Verwaltungsrecht

Prüfung eines Abschiebungsverbots nach Nigeria

Aktenzeichen  W 10 K 20.30919

Datum:
16.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25093
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2013/32/EU Art. 46 Abs. 6
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 29 Abs. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 buchst. a, § 36 Abs. 1, § 37 Abs. 3
AufenthG § 59 Abs. 2 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Az.: …, vom 28. Juli 2020 wird insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach It. angedroht wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 2/3, die Beklagte zu 1/3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, soweit darin die Abschiebung nach It. angedroht wird. Insoweit ist der Bescheid daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, siehe dazu Ziffer 3). Im Übrigen hat die Klage in der Sache keinen Erfolg, weil die Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutzes hinsichtlich N.s haben (1.) und es ihnen bezüglich der begehrten Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich It.s an einem Sachbescheidungsinteresse fehlt (2.).
1. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote hinsichtlich N.s. Hierzu verweist das Gericht zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheides, denen der erkennende Einzelrichter aus eigener Überzeugung folgt. Ergänzend ist hierzu noch folgendes auszuführen:
a) Zwar hat die Klägerin zu 1 vorgetragen, ihr Herkunftsland N. wegen der schlechten Lebensverhältnisse verlassen zu haben. Sie macht darüber hinaus geltend, sie würde sich mit dem System in N. nicht auskennen, da sie dort nicht aufgewachsen sei. Aus diesem Vorbringen sowie den sonstigen, im Verwaltungsverfahren zu Tage getretenen Umständen sowie der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage in N. ergibt sich jedoch nicht, dass den Klägern im Falle der Rückkehr dorthin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder konkrete, individuelle und erhebliche Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG drohen.
b) Des Weiteren haben die Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund allgemeiner, der Bevölkerung als Ganzes oder einzelnen Bevölkerungsgruppen drohender Gefahren in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 6 i.V.m. § 60a Abs. 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG sind jedoch Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, welcher der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein und in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird.
Mangels einer derartigen Abschiebestopp-Anordnung stellen die allgemein vergleichsweise ungünstigen Lebensverhältnisse bzw. die derzeitige Corona-Pandemie in N. eine allgemeine Gefahr dar, die aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht rechtfertigen kann. Diese Sperrwirkung kann nur im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, einem Ausländer trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. – juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert würde (vgl. BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 – juris).
aa) Von den in N. herrschenden, allgemein ungünstigen Lebensverhältnissen bzw. der auch in N. bestehenden Covid-19-Pandemie wären die Klägerin zu 1 als alleinerziehende Mutter beziehungsweise die Kläger zu 2 bis 5 als minderjährige Kinder jedoch nicht in einer Weise betroffen, welche zu einer solchen Verdichtung der allgemeinen Gefahren zu einer extremen Gefahrenlage in ihrer Person führen würde. Denn die Kläger wären in N. zur Überzeugung des erkennenden Einzelrichters nicht auf sich alleine gestellt. In der mündlichen Verhandlung am 8. November 2019 im Klageverfahren W 10 K 19.50474 hat die Klägerin zu 1 bestätigt, dass ihr Vater aus gesundheitlichen Gründen wieder in N. lebt. Ihre Schwester sei verheiratet und lebe in Verona, It.. Die Kläger zu 2 bis 5 würden It.isch und ein bisschen Englisch sprechen, aber besser It.isch. In der Gesamtschau der Angaben der Klägerin zu 1 sowie der sonstigen erkennbaren Umstände ergibt sich, dass die Kläger in N. auf einen unterstützungsbereiten und -fähigen Familienverband zurückgreifen könnten. Zum einen ist es schon nicht glaubhaft, dass die Klägerin zu 1 sich in ihrem Herkunftsland nicht mehr zurechtfinden will. Zwar ist sie im Jahr 2002 und somit schon im Jugendlichenalter (etwa 13 Jahre) aus N. ausgereist. Wie das Bundesamt festgestellt hat, ergibt sich jedoch aus ihrem F. Profil, dass sie sich zwischenzeitlich in N. bzw. L. und somit jedenfalls in Afrika aufgehalten hat. Des Weiteren ist sie im Alter eines Jugendlichen aus N. ausgereist und hat anschließend gemeinsam mit ihrer Schwester bei ihrem aus N. stammenden Vater in It. gelebt. Sie hat somit zumindest 13 Jahre ihres Lebens in N. verbracht und ist auch danach in einem Umfeld aufgewachsen, in welchem ihr die Kultur ihres Heimatlandes vermittelt werden konnte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch vermittelt worden ist. Es ist daher nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass sie wegen völliger Unkenntnis der kulturellen und sozialen Verhältnisse in N. mit ihren Kindern völlig hilflos wäre. Außerdem steht aufgrund ihrer eigenen Angaben fest, dass ihre Eltern noch in B. City leben und die Klägerin mit ihren Kindern bei sich aufnehmen würden. Es ist auch weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich, dass und gegebenenfalls aus welchen Gründen es ihren Eltern nicht möglich oder nicht zumutbar sein sollte, für die Klägerin und deren Kinder zumindest so lange zu sorgen, bis diese den Lebensunterhalt ihrer Familie durch ein eigenes Einkommen erwirtschaften kann. Zumindest bestünde die Möglichkeit der Betreuung der minderjährigen Kinder durch die Großeltern, wenn die Klägerin zu 1 einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Des Weiteren ist auch nicht glaubhaft, dass die Kläger zu 2 bis 5 besser It.isch als Englisch sprechen. Auch wenn diese in einem italienischsprachlichen Land und gesellschaftlichen Umfeld aufgewachsen sind und bereits in It. die Schule besucht haben, ist es doch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihre Mutter mit ihnen nur It.isch gesprochen und ihnen somit die englische Sprache nicht vermittelt hat. Nach alledem ist nicht davon auszugehen, dass es den Kläger nicht möglich wäre, in N. nach der Überwindung anfänglicher Schwierigkeiten, bei der ihnen die Eltern der Klägerin zu 1 helfen würden, wieder Fuß zu fassen.
bb) Auch die derzeitige Covid-19 (sog. Corona-)Pandemie, ausgelöst durch das SARS-COV-2-Virus, welche auch N. erfasst hat, führt nicht zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG zugunsten der Kläger. Im Hinblick auf die Gefahr, dass die Kläger sich in N. mit dem SARS-COV-2-Virus infizieren bzw. aufgrund der dort zur Bekämpfung der weiteren Ausbreitung des Virus bestehenden Einschränkungen des Wirtschaftslebens und der daraus resultierenden Versorgungslage können sie Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1, 6 AufenthG wie ausgeführt nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn sie bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wären. Eine derartige Extremgefahr kann für die Kläger im Falle ihrer Rückkehr nach N. nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Es ist zum einen nicht ersichtlich, dass die Kläger ohne bekannte und relevante Vorerkrankungen in N. gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Gesundheitsschäden ausgeliefert wären. Die Gesamtsituation bezüglich des Verlaufs der Covid-19-Pandemie in Afrika und insbesondere im Herkunftsland der Kläger, N., stellt sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln bzw. allgemein zugänglichen Quellen wie folgt dar:
In der Region Afrika sind inzwischen insgesamt fast 304.000 Infizierte und über 6.000 Verstorbene gemeldet. Innerhalb der letzten 14 Tage hat sich die Zahl der Erkrankten fast verdreifacht. Die höchsten Fallzahlen liegen weiterhin in Südafrika (151.209 Fälle). Hier wurde am 2. Juni 2020 die bisher höchste Neuinfektionsrate von 8.124 Neuerkrankungen innerhalb von einem Tag registriert. Auch in N., S., Ät. und K. kommt es zu einem Anstieg (vgl. Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes, COVID-19, Informationen für Beschäftigte und Reisende, Stand 2.7.2020, S. 1, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2294930/b5b71797aa9c9568fde4aad3575efae0/ncov-data.pdf, abgerufen am 16.9.2020; vgl. auch – allerdings mit nicht mehr aktuellen absoluten Zahlen – Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation – Afrika, Covid-19, Aktuelle Lage vom 10.7.2020, S. 1 f.). Nach dem Stand vom 10. Juni 2020 kam in N. auf 17.496 Einwohner ein Infizierter. Bezogen auf N. bedeutet dies, dass das Land bisher eine ungewöhnliche, sehr linear verlaufende Kurve der Neuinfektionen aufweist. Der lineare Anstieg setzte sich bisher trotz der ergriffenen Maßnahmen konsequent fort (vgl. BFA, a.a.O., Stand: 10.6.2020, S. 7).
In N. gibt es im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung insgesamt 56.388 bestätigte Infizierte, was einen Anstieg von 132 innerhalb von 24 Stunden bedeutet. Von den bestätigten Infektionsfällen sind 44.337 genesen, das heißt 185 innerhalb von 24 Stunden. Des Weiteren sind 1.083 Todesopfer zu beklagen, das heißt ein Todesopfer innerhalb von 24 Stunden, was einen Anteil von 1,9% der bestätigten Fälle ausmacht (vgl. National Centre for Disease Control, NCDC, Covid-19 Situation Report Nr. 199 vom 14.9.2020, im Internet abrufbar unter: https://ncdc.gov.ng/diseases/sitreps/?cad=14+name=an%20update%20of%20COVID-19%20outbreak%20in%20nigeria, Abruf am 16.9.2020). Von den bestätigten Infektionsfällen entfallen 63% auf Männer und 37% auf Frauen. Die am stärksten von der Infektion betroffene Altersgruppe sind Personen im Alter von 31 bis 40 Jahren mit einem Anteil von 26%.
Die vorhandenen Behandlungskapazitäten in N. sind bei Weitem nicht ausreichend. Nach Angaben des nigerianischen Gesundheitsministers vom 29. Mai 2020 soll es in 35 Bundesstaaten und in Ab. derzeit 112 Behandlungs- und Isolationszentren mit insgesamt über 5.000 Fällen geben. Nicht alle Bundesstaaten verfügen bisher jedoch über die ihnen vorgeschriebene Mindestzahl von jeweils 300 Betten. Bereits am 27. Mai 2020 warnte die Pr. T. F., dass die Regierung weiter steigende Covid-19-Fälle nicht mehr bewältigen könne. Problematisch sind des Weiteren die geringen Testkapazitäten, so gab es bis Ende Februar 2020 für die nigerianische Bevölkerung mit über 200 Millionen Einwohnern lediglich vier Testlabore, welche zu einem Covid-19-Test in der Lage waren. Auch Ende Mai 2020 gab es erst 26 Testlabore, verteilt auf 16 Bundesstaaten und die Hauptstadt Ab.. Es werden lange Wartezeiten auf Testergebnisse beklagt (vgl. zum Ganzen: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Länderreport Covid-19, Stand: Juni 2020). Bis Ende Mai 2020 waren in N. erst rund 61.000 Tests erfolgt, weshalb die tatsächliche Inzidenz des Virus im Land unbekannt ist (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28). Das Verhältnis von durchgeführten Tests zur Einwohnerzahl weist N. als eines der am wenigsten aktiven Länder Afrikas aus (auf 2.787 Einwohner kommt ein Test). Dementsprechend ist die Dunkelziffer für N. hoch (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 7). Trotz entsprechender Ermahnungen durch das Gesundheitsministerium gab es am 28. Mai 2020 nach wie vor Fälle, in welchen Krankenhäuser die Aufnahme erkrankter Personen wegen einer befürchteten Corona-Infektion verweigerten. Es besteht daher die Befürchtung, dass aufgrund solcher Fälle der Nichtbehandlung von Krankheiten, welche nicht im Zusammenhang mit der Pandemie stehen, bisher mehr Menschen gestorben seien als an Covid-19 selbst (vgl. BAMF, a.a.O., S. 28).
Zusammenfassend besteht zwar für die Klägerin zu 1 als Person im Alter von über 31 Jahren ein erhöhtes Risiko einer Infektion. Dennoch bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie zu einer Personengruppe gehört, für die das Risiko eines schweren oder gar tödlichen Verlaufs der Erkrankung besteht. Die Kläger zu 2 bis 5 sind als minderjährige Kinder im schulpflichtigen Alter nicht einmal der Personengruppe zuzurechnen, für die ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht. Was die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs einer Coronainfektion bei Kindern betrifft, bestehen in der medizinischen Wissenschaft bisher weltweit noch keine gesicherten Erkenntnisse. Auf N. bezogen, wo der Anteil der Todesopfer aktuell 1,9% aller Infizierten beträgt, ist für die Kläger das Risiko gering, an Corona zu sterben oder einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden und dadurch von den mangelnden Behandlungskapazitäten betroffen zu sein. Die Kläger wären folglich in N. nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt, an einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus infolge eines schweren Verlaufs und mangelnder Behandlungskapazitäten zu sterben oder bleibende schwerwiegende Gesundheitsschäden davon zu tragen.
Des Weiteren sind die Kläger auch nicht in einem Maße von den zur Bekämpfung der Ausbreitung des Virus getroffenen Maßnahmen bzw. deren politischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen getroffen, dass deshalb für sie von einer hohen Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage bei Rückkehr nach N. auszugehen wäre. Seit Mitte März 2020 haben die Bundesregierung sowie die einzelnen Bundesstaaten eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um eine weitere Ausbreitung von Covid-19 zu verhindern. Dazu zählen die Schließung der internationalen Flughäfen in K. und P. H. am 21. März 2020 sowie zwei Tage später auch in L. und Ab.. Die in L., Ab. sowie einer Vielzahl weiterer Bundesstaaten verordneten Lockdowns sind inzwischen weitgehend gelockert worden; so gilt in L., Ogun sowie in der Hauptstadt Ab. seit dem 4. Mai 2020 nur noch eine landesweite nächtliche Ausgangssperre von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr sowie die Pflicht, in der Öffentlichkeit Gesichtsmasken zu tragen und einen Abstand zu anderen Personen von 2 m einzuhalten. Die Menschen durften somit wieder ihre Arbeit aufnehmen und konnten damit wieder Geld zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes verdienen (BAMF, a.a.O., S. 28). Verboten blieben weiterhin größere Versammlungen und Passagierflüge wie auch das Reisen von einem Bundesstaat zum anderen. Banken dürfen von 8:00 Uhr bis 14:00 Uhr öffnen. Märkte und Regierungsbüros dürfen stundenweise an drei Tagen in der Woche öffnen. Seit der zweiten Phase der Lockerung ab dem 2. Juni 2020 ist die landesweite nächtliche Ausgangssperre auf 22:00 Uhr bis 4:00 Uhr verkürzt, der Transport von Gütern und Fahrten zum Zwecke der Erbringung von Dienstleistungen ist auch zwischen den Bundesstaaten nunmehr unbeschränkt erlaubt. Kirchen und Moscheen dürfen unter Beachtung strenger Auflagen wieder Gottesdienste abhalten. Genauere Regelungen obliegen den Regierungen der Bundesstaaten. Einschränkungen bestehen nach wie vor dahingehend, dass Ansammlungen von mehr als 20 Menschen außerhalb von Arbeitsplätzen oder Orten der Glaubensausübung streng verboten sind und Schulen, Bars, Fitnessstudios, Kinos, Nachtclubs und Parks weiterhin geschlossen bleiben (vgl. BAMF a.a.O., S. 28/29; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8). Für den Bundesstaat Kano wurde mittlerweile eine erste Phase der Lockerung des strengen Lockdowns bekannt gegeben. Besonders betroffen durch die Einschränkungen ist ein Großteil der armen Bevölkerung, der im informellen Sektor arbeitet und auf die täglichen Einnahmen angewiesen ist. Diese Menschen konnten während der Ausgangssperren kein Einkommen generieren. Um die Not zu lindern wurden in einigen Regionen durch die Regierung durch Hilfsorganisationen Nahrungsmittel verteilt (vgl. Bundesamt, a.a.O., S. 29). Die Maßnahmen gegen die Pandemie wirken sich insbesondere auf den informellen Sektor aus, wo 80% der Menschen arbeiten und 65% des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet werden. Die Mehrheit der Menschen in diesem Sektor konnte in den vergangenen Wochen nicht arbeiten. Damit entfiel der gesamte Lebensunterhalt, denn N. ist kein Sozialstaat. Hilfspakete wurden nach Informationen keine geschnürt. Angaben zu Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder auf die Wirtschaft können derzeit noch nicht gemacht werden. Angeblich hat die Zentralbank Hilfspakete eingeführt, mit welchen denen am härtesten getroffenen Haushalten und Betrieben geholfen werden sollte, allerdings mit Krediten anstelle von Zuwendungen. In L. wurden an 200.000 Haushalte Nahrungsmittelpakete ausgegeben (bei 14 Millionen Einwohnern). Insgesamt haben vulnerable Haushalte keine Hilfe von der Regierung erhalten. Hilfe wurde gegebenenfalls von der Zivilgesellschaft organisiert. Lebten bereits vor der Corona-Krise 80 Millionen N.ner in extremer Armut, d.h. mit einem Einkommen von weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag, wird diese Zahl laut Weltbank um mindestens 5 Millionen Menschen anwachsen. Es sind keine Berichte bekannt, wonach es bei der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung zu einem Mangel gekommen ist, der über das übliche Ausmaß hinausgeht. Allerdings soll es in manchen Bereichen zu einem Preisanstieg von 100% bei Lebensmitteln gekommen sein (vgl. zum Ganzen Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, a.a.O., S. 8/9).
Bei einer Gesamtbetrachtung dieser Berichte ergibt sich, dass die ohnehin schwierige wirtschaftliche Situation in N. sich aufgrund der zur Einschränkung der Verbreitung des Corona-Virus seitens der Regierung ergriffenen Maßnahmen weiter verschlechtern wird. Andererseits bestehen aber im Arbeitsleben, bei der Lebensmittelversorgung sowie der Bewegungsfreiheit tagsüber infolge der Lockerungen der von den Bundesstaaten verhängten Lockdowns kaum noch relevante Einschränkungen. Es spricht daher keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass Menschen – wie die Kläger -, welche auf Einkommen im sog. informellen Sektor angewiesen sind, aber auf familiäre Unterstützung zurückgreifen können, sich ihren Lebensunterhalt aufgrund der coronabedingten Einschränkungen nicht mehr erwirtschaften können. Zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts besteht somit keine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in N. derart negativ entwickeln werden, dass die Kläger nicht mehr in der Lage wären, zumindest ihr Existenzminimum sicher zu stellen.
2. Hinsichtlich des in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaates It. besteht kein Sachbescheidungsinteresse der Kläger hinsichtlich einer Feststellung von Abschiebungsverboten, da die Abschiebungsandrohung insoweit aufzuheben ist (3.). Da das Bundesamt in seinem Bescheid zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich It.s weder geprüft noch verneint hat, kommt auch eine isolierte Aufhebung der Ziffer 4 des Bescheides insoweit nicht in Betracht.
3. Die Abschiebungsandrohung ist hinsichtlich des Zielstaates It. rechtswidrig. Hingegen bestehen keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach N..
a) Die Abschiebungsandrohung ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger deshalb in ihren Rechten, als It. als Zielstaat der Abschiebung bezeichnet wird. Zwar darf in der Abschiebungsandrohung grundsätzlich jeder Staat gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG als Zielstaat bezeichnet werden, in den eine Abschiebung grundsätzlich durchgeführt werden kann (OVG Saarland, B.v. 15.4.2015 – 2 A 343/14 – juris Rn. 10 m.w.N.). Rechtlich zulässig ist es deswegen auch, mehrere Zielstaaten der Abschiebung alternativ in der Abschiebungsandrohung zu benennen (VGH BW, B.v. 24.9.2007 – 11 S 561/07 – juris Rn. 6 m.w.N.). Eine rechtmäßige Abschiebungsandrohung liegt jedoch nur dann vor, wenn diese einen Zielstaat bezeichnet, welcher zur Rückübernahme der betroffenen Person bereit oder verpflichtet ist. Zwar muss die Bereitschaft des Zielstaates zur Rückübernahme der betreffenden im Zeitpunkt der Abschiebungsandrohung – anders als bei der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a AsylG – nicht feststehen. Vielmehr darf das Bundesamt in der Abschiebungsandrohung auch einen Zielstaat bestimmen, für den die tatsächliche Möglichkeit der Abschiebung in absehbarer Zeit nicht feststeht, soweit in Bezug auf diesen Staat keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote bestehen (BVerwG, B.v. 10.10.2012 – 10 B 39.12 – juris Rn. 4). Eine Abschiebungsandrohung ist aber rechtswidrig und daher aufzuheben, wenn die Wiederaufnahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaates erwiesenermaßen nicht mehr fortbesteht und auch eine Abschiebung in den Herkunftsstaat oder einen anderen aufnahmebereiten Drittstaat nicht in Betracht kommen (BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13; OVG MV, U.v. 15.5.2012 – 3 L 98/04 – juris Rn. 64; VG Karlsruhe, GB.v. 7.7.2020 – A 9 K 4137/19 – juris Rn. 27). Deshalb ist eine Zielstaatsbestimmung rechtswidrig, die eindeutig lediglich auf Vorrat erfolgt, weil eine zwangsweise Abschiebung bzw. eine freiwillige Rückkehr in den betreffenden Staat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich scheint (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2003 – 1 C 21.02 – juris Rn. 13).
Letzteres ist vorliegend in Bezug auf It. der Fall. Wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO ist die Zuständigkeit auf die Beklagte übergegangen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16, Shiri – juris). Es besteht somit weder eine Zuständigkeit, noch eine Wiederaufnahmeverpflichtung It.s für die Kläger. Diese können sich im gerichtlichen Verfahren aufgrund des Rechts auf einen effektiven Rechtsbehelf nach Art. 27 Dublin III-VO auch auf den Fristablauf berufen (EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16, Shiri – juris Rn. 46), weshalb eine Überstellung der Kläger nach It. diese in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzen würde. Nicht vertieft zu werden braucht daher, dass das Bundesamt auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote hinsichtlich It.s geprüft hat. An die Prüfung solcher Abschiebungsverbote in dem im Dublin-Verfahren ergangenen Bescheid kann schon deshalb nicht angeknüpft werden, weil dieser Bescheid nach seiner Aufhebung durch die Beklagte gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG unwirksam geworden ist.
Die Unzuständigkeit und fehlende Aufnahmebereitschaft It.s führt im vorliegenden Falle jedoch nicht dazu, dass gemäß § 37 Abs. 2 AsylG die Ausreisefrist nunmehr 30 Tage nach dem anfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens enden würde. Denn nach § 37 Abs. 3 AsylG gelten die Absätze 1 und 2 des § 37 AsylG nicht, wenn aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staaten vollziehbar wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris Rn. 23), was hier hinsichtlich N.s der Fall ist. Damit hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Folgen des § 37 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG ausdrücklich für jene Fälle ausgeschlossen, in denen das Gericht nicht hinsichtlich aller in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaaten ein Abschiebungsverbot angenommen hat. Es versteht sich von selbst, dass die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde in einem solchen Fall die Abschiebung nur in einen Zielstaat durchführen darf, für den das Verwaltungsgericht die Zulässigkeit der Abschiebung nicht für ernstlich zweifelhaft hält (BVerwG, a.a.O.).
b) Keine rechtlichen Bedenken bestehen hingegen (im Ergebnis) gegen die Abschiebungsandrohung nach N. und gegen die gesetzte Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG.
Zwar verstößt die Festsetzung einer Ausreisefrist von einer Woche gemäß § 36 Abs. 1 AsylG, welche nach der Festsetzung unter Ziffer 5 des Bescheides mit der Bekanntgabe beginnt, gegen europäisches Unionsrecht. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden hat, steht die Verbindung der ablehnenden Entscheidung über einen Asylantrag mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung – wie hier – nur dann mit Art. 6 Abs. 6 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG vom 16. Dezember 2008 im Einklang, wenn gewährleistet ist, dass der Ausländer ein Bleiberecht bis zur Entscheidung über den maßgeblichen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags hat und dieser Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet (EuGH, U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – juris; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris; U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris). Da alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den maßgeblichen Rechtsbehelf ausgesetzt werden müssen, darf insbesondere die in Art. 7 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen, solange der betroffene Ausländer ein Bleiberecht hat (EuGH, U.v. 19.6.2018 – Gnandi, C-181/16 – juris Rn. 61 f.; BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 1.19 – juris Rn. 16 und 1 C 19.19 – juris Rn. 25). Abweichend von dem in Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 (Asylverfahrensrichtlinie n.F.) garantierten Bleiberecht bis zum rechtskräftigen Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens regelt Art. 46 Abs. 6 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU für den Fall der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach Art. 32 Abs. 2 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU die Befugnis des nationalen Gerichts, entweder auf Antrag des Antragstellers – wie im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 oder 7 Satz 2 VwGO – oder von Amts wegen – vgl. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO – darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Bleiberecht des Antragstellers zu beenden und wenn in diesen Fällen das Bleiberecht bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 27). Letzteres trifft für die sofort vollziehbare Ausreisepflicht aufgrund der Asylablehnung als offensichtlich unbegründet zu, weil hier nach § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG die aufschiebende Wirkung der Klage ausgeschlossen ist. Dies bedeutet, dass nach der unionsrechtlichen Vorgabe im Falle einer Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet während des Laufs der Antragsfrist gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG für den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO bzw. im Falle der rechtzeitigen Antragstellung bis zum ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ein vorläufiges Bleiberecht bestehen muss, weil Ausreisefrist und Rechtsbehelfsfrist nicht parallel laufen dürfen (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 28, 37). Für den Fall der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch das Verwaltungsgericht sieht hingegen § 37 Abs. 2 AsylG vor, dass die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens endet, sodass insoweit die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht ein unionsrechtskonformer Rechtszustand besteht (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 30).
Eine Ausreisefrist, die – wie für den Fall der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet in § 36 Abs. 1 AsylG geregelt – bereits mit der Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes beginnt, und die als Bestandteil der Abschiebungsandrohung mit der Asylablehnung in einem Bescheid verbunden ist, gewährleistet mithin die unionsrechtlich geforderten Verfahrens-, Schutz- und Teilhaberechte nicht in vollem Umfang (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 28 ff., insb. 37). Zwar hindert ein rechtzeitig gestellter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylG den Vollzug der angedrohten Abschiebung (Vollzugshemmung), nicht aber deren Vollziehbarkeit (BVerwG a.a.O., Rn. 39; vgl. auch § 36 Abs. 3 Satz 11 AsylG). § 59 Abs. 1 Satz 6 und 7 AufenthG ist nicht entsprechend anwendbar (BVerwG a.a.O.). Ferner hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass § 36 Abs. 3 AsylG nicht unionsrechtskonform dahin ausgelegt werden kann, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO eine auf die Dauer des Eilverfahrens begrenzte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Abschiebungsandrohung bewirkt (BVerwG a.a.O., Rn. 43 ff.).
Das Bundesamt kann jedoch – wie im vorliegenden Falle geschehen – nach § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Vollziehung einer Abschiebungsandrohung aussetzen, um dem Regelgebot des § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG, ablehnende Asylentscheidung und Abschiebungsandrohung zu verbinden, Folge leisten und zugleich den unionsrechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Rechtsschutz zu entsprechen (BVerwG, U.v. 20.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 54 ff.). Damit hat das Bundesamt in unionrechtskonformer Weise den Zeitpunkt, in welchem die Ausreisefrist anläuft, auf einen Zeitpunkt festgesetzt, in welchem das Verwaltungsgericht den Sofortvollzug der Abschiebungsandrohung bestätigt oder fristgerechte Rechtsbehelfe dagegen nicht mehr eingelegt werden können (vgl. BVerwG, U.v. 6.2.2020 – 1 C 19.19 – juris Rn. 61).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit derselben aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.


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