia hat der Kläger keine Atteste vorgelegt. Dass er sich zwischenzeitlich um eine vollzeitige Tätigkeit als Lagerarbeiter bemüht hat, wie er selbst einräumt, die eine erhebliche körperliche Belastbarkeit erfordert, spricht gegen eine erhebliche Einschränkung seiner körperlichen Bewegungsfähigkeit in Folge zweier Knieoperationen in Deutschland, die zuletzt im Jahr 2015 stattgefunden haben.
Im Übrigen spricht auch die gesetzgeberische Wertung in § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach Asylbewerber keinen Anspruch darauf haben, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten, gegen die Annahme, dass individuelle Wünsche allein einen besonderen Grund darstellen würden, der einer Umverteilung entgegenstehen könnte. Dies gilt umso mehr, als sein Aufenthalt in Deutschland in erster Linie der Prüfung seines Schutzgesuchs nach § 13 AsylG dient und diese auch stattfinden kann, wenn der Kläger an einem anderen Zuweisungsort wohnt.
d) Die vom Beklagten getroffene, zwar nicht im Bescheid aber in den Behördenakten dokumentierte, mit ausführlicheren Gründen erst nachgeschobene (Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG) Ermessensentscheidung leidet auch nicht an Ermessensfehlern.
Die Ermessensentscheidung ist im gerichtlichen Verfahren nur eingeschränkt überprüfbar. Die gerichtliche Prüfungsdichte bemisst sich nach der Regelung des § 114 VwGO, was im Wesentlichen zur Folge hat, dass die Entscheidung lediglich daraufhin zu überprüfen ist, ob überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen wurde, ob in diese alle maßgeblichen und keine unzulässigen Erwägungen Eingang gefunden haben und ob einzelne Belange entgegen ihrer objektiven Wertigkeit in die Abwägung eingestellt worden sind. Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die in der Klageerwiderung dargestellte Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.
Es ist nicht erkennbar, dass sich der Beklagte von sachfremden Erwägungen leiten ließ oder wesentliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen hat. Dass der Beklagte das Interesse des Klägers am weiteren Verbleib in der bisherigen Unterkunft als weniger schutzwürdig gegenüber dem öffentlichen Interesse an der inneren Ordnung der bisherigen Gemeinschaftsunterkunft gewertet hat, ist angesichts der Tatsache, dass durch den Kläger und seine Gruppe eine erhebliche Spannung im weiteren Unterkunftsbetrieb entstanden ist und weder der Kläger noch die Beschäftigten in der bisherigen Unterkunft miteinander ohne innere Vorbehalte umgehen können, nicht zu beanstanden. Schon diese Spannungen stören den weiteren Unterkunftsbetrieb so erheblich, dass eine räumliche Trennung der Beteiligten auch aus Gründen der Fürsorge geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Die Umverteilung ist insbesondere verhältnismäßig im engeren Sinn. Eine unzumutbare Beeinträchtigung der Rechte des Klägers, die über die mit jeder Umverteilungsentscheidung verbundene Einschränkung hinausgeht, ist nicht zu erkennen. Das gilt insbesondere auch im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers bezüglich seines Sprachkurses und seiner Einkaufsmöglichkeiten aus den bereits dargelegten Gründen. Für die Verlegung des Klägers bestehen somit sachliche Gründe, welche die Ermessensentscheidung des Beklagten tragen.
Die klägerseits zusätzlich geltend gemachte Einflussnahme von Polizei und Verfassungsschutz auf die Verlegung mag nach Aktenlage vorliegen, sie ist aber nicht in die Begründung des Bescheids eingeflossen. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist nach § 113 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 114 VwGO aber nur die Rechtmäßigkeit des Bescheids, nicht ein Einfluss weiterer aber nicht bescheidstragender Motive auf seinen Erlass, so dass Überlegungen zur Trennung nach eigenen Angaben früher von der islamistischen Miliz Al Shabaab rekrutierter Personen für die Prüfung des Bescheids keine Rolle spielen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG; BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 21 C 16.30043 – juris). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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