Verwaltungsrecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für die Errichtung einer Unterstellhalle für landwirtschaftliche Maschinen

Aktenzeichen  9 CS 18.2338

Datum:
19.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2019, 423
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60 Abs. 2, § 67 Abs. 4, § 80 Abs. 5, § 147 Abs. 1 S. 1
BGB § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2

 

Leitsatz

Auf die für die Feststellung einer Wohnung grundsätzlich maßgeblichen tatsächlichen Umstände kommt es dann nicht an, wenn der Zustellungsadressat bewusst und zielgerichtet den Anschein gesetzt hat, dass er unter einer bestimmten Anschrift wohnt und damit zugleich verhindert hat, dass dem Absender die tatsächliche Anschrift bekannt wird und dort Zustellungen bewirkt werden können. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 S 18.1202 2018-10-15 Ent VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid des Landratsamts M* …- … vom 11. Juli 2018 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Unterstellhalle für landwirtschaftliche Maschinen. Er erhob Anfechtungsklage (Az. W 5 K 18.1201), über die noch nicht entschieden ist. Sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wurde vom Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Oktober 2018 abgelehnt. Mit Schriftsatz vom 5. November 2018 legte der Bevollmächtigte des Antragstellers Beschwerde gegen diesen Beschluss ein.
Mit Schreiben vom 27. November 2018 beantragte der Antragsteller persönlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Es liege schon keine wirksame Zustellung an ihn vor, da er unter der Zustelladresse keine Wohnung unterhalte. Er versorge in den betreffenden Räumen im Bedarfsfall Tiere. In seinem Briefkopf sei ausdrücklich „Geschäftsadresse“ vermerkt. Es könne also passieren, dass er sich mehrere Wochen nicht in den Geschäftsräumen, sondern auf seinen Grundstücken im T* …, in B* … oder im S* … aufhalte. In der Zeit vom 16. Oktober 2018 bis zum 3. November 2018 sei er nicht in den zur Zustelladresse gehörenden Räumlichkeiten gewesen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde sei verfristet; der Wiedereinsetzungsantrag sei bereits unzulässig, da er nicht den Formerfordernissen des § 67 Abs. 4 VwGO entspreche und auch nicht mehr innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO nachgeholt werden könne. Im Übrigen sei die Säumnis nicht unverschuldet.
Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2018 nahm der Bevollmächtigte des Antragstellers auf den persönlich gestellten Wiedereinsetzungsantrag Bezug und stellte ihn erneut. Aufgrund der unwirksamen Zustellung sei der Wiedereinsetzungsantrag nicht verfristet.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig eingelegt wurde (1.) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann (2.).
1. Die Beschwerde ist unzulässig, da sie nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingelegt wurde.
Gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Beschwerdegericht eingeht (§ 147 Abs. 2 VwGO).
Die Frist für die Einlegung der Beschwerde gegen den mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrungversehenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15. Oktober 2018 begann hier mit dessen Zustellung an den Antragsteller am 19. Oktober 2018 und endete am 2. November 2018 (vgl. § 57 Abs. 1, Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 188 Abs. 2, 187 Abs. 1 BGB). Die Beschwerdeschrift des Bevollmächtigten des Antragstellers ist erst am 5. November 2018 und damit verspätet beim hier unmittelbar angerufenen Verwaltungsgerichtshof eingegangen.
Der Wirksamkeit der Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses steht nicht entgegen, dass der Antragsteller im Beschwerdeverfahren vorträgt, unter der Zustellanschrift keine Wohnung, sondern nur Geschäftsräume zu unterhalten, in denen er sich nur gelegentlich aufhalte.
Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte die (Ersatz-)Zustellung am 19. Oktober 2018 durch Einlegung in den zur Wohnung bzw. Geschäftsraum gehörenden Briefkasten, „da die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung/in dem Geschäftsraum“ nicht möglich war (§§ 178 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 180 ZPO). Für den Begriff der „Wohnung“ im Sinne der §§ 180 ff. ZPO kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar grundsätzlich auf das tatsächliche Wohnen, nämlich darauf an, ob der Zustellungsempfänger hauptsächlich in den Räumen lebt und insbesondere, ob er dort schläft. Die Wohnung verliert ihre Eigenschaft als solche, wenn der Zustellungsempfänger sie nicht mehr zu den vorgenannten Zwecken nutzt, sondern den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens an einen anderen Aufenthaltsort verlagert (vgl. BGH, U.v. 24.11.1977 – III ZR 1/76 – NJW 1978, 1858, U.v. 27.10.1987 – VI ZR 268/86 – NJW 1988, 713 m.w.N.).
Hier hat sich der Antragsteller allerdings nicht auf Veränderungen seiner Wohnsituation berufen. Vielmehr teilt er, im Übrigen ohne dabei seine Angaben zur Anschrift zu korrigieren bzw. eindeutige Angaben zu seinen tatsächlichen Wohnverhältnissen zu machen, erst im Beschwerdeverfahren mit, dass es sich bei der von ihm angegebenen Adresse von vornherein nicht um seine Wohnanschrift gehandelt habe.
Auf die für die Feststellung einer Wohnung grundsätzlich maßgeblichen tatsächlichen Umstände kommt es dann nicht an, wenn der Zustellungsadressat bewusst und zielgerichtet den Anschein gesetzt hat, dass er unter einer bestimmten Anschrift wohnt und damit zugleich verhindert hat, dass dem Absender die tatsächliche Anschrift bekannt wird und dort Zustellungen bewirkt werden können. Denn in einem solchen Fall hat ein Zustellungsempfänger die auf einen Interessenausgleich abzielenden Zustellungsregelungen leerlaufen lassen und es damit selbst verhindert, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zur Geltung zu bringen (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2004 – 12 ZB 04.1883 – juris Rn. 3; siehe auch BVerwG, B.v. 22.4.2004 – 6 B 8/04 – juris Rn. 4; BayVerfGH, E.v. 13.7.2010 – Vf. 72-VI-09 – juris Rn. 42; Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 56 Rn. 46 ff., 87 m.w.N.).
Der Antragsteller muss demgemäß die (Ersatz-)Zustellung am 19. Oktober 2018 gegen sich gelten lassen. Er hat in seinem persönlich verfassten Klageschriftsatz vom 15. September 2018, der auch den hier in Rede stehenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO enthält, die Zustelladresse im Rahmen der Klägerbezeichnung ausdrücklich benannt und hierzu keine weiteren Erläuterungen abgegeben. Er hat somit mit seinen Angaben zum Ausdruck gebracht, dass er die Korrespondenz mit dem Verwaltungsgericht unter Zuhilfenahme der benannten Anschrift führen will und in von ihm zu verantwortender Weise den Anschein erweckt, dass es sich um seine ladungs- und damit zustellungsfähige Anschrift handelt, unter der er tatsächlich zu erreichen ist (vgl. W.-R.-Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 82 Rn. 4 m.w.N.). Dementsprechend hat er das erstinstanzliche Verfahren über die von ihm angegebene Anschrift ohne jede Beanstandung geführt. Auch der im Verfahren ergangene Beiladungsbeschluss wurde ihm dort im Wege der Ersatzzustellung nach § 180 ZPO zugestellt. Die Adresse ist zudem mit der vom Antragsteller im behördlichen Verfahren angegebenen Anschrift identisch.
Der Umstand, dass im Briefkopf der persönlichen Schreiben des Antragstellers die Zustellanschrift als Geschäftsadresse bezeichnet ist, führt nicht zu einer anderen Betrachtungsweise. Denn hieraus allein ergibt sich nicht etwa der Schluss, dass der Antragsteller unter dieser Adresse nicht auch wohnt. Weitere Ermittlungen des Verwaltungsgerichts waren deshalb nicht veranlasst. Der Geschäftssitz kann mit dem Wohnsitz identisch sein. Geschäftsräume können ohne weiteres Bestandteil einer Wohnung sein (s. Dörndorfer in BeckOK, ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand 15.9.2018, § 178, Rn. 12 m.w.N.).
2. Dem Antragsteller kann auf seinen Antrag auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Frist zur Einlegung der Beschwerde gewährt werden.
Auch ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unterliegt dem Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 VwGO (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2018, § 60 Rn. 31 m.w.N.) Diesem Formerfordernis entspricht der vom Antragsteller persönlich mit Schreiben vom 27. November 2018 gestellte Antrag nicht. Der dem Formerfordernis des § 67 Abs. 4 VwGO entsprechende Schriftsatz des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 6. Dezember 2018, der bei Gericht an diesem Tag einging, den persönlich vom Antragsteller gestellten Wiedereinsetzungsantrag vom 27. November 2018 wiederholt und auf die damit vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründe verweist, ist verfristet, weil spätestens mit dem Tag der Beschwerdeeinlegung am 5. November 2018 Wiedereinsetzungsgründe hätten geltend gemacht werden können. Dieser Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist damit nicht innerhalb von einem Monat ab Wegfall des Hindernisses gestellt worden. Im Übrigen ist aus dem Vorbringen des Antragstellers auch keine unverschuldete Fristversäumnis ersichtlich (§ 60 Abs. 1 VwGO). Der Antragsteller hätte für den Fall längerer Abwesenheit von der von ihm angegebenen Anschrift, die seinem eigenen Vortrag zufolge immer wieder für mehrere Wochen vorkommt, Vorkehrungen für eine rechtzeitige Kenntnisnahme der von ihm beantragten Eilentscheidung treffen müssen (vgl. Hoppe in Eyermann a.a.O. Rn. 30; W.-R.-Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 60 Rn. 10).
Im Übrigen ist auch die für die Beschwerde geltende Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 VwGO von einem Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung, innerhalb der u.a. die Gründe darzulegen wären, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, längst abgelaufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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