Verwaltungsrecht

Rechtmäßigkeit der Ablehnung eines Asylantrages als unzulässig

Aktenzeichen  10 B 18.50031

Datum:
8.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3415
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1, § 31 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
VO (EG) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2
VwGO § 130a

 

Leitsatz

Werden auf die Anfechtungsklage hin die Unzulässigkeitsentscheidung nebst der Feststellung, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen, sowie die Abschiebungsanordnung aufgehoben, ist daneben eine Verpflichtung des Bundesamtes auf Feststellung von Abschiebungsverboten hinsichtlich des Ziellands der Überstellung nicht zulässig. (Rn. 18 ff.)

Verfahrensgang

M 18 K 16.51084 2017-11-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 3. November 2017 wird aufgehoben, soweit die Beklagte in Nr. I Satz
zur Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens verpflichtet wurde.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig.
Sie ist nach eigenen Angaben nigerianische Staatsangehörige und am 25. Mai 1990 in Benin-City geboren. Nach ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Anfang August 2015 stellte sie am 15. Juni 2016 einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab sie u.a. an, ihre Heimat im März 2008 verlassen zu haben und Ende Juni 2008 nach Italien gelangt zu sein, wo sie sich rund sieben Jahre lang in Florenz und Turin aufgehalten habe, bevor sie am 5. August 2015 nach Deutschland gereist sei.
Nachdem dem Bundesamt einen EURODAC-Treffer mitgeteilt worden war, stellte es am 12. August 2016 ein Wiederaufnahmegesuch nach Italien, das unbeantwortet blieb.
Bei einer weiteren Anhörung beim Bundesamt am 6. Oktober 2016 erklärte die Klägerin, dass ihr Asylantrag in Italien abgelehnt worden und sie danach mittellos gewesen sei und auf der Straße habe leben müssen.
Mit Bescheid vom 9. November 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 6 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig sei, weil Italien nach der Dublin III-VO wegen eines dort gestellten bzw. abgelehnten Asylantrags zuständig sei. Die Unzulässigkeit könne ferner auf dem erfolglosen Abschluss des früheren Asylverfahrens beruhen, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen.
Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München mit dem Antrag, den Bescheid vom 9. November 2016 aufzuheben.
Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 3. November 2017 unter Nummer I. Satz 1 des Tenors den Bescheid des Bundesamts auf und verpflichtete die Beklagte unter Nummer I. Satz 2 des Tenors festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens vorliegen.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 8. Mai 2017 zugelassen, soweit das Verwaltungsgericht in Nummer I. Satz 2 seines Urteils die Beklagte zur Feststellung verpflichtet hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens vorliegen (Nr. I.), und im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt (Nr.. II.).
Die Beklagte wendet sich gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München, soweit es den Verpflichtungsanspruch betrifft und begehrt insoweit die Abweisung der Klage. Zur Begründung führte sie ergänzend zum Zulassungsvorbringen aus, dass klägerseits kein Verpflichtungsantrag gestellt worden und in der vorliegenden Konstellation ohnehin nur die Anfechtungsklage statthaft sei.
Sie beantragt,
unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen, soweit es den ausgeurteilten Verpflichtungsausspruch betrifft.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Sofern die Beklagte nunmehr Abschiebungsverbote hinsichtlich Nigerias feststellen würde, könnte die Klägerin Gefahr laufen, dass ihr die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gleichwohl mit der Argumentation verweigert werde, dass ihr die Rückkehr nach Italien zumutbar sei.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 8. Juni 2018 zu einer Entscheidung nach § 130a VwGO angehört.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung, über die der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet.
Die Klägerin hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Urteil vom 3. November 2017 keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Italiens.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 21) ist geklärt, dass die vom Bundesamt nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, einen eigenen Streitgegenstand bildet. Dieser Streitgegenstand kann – in Fällen, in denen wie vorliegend das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 AsylG mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen – durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung zu richtenden Anfechtungsklage (s. hierzu BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16.18 – juris Rn. 13; U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13; U.v. 9.8.2016 – 1 C 6.16 – juris Rn. 9; U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 15; BayVGH, U.v. 13.10.2016 – 20 B 14.30212 – juris Rn. 19) hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (vgl. auch BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 10.17 – juris Rn. 11; NdsOVG, U.v. 31.1.2018 – 10 LB 87/17 – juris Rn. 23 ff.).
Wird allerdings – wie vorliegend – die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine (gegebenenfalls) ergangene Feststellungsentscheidung zum Nichtvorliegen der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nebst Abschiebungsandrohung oder -anordnung aufzuheben. Denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. BVerwG, U.v. 7.3.1995 – 9 C 264.94 – juris Rn. 19; U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – juris Rn. 22), weil der Aufenthaltsstaat zunächst zu prüfen hat, ob nach Maßgabe der weiteren Zuständigkeitskriterien ein anderer Mitgliedstaat vorrangig zuständig ist (vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO; EuGH, U.v. 21.12.2011 − C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 96, 107; U.v. 14.11.2013 – C-4/11 – juris Rn. 33; BVerwG; U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 14; Pietzsch in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1.8.2018, § 34a AsylG Rn. 17 m.w.N.). Das Gericht hat vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung lediglich zu prüfen, ob diese auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann (BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9.17 – juris Rn. 15).
Demnach bleibt im Falle der Aufhebung des streitbefangenen Bundesamtsbescheids wie vorliegend geschehen (s. Nr. I. Satz 1 des Urteiltenors) für eine darüberhinausgehende Verpflichtung zur Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten kein Raum, weil noch offen ist, ob ein (anderer) Mitglied- oder Vertragsstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist und demnach als Zielland einer Überstellung in Betracht kommt (vgl. BVerwG, B.v. 3.4.2017 – 1 C 9.16 – juris Rn. 9; NdsOVG, U.v. 31.1.2018 – 10 LB 87/17 – juris Rn. 25; Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand November 2018, § 31 AsylG Rn. 39) oder sich die vorzunehmende Feststellung von Abschiebungsverboten auf den Herkunftsstaat zu beziehen hat.
Nach alledem war entsprechend dem Berufungsbegehren der Beklagten die im verwaltungsgerichtlichen Urteil enthaltene Verpflichtung, bei der Klägerin die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen, aufzuheben. Da die Klägerin ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 3. November 2017 keinen, auch keinen hilfsweisen Verpflichtungsantrag hinsichtlich der Feststellung von Abschiebungsverboten gestellt hat, war eine Abänderung der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils vom 3. November 2017 nicht angezeigt. Im Berufungsverfahren, dessen Gegenstand allein der im Urteil vom 3. November 2017 enthaltene Verpflichtungsausspruch ist, trägt die Klägerin gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylG).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.


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