Verwaltungsrecht

Rückerstattung von Abfallgebühren bei Kostenüberdeckung

Aktenzeichen  4 CE 19.93

Datum:
30.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27411
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 8
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Die Vorschriften des Art. 8 Abs. 3 bis 6 KAG enthalten Regelungen zur Gebührenbemessung, denen keine unmittelbar drittschützende Wirkung zukommt, sondern die sich allein an die jeweiligen kommunalen Einrichtungsträger wenden. Sie legen im Einzelnen fest, wie dem in Art. 8 Abs. 2 KAG normierten Kostendeckungsprinzip, das eine Veranschlagungsmaxime bildet, bei der Gebührenkalkulation Rechnung zu tragen ist.  (Rn. 10 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausgleichspflicht besteht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur „innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums“, so dass Kostenüberdeckungen, die entgegen der gesetzlichen Vorgabe nicht innerhalb dieser vorgegebenen Frist ausgeglichen werden, nicht weiterhin ausgleichspflichtig bleiben. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ausgleichspflicht, die sich aus der Abrechnung der laufenden Kalkulationsperiode ergibt, ist erst im Rahmen der Überprüfung der nächsten Gebührenkalkulation und der darauf gestützten Bescheide von Bedeutung und kann deshalb nicht Gegenstand eines davon unabhängigen gerichtlichen Verfahrens sein. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 11 E 18.1906 2018-12-18 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 67,50 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Rückzahlung von anteiligen Kostenüberdeckungen in Höhe von 270 Euro, die bei der Erhebung von Abfallgebühren im zurückliegenden Kalkulationszeitraum 2013 bis 2014 angefallen sind, hilfsweise die Feststellung, dass ihm eine aufrechenbare Forderung in dieser Höhe zusteht.
Zur Begründung seines am 21. November 2018 gestellten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung trug der Antragsteller vor, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe in seinem (nicht rechtskräftigen) Urteil vom 17. August 2018, Az. 4 N 15.1685, festgestellt, dass sich bei der Abfallgebührenbemessung für den Zeitraum 2013 bis 2014 eine Kostenüberdeckung von 1,6 Mio. Euro ergeben habe. Diese sei nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG unmittelbar im nächsten Bemessungszeitraum auszugleichen, der am 31. Dezember 2018 ende. Aus der Ausgleichspflicht des Antragsgegners resultiere spiegelbildlich ein Anspruch des Gebührenzahlers auf Ausgleich der Kostenüberdeckung im nächsten Bemessungszeitraum. Da im anstehenden Zeitraum 2019 bis 2022 eine Ausgleichspflicht nicht mehr bestehe, sei es zwingend notwendig, dass noch im Ausgleichszeitraum 2015 bis 2018 die Erstattung erfolge bzw. das Bestehen einer solchen Forderung rechtskräftig festgestellt werde. Dies rechtfertige eine Ausnahme vom Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren. Die Regelung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG stoße auf das praktische Problem, dass bei der Kalkulation des nächsten Bemessungszeitraums die Berechnungen, aus denen sich eine Kostenüberdeckung ergeben könne, noch nicht vollständig vorlägen und die Kostendeckung daher nur geschätzt werden könne. Dadurch werde der Gebührenzahler massiv in seinen Rechten betroffen. Ob ein Ausgleich der Kostenüberdeckung im nächsten Bemessungszeitraum erfolgt sei, erfahre er erst mit dem Gebührenbescheid im übernächsten Bemessungszeitraum. Nach Ablauf des 31. Dezember 2018 sei ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr möglich.
Mit Beschluss vom 18. Dezember 2018 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg den Eilantrag ab. Die Frage der Vorwegnahme der Hauptsache könne dahinstehen, da der Antrag jedenfalls unbegründet sei. Der Ausgleich von Überdeckungen habe nicht im Wege der Auszahlung eines entsprechenden Geldbetrags an die Gebührenzahler zu erfolgen, sondern über den Gebührensatz. Es sei zwar richtig, dass sich für den Ausgleich innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums Schwierigkeiten daraus ergäben, dass die Überschüsse erst nach Ablauf des Bemessungszeitraums und damit zwangsläufig nach Beginn des nachfolgenden Bemessungszeitraums konkret ermittelt werden könnten. Dies führe aber nicht dazu, dass Kostenüberdeckungen im Wege einer Auszahlung an den Gebührenschuldner auszugleichen wären. Die Kostenüberdeckung sei vielmehr im Rahmen der Bemessung der Abfallgebühr für den folgenden Bemessungszeitraum zu schätzen. Da methodische Fehler bei dieser Schätzung der gerichtlichen Überprüfung unterlägen, sei effektiver Rechtsschutz insoweit gewährleistet. Wenn sich die Schätzung im Nachhinein als unzutreffend erweise und sich daraus erneut eine Kostenüberdeckung ergebe, sei diese wiederum im nachfolgenden Kalkulationszeitraum auszugleichen. Damit sei sichergestellt, dass Fehler bei der Schätzung nicht zu Lasten der Gebührenzahler gingen.
Mit seiner am 4. Januar 2019 erhobenen Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen diesen Beschluss.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. Dezember 2018, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel einer Rückzahlung anteiliger Kostenüberdeckungen aus dem Kalkulationszeitraum 2013 bis 2014 bzw. hilfsweise der gerichtlichen Feststellung einer entsprechenden Forderung zu Recht abgelehnt.
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Antragsteller vor, auch ihm sei bekannt, dass aus der Ausgleichspflicht nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG zunächst kein unmittelbarer Anspruch auf Rückzahlung eines bestimmten Geldbetrags an den einzelnen Gebührenzahler folge. Wenn keine ausreichende Zeit mehr für eine Nachkalkulation des Gebührensatzes und die damit einhergehende Anpassung der Gebührensatzung bestehe, müsse ein anderer Weg gefunden werden, um die Kostenüberdeckung an den Gebührenzahler zurückzuführen, wobei die Erstattung des zu viel gezahlten Betrags sachgerecht erscheine. Dem Antragsgegner sei die Kostenüberdeckung aus dem Bemessungszeitraum 2013 bis 2014 spätestens seit dem Normenkontrollurteil vom 17. August 2017 bekannt gewesen. Er habe aber keine verlässliche Schätzung vorgenommen. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb der Ausgleich nicht noch im Bemessungszeitraum 2015 bis 2018 erfolgt sei. Nach dem Normenkontrollurteil habe der Antragsgegner genügend Zeit gehabt, den Ausgleich z. B. durch eine neue Gebührenfestsetzung für das Jahr 2018 gesetzeskonform durchzuführen. Stattdessen habe er den Ausgleich der Kostenüberdeckung bewusst in den übernächsten Bemessungszeitraum 2019 bis 2022 verschoben, für den nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs keine Ausgleichspflicht mehr bestehe. Daher müsse für den Gebührenzahler auch im Wege des Eilrechtsschutzes die Möglichkeit bestehen, die Zurückführung der Kostenüberdeckung zu verlangen, wenngleich dies rein faktisch zur Erstattung der gesamten oder – nach rückwirkender Gebührenanpassung – anteiligen Gebühren führe. Der Eilantrag sei trotz der Vorwegnahme der Hauptsache zulässig, da eine Ausgleichspflicht nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG nur innerhalb des unmittelbar anknüpfenden Bemessungszeitraums bestehe. Im Bemessungszeitraum 2019 bis 2022 sei die Ausgleichspflicht für den Zeitraum 2013 bis 2014 bereits abgelaufen, so dass der Antragsgegner nicht mehr verpflichtet sei, die damalige Kostenüberdeckung auszugleichen.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.
a) Es bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens des Antragstellers. Seine Annahme, die Vorwegnahme der Hauptsache sei hier ausnahmsweise gerechtfertigt, weil nach dem 31. Dezember 2018 die Ausgleichspflicht bezüglich der Kostenüberdeckung entfalle, lässt das am 4. Januar 2019 eingeleitete Beschwerdeverfahren als aussichtslos erscheinen. Legt man den Rechtsstandpunkt des Antragstellers zugrunde, wonach ab dem Jahr 2019 eine stattgebende gerichtliche Entscheidung ausgeschlossen ist, entfiele damit nicht nur die Begründung für die angestrebte Vorwegnahme der Hauptsache, sondern auch der für das Eilverfahren notwendige Anordnungsanspruch. Bestünde hingegen auch nach dem genannten Stichtag noch ein einklagbares Recht auf Rückzahlung, so fehlte es jedenfalls an dem erforderlichen Anordnungsgrund, da dann keine besondere Eilbedürftigkeit für das Zahlungsbegehren mehr gegeben wäre.
b) Diese aus den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes resultierenden Bedenken können aber dahinstehen, da jedenfalls der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch zu keinem Zeitpunkt bestanden hat und damit kein Anordnungsanspruch gegeben ist. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat nach der Regelungssystematik des Kommunalabgabengesetzes der Ausgleich von Überdeckungen, die sich bei einer Gebührenkalkulation ergeben, nicht durch die Auszahlung eines entsprechenden (anteiligen) Geldbetrags an die einzelnen Gebührenzahler zu erfolgen, sondern durch eine entsprechende Anpassung des Gebührensatzes im nachfolgenden Kalkulationszeitraum. Nur insoweit bestehen subjektive Rechte der Gebührenzahler, die durch Anfechtung der Gebührenbescheide oder durch Überprüfung der Gebührensatzung im Wege der Normenkontrolle geltend gemacht werden können. Die Vorstellung des Antragstellers, aus der gesetzlichen Ausgleichspflicht des Einrichtungsbetreibers nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG resultiere „spiegelbildlich“ ein Zahlungsanspruch des Einrichtungsbenutzers, findet im Gesetz keine Grundlage.
Die Vorschriften des Art. 8 Abs. 3 bis 6 KAG enthalten Regelungen zur Gebührenbemessung, denen keine unmittelbar drittschützende Wirkung zukommt, sondern die sich allein an die jeweiligen kommunalen Einrichtungsträger wenden. Sie legen im Einzelnen fest, wie dem in Art. 8 Abs. 2 KAG normierten Kostendeckungsprinzip, das eine Veranschlagungsmaxime bildet (vgl. Stadlöder in Schieder/Happ, Bayerisches Kommunalabgabengesetz, Stand 12/2018, Art. 8 Rn. 11 m.w.N.), bei der Gebührenkalkulation Rechnung zu tragen ist. Dazu gehört die in Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG normierte Verpflichtung, Kostenüber- oder -unterdeckungen, die sich am Ende des (maximal vierjährigen) Bemessungszeitraums ergeben, innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums „auszugleichen“. Mit diesem Verb ist nicht das Auszahlen von Überschussanteilen an die einzelnen Gebührenzahler bzw. das Nachfordern von Fehlbeträgen gemeint, sondern die Berücksichtigung der über eine Kostendeckung hinausgehenden oder dahinter zurückbleibenden Einnahmen bei der Neubemessung der Gebührensätze für den jeweils nachfolgenden Kalkulationszeitraum (vgl. Vetter in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, Abschn. D Rn. 194). Der periodenübergreifende Ausgleich wird nötig, weil in jedem Kalkulationszeitraum die tatsächlichen Kosten, Erlöse und Mengen unvermeidbar von den prognostizierten Werten mehr oder weniger deutlich abweichen. Mit der Regelung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG wird sichergestellt, dass dem im Grundsatz auf die einzelne Kalkulationsperiode begrenzten Kostendeckungsprinzip auf mittlere Sicht effektiv Rechnung getragen werden kann.
Die Ausgleichspflicht besteht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht zeitlich unbegrenzt, sondern nur „innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums“, so dass Kostenüberdeckungen, die entgegen der gesetzlichen Vorgabe nicht innerhalb dieser vorgegebenen Frist ausgeglichen werden, nicht weiterhin ausgleichspflichtig bleiben (vgl. BayVGH, U.v. 17.8.2017 – 4 N 15.1685 – BayVBl 2018, 343 Rn. 38 m.w.N.). Die Schwierigkeiten, die sich in der Praxis daraus ergeben, dass Überschüsse oder Fehlbeträge erst nach dem Ablauf des Kalkulationszeitraums und damit zwangsläufig nach Beginn des nächsten Kalkulationszeitraums konkret ermittelt werden können, sind für das letzte Jahr des Kalkulationszeitraums (für das noch keine Betriebsabrechnung vorliegt) im Wege der Schätzung zu überwinden (Stadlöder, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Trifft diese Schätzung nicht zu, so ergeben sich wiederum Kostenüber- oder -unterdeckungen, die in dem dann nachfolgenden Kalkulationszeitraum auszugleichen sind; auch die Einhaltung dieser Verpflichtung ist gerichtlich voll überprüfbar. Danach besteht entgegen der Darstellung des Antragstellers für einen Einrichtungsbetreiber keine Möglichkeit, sich der gesetzlichen Ausgleichsverpflichtung im Falle einer Überdeckung auf Dauer sanktionslos zu entziehen.
Eine lückenlose gerichtliche Kontrolle setzt freilich voraus, dass die zu den jeweiligen Bemessungszeiträumen ergangenen Bescheide angefochten werden. Mit der Klage gegen einen Bescheid kann aber immer nur geltend gemacht werden, dass ein infolge der vorhergehenden Kalkulationsperiode notwendiger Ausgleich nicht erfolgt sei. Die Ausgleichspflicht, die sich aus der Abrechnung der laufenden Kalkulationsperiode ergibt, ist dagegen erst im Rahmen der Überprüfung der nächsten Gebührenkalkulation und der darauf gestützten Bescheide von Bedeutung; sie kann nicht Gegenstand eines davon unabhängigen gerichtlichen Verfahrens sein. Auch der Antragsteller muss sich daher auf die Möglichkeit der Anfechtung der ihm gegenüber ergangenen Gebührenbescheide verweisen lassen und kann gegenüber dem Antragsgegner Rückerstattungsansprüche erst erheben, wenn gerichtlich festgestellt ist, dass es für die von ihm geleisteten Zahlungen an der erforderlichen Rechtsgrundlage gefehlt hat. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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