Verwaltungsrecht

Lehrerin an Mittelschule, Zwangspensionierung, dauerhafte Dienstunfähigkeit, amtsärztliches und privatärztliche Gesundheitszeugnisse, erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten und Abbruch einer Wiedereingliederung, Entfallen der Suchpflicht

Aktenzeichen  3 ZB 20.2241

Datum:
15.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9306
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtStG § 26
BayBG Art. 65 Abs. 1-3, Art. 66

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 1 K 18.2267 2020-07-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf die Wertstufe bis 50.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die am 30. Dezember 1959 geborene Klägerin, die zuletzt als Lehrerin (BesGr A 12) an einer Mittelschule in Diensten des Beklagten stand, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids vom 4. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. November 2018 weiter, mit dem sie gemäß Art. 66 BayBG zum Ablauf des 30. April 2018 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt worden war.
Der auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen können.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das für die Entscheidung ausschlaggebende Gesundheitszeugnis der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Mittelfranken (MUS) vom 9. November 2017, ergänzt um die Stellungnahme vom 15. Februar 2018, sei in vielerlei Hinsicht fehlerhaft. Die Zeiten der stationären Behandlung der Klägerin seien falsch aufgeführt. Ein privatärztliches Gutachten (v. 27.9.2017) sei nicht berücksichtigt worden. Die ergänzende Stellungnahme vom 15. Februar 2018 datiere mehr als drei Monate nach dem Gesundheitszeugnis; daher sei fraglich, ob noch genügend Erinnerungsvermögen bestanden habe. Es fehle eine intensive Auseinandersetzung mit der Frage, weshalb ein Einsatz der Klägerin, auch eine Klassenführung, nicht im Tandem möglich sein sollte. Der mangelnden fachlichen Eignung des Amtsarztes schenke das Urteil keine Beachtung. Obwohl zwei fachärztliche Aussagen einer Psychotherapeutin und der Bezirksklinik M. vorlägen, sei dem Amtsarzt der Vorzug gegeben worden, der selbst erklärt habe, nicht über die notwendige Sachkunde zu verfügen. Hier hätte das Gericht weitere Aufklärung leisten müssen. Die Feststellungen im Urteil zur Frage, ob das Gesundheitszeugnis überhaupt eine Diagnose enthalte, seien in sich widersprüchlich (vgl. UA S. 28 und S. 31). Dem Gesundheitszeugnis fehle die für die Beurteilung der Dienstfähigkeit notwendige klare Diagnose nach ICD 10, die allgemeine Beschreibung des medizinischen Sachgebiets reiche hierfür nicht aus. Die Verpflichtung des Beklagten zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung der Klägerin sei keineswegs entfallen. Der Amtsarzt habe nicht einmal den konkreten dienstlichen Aufgabenbereich festgestellt, weshalb eine Aussage zu dem Grundsatz „Weiterverwendung vor Versorgung“ nicht möglich gewesen sei.
2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Klageabweisung des Verwaltungsgerichts auf. Mit ihrem Vorbringen wiederholt sie über weite Strecken den bisherigen Klagevortrag (vgl. Klagebegründung v. 28.1.2019, UA S. 13-18) und setzt dabei ihre Rechtsauffassung anstelle derjenigen des Erstgerichts.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass nach den zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 7.11.2018) vorliegenden Erkenntnissen von der dauernden Dienstunfähigkeit der Klägerin gemäß § 26 Abs. 1 BeamtStG i.V.m. Art. 65 Abs. 1 BayBG auszugehen ist. Das (um eine Stellungnahme) ergänzte Gesundheitszeugnis der MUS entspricht den Anforderungen (vgl. Anl. 6 der VV Beamtenrecht, Bek. des BayStMF v. 13.7.2007), auch wenn es eine Diagnose im medizinischen Sinne nicht aufzeigt, sondern lediglich davon spricht, dass die Klägerin „trotz ärztlicher und medikamentöser Behandlung keine ausreichende psychische Stabilität erreicht“ habe und daher weder eine begrenzte Dienstfähigkeit (2.1) noch eine anderweitige Verwendungsmöglichkeit (2.2) bei deutlich unterhälftigem Leistungsvermögen bestehe.
2.1 Das hier maßgebliche amtsärztliche Gesundheitszeugnis in Verbindung mit seiner Ergänzung ist geeignet, als Grundlage für eine vorzeitige Ruhestandsversetzung der Klägerin zu dienen, weil es den Befund und seine Schlussfolgerungen jedenfalls so plausibel und nachvollziehbar darlegt, dass der Beklagte auf dieser Grundlage entscheiden konnte, ob die Beamtin zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig ist (stRspr BVerwG, U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 23 m.w.N.). Das Gesundheitszeugnis entspricht damit den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen.
Zwar ist der Klägerin zuzugestehen, dass sich das Urteil zur Frage, ob das Gesundheitszeugnis eine konkrete Diagnose benennt, widersprüchlich äußert (vgl. UA S. 28, letzter Abs. einerseits, S. 31, 4. Abs. andererseits). Allerdings verweisen das Verwaltungsgericht und der Beklagte zu Recht darauf, dass die Benennung einer konkreten Diagnose (etwa nach ICD 10) nicht erforderlich war, da der Hinweis auf die bestehenden „Beeinträchtigungen aus dem psychiatrischen Fachgebiet“ unter Bezugnahme auf die im „Gesundheitszeugnis vom 21.8.2015 beschriebenen Gesundheitsstörungen“ (vgl. dort S. 2: „negatives Leistungsbild“), die noch fortbestehen, vollkommen ausreicht, um die vom Beklagten gezogene und vom Verwaltungsgericht als richtig erachtete Schlussfolgerung stützen zu können, es bestehe eine dauerhafte und vollständige, nicht mehr (wie seit 2015) lediglich teilweise Dienstunfähigkeit. Schon aus damaliger Sicht bestand keine Aussicht auf Wiederherstellung der vollen tätigkeitsbezogenen Leistungsfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate; allerdings erschienen damals vor dem Hintergrund der eingeschränkten Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit der Klägerin 20 Unterrichtsstunden pro Woche unter Verzicht auf eine Klassenführung zumutbar. Nachdem sich bedauerlicherweise auch dadurch keine Verbesserung des Krankheitsbildes („rezidivierende depressive Störung“, vgl. Bericht der Dipl.-Psych. W. v. 6.10.2017) ergeben hat, war nunmehr vor dem Hintergrund der fehlgeschlagenen Wiedereingliederungsmaßnahme und sich anschließender neuerlicher Krankheitszeiten eine vollständige Dienstunfähigkeit (zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids vom 7.11.2018) zu konstatieren.
Die Aussagekraft des amtsärztlichen Zeugnisses vom 9. November 2017 wird auch nicht dadurch gemindert, dass es einen Fehler bei der Angabe der Daten eines stationären Aufenthalts der Klägerin in einer Klinik für Psychiatrie enthält („vom 29.11.2016 bis 23.5.2017 und vom 8.2.2017 bis 23.3.2017“). Die zutreffende Dauer (8.2.2017 bis 23.3.2017) hat der Amtsarzt in seiner Ergänzung vom 15. Februar 2018 („Schreibfehler“) richtiggestellt, ohne dass damit Auswirkungen auf das Ergebnis des Zeugnisses verbunden wären. Auch der Umstand, dass die Berücksichtigung der ärztlichen Bescheinigung der Bezirksklinik Mittelfranken vom 27. September 2017 erst im Ergänzungsschreiben des Amtsarztes mitgeteilt wurde, ändert nichts an der Aussagekraft des Gesundheitszeugnisses. Eine von der Klägerin geforderte umfassende und über eine bloße Kenntnisnahme hinausgehende Beschäftigung des Amtsarztes mit den beiden von ihr vorgelegten (privat-)ärztlichen Bescheinigungen war im Gesundheitszeugnis nicht geboten. Im Übrigen beschäftigt sich das angefochtene Urteil (UA S. 32, 33) mit den beiden angesprochenen Arztberichten und bezweifelt den Wert ihrer Aussagen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit der Klägerin; insbesondere fehle eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit die Klägerin bei einer Unterrichtsverwendung im Tandem überhaupt noch als (teil-)dienstfähig angesehen werden könne. Hierauf bezogene Ausführungen finden sich in der Zulassungsbegründung nicht.
Dem Amtsarzt kann auch keine mangelnde Sachkunde mit der Begründung vorgeworfen werden, er sei kein Facharzt für Psychiatrie. Denn zum einen kommt ihm im Hinblick auf die Frage der Beurteilung der Dienstfähigkeit eines Beamten sowie der Belange der öffentlichen Verwaltung gegenüber spezialisierten Fachärzten besondere Sachkunde zu, zum anderen kann er – im Gegensatz zu einem Privatarzt, der möglicherweise Interessen des Patienten zu berücksichtigen hat – unabhängiger und neutraler urteilen, weil er „Beamten und Dienststelle gleichermaßen fernsteht“ (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13 – juris Rn. 20; U.v. 16.11.2017, a.a.O. Rn. 24).
2.2 Auch die Rüge, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Beklagte seiner Verpflichtung zur Suche nach einer anderweitigen Verwendung der Klägerin (Suchpflicht, § 26 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG) nicht nachgekommen sei, obwohl ausreichende Feststellungen hinsichtlich eines anderweitigen Diensteinsatzes nicht aus dem Gesundheitszeugnis vom 9. November 2017 hervorgingen oder anderweitig bestünden, vermag dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Vielmehr hat das Verwaltungsgericht (UA S. 33, 34) zu Recht festgestellt, die Suchpflicht sei entfallen, weil deren Zweck von vornherein nicht erreicht werden kann, denn die Klägerin ist in vollem Umfang dienstunfähig und damit für sämtliche der grundsätzlich in Betracht kommenden Dienstposten im Bereich des Dienstherrn gesundheitlich ungeeignet, wie sich aus der amtsärztlichen Beurteilung vom 9. November 2017 und aus dem Umstand ihrer erneuten Erkrankung (ab 19.9.2017 bis zum Ruhestandsbeginn) ergibt. Entsprechend dem Gutachtensauftrag der Regierung von Mittelfranken vom 14. September 2017 (vgl. Nr. 6.) befasst sich das amtsärztliche Gesundheitszeugnis sehr wohl auch mit der Frage, ob bei der Klägerin noch ein ausreichendes Restleistungsvermögen für anderweitige Verwendungsmöglichkeiten besteht; diese Frage hat der Amtsarzt in eindeutiger und zutreffender Weise, wenn auch ohne eigenständige Begründung, mit Hinweis auf das „deutlich unterhalbschichtige Leistungsvermögen“ der Klägerin verneint (vgl. Nr. 6).
Allerdings ergibt sich die Begründung in ausreichender Form aus der im Gesundheitszeugnis (dort 1.) vorgenommenen Gesamtbeurteilung der Klägerin; danach konnte trotz verschiedener medizinischer Maßnahmen „keine ausreichende psychische Stabilität erreicht“ werden, weshalb die Wiedereingliederungsmaßnahme am 17. September 2017 abgebrochen werden musste. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht auch zu Recht das Scheitern der Wiedereingliederungsmaßnahme sowie die sich daran erneut anschließende und durchgehende Dienstunfähigkeit als Indiz für das Fehlen einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit im Schuldienst angesehen. Hierfür spricht im Übrigen auch der Umstand, dass der Unterrichtseinsatz der Klägerin „stets deren Wünschen angepasst“ (vgl. Stellungnahme des Staatlichen Schulamt im Landkreis und in der Stadt A. v. 17.10.2017: u.a. „kleine Gruppen, keine Klassenführung, nur bestimmte Fächer, nur Klassen 5 und 6“) worden war, ohne dass die Klägerin auch unter den von ihr gewünschten Bedingungen den Dienst ohne krankheitsbedingte Unterbrechungen über einen längeren Zeitraum habe verrichten können.
Scheidet aber jegliche dienstliche Weiterverwendung aus, weil die Klägerin ihre Dienstpflichten dauerhaft krankheitsbedingt nicht mehr wird erfüllen können, besteht auch keine Suchpflicht des Beklagten (vgl. BVerwG, B.v. 16.4.2020 – 2 B 5.19 – juris Rn. 42 – 44; U.v. 16.11.2017 – 2 A 5.16 – juris Rn. 34). Ernstliche Zweifel an der entsprechenden Annahme des Verwaltungsgerichts werden mit dem Zulassungsantrag vor dem dargestellten Hintergrund nicht aufgeworfen.
3. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 und 3 GKG i.V.m. Nr. 10.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und berücksichtigt, dass im Zulassungsverfahren nur noch die Ruhestandsversetzung der Klägerin (Klageantrag 1, UA S. 12) streitgegenständlich ist. Sie baut auf derjenigen des Verwaltungsgerichts (vgl. Streitwertbeschluss v. 21.7.2020: 47.265,54 Euro im Zeitpunkt der Klageerhebung am 21. November 2018) auf; dabei legt der Senat die gemäß § 40 GKG im Zeitpunkt der Einleitung des Zulassungsverfahrens am 28. September 2020 maßgeblichen Verhältnisse zu Grunde.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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