Verwaltungsrecht

Rechtliche Bewertung eines Plakats mit der Aufschrift “Geld für die Oma statt für Sinti und Roma”

Aktenzeichen  10 ZB 19.2241

Datum:
30.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1195
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 5
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 21
StGB § 130 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 185
ICERD Art. 4 lit. a, lit. b

 

Leitsatz

Zur sicherheitsbehördlichen Bewertung eines Wahlplakats „GELD FÜR DIE OMA STATT FÜR SINTI & ROMA“. (Rn. 5 – 14)

Verfahrensgang

M 22 K 17.4899 2019-09-19 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine auf nachträgliche Feststellung gerichtete Klage, dass die Beklagte verpflichtet war, das Abhängen eines Wahlplakats der Beigeladenen mit der vor dem Hintergrund einer älteren Dame gedruckten Aufschrift „GELD FÜR DIE OMA“ und „STATT FÜR SINTI & ROMA“ anzuordnen, weiter.
Der zulässige Antrag ist unbegründet, weil sich aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ergeben, noch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO hinreichend dargelegt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. vorliegt.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Der Kläger macht geltend, das Verwaltungsgericht habe unter Bezugnahme auf verschiedene Gerichtsentscheidungen, aber ohne nähere eigene Begründung den Straftatbestand der Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 1 StGB verneint. Das betreffende Plakat beinhalte jedoch eine Aufstachelung zum Hass im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB, weil es gängige Vorurteile gegen Sinti und Roma bediene bzw. befördere, womit eine Abwertung dieser Gruppe verbunden sei. Zum einen werde damit ausgedrückt, dass Geld, das Sinti und Roma vom Staat erhalten, diesen weggenommen werden und besser älteren Leuten zukommen sollte. Zum anderen werde durch die ängstliche ältere Dame auf dem Plakat ausgedrückt, mit der Umverteilung des Geldes werde nicht nur das Problem der Altersarmut gelöst, sondern auch ein Beitrag zur Sicherheit der Bevölkerung geleistet. Jedenfalls liege darin aber eine böswillige Verächtlichmachung der Sinti und Roma im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dies gelte umso mehr, weil das Werbeplakat unmittelbar vor einer Asylunterkunft angebracht gewesen sei und unterschwellig eine Gleichordnung von Sinti und Roma und Asylsuchenden vornehme. Diese Vorgehensweise sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Zudem handle es sich bei dem Werbeplakat um eine Schrift im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c) StGB. Schließlich liege darin entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts eine Herabwürdigung, Missachtung und somit Beleidigung der Gruppe der Sinti und Roma gemäß § 185 StGB.
Damit wird die Bewertung des Verwaltungsgerichts, durch das Plakat werde weder der Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 StGB) noch der Beleidigung (§ 185 StGB) verwirklicht, aber nicht mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt.
§ 130 Abs. 1 StGB setzt einen in besonderer Weise qualifizierten Angriff gegen unter anderem Teile der Bevölkerung mit einem im Vergleich zu den Beleidigungsdelikten gesteigerten Unrechtsgehalt voraus. Erfasst sind Taten, die von Feindseligkeit geprägt sind (BGH, U.v. 27.7.2017 – 3 StR 172/17 – juris Rn. 29). Im Einzelnen ist im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB unter Aufstacheln zum Hass ein Verhalten zu verstehen, das auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betroffenen Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken (BGH, a.a.O., Rn. 30). Für die Tathandlungen nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt: Unter Verächtlichmachen ist jede auch bloß wertende Äußerung zu verstehen, durch die jemand als der Achtung der Staatsbürger unwert oder unwürdig hingestellt wird. Ein Angriff gegen die Menschenwürde anderer, der sich durch diese Handlungen ergeben muss, setzt voraus, dass sich die feindselige Handlung nicht nur gegen einzelne Persönlichkeitsrechte wie etwa die Ehre richtet, sondern den Menschen im Kern seiner Persönlichkeit trifft, indem er unter Missachtung des Gleichheitssatzes als minderwertig dargestellt und ihm das Lebensrecht in der Gemeinschaft bestritten wird (BGH, a.a.O., Rn. 31).
Bei der Auslegung und Anwendung von § 130 StGB haben die Fachgerichte insbesondere die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (hier in Verbindung mit Art. 21 GG) abzuleitenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu beachten, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auf der Normanwendungsebene zur Geltung kommt. Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen ist, dass ihr Sinn zutreffend erfasst worden ist. Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (stRspr d. BVerfG, vgl. zuletzt B.v. 24.5.2019 – 1 BvQ 45/19 – juris Rn. 11 f. m.w.N.). Eine Interpretation, die über die reine Wortinterpretation hinausgeht, muss unter Heranziehung weiterer, dem Text nicht unmittelbar zu entnehmender Gesichtspunkte und Maßstäbe unvermeidlich sein (BVerfG, B.v. 4.2.2010 – 1 BvR 369/04 u.a. – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 24.5.2019 – 10 CE 19.1032 – juris Rn. 11).
Gemessen daran bestehen auch unter Berücksichtigung der Begründung des Zulassungsantrags keine durchgreifenden Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Parole bzw. Aussage des streitbefangenen Wahlplakats trotz eines herabwürdigenden Inhalts mit Blick auf die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (i.V.m. Art. 21 GG) die Schwelle zur Strafbarkeit als Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB nicht überschreitet. Denn das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise unter Bezugnahme auf Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte (VG Kassel, B.v. 9.9.2013 – 4 L 1117/13.KS, VG Frankfurt, B.v. 10.9.2013 – 5 L 3380/13.F, VG Gießen, B.v. 12.9.2013 – 4L 1892/13.GI, jeweils juris) sowie eine (kursorische) Bewertung des betreffenden Wahlplakats durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidung im NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017 (2 BvB 1/13 – juris Rn. 757) ersichtlich darauf abgestellt, dass das betreffende Wahlplakat nicht zwingend in der vom Kläger geltend gemachten Weise als Ausdruck einer über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehenden feindseligen Haltung bzw. pauschalen Verächtlichmachung aller Sinti und Roma verstanden werden muss. Denn insbesondere die strafrechtlich nicht relevante Auslegungsvariante der Aussage des Plakats, staatliche Mittel sollten besser der älteren Generation (der Rentner) als der Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma zukommen, ist nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Betrachters nicht im oben dargelegten Sinn mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen. Die vom Kläger weiter geltend gemachten Interpretationen „kriminell veranlagte Bevölkerungsgruppe vs. schützenswerte ältere Leute“ und „unterschwellige Gleichordnung von Sinti und Roma und Asylsuchenden“ sind auch unter Heranziehung der dazu angeführten sonstigen Gesichtspunkte (verbreitete Vorurteile, Standort des Plakats) nicht unvermeidlich.
Für den Straftatbestand des § 185 StGB gilt insoweit letztlich nichts anderes.
Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht auch den Begriff der verfassungsfeindlichen Handlung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 LStVG nicht verkannt. Eine tatbestandsmäßige Handlung liegt danach nur vor, wenn diese Handlung zum Ziel hat, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder auf verfassungswidrige Weise zu stören oder zu ändern. Das Tatbestandsmerkmal „auf verfassungswidrige Weise“ kann aber nur vorliegen, wenn die beabsichtigte Änderung der geltenden verfassungsmäßigen Ordnung mit in der Verfassung nicht vorgesehenen, also verfassungswidrigen, Mitteln erreicht werden soll. Hält sich eine Äußerung wie hier noch im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Wahlkampf, ist dieses Tatbestandsmerkmal nach zutreffender Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts jedoch nicht erfüllt.
Nicht durchgreifend ist auch der Einwand, in dem Wahlwerbeplakat liege ein Verstoß gegen Art. 4 Buchst. a) und b) des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung von Rassendiskriminierung (ICERD) und damit einer – über das Zustimmungsgesetz zu diesem völkerrechtlichen Übereinkommen – bundesgesetzlichen Regelung, die Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne von Art. 7 Abs. 5 LStVG sei. Zum einen ist, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht abstellt, der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung“ schon nicht mit dem Begriff der Rechtsordnung gleichzusetzen, zum anderen werden – wie dargelegt – durch diesen Befugnistatbestand nur solche Handlungen erfasst, die „auf verfassungswidrige Weise“ gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 3. Alt. i.V.m. Abs. 5 LStVG – Verhütung oder Unterbindung verfassungsfeindlicher Handlungen – neben den beiden anderen Tatbestandsvarianten einen eigenständigen Anwendungsbereich besitzt, wie gegebenenfalls dieser eigenständige Anwendungsbereich zu bestimmen ist und ob ein Verstoß gegen Art. 4 Buchst. a) und b) ICERD den Anwendungsbereich eröffnet. Abgesehen davon, dass der Kläger den Klärungsbedarf dieser Fragen schon nicht hinreichend dargelegt hat, besteht ein solcher auch nicht, weil diese Rechtsfragen, soweit sie sich im konkreten Fall überhaupt stellen, bereits geklärt sind oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden können (stRspr, BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64). Auf die diesbezüglichen Ausführungen oben wird Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren folgt aus § 154 Abs. 2, § 163 Abs. 3 VwGO; die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen entspricht der Billigkeit, weil diese im Zulassungsverfahren durch eigenen Tatsachen- und Rechtsvortrag in nicht unerheblicher Weise mitgewirkt hat.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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