Verwaltungsrecht

Rechtmäßige Unzulässigkeitsentscheidung in Asylfolgeverfahren

Aktenzeichen  W 1 K 20.31152

Datum:
26.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 33736
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 71
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden, § 102 Abs. 2 VwGO. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angegriffene Bescheid vom 25.09.2020 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Darüber hinaus hat er auch keinen Anspruch auf die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Hinsichtlich des Antrages betreffend die Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 25. September 2020 ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet. Die auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71 AsylG beruhende Unzulässigkeitsentscheidung ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ein Asylantrag ist nach vorgenannten Normen im Falle eines Folgeantrages nach § 71 AsylG unzulässig, wenn ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Gemäß § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG vorliegen. Dies setzt voraus, dass sich entweder die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) oder aber Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). All diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben mit der Folge der Unzulässigkeit des Asylfolgeantrages.
Zur Begründung wird zunächst auf die Gründe des angefochtenen Bescheids vom 25. September 2020 verwiesen, § 77 Abs. 2 AsylG. Ergänzend ist Folgendes auszuführen:
1. Soweit der Kläger im Asylfolgeverfahren vorgetragen hat, dass er sich am 20. Februar 2020 in der Kirchengemeinde B* … … erneut habe christlich taufen lassen, so handelt es sich hierbei nicht um eine Änderung der Sach- oder Rechtslage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Denn es war bereits Gegenstand des Asylerstverfahrens des Klägers (W 1 K 19.30258), dass dieser sich am 1. April 2018 hat christlich taufen lassen. Bei sich fließend entwickelnden dauerhaften Sachverhalten wie etwa einer religiösen Konversion ist regelmäßig auf den Akt der Taufe als nach außen erkennbare Manifestation der Konversion abzustellen (vgl. dazu HessVGH, B.v. 23.2.2010 – 6 A 1389/09.A – Asylmagazin 2010, 120; VG Würzburg, B.v. 10.10.2017 – W 8 E 17.33482 – juris; B.v. 8.5.2018 – W 1 S 18.30820), hier demzufolge der erwähnte Empfang der christlichen Taufe am 1. April 2018. Die erneute Taufe stellt auch nicht etwa einen Qualitätsumschlag dar, welcher die Frist nach § 51 Abs. 3 erneut in Lauf setzen könnte (vgl. hierzu: BVerwG, U.v. 10.2.1998 – 9 C 28/97 – juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 71 AsylG, Rn. 40 ff., 46 ff.; Funke-Kaiser, GK, AsylG, Band 3, § 71, Rn. 284 ff.). Die Qualität einer vorgetragenen Konversion ändert sich jedoch nicht mit jeder erneut vorgenommenen Taufzeremonie und auch nicht durch den Vollzug dieses Sakraments auf bestimmte Art und Weise, hier zuletzt in Form einer Ganzkörpertaufe, der keine über die erste Taufe hinausgehende Qualität zukommt. Der Kläger hat insoweit vor Gericht selbst explizit angegeben, dass er seine Religion nicht getauscht oder gewechselt habe, sondern lediglich die Kirchengemeinde. Aus diesem Grunde stellt die wiederholte Taufe keine geänderte Sachlage i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar. Zudem wurde durch die Folgeantragstellung am 4. August 2020 auch die 3-Monatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG nicht gewahrt, da die wiederholte Taufe bereits am 20. Februar 2020 stattgefunden hat.
Auch die im Folgeverfahren vorgelegten Bescheinigungen der Kirchengemeinde B* … … vom 20. Juli 2020, 31. Juli 2020 sowie 09. November 2020, in welchen dem Kläger bescheinigt wird, dass er in regelmäßigen Abständen bzw. regelmäßig mehrmals wöchentlich an Gottesdiensten, Gebetszeiten und freiwilligen Gemeindeaktivitäten teilnehme, stellen keine geänderte Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar, da dem Kläger derartige Bescheinigungen auch bereits im Asylerstverfahren durch seine frühere Kirchengemeinde ausgestellt wurden, etwa mit Schreiben vom 8. Juni 2018 sowie 19. Januar 2020.
2. Überdies hat der Kläger Ausdrucke aus seinem Facebook-Account vorgelegt, wonach ihm auf ein via Facebook gepostetes Foto von seiner Taufe hin der Tod angedroht worden sei, wenn er nach Afghanistan zurückkehre. Hierbei handelt es sich zunächst nicht um ein neues Beweismittel, das eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG. Nach dieser Norm ist ein Antrag auf Wiederaufgreifen eines Verwaltungsverfahrens nur dann begründet, wenn das neue Beweismittel – gegebenenfalls in Verbindung mit anderen beachtlichen Beweismitteln – tatsächlich eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte (vgl. BVerwG, U.v. 21.04.1982 – 8 C 75/80 – juris). Die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung reicht im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung diesbezüglich gerade nicht aus. Im Asylerstverfahren hat das Gericht mit Urteil vom 5. Februar 2020 rechtskräftig festgestellt, dass sich der Kläger nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Denn die vom Kläger im Laufe des Asylverfahrens vorgetragene Konversion zum christlichen Glauben könne ihm nicht geglaubt werden, da er nicht zur Überzeugung des Gerichts habe darlegen können, dass der vorgetragene Glaubenswechsel auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr einen unverzichtbaren und identitätsprägenden Bestandteil der Glaubensüberzeugung des Klägers darstelle. Es habe sich vielmehr ergeben, dass es kein unverzichtbarer Bestandteil der religiösen Identität des Klägers sei, sich nicht mehr mit dem muslimischen Glauben zu identifizieren und nicht an muslimischen Riten, sondern stattdessen an christlichen teilzunehmen. Im Asylerstverfahren wurde demzufolge die begründete Verfolgungsfurcht aus religiösen Gründen im Kern damit abgelehnt, dass der vorgetragene Glaubenswechsel zur Überzeugung des Gerichts nicht auf einem ernsthaften und dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und auch nicht identitätsprägend für den Kläger geworden ist. Der nunmehr im Asylfolgeverfahren vorgelegte Facebook-Chatverlauf mit Todesdrohungen gegenüber dem Kläger ist – unabhängig von der Frage der Glaubhaftigkeit dieser Bedrohungen (vgl. dazu unten) – schon grundsätzlich nicht als Nachweis für das Vorliegen eines derartigen Einstellungswandels geeignet. Denn das erforderliche Element der sog. subjektive Schwere der Verletzung der Religionsfreiheit hat der Kläger durch Vorlage dieses Chat-Verlaufs weder aufgegriffen geschweige denn ergibt sich daraus, dass der Kläger nunmehr identitätsprägend vom Islam abgefallen und zum Christentum konvertiert wäre. Mit dem vorgelegten Beweismittel wird mithin schon vom Ansatz her nicht die Richtigkeit der seinerzeitigen Feststellungen infrage gestellt, welche für die Entscheidung im Erstverfahren tragend waren.
Darüber hinaus ist im Asylfolgeverfahren und insbesondere auch in der jetzigen mündlichen Verhandlung der erforderliche identitätsprägende religiöse Einstellungswandel des Klägers – wie schon im Asylerstverfahren – nicht zutage getreten. Der Kläger hat vor Gericht vielmehr nur erklärt, dass er seine Religion nicht getauscht habe, sondern lediglich die Kirchengemeinde gewechselt. Hintergrund sei gewesen, dass in der neuen Gemeinde häufiger Gottesdienste stattfänden und in der Kirchengemeinde Musik gemacht und viel gebetet werde. Ein ernsthafter religiöser Wandlungsprozess ist darin ebenso wenig zu erblicken wie in den sehr pauschal und oberflächlich gebliebenen Angaben, dass der Kläger mehr vom Christentum habe wissen wollen, sowie seine Bezugnahme auf die Vergebung der Sünden und die Erfüllung mit dem Heiligen Geist, die im Übrigen bereits im Rahmen des Asylerstverfahrens vor Gericht zum Gegenstand gemacht worden waren und dort gewürdigt wurden. Dass der Kläger regelmäßig die Kirchengemeinde zu Gottesdiensten und weiteren Veranstaltungen besucht, wie ihm bescheinigt wurde, führt zu keiner anderen Einschätzung, da auch dies bereits Gegenstand des Asylerstverfahrens war und nach Überzeugung des Gerichts seinen Hintergrund darin hat, dass der Kläger sich dort jenseits religiöser Motive persönlich wohlfühlt und gut aufgehoben, ohne dass dies einen identitätsprägenden religiösen Einstellungswandel nahelegen könnte. Eine etwaige, wie auch immer geartete Weiterentwicklung im christlichen Glauben war den klägerischen Ausführungen im Folgeverfahren nicht ansatzweise zu entnehmen und hat sich auch nicht aus dem persönlichen Eindruck vom Kläger in der mündlichen Verhandlung ergeben. Im Übrigen wird im Hinblick auf die fehlende identitätsprägende Apostasie/Konversion des Klägers auf die Entscheidungsgründe im Urteil des VG Würzburg vom 5. Februar 2020 im Verfahren W 1 K 19.30258 vollumfänglich Bezug genommen.
3. Unabhängig davon müsste sich ein neues Beweismittel auf Umstände beziehen, die im ursprünglichen Verfahren bereits vorgetragen wurden. Dienen die vorgelegten Beweismittel hingegen dem Beleg von Tatsachen, die im Erstverfahren noch nicht thematisiert wurden, so handelt es sich der Sache nach um die Korrektur des Sachvortrages selbst, sodass § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG Anwendung findet (vgl. BeckOK, Ausländerrecht, § 71 AsylG Rn. 20; GK-AsylG, § 71 AsylG Rn. 189 m.w.N.). So verhält es sich jedoch vorliegend, da im Asylerstverfahren konkrete Bedrohungen aus dem Heimatland wegen der vorgetragenen Konversion noch nicht zum Verfahrensgegenstand gemacht worden sind.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG bedarf es für ein Wiederaufgreifen eines Verfahrens einer glaubhaften und substantiierten Darlegung einer geänderten Sachlage, welche die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung bietet (vgl. BVerfG, B.v. 4.12.2019 – 2 BvR 1600/19 – juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall; vielmehr ist eine günstigere Entscheidung hier ausgeschlossen.
Denn der Kläger hat vorliegend nicht substantiiert und glaubhaft dargelegt, dass es sich bei den in dem vorgelegten Chatverlauf aus Facebook enthaltenen Drohungen tatsächlich um reale und ernsthafte Bedrohungen der Person des Klägers als Reaktion auf das Posten eines Fotos von dessen Taufe handelt, die eine begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG begründen könnten. Vielmehr legen die erkennbaren Umstände und Rahmenbedingungen nahe, dass es sich hierbei entweder um selbst auf weiteren eigenen Facebook-Accounts erstellte Kommentare handelt oder aber um abgesprochene Reaktionen, ohne dass diese tatsächlich ernst gemeint wären. Denn zunächst vermittelte der Kläger im Asylfolgeverfahren weder einen derart unbedachten bzw. naiven Eindruck, dass er sich der grundsätzlich bestehenden und vom Gericht auch nicht verkannten Gefahr einer Verfolgung im Rückkehrfalle aussetzen würde noch war entsprechend obiger Ausführungen bei ihm ein ernsthafter identitätsprägender Einstellungswandel hin zum christlichen Glauben feststellbar, der es ggf. nachvollziehbar erscheinen ließe, dass der Kläger bei dem Posten des Fotos aus tiefer innerer Überzeugung im Sinne einer missionarischen Tätigkeit gehandelt hätte. Überdies ist auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung des Bildes am … … … nicht plausibel vor dem Hintergrund, dass der Kläger sich bereits am 1. April 2018 hat christlich taufen lassen, sodass unter Zugrundelegung der klägerischen Angaben bereits zu diesem Zeitpunkt Veranlassung für ein solches Posting bestanden hätte, wenn es ihm denn aufgrund seiner Abkehr vom Islam und der Hinwendung zum Christentum tatsächlich ein ernsthaftes Anliegen gewesen wäre, dass andere Menschen Jesus Christus auch kennen lernen, wie er pauschal und ohne weitere Substanz in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat. Darüber hinaus hat der Kläger dann aber noch nicht einmal seine erneute Taufe am 20. Februar 2020 unmittelbar zum Anlass genommen, das Bild von seiner Taufe zu veröffentlichen. Vielmehr hat er erneut vier Monate zugewartet, wobei insbesondere bezeichnend ist, dass sich der Kläger hierfür so lange Zeit gelassen hat, bis auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. April 2020 seinen Antrag auf Zulassung der Berufung im Asylerstverfahren abgelehnt hatte und damit aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret im Raum standen. Die Veröffentlichung des Bildes erscheint vor diesem Hintergrund vielmehr als Reaktion auf den negativen Abschluss des Asylerstverfahren, um zielgerichtet das dortige Ergebnis zu korrigieren und eine drohende Abschiebung zu verhindern, wobei das Gericht – wie bereits erwähnt – davon überzeugt ist, dass der Kläger sich durch die Veröffentlichung nicht einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt hat, sondern die Kommentare vielmehr auf weiteren Accounts entweder selbst verfasst oder aber mit Dritten (ohne negative Folgen für den Kläger) abgesprochen hat. Letzteres erscheint auch durchaus naheliegend, da bei aller Ernsthaftigkeit hinsichtlich der Wahrung des islamischen Glaubens vielen afghanischen Staatsangehörigen durchaus bewusst ist, dass ein Abfall vom Islam bzw. eine Konversion zum Christentum in westlichen Ländern eine probate Möglichkeit zur Erreichung eines Bleiberecht darstellt und dies daher immer wieder aus rein asyltaktischen Gründen vorgeschoben wird. Eine solche Handlungsweise findet sicherlich gerade vor dem Hintergrund bei einer Vielzahl von afghanischen Staatsangehörigen Akzeptanz, dass diese selbst finanziell von Überweisungen von im Ausland lebenden Personen abhängig sind bzw. von ihnen profitieren. Eine derartige zweckgerichtete Akzeptanz ist sicherlich in den afghanischen Großstädten wie vorliegend in der Heimatstadt des Klägers Kabul in höherem Maße (als etwa in ländlichen Gebieten) anzutreffen. Überdies soll es sich bei den bedrohenden Personen hier um solche aus dem Kreis der Verwandtschaft/Schwägerschaft sowie um einen Nachbarn handeln, die sich durchaus finanzielle Vorteile von abgesprochenen Kommentaren versprechen könnten. Gestützt wird diese Einschätzung einer nicht realen Bedrohung überdies dadurch, dass der Kläger mit Schreiben des Pfarrers seiner früheren Kirchengemeinde in G* … vom 19. Januar 2020 (Anlage zum Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 23.01.2020) hat mitteilen lassen, dass er über längere Zeit neben der dortigen Gemeinde auch eine freie Gemeinde in W* … besucht habe. Er habe den Kontakt dorthin jedoch abgebrochen, seitdem dort von ihm verlangt worden sei, sich noch einmal (diesmal mit komplettem Untertauchen) taufen zu lassen. Vor dem Hintergrund dieser Schilderung ist es weder verständlich noch plausibel, aus welchem Grunde der Kläger sich sodann entgegen dieser Darstellung nur einen Monat später in der freichristlichen Gemeinde doch durch Untertauchen hat taufen lassen. Es liegt insoweit nahe, dass hierdurch erreicht werden sollte, dass Fotos von der Taufe erstellt wurden, die in der Folge für inszenierte Bedrohungen benutzt werden sollten. Auf eine solche Inszenierung deutet – wie bereits vom Bundesamt erwähnt – ebenfalls hin, dass Teile der Bedrohungen in englischer Sprache geschrieben wurden, obwohl es sich bei den kommunizierenden Personen jeweils um Dari-Sprecher handelt. Die gewählte Form der Darstellung soll offensichtlich den über den Asylfolgeantrag entscheidenden Personen die angebliche Bedrohung in verständlicher Weise vor Augen führen. Schließlich hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Asylerstverfahren auf die Frage, ob er Verwandten von seinem Glaubenswechsel erzählt habe, erklärt, dass es nicht möglich sei, in Afghanistan über das Christentum zu reden, da man sonst geköpft würde. Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig nachvollziehbar, dass der Kläger angesichts dieser im Februar 2020 getroffenen Aussage sich im … … dann ohne nachvollziehbare Begründung ernsthaft einer solchen Gefahr durch das Posten eines Bildes seiner Taufe bei Facebook aussetzen sollte.
Generell ist überdies zu bedenken, dass Facebook-Einträge bereits aufgrund ihrer Natur äußerst anfällig für fehlerhafte und/oder zweckgerichtet abgesprochene Inhalte sind (vgl. BeckOK, § 71 AsylG Rn.23). Das Gericht misst den vorgelegten Dokumenten daher unter Berücksichtigung der Gesamtheit vorstehender Ausführungen keinerlei Beweiskraft bei. Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund der Ausführungen des Auswärtigen Amtes im Lagebericht vom 16.07.2020 (vgl. dort S. 27 f.), wonach Gefälligkeitsbescheinigungen und/oder Gefälligkeitsaussagen in Afghanistan sehr häufig vorkämen; verfahrensangepasste Dokumente kämen ebenfalls sehr häufig vor. Selbst von der inhaltlichen Richtigkeit formell echter Urkunden könne nicht in jedem Fall ausgegangen werden.
4. Sollte man dem Kläger im Heimatland jedoch – entgegen vorstehender Ausführungen – gleichwohl seine christliche Taufe in Deutschland und einen unterstellten Abfall vom Islam vorhalten, so ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass laut islamischer Rechtsprechung jeder Konvertit 3 Tage Zeit bekommen soll, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es dann zu keinem Widerruf kommen, gilt die Enthauptung als angemessene Strafe für Männer. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen (vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019, letzte Aktualisierung am 21.07.2020, S.271). Es ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger diese Möglichkeit zum Widerruf der ihm etwaig unterstellten Apostasie/Konversion bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht eingeräumt würde. Nachdem entsprechend obiger Ausführungen auch im Asylfolgeverfahren nichts dafür ersichtlich ist, dass der vorgetragene Glaubenswechsel des Klägers auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und nunmehr einen unverzichtbaren und identitätsprägenden Bestandteil seiner Glaubensüberzeugung darstellt, ist es ihm auch ohne Verletzung seines Rechts auf Religionsfreiheit möglich und zuzumuten, sich in Afghanistan wieder an die islamischen Glaubensregeln zu halten und den entsprechenden Widerruf der unterstellten Apostasie/Konversion zu tätigen und damit einer Verfolgung nach § 3 AsylG zu entgehen.
Vor dem Hintergrund vorstehender Ausführungen liegt demzufolge hier keine glaubhafte und substantiierte Darlegung einer geänderten Sachlage vor, welche die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung zu § 3 AsylG bietet.
5. Hinsichtlich der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 AsylG mangelt es in gleicher Weise an einer glaubhaften und substantiierten Darlegung einer geänderten Sachlage, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Insoweit wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zu § 3 AsylG verwiesen. Hinsichtlich § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ist klägerseitig hingegen keinerlei Vortrag zu einer geänderten Sach- oder Rechtslage gegenüber der Entscheidung im Urteil vom 05.02.2020 (W 1 K 19. 30258) erfolgt, § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG.
Nach alledem war der Hauptantrag auf Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung vollumfänglich als unbegründet abzuweisen.
II.
1. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu, da ihm in Afghanistan keine gegen Art. 3 EMRK (Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) oder ein anderes Grundrecht nach der EMRK verstoßende Behandlung droht.
a) Dem Kläger droht zunächst keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsregion, der Provinz/Stadt Kabul, oder aber den Provinzen Herat und Balkh als Orten des internen Schutzes. In Afghanistan wurden im Jahre 2019 insgesamt 10.392 Zivilpersonen getötet (3.403) oder verletzt (6.989). Dies entspricht einem Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 5% und stellt die niedrigste Zahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 dar (vgl. zum Ganzen UNAMA, Annual Report 2019 Afghanistan, Februar 2020). Ausgehend von einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von 27 Millionen (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl angenommen) lag das konfliktbedingte Schädigungsrisiko landesweit bei 1:2.598. Auch in der Herkunftsprovinz des Klägers, Kabul, für die UNAMA die höchste Opferzahl ausweist (1.563 zivile Opfer; 261 Tote und 1.302 Verletzte), ergibt sich bei einer Bevölkerungszahl von ca. 4.373.001 ein Schädigungsrisiko von 1:2.797. In der Provinz Herat waren 2019 400 zivile Opfer zu beklagen bei 1.890.200 Einwohnern (1:4.725) und in der Provinz Balkh wurden 277 Zivilpersonen getötet oder verletzt bei 1.322.700 Einwohnern (1:4.785). Damit lag die Gefahrendichte im Jahr 2019 landesweit, in der Herkunftsprovinz des Klägers sowie in den Regionen des internen Schutzes erheblich unter 0,12% oder 1:800. Selbst dieses Risiko wäre weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass praktisch jede Zivilperson schon allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betreffenden Gebiet einer ernsthaften Bedrohung für Leib und Leben infolge militärischer Gewalt ausgesetzt wäre (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris; BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris; vgl. UNAMA, Annual Report 2019 Afghanistan, Februar 2020, S. 94; Einwohnerzahlen jeweils aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Provinzen_Afghanistans). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht vom 16.7.2020) hat sich die Bedrohungslage für Zivilisten in jüngster Zeit nicht wesentlich verändert, insbesondere nicht verschlechtert. Das Risiko, als Angehöriger der Zivilbevölkerung verletzt oder getötet zu werden, liegt immer noch im Promillebereich. Abweichendes ergibt sich schließlich nicht aus dem jüngsten Quartalsbericht von UNAMA vom 27. Oktober 2020 betreffend die Sicherheitslage in Afghanistan in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020, wonach es in Afghanistan in diesem Zeitraum zu 5.939 zivilen Opfern gekommen ist (2.117 Getötete und 3.822 Verletzte), was einem 30%-igen Rückgang verglichen mit dem gleichen Vorjahreszeitraum entspricht und den niedrigsten Wert für die ersten neun Monate eines Jahres seit 2012 darstellt. Bei einer proportionalen Hochrechnung dieser Opferzahlen für 2020 insgesamt (7.919 zivile Opfer) und einer zugunsten des Klägers konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von nur etwa 27 Millionen Menschen ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:3.409. Dieses Risiko bleibt weiterhin deutlich unter 1:800 und damit unverändert weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2020 – 13a ZB 20.30891). Auch individuelle gefahrerhöhende Umstände sind bei dem Kläger nicht ersichtlich; auf obige Ausführungen sowie im Urteil vom 5. Februar 2020 (W 1 K 19.30258) wird insoweit vollumfänglich verwiesen. Auch in einer Gesamtbetrachtung ist gemessen an den vorliegenden Erkenntnismitteln im Ergebnis unverändert davon auszugehen, dass in Afghanistan im Allgemeinen derzeit weiterhin keine Gefahrenlage gegeben ist, die zur Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG oder zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund der prekären Sicherheitslage führt (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2020 – 13a ZB 20.30107 – juris).
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus den Abhandlungen von Frau Friederike Stahlmann (vgl.: Zur aktuellen Bedrohungslage der afghanischen Zivilbevölkerung im innerstaatlichen Konflikt, in: ZAR 5-6/2017, S. 189 ff.; Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018). Soweit diese darauf hinweist, dass in den UNAMA-Berichten eine Untererfassung der zivilen Opfer zu besorgen sei (vgl. in diesem Zusammenhang auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 31.5.2018, S. 18: Dunkelziffer in für die Berichterstattung wenig zugänglichen Gebieten), so ist darauf hinzuweisen, dass anderes geeignetes Zahlenmaterial nicht zur Verfügung steht und zum anderen auf die von Frau Stahlmann alternativ genannte Zahl der kriegsbedingt Binnenvertriebenen angesichts der klaren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) nicht abgestellt werden kann. Insoweit weist Frau Stahlmann eingangs ihrer Abhandlung auch selbst darauf hin, dass ihre Diskussion nicht den Anspruch habe, die Kriterien einer juristischen Prüfung zu erfüllen (vgl. Fußnote 1). Aber selbst unter Einrechnung eines gewissen „Sicherheitszuschlages“ wird die kritische Gefahrendichte noch nicht erreicht. Soweit Frau Stahlmann in ihrem Gutachten vom 28. März 2018 (vgl. S. 9) ausführt, es bestehe allein aufgrund der Anwesenheit in Afghanistan im gesamten Staatsgebiet die Gefahr, einen ernsthaften Schaden hinsichtlich des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu erleiden, so handelt es sich hierbei um eine allein dem erkennenden Gericht vorbehaltene rechtliche Würdigung, der auch keine Indizwirkung zukommen kann. Die von ihr darüber hinaus geschilderten Tatsachen betreffen weit überwiegend Umstände, die allein bei der qualitativen Gesamtbetrachtung zu würdigen sind, die sich hier jedoch aufgrund der – gemessen an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – verhältnismäßig niedrigen Opferzahlen unter keinen Umständen auswirken können (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris).
b) Darüber hinaus stellt auch die allgemeine Versorgungslage in Afghanistan keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK dar. Zwar können schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat in besonderen Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen. In Afghanistan ist die Lage für alleinstehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige jedoch nicht so ernst, dass eine Abschiebung ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167; BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 13a ZB 19.31492 – juris; B.v. 11.1.2019 – 13a ZB 17.31521; U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris). Es ist hierbei in Bezug auf den Gefährdungsgrad das Vorliegen eines sehr hohen Niveaus erforderlich, denn nur dann liegt ein außergewöhnlicher Fall vor, in dem die humanitären Gründe gegen eine Ausweisung „zwingend“ sind. Wenn das Bundesverwaltungsgericht (a.a.O.) die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernsthaft einstuft, dass ohne weiteres eine Verletzung des Art. 3 EMRK angenommen werden kann, weist dies ebenfalls auf die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation hin (vgl. BayVGH, BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris). Eine solche ist bei dem Kläger vorliegend nicht gegeben.
Die aktuelle Lage in Afghanistan stellt sich wie folgt dar:
Das Auswärtige Amt führt in seinem Lagebericht vom 16. Juli 2020 (Stand: Juni 2020) aus, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei. Auf dem Weg zu einem voll funktions- und fiskalisch lebensfähigen Staat habe Afghanistan verstärkt eigene Anstrengungen unternommen, sei aber weiterhin auf umfangreiche internationale Unterstützung angewiesen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in der ersten Jahreshälfte 2020 auf das Gesundheitssystem, den Arbeitsmarkt und die Nahrungsmittelversorgung hätten den humanitären Bedarf weiter erhöht (lt. UN-OCHA: 2020 bis zu 14 Mio. Menschen). Die wirtschaftliche Entwicklung bleibe geprägt von der schwierigen Sicherheitslage sowie schwacher Investitionstätigkeit. Das Wirtschaftswachstum habe sich zuletzt erholen können und habe 2019 bei 2,9% gelegen. Für 2020 gehe die Weltbank bedingt durch Covid-19 von einer Rezession (bis zu – 8% BIP) aus. Die Grundversorgung sei für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, was in besonderem Maße für Rückkehrer gelte. Die bereits prekäre Lage habe sich seit März 2020 durch die Covid-19-Pandemie weiter verschärft. Die Weltbank prognostiziere einen weiteren Anstieg der Armutsrate von 55% aus dem Jahr 2016 aufgrund der Covid-19-Krise und der Absorption des Wirtschaftswachstums durch die hohen Geburtenraten. Dabei bleibe das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Das rapide Bevölkerungswachstum von rund 2,7% p.a. bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebenserwartung sei neben der Sicherheitslage die zentrale Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibe eine zentrale Herausforderung. Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibe aber auf hohem Niveau (laut ILO 2017 bei 11,2%) und dürfte wegen der Covid-19-Pandemie wieder steigen. Der Mangel an Arbeitsplätzen stelle für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar, wobei auch Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen könnten (zu letzterem: BFA Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Gesamtaktualisierung 13.11.2019, zuletzt aktualisiert 29.6.2020, S. 323). Die Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern sowie Binnenvertriebenen stelle das Land vor große Herausforderungen. Die größeren Städte kämen als Ausweichorte grundsätzlich in Betracht. Die Inanspruchnahme der – durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Ausland bereits stark in Anspruch genommenen – Ausweichmöglichkeiten hänge maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz (so auch BFA Österreich, a.a.O., S. 343). Die afghanische Regierung habe 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen, der auch ein Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer beinhalten soll. IOM biete Unterstützung bei der Ankunft in Kabul mit bis zu 2-wöchiger Unterkunft und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits. Auch die Bundesrepublik Deutschland und die EU förderten Reintegrationsprojekte, etwa im Zusammenhang mit der Existenzgründung und der Integration in den Arbeitsmarkt (vgl. auch BFA Österreich, a.a.O., S. 343).
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (Afghanistan: Gefährdungsprofile vom 30.9.2020, S. 15 ff.) führt aus, dass Afghanistan eines der ärmsten Länder der Welt bleibe und die Armutsrate aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 von 54,5% auf 60-72% steigen werde. Insgesamt seien ca. 9,4 Millionen Menschen von akuter humanitärer Not betroffen. Aufgrund der Covid-19-Pandemie und dem Zusammenbruch der Versorgungsketten sei die Lebensmittelversorgung von ca. 14 Millionen Menschen gefährdet. Die Pandemie habe zu einem Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel und weiterer Güter geführt. Die Weltbank gehe für 2019 von einem Wirtschaftswachstum von 2,9% aus. Die wirtschaftlichen Aussichten seien ungewiss, wenn nicht sehr düster. Es sei davon auszugehen, dass wegen der gigantischen weltweiten Kosten infolge der Corona-Pandemie die Entwicklungshilfe für Afghanistan massiv zurückgehen werde, was für den Finanzhaushalt des Landes katastrophale Folgen haben werde. Afghanistan weise eine der weltweit niedrigsten Beschäftigungsraten auf. ¼ der arbeitsfähigen Bevölkerung sei arbeitslos, mit steigender Tendenz; zudem bestehe ein hoher Anteil an Unterbeschäftigung und unsicheren Arbeitsplätzen. Jährlich strömten 400.000 neue Arbeitssuchende auf den Arbeitsmarkt und die hohe Zahl der Rückkehrer und intern Vertriebenen setze die Arbeitsmöglichkeiten zusätzlich unter Druck. Der Arbeitsmarkt werde von der Landwirtschaft dominiert, in der 44% der Menschen beschäftigt seien. Viele Haushalte seien von informeller Beschäftigung abhängig, die äußerst anfällig für wirtschaftliche Schwankungen sei. Covid-19-Maßnahmen hätten die Wirtschaft massiv getroffen und zu einem Verlust von Arbeitsmöglichkeiten sowie einem deutlichen Rückgang von Auslandsüberweisungen geführt. Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung lebe in sehr schlechten Wohnverhältnissen. Über 70% der Unterkünfte in städtischen Gebieten seien informell und inadäquat. Die Regierung habe die Bereitstellung erschwinglicher Unterkünfte zur Priorität erklärt und wolle den Aufenthalt von rund 1 Million Menschen in informellen Siedlungen mittels Zertifikaten formalisieren. Die große Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere in ländlichen Gebieten, verfüge nur über einen eingeschränkten Zugang zu Elektrizität und habe weder Zugang zu einer sicheren Wasserversorgung noch zu ausreichenden sanitären Einrichtungen. Trotz hoher internationaler Investitionen in das Gesundheitssystem habe weiterhin die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung keinen Zugang zu qualitativ guter Gesundheitsversorgung und diese sei auf die größten Städte konzentriert. Ca. 87% der Bevölkerung könne innerhalb von zwei Stunden eine medizinische Einrichtung erreichen. Das afghanische Gesundheitswesen sei aufgrund der Armut, dem Jahrzehnte andauernden Krieg, der schlechten Wasser- und Hygienebedingungen, mangelnder sanitärer Einrichtungen, Ausbrüchen von eigentlich heilbaren Krankheiten sowie den Rückkehrerströmen überfordert und nicht in der Lage, der steigenden Nachfrage nachzukommen. Das Gesundheitssystem stehe weiterhin vor enormen Herausforderungen wie beschädigter Infrastruktur, Mangel an ausgebildetem Gesundheitspersonal und unzureichend ausgestatteter Gesundheitszentren. Aufgrund des schwachen Gesundheitssystems bestehe eine besondere Verletzlichkeit Afghanistans durch die Covid-19-Pandemie. Bis Ende August seien in 2020 knapp 500.000 Afghanen aus anderen Staaten zurückgekehrt, insbesondere aufgrund der Covid-19- und Wirtschaftskrise im Iran. Die Rückkehrer würden oft zu intern Vertriebenen, die dem Risiko erneuter Vertreibungen ausgesetzt seien. Ende 2019 lebten ca. 4,2 Mio. als intern Vertriebene in Afghanistan und bis zum 6. September 2020 seien weitere 150.000 hinzugekommen. Rückkehrer und intern Vertriebene lebten häufig in informellen Siedlungen, hätten nur eingeschränkten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, nur begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten, litten unter Nahrungsmittelunsicherheit und Verschuldung und seien häufiger von gesundheitlichen Problemen betroffen. Die hohe Zahl der Rückkehrer und intern Vertriebenen, insbesondere in Kabul und Nangarhar, setze die begrenzten Dienstleistungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in den städtischen Zentren massiv unter Druck. Durch die Covid-19-Pandemie habe sich die Lage noch verschärft. Die Verletzlichkeit zwinge die Menschen zu negativen Überlebensmechanismen, etwa Zwangsheirat oder Kinderarbeit, und in den Gastgemeinden komme es zu Konkurrenz um den Zugang zu begrenzten Ressourcen.
Der UNHCR weist in seinen Richtlinien zu Afghanistan vom 30. August 2018 darauf hin, dass die Sicherheitslage in Afghanistan volatil bleibe. Es sei eine kontinuierliche Verschlechterung der Sicherheitssituation und eine Intensivierung des bewaffneten Konflikts in den Jahren nach dem Rückzug der internationalen Truppen in 2014 zu verzeichnen gewesen. Die Taliban setzten ihre Offensive zur Erreichung der Kontrolle über eine größere Zahl von Distrikten fort, während sich die Regierung auf die Verteidigung der Bevölkerungszentren und strategischen ländlichen Gebiete beschränke. Die zivilen Opferzahlen lägen trotz der Tatsache, dass die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan im Jahre 2017 gegenüber dem Vorjahr um 9% gesunken sei, auf einem hohen Niveau. Die Zahl der konfliktbedingt intern Vertriebenen habe am Ende des Jahres 2017 bei geschätzt über 1,8 Millionen gelegen, 2017 sei hierbei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr bei den neu Vertriebenen zu verzeichnen gewesen. Zusätzlich seien im Jahr 2016 über 1 Million Afghanen aus den Nachbarländern Iran und Pakistan zurückgekehrt und weitere 620.000 im Jahre 2017. Die wirtschaftliche Situation habe sich seit 2013/2014 aufgrund der Unsicherheit und dem hohen Bevölkerungswachstum verschlechtert. Zwar habe sich das Wirtschaftswachstum in 2017 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht, allerdings leide der Landwirtschaftssektor unter einer schweren anhaltenden Trockenzeit, vor allem in den nördlichen und westlichen Regionen des Landes. Der Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der nationalen Armutsgrenze leben müsse, habe sich von 38,3% in 2011/2012 auf 55% in 2016/2017 erhöht. Die Arbeitslosenrate habe sich von 22 auf 24% erhöht. 3,3 Millionen Afghanen würden 2018 einen akuten humanitären Bedarf aufweisen, 1,9 Millionen müssten mit ernsthafter Nahrungsunsicherheit leben. 4,5 Millionen Menschen hätten keinen Zugang zu primären essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Afghanistan bleibe eines der ärmsten Länder der Welt und liege daher auf Rang 169 von 188 Ländern im UN Human Development Index. In den größeren Städten sei zudem zu berücksichtigen, dass sich dort eine sehr hohe Zahl von Rückkehrern und intern Vertriebenen ansiedle, was zu einer extremen Belastung der ohnehin bereits überstrapazierten Aufnahmekapazitäten geführt habe. Dies gelte insbesondere für die Stadt Kabul, wo zusätzlich die Gefahr von Anschlägen mit hohen Opferzahlen zu berücksichtigen sei. Dort übersteige das Bevölkerungswachstum die Kapazitäten der erforderlichen Infrastruktur, Hilfs- und Arbeitsmöglichkeiten, so dass geschätzte 70% der Bevölkerung in informellen Siedlungen leben müssten. Trotz dieser Einschätzung, für die der UNHCR seine eigenen Maßstäbe zugrunde legt, hält dieser daran fest, dass bei alleinstehenden leistungsfähigen Männern eine Ausnahme vom Erfordernis der externen Unterstützung in Betracht kommt.
Auch die tatsächlichen Feststellungen von EASO (COI Afghanistan: Key socio-economic indicators – Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City, August 2020) zeichnen ein vergleichbares Lagebild.
Trotz dieser geschilderten schwierigen Bedingungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger bei Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der dortigen allgemeinen Verhältnisse nicht in eine Art. 3 EMRK verletzende besondere Ausnahmesituation, wie sie Art. 60 Abs. 5 AufenthG entsprechend obiger Ausführungen erfordert, geraten würde. Es ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger selbst ohne nennenswertes Vermögen und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen. Individuell ist bei dem Kläger positiv zu berücksichtigen, dass es sich um einen jungen, 22-jährigen, erwerbsfähigen Mann handelt, der keine Unterhaltslasten für minderjährige Kinder zu tragen hat. Er hat darüber hinaus im Heimatland die Schule bis zur 8. Klasse besucht und verfügt damit über einen Bildungsstand, mit dem er gegenüber den vielen Analphabeten und geringer qualifizierten jungen Männern in Afghanistan klar im Vorteil und auch in der Lage ist, ein breiteres Spektrum an beruflichen Tätigkeiten auszuüben. Darüber hinaus hat er bereits berufliche Erfahrungen im Heimatland gesammelt, indem er sich dort nach eigenen Angaben mit allen möglichen Tätigkeiten über Wasser gehalten hat, u.a. sei er Bodyguard gewesen. In der Türkei hat der Kläger auf seiner Flucht ebenfalls ein Jahr gelebt und sich dort mit verschiedensten Tätigkeiten wie Geschirrspülen, Putzen, Kochen sowie eine Tätigkeit in einer Bäckerei seinen Lebensunterhalt verdient. In Deutschland hat der Kläger sodann als Service- und Reinigungskraft in einem Hotel sowie bei einer weiteren Reinigungsfirma gearbeitet. Er hat damit gezeigt, dass er auch in jungen Jahren und unter schwierigen Bedingungen in der Lage ist, Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen. All diese Kenntnisse und Erfahrungen wird der Kläger sicherlich gewinnbringend bei seiner Rückkehr nach Afghanistan einsetzen und damit seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen können. Er hat überdies bis zu seiner Ausreise knapp 17 Jahre in Afghanistan gelebt und kennt daher die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in ausreichender Weise, um sich auch nach einer Rückkehr dort zurechtfinden zu können.
Ohne dass es von Rechts wegen noch hierauf ankäme, verfügt der Kläger auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Er hat insoweit in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass im Heimatland noch 4 Tanten und insgesamt 12 Onkel lebten. Bei dieser Vielzahl von Verwandten ist auch realistischerweise davon auszugehen, dass der Kläger dort unterkommen und erforderlichenfalls anderweitige Unterstützung erhalten könnte. Denn es ist im Kulturkreis des Klägers absolut üblich, dass in Notsituationen auf diesem Wege Hilfe geleistet wird und es ist vorliegend nichts dafür ersichtlich, dass dies hier nicht geschehen würde. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass das Gericht entsprechend obiger Ausführungen davon ausgeht, dass der Kläger vor dem Hintergrund des veröffentlichen Bildes von seiner Taufe bei seiner Rückkehr nicht mit einer Bedrohung/Verfolgung zu rechnen hat und er auch keine anderweitige Ausgrenzung zu befürchten hat.
Unabhängig von vorstehenden Ausführungen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger unter Berücksichtigung seiner o.g. individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen in den Großstädten Mazar-e Sharif und Herat, die ein Sammelbecken für Menschen verschiedenster Herkunft aus Afghanistan sind, in der Lage sein wird, anknüpfend an ethnische, religiöse, lokale bzw. Stammes- und Clan-Verbindungen an diesbezüglich bestehende Netzwerke anzuknüpfen bzw. solche für sich weiter aufzubauen, um seine individuelle Lage in Afghanistan nach seiner Rückkehr zu verbessern. Auf derartigen Netzwerken beruht im Kern das Zusammenleben in Afghanistan. Afghanen sind in der Regel gut darin, sich in derartige Netzwerke einzufinden bzw. diese weiterzuentwickeln und es ist nichts dafür ersichtlich, dass dies bei dem Kläger anders wäre (vgl. insoweit EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Januar 2018, S. 10 f.).
Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004; U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris; U.v. 6.2.2020 – 13a B 19.33510 – juris; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris; OVG Lüneburg, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich auch nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Aufgrund seiner in Europa erworbenen Erfahrungen befindet sich der Kläger vielmehr in einer vergleichsweise guten Position. Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall.
Darüber hinaus kann der Kläger seine finanzielle Situation zusätzlich auch dadurch verbessern, dass er Start- und Reintegrationshilfen in Anspruch nimmt. So können afghanische ausreisewillige Personen Leistungen aus dem REAG-Programm sowie aus dem GARP-Programm erhalten, die Reisebeihilfen im Wert von 200,00 EUR und eine Starthilfe im Umfang von 1.000,00 EUR beinhalten; eine zweite Starthilfe in Höhe von 1.000,00 EUR wird sechs bis acht Monate nach der Rückkehr im Heimatland persönlich ausgezahlt. Darüber hinaus besteht das Reintegrationsprogramm ERRIN. Die Hilfen aus diesem Programm umfassen Beratung nach der Ankunft, berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche, Unterstützung bei einer Existenzgründung, Grundausstattung für die Wohnung sowie die Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen. Die Unterstützung wird als Sachleistung gewährt. Der Leistungsrahmen für rückgeführte Einzelpersonen beträgt dabei bis zu 2.000,00 EUR (http://files.returningfromgermany.de/files/REAGGARP%20 Infoblatt_2019%20mit%20Reintegration.pdf; https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/erin). Aus dem Bayerischen Rückkehrprogramm können zusätzlich eine Reintegrationshilfe in Höhe von 500,00 EUR sowie ein Wohnkostenzuschuss für maximal zwölf Monate in Anspruch genommen werden. Der Kläger könnte sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die genannten Start- und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehrer gewährt werden, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten – wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr – im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 – 9 C 38.96 – juris; VGH BW, U.v. 26.2.2014 – A 11 S 2519/12 – juris). Dementsprechend ist es dem Kläger möglich und zumutbar, gerade zur Überbrückung der ersten Zeit nach einer Rückkehr nach Afghanistan freiwillig Zurückkehrenden gewährte Reisehilfen sowie Reintegrationsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht auch nicht der Einschätzung von Frau Friederike Stahlmann und Amnesty International, wonach die Annahme, dass alleinstehende junge Männer und kinderlose Paare ihr Überleben aus eigener Kraft sichern könnten, durch die derzeitige humanitäre Lage inzwischen grundlegend infrage gestellt bzw. überholt sei (vgl. Friederike Stahlmann, Gutachten zu Afghanistan an das VG Wiesbaden vom 28.3.2018, Überleben in Afghanistan, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff.; Amnesty International, Auskunft an das VG Leipzig vom 8.1.2018 und an das VG Wiesbaden vom 5.2.2018). Denn Erfahrungsberichte oder Schilderungen dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger und Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, liegen nicht vor. Zwar lassen sich auch schwerwiegende Nachteile bei Unterkunfts- und Arbeitssuche in Afghanistan durchaus nicht ausschließen, eine tatsächliche Gefahr, dass sie eintreten werden, besteht indes nicht (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris). Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem anderweitigen Bericht von Frau Stahlmann (vgl. Studie zum Verbleib und zu den Erfahrungen abgeschobene Afghanen, Asylmagazin 10-11/2019, S. 276 ff.), aus dem sich ebenfalls nicht mit der notwendigen Nachvollziehbarkeit und Klarheit ergibt, dass erwerbsfähige Rückkehrer und abgeschobene Personen in Afghanistan verelenden werden, sodass eine tatsächliche beachtliche Wahrscheinlichkeit hierfür nicht angenommen werden kann. Zudem verweist die Autorin hinsichtlich ihrer Erkenntnisse selbst darauf, dass es aufgrund der der Studie zugrundeliegenden Selbstauskünfte und Angaben aus dem nahen Umfeld der Befragten zu Verzerrungen im Antwortverhalten infolge von Eigeninteressen kommen kann.
Nach Überzeugung des Gerichts bieten die beschriebenen persönlichen Verhältnisse und Ressourcen des hiesigen Klägers vielmehr ausreichende und realistische Möglichkeiten dafür, ein Leben in Afghanistan zumutbar erscheinen zu lassen. Dies steht im Übrigen in Einklang mit der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach bei einem arbeitsfähigen Mann – wie dem Kläger – auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiäres Unterstützungsnetzwerk bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK grundsätzlich nicht gegeben sind. Dies gilt auch für Personen, die im Ausland – etwa im Iran – aufgewachsen sind oder längere Zeit dort gelebt haben, wenn sie sich in einer der Landessprachen verständigen können (BayVGH, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31004; U.v. 6.7.2020 – 13a B 18.32817 – juris; U.v. 6.2.2020 – 13a B 19.33510 – juris; U.v. 14.11.2019 – 13a B 19.33359 – juris; B.v. 15.1.2020 – 13a ZB 20.30116 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 26.6.2019 – A 11 S 2108/18 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 18.6.2019 – 13 A 3930/18 – juris; OVG Niedersachsen, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris).
Schließlich ist – im entscheidungserheblichen Zeitpunkt – auch vor dem Hintergrund der auch in Afghanistan grassierenden Covid-19-Pandemie keine andere Einschätzung gerechtfertigt. Denn es existieren bei einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse derzeit keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass sich – auch unter Berücksichtigung von im Vergleich zur Zeit vor der Covid-19-Krise gestiegenen Nahrungsmittelpreisen, z.T. eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten sowie geringeren Überweisungen von im Ausland lebenden Afghanen – Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Versorgungslage der Bevölkerung in Afghanistan trotz internationaler humanitärer Hilfe und lokaler Hilfsbereitschaft im Zuge der Pandemie derart verschlechtert haben, dass der Kläger derzeit nicht mehr in der Lage wäre, seinen ausreichenden Lebensunterhalt in Afghanistan sicherzustellen. Die Situation in Bezug auf die Nahrungsmittelunsicherheit wird vielmehr mit der Situation verglichen, wie sie bereits 2018 während der damals in Afghanistan herrschenden Dürre bestanden habe (OCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi Sectoral Response Operational Situation Report, 12.11.2020). So gibt es etwa keinen Anhaltspunkt dafür, dass Ausgangsbeschränkungen weiterhin gelten würden, sodass der Kläger von Arbeitsmöglichkeiten abgeschnitten wäre. Die afghanische Regierung hatte am 6. Juni 2022 bekanntgegeben, dass der landesweite Lockdown für drei Monate verlängert wird und in diesem Zusammenhang zu befolgende Gesundheitsrichtlinien ausgegeben, wonach die Bevölkerung an öffentlichen Orten Masken tragen, einen 2 m-Abstand einhalten, Zusammenkünfte von mehr als zehn Personen vermeiden und Arbeitsplätze desinfizieren muss; ältere Personen sollten zu Hause bleiben. Darüber hinaus blieben alle Schulen (bis 11.9.2020, vgl. UNICEF, South Asia Covid-19 Situation Report No. 16), Hotels, Parks, Sporteinrichtungen und andere öffentliche Plätze für drei Monate geschlossen und öffentliche Transportmittel, die mehr als vier Passagiere befördern, durften nicht verkehren. Allerdings wurden diese Maßnahmen bereits während des Geltungszeitraums Berichten zufolge weder befolgt noch strikt durchgesetzt und auch nach Ablauf dieses Zeitraums werden Empfehlungen für die öffentliche Gesundheit nicht mit der notwendigen Konsequenz eingehalten. Die wirtschaftlichen Aktivitäten werden insbesondere in urbanen Zentren fortgesetzt, zumal viele Menschen auf tägliche Arbeit zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts angewiesen sind. Maßnahmen zur Eindämmung des Virus differieren zwischen den einzelnen Provinzen, in denen die lokalen Behörden für den Vollzug verantwortlich sind, wobei die Behörden die Sicherstellung des Lebensunterhalts höher gewichten als soziale Distanz (vgl.; OCHA, Afghanistan, Covid-19 Multi-Sectoral Response, 16.9.2020, 26.8.2020, 8.7.2020; OCHA, Strategic Situation Report: Covid-19, No 63, 23.7.2020; No 70, 23.8.2020; OCHA, C-19 Access Impediment Report, 1.7.2020; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Covid-19 Afghanistan, 29.6.2020; The Asia Foundation, Afghanistan´s Covid-19 Bargain, 24.6.2020; TheGuardian, Civil war, poverty and now the virus: Afghanistan stands on the brink, 2.5.2020). Lockdown-Maßnahmen werden – schon angesichts der begrenzten Fähigkeit der Regierung, derartige Maßnahmen durchzusetzen – in den kommenden Monaten wahrscheinlich nicht wieder in größerem Umfang implementiert werden (IPC Acute Food Insecurity Analysis – August 2020 – March 2021, 8.11.2020). Die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln und der Zugang hierzu zeigten im Zuge der Sommererntesaison eine Stabilisierung. Für viele Menschen haben sich die Möglichkeiten für Lohnarbeit seit Juni 2020 wieder verbessert, mit Löhnen nahe dem Durchschnitt; zusätzlich war eine gestiegene Nachfrage nach saisonaler Arbeit aufgrund der Erntesaison zu verzeichnen (OCHA, Afghanistan, Covid-19 Multi-Sectoral Response, 1.7.2020, 8.7.2020; FEWS NET, Afghanistan Key Message Update, 31.7.2020 und 1.10.2020). Auch die nachlässige Durchsetzung von Lockdown-Maßnahmen zeigte positive Effekte auf die Kaufkraft von Menschen in vulnerablen Beschäftigungssituationen sowie im Hinblick auf Handel und Gelegenheitsarbeit (OCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi-Sectoral-Response, 20.8.2020 und 16.9.2020). Der Zugang zu Nahrung wird jedoch voraussichtlich durch höhere Preise, geringere Auslandsüberweisungen und reduzierte Einkommen weiter eingeschränkt sein (IPC Acute Food Insecurity Analysis – August 2020 – March 2021, 8.11.2020). Seit Juli 2020 haben sich jedoch die ökonomischen Bedingungen mit der Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit verbessert. Die Löhne für Tagelöhner sind zwischen Mai und Juli um 5% angestiegen, wenngleich trotz moderater Verbesserungen die ökonomischen Herausforderungen weiterhin fortbestehen (Sigar, Quarterly Report, 30.10.2020, S. 145). Infolge der wirtschaftlichen Abkühlung werden die Möglichkeiten nicht-landwirtschaftlicher Arbeit voraussichtlich zunächst unterdurchschnittlich bleiben, die Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Arbeit jedoch nahezu normal (IPC Acute Food Insecurity Analysis – August 2020 – March 2021, 8.11.2020). Unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse und der voraussichtlich zu erwartenden Entwicklung bis Mai 2021 ist mit einer allmählichen wirtschaftlichen Erholung zu rechnen (FEWS NET, Afghanistan Food Security Outlook, October 2020 to May 2021, 16.11.2020).
Zudem sind sowohl die afghanische Regierung als auch internationale Hilfsorganisationen sowie NGO´s weiterhin und zum Teil verstärkt in Afghanistan aktiv und versorgen ärmere Personen etwa mit Lebensmitteln; die Bewegungsfreiheit von humanitären Organisationen werde nicht mehr wie anfänglich durch Lockdown-Maßnahmen behindert (OCHA, Afghanistan, C-19 Access Impediment Report, 24.8.2020). Die meisten NGO´s bringen ihr internationales Personal, das zunächst von auswärts gearbeitet hatte, wieder nach Afghanistan zurück (OCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi Sectoral Response Operational Situation Report, 12.11.2020). So wurden seit Beginn der Pandemie am 1. März 2020 mehr als 76.000 t Nahrungsmittel allein durch das Welternährungsprogramm verteilt und mehr als 10,8 Millionen USD als direkte Geldunterstützung ausgezahlt (Stand: 11.10.2020: OCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi-Secotral Response Operational Situation Report, 15.10.2020; The Asia Foundation, Afghanistan´s Covid-19 Bargain, 24.6.2020). Für die von Armut und Nahrungsmittelknappheit betroffenen Personen sieht das UN-Programm zur Koordinierung humanitärer Hilfe zudem mehr als 730 Millionen Dollar zur Unterstützung vor (Tagesschau, Coronavirus in Afghanistan: Mit dem Virus droht der Hunger, Stand: 3.5.2020). Die Weltbank hat Afghanistan eine Beihilfe in Höhe von 400 Mio. USD gewährt, überdies weitere Hilfen im Umfang von 200 Millionen USD und erneut in Höhe von 100 Millionen USD. Die Asian Development Bank gewährte eine Unterstützung von 40 Mio. USD, die EU und die USA in 3-stelliger Millionenhöhe, u.a. um Menschen zu unterstützen, die eingeschränkten Zugang zu einkommensgenerierenden Aktivitäten haben (vgl. The World Bank, World Bank Approves $ 400 Million to Sustain Afghanistan’s Reform Momentum, Mitigate COVID-19 Crisis, 7.5.2020; OCHA, Afghanistan Strategic Situation Report: Covid-19 No 61, 12.7.2020; OCHA, Afghanistan: Brief Covid-19, No. 44 v. 14.5.2020, No. 52 v. 11.6.2020, No. 54 v. 18.6.2020, No. 55 v. 21.6.2020; World Bank, Press Release, 28.9.2020; USAID, Afghanistan – Complex Emergency, Fact Sheet 4, 30.9.2020; Center On International Cooperation, Coping with Covid-19 and Conflict in Afghanistan, 21.5.2020). Die Weltbank genehmigte Zuschüsse im Umfang von 210 Millionen USD als Teil eines größeren Hilfspakets von insgesamt 380 Millionen USD, um Afghanistan zu helfen, die ökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die afghanischen Haushalte abzufedern, entscheidende Versorgungsketten von Lebensmitteln sicherzustellen und Notfallhilfen für Bauern zur Produktion von Nahrungsmitteln bereitzustellen. Im Rahmen des Hilfsprogramms sollen ca. 4,1 Millionen Haushalte unterhalb der Armutsgrenze unterstützt werden. Ein ergänzendes Hilfsprogramm soll ebenfalls die Nahrungsmittelsicherheit verbessern sowie kurzfristige Arbeitsmöglichkeiten in ländlichen Gebieten schaffen (The World Bank, Afghanistan: New Grants to Cushion Impact of Covid-19 on Poor Households an Protect Food Security, 4.8.2020). Jüngst hat der Internationale Währungsfond Afghanistan Kredite in Höhe von 370 Millionen USD gewährt, in einer ersten Tranche zunächst 115 Millionen USD). Hierdurch soll das ökonomische Reformprogramm der Regierung unterstützt werden, das auf ein nachhaltiges Wachstum und eine Reduzierung der Armut abzielt.
Schließlich stehen dem Kläger bei einer freiwilligen Rückkehr die bereits dargelegten finanziellen Unterstützungsmöglichen zur Verfügung, mit denen eine vorübergehend fehlende Arbeitsmöglichkeit ausgeglichen werden könnte. Hinsichtlich einer etwaigen Weiterreise von Kabul aus ist zu bemerken, dass die Reisebeschränkungen mittlerweile aufgehoben wurden; die Bevölkerung kann nun in alle Provinzen reisen. Zwischen den Städten Afghanistans verkehren Busse (BFA Österreich, Covid-19 Afghanistan, 29.6.2020), kommerzielle Inlandsflüge finden ebenfalls statt (OCHA, Afghanistan, Strategic Situation Report: Covid-19, No. 83, 5.11.2020).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme Frau Stahlmann mit dem Titel „Risiken der Verbreitung von SARS-CoV-2 und schweren Erkrankungen an Covid-19 in Afghanistan, besondere Lage Abgeschobener“ vom 27. März 2020. Soweit es darin heißt, Rückkehrer aus Europa gälten aus Sicht lokaler Ärzte als besonders vulnerabel, wird dies fachlich nicht unterlegt. Abgesehen davon erscheint diese Einschätzung auch deswegen nicht belastbar, weil Frau Stahlmann selbst offen in Zweifel zieht, ob ihre Gesprächspartner ausreichendes medizinisches Wissen über die Krankheit haben. Soweit Frau Stahlmann die Gefahr der Stigmatisierung von Rückkehrern sieht, baut dies auf einer Annahme auf, die so jedenfalls in dieser Allgemeinheit nicht tragfähig ist (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019; EASO, Afghanistan, Individuals targeted under societal and legal normsn, 2017, S. 92 ff.). Abgesehen davon kann das Gericht auch im Allgemeinen nicht erkennen, dass die von Frau Stahlmann wiedergegebenen Eindrücke repräsentativ und belastbar sind (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 6.12.2019 – 13a ZV 19.34056 – juris), zumal diese Afghanistan im Übrigen bereits am 17. März 2020 wieder verlassen hat und daher mit ihren Aussagen nicht auf die Situation im entscheidungserheblichen Zeitpunkt abstellt. Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die von Frau Stahlmann abstrakt beschriebenen Gefahren auf die individuelle Situation des Antragstellers übertragen werden könnte.
Der erkennende Einzelrichter vermag vor diesem Hintergrund bei einer Gesamtwürdigung der Situation nicht zu erkennen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine Situation geriete, die Art. 3 EMRK verletzen würde. Es wird in den vorliegenden Berichten zwar zum Teil auf notwendige Einschränkungen von Teilen der Bevölkerung (etwa beim Einkaufsverhalten für Lebensmittel, Samual Hall, Covid-19 in Afghanistan: Knowledge, Attitudes, Practices & Implications, July 2020) sowie etwaig im Raum stehende zusätzliche Gefahren für die afghanische Bevölkerung (insbesondere eine Erhöhung der Armutsquote von aktuell 54,5% auf 61-72%, World Bank, Afghanistan Development, Update July 2020, Surviving the storm, 15.7.2020) verwiesen, ohne dass jedoch bislang handgreifliche Erkenntnisse dahingehend vorliegen, dass sich die humanitäre Situation in Afghanistan in entscheidungserheblichem Umfang verschlechtert hätte. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass es zur Annahme einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung der von Art. 3 EMRK geschützten Rechte keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bedarf. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ein gewisser Grad an Mutmaßung dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent ist, muss die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung aufgrund aller Umstände des Falles gleichwohl hinreichend sicher und darf nicht nur hypothetisch sein. Erkenntnisse dahin, dass leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen infolge der Corona-Pandemie nunmehr in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger und/oder Krankheit betroffen wären, liegen derzeit nicht vor, zumal trotz der großen Zahl afghanischer Rückkehrer aus dem benachbarten Iran bislang von existentiellen Ernährungs- und Unterbringungsproblemen oder Verelendungstendenzen dieser Personengruppe nicht berichtet wird, zumal diese regelmäßig finanziell erheblich schlechter gestellt sein dürften als Rückkehrer aus dem europäischen Ausland. Das Gericht kann sich daher in der Gesamtschau nicht die notwendige Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Verletzung des Art. 3 EMRK bilden (wie hier auch: VGH Bayern, U.v. 01.10.2020 – 13a B 20.31004; VG München, U.v. 28.09.2020 – M 24 K 17.38700 – juris; VG Aachen, U.v. 18.09.2020 – 7 K 157/20.A – juris; VG Freiburg, U.v. 08.09.2020 – A 8 K 10988/17 – juris; VG Köln, U.v. 25.08.2020 – 14 K 1041/17.A – juris; VG München, B.v. 7.8.2020 – M 26a S 20.30506; VG Bayreuth, U.v. 26.6.2020 – B 8 K 17.32211 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 22.6.2020 – 5a K 11012/17.A – juris VG Freiburg (Breisgau), U.v. 19.5.2020 – A 8 K 9604/17; VG München, U.v. 21.4.2020 – M 16 K 17.41340; VG München, B.v. 7.8.2020 – M 26a S 20.30506 – juris; VG Köln, U.v. 25.8.2020 – 14 K 1041/17.A – juris).
Unter Berücksichtigung der beschriebenen persönlichen Verhältnisse und Ressourcen des hiesigen Klägers ist nach alledem auch unter Beachtung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Afghanistan und der dort herrschenden allgemeinen Verhältnisse kein Verstoß gegen § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erkennbar, sodass ein Anspruch auf ein entsprechendes Abschiebungsverbot im hier vorliegenden Einzelfall nicht besteht.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor.
Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dies kann aus individuellen Gründen – etwa wegen drohender An- oder Übergriffe Dritter oder auf Grund von Krankheit – der Fall sein, kommt aber ausnahmsweise auch infolge einer allgemein unsicheren oder wirtschaftlich schlechten Lage im Zielstaat in Betracht (VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind die Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde anordnen, dass die Abschiebung für längstens sechs Monate ausgesetzt wird. Eine Abschiebestopp-Anordnung besteht jedoch für die Personengruppe, der der Kläger angehört, nicht.
Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit strengeren Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Von einer solchen Unzumutbarkeit ist auszugehen, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Das bedeutet nicht, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris; vgl. zudem BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25.18 – juris Rn. 13).
Eine solche, extreme Gefahrenlage kann vorliegend nicht angenommen werden. Zum einen besteht – wie sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen bereits ergibt – keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers aus individuellen Gründen oder aufgrund der Sicherheitslage. Zum anderen droht dem Kläger auch aufgrund der unzureichenden Versorgungslage in Afghanistan keine extreme Gefahr infolge einer Verdichtung der allgemeinen Gefahrenlage, die zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG führen könnte. Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen schlechter humanitärer Bedingungen nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante, extreme Gefahrenlage aus (BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; VGH Mannheim, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris). Vorliegend vermögen die – fraglos schlechten – Lebensverhältnisse nach den vorstehenden Ausführungen keinen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen. Dass gerade der Kläger als leistungsfähiger Mann mit den von ihm erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen im Falle einer Rückkehr alsbald sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde, vermag das Gericht danach nicht festzustellen. Auf die obigen Ausführungen wird vollumfänglich verwiesen.
Schließlich ist – im entscheidungserheblichen Zeitpunkt – auch vor dem Hintergrund der in Afghanistan grassierenden Covid-19-Pandemie und der Befürchtung einer etwaig auch dort einsetzenden zweiten Krankheitswelle keine andere Einschätzung gerechtfertigt. Dafür, dass der Kläger als junger, gesunder Mann in Afghanistan so schwer an dem Virus erkranken könnte, dass er, auch aufgrund mangelhafter medizinischer Versorgung, in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte, gibt es keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte, zumal die Erkrankung in der Mehrheit der Fälle auch einen milden Verlauf nimmt, nicht selten sogar ohne spürbare Symptome verläuft, was gerade in Afghanistan der Fall ist (Konrad-Adenauer-Stiftung, Covid-Krise in Afghanistan, Juli 2020). Die Mehrzahl der in Afghanistan nachweislich an Covid-19 verstorbenen Personen waren solche, die bereits an Vorerkrankungen, insbesondere an cardio-vaskulärer Art, Diabetes und Lungen-Krankheiten, gelitten haben (OCHA, Afghanistan: Covid-19 Multi-Sectoral Respons Operation Situation Report 13.5.2020). Die Mehrheit der an Covid-19 verstorbenen Personen in Afghanistan waren zudem Männer zwischen 50 und 79 Jahren (OCHA, Afghanistan: Strategic Situation Report: Covid-19, No. 83, 5.11.2020). Es ist indes weder ersichtlich, dass der Antragsteller an einer solchen Vorerkrankung leidet noch fällt er in die am stärksten betroffene Altersgruppe. Überdies droht die Gefahr an Covid-19 zu erkranken nicht nur dem Antragsteller, sondern unterschiedslos allen Bewohnern Afghanistans, § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG.
Fehlt – wie vorliegend – eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG, kommt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur dann in Betracht, wenn dieses zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) erforderlich ist. Das ist der Fall, wenn der Ausländer im Falle einer Abschiebung sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgeliefert würde (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris, Rn. 32 m.w.N.). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen. Bezüglich der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist gegenüber dem im Asylrecht entwickelten Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage allerdings ein strengerer Maßstab anzulegen; die allgemeine Gefahr muss sich für den jeweiligen Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit verwirklichen. Nur dann rechtfertigt sich die Annahme eines aus den Grundrechten folgenden zwingenden Abschiebungshindernisses, das die gesetzliche Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG überwinden kann (BVerwG, U.v. 19.11.1996 – 1 C 6.95 – juris).
Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger noch im unmittelbaren Zusammenhang mit seiner Einreise nach Afghanistan mit hoher, nicht nur beachtlicher Wahrscheinlichkeit an dem SARS-CoV-2-Virus erkranken, einen schweren Krankheitsverlauf erleiden und infolgedessen – auch wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten – mit ebenfalls hoher Wahrscheinlichkeit in eine existenzielle Gesundheitsgefahr geraten könnte (so auch: VGH Bayern, U.v. 1.10.2020 – 13a B 20.31009) auf. Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft sind die Krankheitsverläufe bei mit dem SARS-CoV-2-Virus infizierten Personen unspezifisch, vielfältig und variieren stark – von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Todesfolge. Schwere Verläufe sind jedoch eher selten. Risikogruppen lassen sich zwar nicht eindeutig bestimmen, jedoch gehört der Antragsteller nicht zu den Personengruppen, bei denen schwere Krankheitsverläufe häufiger beobachtet werden (etwa: ältere Personen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen (Herz-Kreislauf-System, chronische Lungen- und Leberkrankheiten, Diabetes, Krebs, Immunschwächeerkrankungen), stark adipöse Meschen; https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neu-artiges_Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792bodyText4). Im Angesicht dieser Erkenntnisse zu dem neuartigen SARS-CoV-2- Virus besteht auch in Anbetracht dessen, dass die im Falle eines schweren Krankheitsverlaufs erforderliche medizinische Behandlung (insbesondere künstliche Beatmung) in Afghanistan nur in sehr eingeschränktem Maße zur Verfügung steht und auch die allgemeine humanitäre Situation (Zugang zu Wasser, Nahrung, Medikamenten) den Krankheitsverlauf erschweren könnte, nicht die notwendige hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller von einem schweren Krankheitsverlauf betroffen sein und infolgedessen mit ebenfalls hoher Wahrscheinlichkeit sterben oder doch zumindest schwerste Gesundheitsbeeinträchtigungen erleiden könnte. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in Afghanistan nach dem Ende der ersten Krankheitswelle im Durchschnitt erheblich geringer ist (vgl. https://www.worldometers.info/coronavirus/country/afghanistan/;). Unabhängig davon kann der Antragsteller das Infektionsrisiko selbst minimieren, indem er allgemeine Hygieneregeln – so gut wie möglich – einhält, auf ausreichenden Abstand zu Mitmenschen achtet, enge Kontakte meidet und in der Öffentlichkeit eine Mund-Nasen-Bedeckung trägt.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO vollumfänglich abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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