Verwaltungsrecht

Öffentlich-rechtlicher Aufwendungsersatz für Baumfällung

Aktenzeichen  10 ZB 17.807

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 121556
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 67 Abs. 4, § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
BGB § 670, § 677, § 683 S. 1, § 812
LStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
VwZVG Art. 19, Art. 32 S. 1, Art. 36

 

Leitsatz

Die für die Durchsetzung der Grundverfügung (hier: Anordnung der Fällung der Bäume; Primärmaßnahme) mit den Mitteln des Verwaltungszwangs einschlägigen Vorschriften des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes beinhalten auch mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) erschöpfende und damit abschließende Sonderregelungen, die in diesem Bereich einen Anspruch des Hoheitsträgers aus Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 22 K 14.5771 2016-12-15 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Dem Beklagten wird für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt …, beigeordnet.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 34.319,15 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Dem Beklagten ist auf seinen Antrag hin für das Zulassungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen vor. Der Beklagte hat durch seine am 10. Juli 2017 vorgelegte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe mit den beigefügten Belegen nachgewiesen, dass er die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. In einem höheren Rechtszug ist gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Da sich die Beteiligten nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO vor dem Verwaltungsgerichtshof durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen müssen, wird dem Beklagten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 1 ZPO sein Prozessbevollmächtigter als zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet.
2. Der gegen das ihre allgemeine Leistungsklage (s. § 43 Abs. 2 VwGO) auf Ersatz von Kosten in Höhe von 34.319,15 Euro abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts gerichtete Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat die allgemeine Leistungsklage als unbegründet abgewiesen, weil kein Anspruch der Klägerin auf Ersatz der geltend gemachten Kosten in Höhe von 34.319,15 Euro für die im Wege der Ersatzvornahme durchgeführte Fällung von Bäumen auf dem Grundstück des Beklagten Fl.Nr. 151 der Gemarkung F. bestehe. Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677, 683 Satz 1, 670 BGB analog sei ausgeschlossen, weil in Art. 32 Satz 1 in Verbindung mit Art. 41 VwZVG eine abschließende kostenrechtliche Sonderregelung für die Inanspruchnahme des Pflichtigen der im Wege der Ersatzvornahme vollstreckten Handlung bestehe. Auch der allgemeine öffentlich-rechtlich Erstattungsanspruch analog §§ 812 ff. BGB sei demgegenüber subsidiär und trete bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der speziellen Vorschriften zum Kostenersatz zurück. Eine andere Anspruchsgrundlage der Klägerin sei nicht ersichtlich.
Demgegenüber macht die Klägerin geltend, das Verwaltungsgericht habe sich mit den erstinstanzlich im Rahmen der Klagebegründung vorgetragenen Gründen zur entsprechenden Anwendbarkeit der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag wegen der Besonderheiten des streitgegenständlichen Sachverhalts nicht hinreichend auseinandergesetzt. Darin sei unter Bezugnahme auf entsprechende Stimmen in der Kommentarliteratur ausgeführt worden, zur Vermeidung der unbilligen Konsequenz, dass der pflichtige Störer bei behördlichen Verfahrensfehlern im Zusammenhang mit der Anwendung spezialgesetzlicher Regelungen frei werde und sich eigene Mittel zur Störungsbeseitigung erspare, müsse ungeachtet dieser Sonderregelungen auf die Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) zurückgegriffen werden können. In diesem Sinne unbillig wäre es, den Beklagten von den Kosten der Ersatzvornahme nur deshalb freizustellen, weil die Klägerin der irrigen Annahme gewesen sei, der Bescheid und damit auch die der Vollstreckung durch Ersatzvornahme zugrunde liegende Grundverfügung sei bereits mit der Übermittlung per Telefax wirksam geworden. Die Klägerin habe zur Vermeidung drohender Schäden für Leib und Leben in der konkreten Gefahrenlage sofort einschreiten und die Baumfällung in Auftrag geben müssen. Damit würde dem Beklagten der unberechtigte Vorteil einer Kostenbefreiung verschafft.
Damit werden jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt. Denn das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die für die Durchsetzung der Grundverfügung (Anordnung der Fällung der Bäume; Primärmaßnahme) mit den Mitteln des Verwaltungszwangs einschlägigen Vorschriften des Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes auch mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes (s. Art. 20 Abs. 3 GG) erschöpfende und damit abschließende Sonderregelungen beinhalten, die in diesem Bereich einen Anspruch des Hoheitsträgers aus Geschäftsführung ohne Auftrag ausschließen (so die ganz h.M. in der Rechtsprechung und [Kommentar-]Literatur: zum Vorrang der entsprechenden Vorschriften des bayerischen Polizeirechts vgl. etwa BVerfG, B.v. 30.6.2011 – 1 BvR 367/11 m.w. Lit.-nachweisen sowie Senftl in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand: 20.4.2017, PAG Art. 25 Rn. 41 unter Hinweis auf diese Entscheidung; BGH, U.v. 21.6.2012 – III ZR 275/11 m.w.N. seiner stRspr; zum allgemeinen Vorrang einschlägiger Regelungen über die Erstattung von Kosten vgl. auch BayVGH, B.v. 7.11.2016 – 4 ZB 15.2809 – juris Rn 9; VG Ansbach, U.v. 25.1.2017 – AN 9 K 15.00665 – juris Rn 27; Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand März 2017, VwZVG Art. 32 Anm. IV. 1.a; vgl. weiter Schäfer in Münchner Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 677 Rn 77; Gehrlein in BeckOK BGB, Stand: 1.2.2017, BGB § 677 Rn. 27 m.w.N.). Soweit sich die Klägerin demgegenüber auf gegensätzliche Kommentierungen beruft, bezieht sie sich auf eine nicht mehr aktuelle Kommentierung in eine Vorauflage (6. Aufl.) des Münchner Kommentars (vgl. aber nunmehr Schäfer in Münchner Kommentar Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 5/2, 7. Aufl. 2017, § 677 Rn 77, wonach eine GoA im Polizei- und Ordnungsrecht schon aus systematischen Gründen grds. ausgeschlossen ist) und übersieht, dass nach der daneben angeführten Kommentierung von Bergmann (in Staudinger, Kommentar zum BGB, Stand 2015, Vorbem. zu §§ 677 ff. Rn. 281 ff., hier insb. Rn. 283 f.) ein Rückgriff auf die §§ 677 ff. BGB jedenfalls dann ausgeschlossen ist, wenn die einschlägigen öffentlich-rechtlichen Normen, die die Verwaltung zum Handeln (hier: zur Vollstreckung ihrer sicherheitsbehördlichen Anordnung) berechtigen oder verpflichten, (auch) eine abschließende Kostenregelung beinhalten.
Schon im Hinblick darauf, dass die Klägerin hier hoheitlich als Sicherheitsbehörde zur Abwehr einer konkreten Gefahr gemäß Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG tätig geworden ist und in Ausübung ihrer hoheitlichen Gewalt als Vollstreckungsbehörde die sicherheitsbehördliche Anordnung gegenüber dem Beklagten vollstreckt hat, wäre eine Anwendung der Grundsätze der Geschäftsführung ohne Auftrag, die u.a. eine Wahrnehmung fremder Interessen erfordert, schon im Ansatz systematisch verfehlt. Zudem würde dies der Klägerin als Sicherheitsbehörde bei behauptetem Fremdgeschäftsführungswillen ermöglichen, die im Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz im Detail und abschließend bestimmten Voraussetzungen der Vollstreckung ihrer hoheitlichen Verfügung zu umgehen bzw. zu unterlaufen.
Auch die noch geltend gemachte Unbilligkeit einer „Kostenbefreiung“ des Beklagten als Störer ist ungeachtet der angeführten systematischen Erwägungen und des Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) kein durchgreifendes Argument, sondern lediglich zwangsläufige Folge des rechtswidrigen (Vollstreckungs-)Handelns der Klägerin. Diese hat im Übrigen nicht nur einen (bloßen) Bekanntmachungsfehler begangen, sondern vielmehr im konkreten Fall grundsätzliche Voraussetzungen des Vollstreckungsverfahrens – Erfordernis einer vollstreckbaren Anordnung (Art. 19 VwZVG) sowie der Androhung des Zwangsmittels (Art. 36 VwZVG) – nicht beachtet.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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