Verwaltungsrecht

Rechtmäßigkeit der Testpflicht bei Präsenzunterricht

Aktenzeichen  25 NE 21.1680

Datum:
25.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16413
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6
IfSG § 28b Abs. 3, Abs. 9
13. BayIfSMV § 20 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Dem Antrag, eine Teilnahme am Präsenzunterricht ohne vorherige Durchführung eines (öffentlichen) Tests (in der Schule) zu erreichen, indem § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV einstweilen außer Kraft gesetzt wird, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, da schon gemäß § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG eine Teilnahme am Unterricht nicht möglich ist ohne die Durchführung eines Tests zweimal wöchentlich. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Koppelung des Schulbesuchs an einen vorangegangenen Test ist nicht unverhältnismäßig und stellt auch keinen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die häusliche Testung – bei jüngeren Kindern durch Anleitung der Eltern – stellt schon deshalb kein gleich effektives, milderes Mittel dar, weil sie nicht wirksam zu kontrollieren ist (ebenso VGH München BeckRS 2021, 7239). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der die 3. Klasse einer Grundschule in Bayern besucht, beantragt nach sachgerechter Auslegung des gestellten Antrags anhand seines erkennbaren Rechtsschutzziels (§ 88 VwGO), § 20 Abs. 2 der Dreizehnten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (13. BayIfSMV vom 5. Juni 2021, BayMBl. 2021 Nr. 384) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 22. Juni 2021 (BayMBl. 2021 Nr. 419), die mit Ablauf des 4. Juli 2021 außer Kraft tritt (§ 29 13. BayIfSMV), durch Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Die Regelung hat folgenden Wortlaut:
㤠20
Schulen


(2) 1Die Teilnahme am Präsenzunterricht und an Präsenzphasen des Wechselunterrichts sowie an der Mittags- und Notbetreuung ist Schülerinnen und Schülern nur erlaubt, wenn sie zwei Mal wöchentlich einen Testnachweis nach § 4 Nr. 1 Buchst. a erbringen oder in der Schule unter Aufsicht einen über die Schule zur Verfügung gestellten und dort zu verwendenden Selbsttest mit negativem Ergebnis vorgenommen haben, wobei die dem Testnachweis zugrundeliegende Testung oder der in der Schule vorgenommene Selbsttest höchstens 48 Stunden vor dem Beginn des jeweiligen Schultags vorgenommen worden sein dürfen; § 4 Nr. 2 und 4 findet keine Anwendung. 2Soweit Tests in der Schule vorgenommen werden, verarbeitet die Schule das Testergebnis für die Zwecke nach Satz 1 sowie auf Antrag für eine Bestätigung zur Verwendung als Testnachweis für außerschulische Zwecke; eine Übermittlung an Dritte findet im Übrigen vorbehaltlich von Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz nicht statt. 3Das Testergebnis wird höchstens 14 Tage aufbewahrt. 4Für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann das Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ausnahmen bekanntmachen. 5Für die Lehrkräfte und das Schulverwaltungspersonal gelten hinsichtlich ihrer Tätigkeit in den Schulräumen die Sätze 1 bis 3 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Selbsttest auch außerhalb der Schule und ohne Aufsicht vorgenommen werden kann, wenn die Person versichert, dass das Testergebnis negativ ausgefallen ist; soweit das Testergebnis für außerschulische Zwecke Verwendung finden soll, ist der Selbsttest unter Aufsicht in der Schule durchzuführen.“
Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, die angegriffene Regelung verletze ihn in seinen Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und auf den Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG). Die Testung diene nicht der Verhinderung der Verbreitung der pandemischen Infektionskrankheit COVID-19, sondern fördere vielmehr das Ansteckungsrisiko. Die häusliche Testung sei ein milderes Mittel sowie in Baden-Württemberg und Niedersachsen bereits zulässig. Gleichheitswidrig sei insofern, dass den Lehrerinnen und Lehrern diese Möglichkeit offenstehe. Erziehungsberechtigte dürften insoweit nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Die Maßnahme sei unangemessen, da der Test nicht freiwillig, sondern zwingend sei. Der Senat habe ferner entschieden, dass eine regelmäßige Testpflicht für Mitarbeiter von Alten- und Pflegeheimen rechtswidrig sei. Schüler würden zudem weder überproportional zum COVID-19-Infektionsgeschehen beitragen noch seien sie hinsichtlich eines schweren Infektionsverlaufs stärker gefährdet. Eine Testung zu Hause führe zu einem früheren Schulbeginn, einer geringeren Ansteckungsgefahr und der Vermeidung von Mobbing bei einem etwaigen Positivergebnis.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Der Eilantrag bleibt ohne Erfolg.
Soweit mit dem Antrag eine Teilnahme am Präsenzunterricht ohne vorherige Durchführung eines Tests erreicht werden soll, fehlt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits das Rechtsschutzbedürfnis. Denn selbst wenn wie beantragt § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV gemäß § 47 Abs. 6 VwGO einstweilen außer Kraft gesetzt werden würde, wäre gemäß § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG eine Teilnahme am Unterricht ohne die Durchführung eines Tests zweimal wöchentlich nicht möglich. Damit könnte der Antragsteller mit seinem einstweiligen Rechtsschutzbegehren seine Rechtsposition nicht verbessern (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 17.5. 2021 – 20 NE 21.1359 – juris Rn. 3 ff. zu § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV).
Selbst wenn man jedoch von der Zulässigkeit eines Antrags nach § 47 Abs. 6 VwGO ausgehen wollte, weil § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV inhaltlich über § 28b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG hinausgeht, indem dort explizit Anforderungen an den Testnachweis geregelt werden, die insbesondere einen Nachweis im Wege einer Selbstauskunft über die Durchführung eines Tests zu Hause ausschließen (so VGH BW, B.v. 1.6.2021 – 1 S 1596/21 – juris Rn. 31; a.A. BayVGH, B.v. 4.5.2021 – 20 NE 21.1119 – juris Rn. 39; SächsOVG, B.v. 7.5.2021 – 3 B 212/21 – juris Rn. 7), so ist der Antrag jedenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, liegen hinsichtlich § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV nicht vor.
1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen oder noch zu erhebenden Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12; zustimmend OVG NW, B.v. 25.4.2019 – 4 B 480/19.NE – NVwZ-RR 2019, 993 – juris Rn. 9). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kurzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Ergibt die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend. geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lasst, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist (BVerwG, B.v. 25.2.2015 ‒ 4 VR 5.14 u.a. ‒ ZfBR 2015, 381 – juris Rn. 12). Lassen sich die Erfolgsaussichten nicht absehen, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten wurden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber später Erfolg hatte, und die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte Außervollzugsetzung erlassen wurde, der Normenkontrollantrag aber später erfolglos bliebe. Die für eine einstweilige Außervollzugsetzung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass sie – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 u.a. – juris Rn. 12; Ziekow in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 106).
2. An diesen Maßstäben gemessen ist der Eilantrag des Antragstellers nicht begründet. Der im Hauptsacheverfahren (sinngemäß) gegen § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV gerichtete Normenkontrollantrag hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Hinsichtlich der Obliegenheit zur Durchführung der Tests, die sich unmittelbar aus der bundesgesetzlichen Regelung ergibt, steht einer Überprüfung deren Verfassungsmäßigkeit hier schon entgegen, dass wegen des baldigen Ablaufs der Geltungsdauer mit dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Hauptsache vorweggenommen würde (vgl. BVerfG, B.v. 24.6.1992 – 1 BvR 1028/91 – BVerfGE 86, 382, 389). Im Übrigen setzt eine vorläufige Regelung zur Suspendierung einer formellen bundesgesetzlichen Regelung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren jedenfalls die Überzeugung des Gerichts voraus, dass das betreffende Gesetz verfassungswidrig ist (näher Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 162 m. w. N.). An der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 28b Abs. 3 Satz 1 IfSG bestehen aus Sicht des Senats aber keine schwerwiegenden Zweifel. Insbesondere hält der Senat die Koppelung des Schulbesuchs an einen vorangegangenen Test nicht für unverhältnismäßig und sieht auch keinen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Insoweit wird auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs sowie des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zu § 18 Abs. 4 12. BayIfSMV Bezug genommen (BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 20 NE 21.926 – juris Rn. 14; BayVerfGH, B.v. 21.4.2021 – Vf. 26-VII-21 – juris; vgl. zu einer entsprechenden „indirekten Testpflicht“ auch VGH BW, B.v. 1.6.2021 – 1 S 1596/21 – juris Rn. 36 m.w.N.).
Soweit die angegriffene Bestimmung in § 20 Abs. 2 13. BayIfSMV den Nachweis der Testung regelt, verlässt die Verordnungsbestimmung den bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmen nicht und ist auch sonst voraussichtlich nicht zu beanstanden. § 20 Abs. 2 Satz 1 13. BayIfSMV verweist insofern auf § 4 Nr. 1 Buchst. a) 13. BayIfSMV und damit in Übereinstimmung mit § 28b Abs. 9 IfSG auf ein schriftliches oder elektronisches negatives Testergebnis eines PCR- oder POC-Antigentests. Nach der Gesetzesbegründung dient § 28b Abs. 9 IfSG (lediglich) der Klarstellung, dass es sich bei anerkannten Tests im Sinne des § 28b IfSG nur um solche handeln kann, die verkehrsfähig sind (BT-Drs. 19/28732). Zusätzlich eröffnet § 20 Abs. 2 Satz 1 13. BayIfSMV die Möglichkeit eines über die Schule zur Verfügung gestellten, dort zu verwendenden und unter Aufsicht durchgeführten Selbsttests. Die Vorschrift belässt den betreffenden Schülern bzw. den Eltern damit die Wahl, einen PCR- oder POC-Antigentest in einem Testzentrum bzw. beim Arzt oder aber einen über die Schule zur Verfügung gestellten Selbsttest direkt in der Schule durchzuführen. Dass der Besuch eines Arztes oder einer anderen Testeinrichtung unzumutbar sei, wird nicht substantiiert dargelegt. Die häusliche Testung – bei jüngeren Kindern durch Anleitung der Eltern – dürfte schon deshalb kein gleich effektives, milderes Mittel darstellen, weil sie nicht wirksam zu kontrollieren ist (BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 20 NE 21.926 – juris Rn. 22). Die Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 5 13. BayIfSMV, wonach Lehrkräfte und Personal der Schulverwaltung Selbsttests auch außerhalb der Schule ohne Aufsicht durchführen dürfen, wenn sie das negative Testergebnis versichern, begründet keinen Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG). Die besondere Pflichtenstellung dieser Personengruppen gegenüber ihrem Dienstherrn oder Arbeitgeber rechtfertigt insofern eine unterschiedliche Behandlung gegenüber den Schülerinnen und Schülern.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass diese Regelung zum Testnachweis inhaltlich über die bundesgesetzliche Regelung in § 28b Abs. 3 IfSG hinausgeht, ist ein Verstoß hiergegen nicht feststellbar, weil nach § 28b Abs. 5 IfSG weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes, mithin auch durch eine Landesverordnung auf der Grundlage des §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG, unberührt bleiben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Da die angegriffene Bestimmung mit Ablauf des 4. Juli 2021 außer Kraft tritt (§ 29 13. BayIfSMV), zielt der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Gegenstandswertes für das Eilverfahren nach Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht angebracht ist.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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