Verwaltungsrecht

Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit

Aktenzeichen  24 ZB 18.2457

Datum:
8.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14636
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 45 Abs. 2 S. 1
VwGO § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Der Rechtskraft eines Strafbefehls, der in den Briefkasten des Adressaten eingelegt wurde, steht das Vorbringen, ihn tatsächlich nicht erhalten zu haben, nicht entgegen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sinn und Zweck des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG ergeben, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (Anschluss an VGH München BeckRS 2017, 116476 Rn. 10). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 17.1226 2018-09-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 46.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen den mit Bescheid des Beklagten vom 15. März 2017 ausgesprochenen Widerruf seiner waffen-, jagd- und sprengstoffrechtlichen Erlaubnisse sowie sämtliche in diesem Zusammenhang ergangenen Folgeanordnungen.
Das Verwaltungsgericht hat seine entsprechende Klage mit Urteil vom 26. September 2018 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Aufgrund der rechtskräftigen Strafbefehle vom 10. Juni 2016 und vom 22. Juni 2016, mit denen der Kläger zum einen wegen Nötigung in drei Fällen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen bzw. zum anderen wegen Untreue zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden ist, liege ein Fall (nachträglicher) Regelunzuverlässigkeit bei entsprechender rechtskräftiger Verurteilung vor. Ein Sonderfall, in dem die Behörde ausnahmsweise gehindert sei, die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung zugrunde zu legen, sei nicht gegeben. Die strafrechtliche Verurteilung beruhe auch weder auf einem erkennbaren Irrtum, noch bestünden Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit. Und schließlich handele es sich auch nicht um einen Ausnahmefall, der ein Absehen von der Regelvermutung nachträglich eingetretener Unzuverlässigkeit rechtfertigen könnte.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter. Er ist der Auffassung, an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden ernstliche Zweifel. Außerdem weise die Rechtssache besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen sowie des Vorbringens im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes macht der Kläger im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht gehe „zu schematisch“ und unter „mechanischer Handhabung des Widerrufstatbestands der Vorschrift des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG (et al.)“ unzutreffend von seiner rechtskräftigen Verurteilung aus. Denn er habe den angeblich in Rechtskraft erwachsenen (zweiten) Strafbefehl vom 22.Juni 2016 seinerzeit gar nicht erhalten, weswegen er sich nicht fristgerecht dagegen habe wehren können und dessen Rechtskraft nicht eingetreten sei. Im Übrigen lasse das Verwaltungsgericht die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls außer Acht und es sei diesem zweiten Strafbefehl auch ohne weiteres zu entnehmen, dass die darin enthaltene strafrechtliche Verurteilung unrichtig und rechtlich unhaltbar sei.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – ist dem Antrag entgegengetreten und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 VwGO liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Der Bescheid des Beklagten vom 15. März 2017, mit dem u.a. der Widerruf der zugunsten des Klägers erteilten, waffen-, jagd- und sprengstoffrechtlichen Erlaubnisse verfügt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
Rechtsgrundlage für den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse des Klägers ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Zu den unabdingbaren Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis gehört auch, dass der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG), was in der Regel u.a. dann nicht der Fall ist, wenn er wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG).
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht festgestellt, die Voraussetzungen dieser (wie auch der jagd- und sprengstoffrechtlichen) Vorschriften seien im Fall des Klägers aufgrund der beiden gegen ihn ergangenen, rechtskräftigen Strafbefehle vom 10. und 22. Juni 2016, aus denen nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen gebildet wurde, erfüllt und ein Sonder- oder Ausnahmefall, der ein Absehen von der gesetzlichen Regelvermutung rechtfertigen könnte, liege nicht vor.
a) Der in diesem Zusammenhang vom Kläger zunächst erhobene Einwand, der Strafbefehl vom 22. Juni 2016 sei nicht in Rechtskraft erwachsen, weil er ihn nicht erhalten und von seinem Inhalt keine Kenntnis genommen habe, verfängt nicht. Der Kläger selbst räumt ein, dass der an ihn adressierte Strafbefehl in seinen Briefkasten eingelegt wurde. Damit ist er ihm wirksam zugestellt worden mit der Folge, dass die gesetzliche Einspruchsfrist in Gang gesetzt wurde. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass er diesen Briefkasten gemeinsam mit seinem im selben Haus wohnenden Sohn gleichen Namens nutzt, was – wie er vorträgt – mutmaßliche Ursache dafür sei, dass ihn der Strafbefehl tatsächlich nicht erreicht habe. Abgesehen davon, dass es bereits wenig glaubhaft erscheint, dass ein amtliches Schreiben auch angesichts einer derartigen innerfamiliären Organisation schlicht verschwunden sein soll, handelt es sich jedenfalls – sollten sich die Dinge wirklich so zugetragen haben – um ein Geschehen, das allein in der Sphäre des Klägers liegt. Es ist deshalb von diesem und nicht, wie der Kläger meint, von dem Beklagten zu vertreten, der es unterlassen habe, seinen – den väterlichen – Namen mit dem (nicht amtlichen) Zusatz „sen.“ zu kennzeichnen. Im Übrigen hat der Kläger im Zusammenhang mit der verspäteten Einlegung seines Einspruchs gegen diesen Strafbefehl bereits von dem in solchen Fällen zur Verfügung stehenden Rechtsmittel Gebrauch gemacht und bei dem dafür zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Diese wurde ihm allerdings – worauf das Verwaltungsgericht bereits zutreffend hingewiesen hat (UA S. 19) – nicht gewährt; ebenso wenig hat das daraufhin zuständige Landgericht seiner dagegen erhobenen, sofortigen Beschwerde stattgegeben. Auch der (zweite) gegen den Kläger erlassene Strafbefehl vom 22. Juni 2016 ist damit rechtskräftig geworden und war bei der Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers zu berücksichtigen. Der weitere Hinweis des Klägers, zu einem gerichtlichen Strafverfahren gehörten mehrere Instanzen, die ihm infolge des geschilderten Sachverhalts nicht zur Verfügung gestanden hätten, verhilft seinem Zulassungsbegehren ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn dies beruht allein auf der ihm selbst zuzurechnenden Fristversäumnis bei Einlegung seines Einspruchs gegen den Strafbefehl.
b) Auch der weitere Vortrag des Klägers, der Strafbefehl vom 22. Juni 2016 sei erkennbar unrichtig und rechtlich unhaltbar, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Im Beschluss vom 5. Juli 2017 (Az. 21 CS 17.856) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Folgendes ausgeführt:
„Die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit aufgrund Verurteilung knüpft nicht an bestimmte Delikte an, sondern an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der rechtskräftig verhängten Sanktion. Die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands erfordert daher keine Prüfung der Behörde, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Indem es eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, will das Gesetz sichern, dass die behördliche Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auf tragfähiger Grundlage erfolgt. Das gerichtliche Strafverfahren, in dem der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, bietet dafür eine besondere Gewähr. Daraus folgt, dass sich die Behörde auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen darf. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Satz 1 WaffG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (BayVGH aaO. – juris Rn. 10 m.w.N).“
In zutreffender Anwendung dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht unter eingehender Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, ein derartiger Sonderfall und insbesondere Anhaltspunkte, die auf eine irrtümliche Verurteilung oder darauf hindeuten könnten, dass hier ausnahmsweise die zuständige Behörde oder das Verwaltungsgericht selbst in der Lage wären, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären, lägen nicht vor (UA S. 17 ff.). Dieser Einschätzung schließt sich der erkennende Senat auch vor dem Hintergrund des Zulassungsvorbringens, das insbesondere die abgeurteilte Untreuehandlung für strafrechtlich fehlerhaft gewürdigt hält, an.
2. Die Rechtssache ist auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO oder § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zuzulassen. Sie weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, denn der Sachverhalt ist geklärt und lässt sich ohne weiteres anhand der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften beurteilen. Die Darlegung der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) erfordert nicht nur die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist auch, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte tragende Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird. Zur Geltendmachung der Divergenzrüge reicht es nicht aus, eine bloß fehlerhafte oder unterbliebene Anwendung derartiger Rechtssätze des Divergenzgerichts aufzuzeigen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2008 – 9 B 15.08 – NVwZ 2008, 1115 Rn. 22 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 73 m.w.N.).
Der Kläger ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht weiche von den oben dargestellten Rechtssätzen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 5.7.2017 – 21 CS 17.856) sowie der dort in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Verurteilung des Klägers offensichtlich irrtümlich erfolgt, fehlerbehaftet und außerdem mangels wirksamer Zustellung nicht rechtskräftig geworden sei. Ob der Kläger mit diesem Vortrag den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da – wie bereits oben ausgeführt wurde – diese Annahmen des Klägers sämtlich nicht zutreffen.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 47 Abs. 1 u. 3 GKG und Nr. 20.3 und 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013, abgedruckt bei Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019 und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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