Verwaltungsrecht

Rückführung eines anerkannten Flüchtlings nach Griechenland – Abschiebungsverbot

Aktenzeichen  RN 11 K 18.30914

Datum:
8.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15385
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 31 Abs. 3 S. 1, § 38 Abs. 1
RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2 lit. a

 

Leitsatz

1. Eine objektiv rechtswidrig gesetzte Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylG führt nicht zur Rechtswidrigkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung, da es sich insoweit um eine eigenständige Entscheidung handelt, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu der getroffenen Abschiebungsandrohung steht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Flüchtling eine unmenschlich oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grds., wie die Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem, eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG BeckRS 2016, 45554). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen ist aufgrund der Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnismittel davon auszugehen, dass diese ohne einer besonderen Zusicherung von Seiten der zuständigen griechischen Behörden bei einer Rückkehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Gefahr der Obdachlosigkeit und in eine existenzielle Notlage geraten würden, die sie nicht aus eigener Kraft abwenden könnten, weshalb eine Überstellung eine menschenrechtswidrige Behandlung darstellt (so auch VG München BeckRS 2018, 2477; VG Düsseldorf). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass für die Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Griechenlands vorliegt. Der Bescheid des Bundesamts für … vom 14.3.2018 wird in Nr. 2, 3 Satz 1 bis 3 und Nr. 4 aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt 2/3 und die Beklagte 1/3 der Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erhobene Anfechtungsklage ist zulässig aber unbegründet (A.). Soweit die Klägerin die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Gewährung subsidiären Schutzes begehrt, ist die erhobene Verpflichtungsklage mangels Statthaftigkeit unzulässig (B.). Im Übrigen ist die Klage hinsichtlich der hilfsweise begehrten Feststellung von Abschiebungsverboten zulässig und begründet (C.).
A.
Die gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids erhobene Anfechtungsklage ist zulässig (I.) überdies jedoch unbegründet (II.).
I. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) jedenfalls seit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes vom 31.7.2016 (BGBl. I 2016, 1939 ff.) allein die Anfechtungsklage die statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 Az. 1 C 32.14; U.v. 14.12.2016 Az. 1 C 4/16 – jeweils juris). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung seines Asylverfahrens abgelehnt wurde, erreichen, wenn er eine Sachenentscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von der Klägerin endgültig verfolgte Ziel der Anerkennung als Asylberechtigte bzw. der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die statthafte Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung eine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 10.2.1998 Az. 9 C 28.97 – juris), hält das Bundesverwaltungsgericht an dieser Rechtsprechung seit der o.g. Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens nicht mehr fest. In diesem Stadium des Verfahrens kann es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein, anstelle des mit besonderer Sachkunde versehenen Bundesamts, das mit der Sache insoweit noch gar nicht befasst war und demgemäß auch eine Entscheidung über das Asylbegehren noch gar nicht treffen konnte, über diesen Asylanspruch zu befinden. Für die sachliche Entscheidung über Asylanträge ist das Bundesamt vorrangig zuständig, § 5 AsylG. Darüber hinaus ginge der Klägerin eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist. Das gilt sowohl für die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung – § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG – als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen – § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylG – ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylG in Verbindung mit § 87b Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorgesehen ist. (vgl. BVerwG, U.v. 7.3.1995 Az. 9 C 264.94 – juris; BayVGH, U.v. 20.10.2016 Az. 20 B 14.30320 – juris).
II. Die Anfechtungsklage ist jedoch unbegründet; der Bescheid erweist sich insoweit als im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Asylantrag der Klägerin wurde zu Recht als unzulässig abgelehnt.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
Nach Mitteilung der griechischen Behörden vom 1.8.2017 wurde der Klägerin am 20.3.2017 in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zuerkannt. Die Beklagte ist daher weder berechtigt noch verpflichtet, (erneut) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dies entspricht auch Art. 33 Abs. 2 lit. a) der Richtlinie zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes vom 26.6.2013 (Richtlinie 2013/32/EU), wonach die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig betrachten, wenn ein anderer Mitgliedstaat internationalen Schutz gewährt hat. Das bloße Bestreiten der Klägerin vermag an der Tatsache, dass ihr in Griechenland bereits internationaler Schutz gewährt wurde, nichts zu ändern.
Auch die objektiv rechtswidrig gesetzte Ausreisefrist nach § 38 Abs. 1 AsylG (vgl. hierzu VG Bayreuth, U.v. 1.12.2017 Az. B 3 K 17.33153 – juris) führt nicht zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung, da es sich insoweit um eine eigenständige Entscheidung handelt, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu der getroffenen Abschiebungsandrohung steht.
B.
Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin Verpflichtungsanträge auf Anerkennung als Asylberechtigte bzw. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise auf Gewährung des subsidiären Schutzstatus gestellt hat.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung den mit Klageschriftsatz vom 22.3.2018 gestellten Antrag in Ziffer II. ausdrücklich aufrechterhalten. Eine deutliche Einschränkung des Rechtsschutzbegehrens ist daher unter diesem Gesichtspunkt nicht erkennbar.
Die von der Klägerin insoweit erhobene Verpflichtungsklage ist unzulässig, da diese nicht statthaft ist. Lehnt das Bundesamt – wie hier – es ab, eine sachliche Prüfung des Schutzbegehrens eines Antragstellers vorzunehmen, ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart, um das Rechtsschutzbegehren eines Asylantragstellers zu verwirklichen (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 Az. 1 C 32.14 a.a.O.). Eine derartige Unzulässigkeitsentscheidung ist nach der Rechtsprechung mit der Anfechtungsklage anzugreifen (dazu ausführlich oben).
C.
Soweit die Klage hilfsweise auf Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungsverboten gerichtet war, ist diese zulässig (I.) und begründet (II.).
I. Soweit die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid unter Ziffer 2 festgestellt hat, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen, ist die Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO die statthafte Klageart. Das Bundesamt trifft nämlich auch in den Fällen, in denen der Asylantrag – wie vorliegend – nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgewiesen wird, nach § 31 Abs. 3 AsylG eine Sachentscheidung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann daher dieser Streitgegenstand in den Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.2016 Az. 1 C 4/16 a.a.O.). Dies steht auch nicht im Konflikt zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltenteilung, da eine sachliche Entscheidung des Bundesamts – anders als dies über die Frage der Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Gewährung des subsidiären Schutzes der Fall ist – bereits durch dieses getroffen wurde.
II. Die Klage ist insoweit auch begründet. Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung – § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG – einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) hinsichtlich Griechenlands. Der streitgegenständliche Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Voraussetzungen sind im Rahmen der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vom Bundesamt zu prüfen, § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Maßgeblicher Bedeutung kommt insoweit der Bestimmung des Art. 3 EMRK zu, wonach niemand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden darf. Hieraus folgen neben Unterlassungsauch staatliche Schutzpflichten. Eine Verletzung von Schutzpflichten kommt in Betracht, wenn sich die staatlich verantworteten Lebensverhältnisse von international Schutzberechtigten in Griechenland allgemein als unmenschlich oder erniedrigend darstellen.
1. Griechenland ist als Mitgliedstaat der EU den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards eines gemeinsamen Asylsystems verpflichtet. Es besteht deshalb die auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens basierende Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber dort den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta (EU-GR-Charta) sowie der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und der EMRK entspricht. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das griechische Asylsystem im Allgemeinen im Einklang mit den internationalen und europäischen Standards steht und die wichtigsten Garantien einhält (sog. „Konzept normativer Vergewisserung“, vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 Az. 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris). Die Bundesrepublik Deutschland hat aber Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden können. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann nur erreicht werden, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass einer der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 Az. 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 a.a.O.). Art. 3 EMRK kann aber nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede auf dem Hoheitsgebiet befindliche Person mit einer Unterkunft zu versorgen. Auch enthält Art. 3 EMRK keine generelle Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützungen zu gewähren, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 Az. 39350/13, A.S./Schweiz – juris; U.v. 21.1.2011 Az. 30696/09, M.S.S./Belgien u. Griechenland – juris). Es verstößt demnach grundsätzlich nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn international Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung oder Leistung zu profitieren. Sofern keine außergewöhnlich zwingenden humanitären Gründe vorliegen, die gegen eine Überstellung sprechen, ist allein die Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse nach einer Überstellung erheblich verschlechtern würden, nicht ausreichend, um einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK zu begründen (vgl. EGMR, B.v. 2.4.2013 Az. 27725/10; OVG NRW, U.v. 19.5.2016 Az. 13 A 1490/13.A – juris). Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Verantwortlichkeit eines Staates nach Art. 3 EMRK gegeben sein kann, wenn ein völlig von staatlicher Unterstützung abhängiger Flüchtling mit Gleichgültigkeit seitens des Staates konfrontiert ist, während er sich in einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Situation ernster Bedürftigkeit befindet (EGMR, U.v. 4.11.2014 Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz – juris). Diese für die Gruppe der Asylberechtigten entwickelte Rechtsprechung ist auf diejenige der anerkannten Flüchtlinge, die zurückgeführt werden sollen, zu übertragen.
2. Ob einem in einem anderen Mitgliedstaat anerkannten Flüchtling eine unmenschlich oder entwürdigende Behandlung droht, erfordert grundsätzlich, wie die Feststellung systemischer Mängel im Asylsystem, eine aktuelle Gesamtwürdigung der zur jeweiligen Situation vorliegenden Berichte und Stellungnahmen (vgl. BVerfG, B.v. 21.4.2016 Az. 2 BvR 273/16 – juris). Nach der dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestehen gemessen an den obigen Maßstäben zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass anerkannten Schutzberechtigten ohne besonderen Schutzbedarf in Griechenland generell eine mit Art. 3 EMRK nicht zu vereinbarenden Behandlung droht (2.1). Für den Kläger geht die erkennende Einzelrichterin jedoch aufgrund einer Gesamtbewertung der besonderen Umstände des Einzelfalls davon aus, dass dieser insbesondere als Vater zweier Kleinstkinder zu der Gruppe der besonders schutzbedürftigen Personen gehört, denen ohne eine konkret-individuelle Zusicherung von Seiten Griechenlands eine solche unmenschliche oder entwürdigende Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (2.2).
2.1 Griechenland gewährt anerkannten Schutzberechtigten prinzipiell Zugang zu Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zum Arbeitsmarkt und zur Sozialversicherung. In der Praxis sorgt jedoch – wie auch bei der einheimischen Bevölkerung – die defizitäre ökonomische und staatlich-administrative Situation des Landes für starke Einschränkungen bei der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Rechte (vgl. Bundesamt für …, Länderinformation: Griechenland, Stand: Mai 2017, S. 5 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: BAMF, Länderinformation vom Mai 2017). Das Fehlen von Integrationsmaßnahmen und die fortwährenden Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise in Griechenland führen oftmals zu einer Marginalisierung und sozioökonomischen Exklusion von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Griechenland, Gesamtaktualisierung am 5.8.2016, S. 16 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016). Es gibt zwar eine nationale Integrationsstrategie und einzelne Integrationspolitiken, es fehlen aber zumeist zielgerichtete Maßnahmen zur Umsetzung dieser Integrationspolitiken sowie zur Unterstützung nach der Zuerkennung eines Schutzstatus (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O., m.w.N.). Existierende Integrationsmaßnahmen richten sich in erster Linie an Migranten, nicht an Schutzberechtigte (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016 S. 16 m.w.N., a.a.O.). Der UNHCR hat Fälle dokumentiert, in denen Personen mit Schutztitel nicht über ihre Rechte informiert wurden (vgl. Pro Asyl, Stellungnahme: Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland vom 23.6.2017, S. 12 m.w.N.- abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: Pro Asyl vom 23.6.2017). Hilfsorganisationen können dies teilweise ausgleichen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O.); sie helfen bei der Beantragung von Sozialversicherungsnummer und Steuernummer, bieten Sprachkurse an, unterstützen bei der Arbeitsplatzsuche. Die Angebote konzentrieren sich jedoch auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki (vgl. Auswärtiges Amt an das VG Schwerin vom 26.9.2018, Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland, S. 2 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: AA an VG Schwerin vom 26.9.2018).
Zwar hat das griechische Migrationsministerium in den vergangenen Monaten einen Integrationsplan in Form eines Strategiepapiers erarbeitet, dieser soll jedoch erst in den kommenden Monaten der Öffentlichkeit präsentiert werden und statuiert keine rechtlich bindende Wirkung für z.B. griechische Kommunen; finanzielle Verpflichtungen werden darin nicht definiert (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018 a.a.O.). Ein staatliches Angebot kostenloser Sprachkurse zur Integrationsförderung existiert nicht (vgl. Auswärtiges VG Trier vom 22.12.2016, Lage anerkannter Flüchtlinge in Griechenland, S. 1 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: AA an VG Trier vom 22.12.2016).
Anerkannte Schutzberechtigte haben gleichberechtigten Zugang zum allgemeinen staatlichen Sozialsystem, welches im Februar 2017 neu eingeführt wurde (sog. Soziales Solidaritätseinkommen). Hierzu zählt eine Sozialgeldzahlung von monatlich 200 Euro für einen Erwachsenen, 100 Euro für ein weiteres erwachsenes Haushaltsmitglied und 50 Euro pro Kind im Haushalt (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018 a.a.O.). Mittlerweile ist es auch in der Praxis möglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des Sozialgeldes zu erfüllen. Denn während Schutzberechtigten der Bezug dieser Leistungen bis Anfang 2018 faktisch kaum möglich war (vgl. Pro Asyl vom 23.6.2017, S. 13 und 27 a.a.O.), sind mittlerweile Zugangshürden entfallen. Sie sehen sich jedoch im Vergleich zu Personen, die Griechenland nicht verlassen haben, besonderen Schwierigkeiten konfrontiert. Diese liegen in den Leistungsvoraussetzungen des griechischen Sozialstaats, wonach ein dauerhafter und legaler Aufenthalt im Inland Leistungsvoraussetzung ist. Dabei wird der dauerhafte Aufenthalt grundsätzlich mit einer inländischen Steuererklärung des Vorjahrs dokumentiert (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 3 a.a.O.; Auswärtiges Amt an Verwaltungsgericht Köln vom 7.2.2018, Sozialhilfeleistungen in Griechenland – Alleinstehende Frau mit zwei fünfjährigen Töchtern, S. 3 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: AA an VG Köln vom 7.2.2018). Die notwendigen Unterlagen sind dabei grundsätzlich online und in griechischer Sprache einzureichen; staatlicherseits werden keine Dolmetscher gestellt (vgl. AA an VG Köln vom 7.2.2018, S. 3 a.a.O.; Auswärtiges Amt an Verwaltungsgericht Leipzig vom 27.12.2017, Lage anerkannter Schutzberechtigter in Griechenland, S. 2 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: AA an VG Leipzig vom 27.12.2017). Zudem steht diese Sozialhilfe für von staatlicher Seite untergebrachte Personen nicht zur Verfügung. Sie sind allerdings weiterhin Bezieher der EUfinanzierten Geldleistungen im Rahmen sogenannter Cash-Card Programme, deren Auszahlungsbetrag etwas unterhalb des Niveaus der neu eingerichteten sozialen Grundsicherung liegt (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 4 a.a.O.).
Anerkannte Schutzberechtigte haben seit 2013 laut Präsidialdekret PD 141/2013, Artikel 33, Zugang zu Unterbringung unter den gleichen Bedingungen wie Drittstaatsangehörige, die sich legal in Griechenland aufhalten. Eine staatliche Sozialleistung zur Wohnungsunterstützung – auch für die griechische Bevölkerung allgemein – besteht ebenso wenig wie Hilfe bei der Wohnungssuche. Zwar wurde zum 1.1.2019 eine Wohnungsbeihilfe beschlossen, deren Voraussetzung allerdings ein fünfjähriger dauerhafter Voraufenthalt in Griechenland sein soll. (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5 a.a.O.). Vereinzelt stehen kleinere Wohneinheiten zur Verfügung, die v.a. vom UNHCR angemietet werden. Eine private Anmietung von Wohnungen durch Flüchtlinge ist schwierig, da Vermietungen in der griechischen Gesellschaft traditionell vorzugsweise innerhalb des Familien- und Bekanntenkreises erfolgen (vgl. BAMF, Länderinformation vom Mai 2017, S. 6 a.a.O.); gelegentlich erschweren Vorurteile den Zugang (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5 a.a.O.). Zudem ist es sehr teuer, eine geeignete Unterkunft zu finden, was zu Obdachlosigkeit führen kann (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O.). Eine gesicherte Verwaltungspraxis zum Verbleib anerkannter Schutzberechtigter in Aufnahmezentren existiert weiterhin nicht (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 4 a.a.O.; AA an VG Köln vom 7.2.2018, S. 2 a.a.O.). Sobald Asylbewerber einen Schutzstatus erhalten, müssen die Betroffenen die Unterbringungseinrichtungen für Asylbewerber verlassen (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O.). In der Praxis wird dies aber nicht durchgesetzt, so dass es bislang zu keinen erzwungenen Evakuierungen von Schutzberechtigten aus staatlichen Unterkünften gekommen ist. Mittlerweile wohnt ein Fünftel der rund 21.000 anerkannten Schutzberechtigten in von der Europäischen Union finanzierten Unterkünften, ca. ein weiteres Fünftel lebt in Aufnahmelagern (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018 a.a.O.). Es gibt keine speziellen Unterbringungsmöglichkeiten oder finanzielle Unterstützung für Wohnzwecke für Schutzberechtigte. Diese müssen sich auf dieselben limitierenden sozialstaatlichen Möglichkeiten verlassen, die auch griechischen Bürgern offenstehen. Im Falle von Obdachlosigkeit müssen die Flüchtlinge mit bedürftigen Griechen um die geringen Hilfsmöglichkeiten lokaler Behörden konkurrieren, wobei sie oftmals Diskriminierungen ausgesetzt sind (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O.; Pro Asyl vom 23.6.2017, S. 14 a.a.O.). Besondere staatliche Hilfsangebote für zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte bestehen nicht (vgl. AA an VG Leipzig vom 27.12.2017, S. 3 a.a.O.).
Es besteht ein gesetzlich verankerter unmittelbarer Zugang zum Arbeitsmarkt für anerkannte Schutzberechtigte. Auf Grund der wirtschaftlich kritischen Lage in Griechenland besteht allerdings allgemein eine hohe Arbeitslosigkeit (vgl. AA an VG Trier vom 22.12.2016, S. 1 a.a.O.). Die Chancen zur Vermittlung eines Arbeitsplatzes sind gering; Flüchtlinge haben oftmals auch nicht die richtigen Papiere (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 16 a.a.O.). Die staatliche Arbeitsagentur OAED hat bereits für Griechen kaum Ressourcen für die aktive Arbeitsvermittlung (Betreuungsschlüssel: 1 Mitarbeiter für über 1.000 Arbeitslose) und noch kein Programm zur Arbeitsintegration von Flüchtlingen aufgelegt (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 3 a.a.O.). Sparmaßnahmen betreffen vor allem auch vulnerable Schutzberechtigte (vgl. BFA, Länderinformationsblatt vom 5.8.2016, S. 17 a.a.O.).
Seit Februar 2016 haben anerkannte Schutzberechtigte einen gesetzlichen Anspruch auf unentgeltliche medizinische Behandlung (vgl. AA an VG Trier vom 22.12.2016, S. 2 a.a.O.) und sind in die staatliche Krankenversicherung mit einbezogen (vgl. AA an VG Köln vom 7.2.2018 a.a.O.). Nicht Krankenversicherte erhalten im Rahmen des öffentlichen Gesundheitswesens dieselben Rechte wie die Versicherten. Sämtliche ärztliche Untersuchungen und Eingriffe sind kostenfrei. Bei Operationen in den öffentlichen Krankenhäusern fallen keine Zuzahlungen an, die zahnmedizinische Versorgung ist ebenso kostenfrei wie die Betreuung Schwangerer durch Hebammen. Dasselbe gilt für die Versorgung mit Arzneimitteln aus öffentlichen und privaten Apotheken (vgl. hierzu Ärzteblatt vom 21.7.2016, Griechenland: Nicht Krankenversicherte erhalten Zugang zur Gesundheitsversorgung – abrufbar unter https://www…de, nachfolgend: Ärzteblatt vom 21.7.2016; Griechenland Zeitung vom 12.4.2016, Kostenlose medizinische Versorgung für alle Bürger – abrufbar unter https://www…net, nachfolgend: Griechenland Zeitung vom 12.4.2016). Faktisch sind die staatlichen Kliniken und Gesundheitsträger aber aufgrund der Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise überlastet (vgl. AA an VG Trier vom 22.12.2016, S. 2 a.a.O.). Die Realisierung der genannten Rechte ist in der Praxis nicht stets gewährleistet (vgl. Asylum Information Databaase Update 2016, Country Report: Greece, S. 112, 143 – abrufbar unter https://www…de; nachfolgend: AIDA 2016). Kostenfreie Notfallversorgung im Krankenhaus ist aber gewährleistet (vgl. AA an VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5 a.a.O.).
Zu sehen ist schließlich auch die Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8.12.2016 an die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Überstellung nach Griechenland gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Die Überstellung von Personen nach Griechenland im Rahmen von Dublin-Rückführungen wurde 2011 von den Mitgliedstaaten zunächst weitgehend ausgesetzt, nachdem in den Urteilen des EGMR vom 21.1.2011 (30696/09, M.S.S./Belgien u. Griechenland a.a.O.) und des EuGH vom 21.12.2011 (C-411/10 und C-493/10 – juris) festgestellt worden war, dass das griechische Asylsystem systemische Mängel aufweise, aufgrund der Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, bei einer Überstellung nach Griechenland der Gefahr einer Verletzung ihrer Menschenrechte ausgesetzt wären. Seitdem verfolgt das Ministerkomitee des Europarats die Lage in Griechenland auf der Grundlage von Fortschrittsberichten, die Griechenland als Nachweis dafür vorlegen muss, dass es dem Urteil Folge leistet, und auf der Grundlage von Informationen von in Griechenland tätigen Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen. In der Empfehlung der Europäischen Kommission vom 8.12.2016 an die Mitgliedstaaten stellt diese fest, dass Griechenland seitdem beträchtliche Fortschritte bei der Schaffung der grundlegenden institutionellen und rechtlichen Strukturen erzielt hat, die für ein ordnungsgemäß funktionierendes Asylsystem erforderlich sind. Die Aussichten seien gut, dass das Land in naher Zukunft über ein voll funktionierendes Asylsystem verfügen werde, sobald die verbliebenen Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Aufnahmebedingungen und die Behandlung Schutzbedürftiger, vor allem unbegleiteter Minderjähriger, beseitigt worden seien. Aus diesem Grund sei es angebracht, eine allmähliche Wiederaufnahme der Überstellungen auf der Grundlage von Einzelfallzusicherungen zu empfehlen, wobei die Kapazitäten zur Aufnahme von Asylbewerbern und zur EUrechtskonformen Bearbeitung ihrer Anträge und die gegenwärtig unzulängliche Behandlung bestimmter Personenkategorien (Schutzbedürftige, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger) berücksichtigt werden sollten. Damit Griechenland nicht übermäßig belastet werde, sollten diese Überstellungen sich nur auf Asylbewerber erstrecken, die ab dem 15.3.2017 irregulär über eine Außengrenze nach Griechenland gelangten, oder für die Griechenland aufgrund anderer als der in Kapitel III Artikel 13 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Kriterien ab diesem Zeitpunkt zuständig sei (Rn. 34 und 35 der Empfehlung).
Nach einer Gesamtwürdigung der vorstehenden Erkenntnisse ist festzuhalten, dass anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland im Grundsatz die gleichen (einschränkenden) Rechte wie die einheimische Bevölkerung haben, von der ebenfalls erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgt. Dies ist unionsrechtlich nicht zu beanstanden (so auch VG Berlin, B.v. 6.12.2018 Az. 9 L 703.18 A – juris; VG Hannover, U.v. 22.3.2018 Az. 13 A 12144/17 – juris; VG Chemnitz, B.v. 27.8.2018 Az. 3 L 354/18.A – juris; VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 Az. 3 B 267/17 – juris; a.A. VG Magdeburg, U.v. 26.4.2018 Az. 8 A 101/18 – juris; VG Berlin, U.v. 30.11.2017 Az. 23 K 463.17 A – juris; VG Bremen, B.v. 20.10.2017 Az. 5 V 2274/17 – juris).
2.2 In Bezug auf besonders schutzbedürftige Personen geht das Gericht jedoch aufgrund der Gesamtwürdigung der vorliegenden Erkenntnismittel davon aus, dass diese ohne einer besonderen Zusicherung von Seiten der zuständigen griechischen Behörden bei einer Rückkehr mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in die Gefahr der Obdachlosigkeit und in eine existenzielle Notlage geraten würden, die sie nicht aus eigener Kraft abwenden könnten, weshalb eine Überstellung – wie im vorliegenden Fall – eine menschenrechtswidrige Behandlung darstellt (so auch VG München, B.v. 12.1.2018 Az. M 28 S 17.35846 – juris m.w.N.; VG Düsseldorf, B.v. 17.5.2017 Az. 12 L 1978/17.A – juris; VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 Az. 3 B 267/17 a.a.O. m.w.N.).
Demnach ist der grundsätzlich gewährte Zugang zu Sozialleistungen, zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen geprägt. Der jeweilige Schutzberechtigte muss daher grundsätzlich befähigt sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei vulnerablen Personen kann sich daher die Verweigerung staatlicher Hilfeleistungen zu einer existenzbedrohenden Gefahr verdichten. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hängt das Ausmaß, in dem der Einzelne von den zweifelsohne harten Lebensbedingungen für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland getroffen wird, von den individuellen Verhältnissen des jeweiligen Einzelnen statt; die Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots hat daher immer mit Blick auf diese zu erfolgen (vgl. VG Saarland, B.v. 27.12.2016 Az. 3 L 2691/16 – juris). Insoweit ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass anerkannte Schutzberechtigte, anders als die griechische Bevölkerung, nicht über ein familiäres Netzwerk verfügen, welches in Griechenland bei der sozialen Absicherung eine besondere Rolle spielt (vgl. AA an VG Trier vom 22.12.2016, S. 2 a.a.O.). Bei der aktuellen Lage in Griechenland kann aus Sicht des Gerichts nur mit konkret-individuellen Zusicherungen den Vorgaben des EGMR zu vulnerablen Personengruppen entsprochen werden.
Für die Klägerin geht das Gericht aufgrund der Bewertung der Umstände des Einzelfalls davon aus, dass diese zu den besonders schutzbedürftigen Personen im obigen Sinne gehört. Hierzu zählen neben Familien mit Kleinstkindern auch Personen mit behandlungsbedürftigen, schweren Krankheiten oder gravierenden psychischen Störungen. Eine Überstellung nach Griechenland verstößt daher nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn die griechischen Behörden für die Klägerin eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach sie eine Unterkunft erhält und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind. Die vom EGMR in der „Tarakhel“-Entscheidung dargelegten Grundsätze sind auch auf Personen anzuwenden, die mit einem Schutzstatus in den diesen gewährenden Drittstaat rücküberstellt werden sollen (vgl. VG Göttingen, B.v. 26.4.2017 Az. 3 B 267/17 a.a.O.).
Die Klägerin legte dem Gericht mehrere aktuelle Atteste und (vorläufige) Entlassungsbriefe vor. Der Facharzt für Neurologie Dr. … diagnostizierte mit Schreiben vom 18.10.2018 eine chronische therapieresistente Cephalgie vom Migräne- und Spannungskopfschmerz-Typ, Tremor, über Tage anhaltende Schläfrigkeit, vermutlich im Rahmen der somatoformen Störung sowie eine Neigung zu Synkopen (kurz andauernde Bewusstlosigkeit). Im Rahmen des neurologischen Befunds stellte der Facharzt fest, dass die Klägerin blass war und einen atypisch wirkenden grobschlägigen Ruhetremor der Extremitäten aufweist. Zudem liegt aufgrund einer Fremdanamnese eine Neigung zu Bewusstlosigkeitszuständen mit anschließender Schläfrigkeit über mehrere Tage vor. Die Klägerin wurde daraufhin in die psychosomatische Klinik Simbach/Inn eingewiesen. Laut Entlassungsbrief des Krankenhauses Rotthalmünster befand sich die Klägerin vom 11.11.2018 bis zum 12.11.2018 dort in stationärer Behandlung. Nach dem vorläufigen Entlassungsbrief des AMEOS Klinikum Inntal in Simbach am Inn befand sich die Klägerin dort vom 19.12.2018 bis zum 16.1.2019 in akutstationärer Behandlung. Dabei wurde bei der Klägerin eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, sonstige somatoforme Störungen (Bruxismus), Migräne mit Aura, Rückenschmerzen im Lumbosakralbereich, Gelenkschmerzen, Unterschenkelsowie Halsschmerzen und Erkältungsschnupfen diagnostiziert. Die medikamentöse Behandlung beläuft sich auf 30 mg Mirtazapin. Als weiterführende Behandlung wurde eine Vorstellung beim niedergelassenen Hausarzt und Psychiater sowie eine weiterführende ambulante Psychotherapie empfohlen. Die Klägerin wurde zudem als arbeitsunfähig eingestuft. Mit Schreiben vom 12.2.2018 diagnostizierte wiederum der Facharzt für Neurologie Dr, … eine Migräne mit Aura, eine depressive Störung und eine somatoforme Störung mit chronischen Schmerzen, Tremor und Ungeschicklichkeit der Hände. Diese Diagnose beruht auf der Anamnese: „Vorstellung nach Abschluss der stationären Behandlung in der Klinik AMEOS Klinikum Inntal, Simbach/Inn. Es wurde eine schwere depressive Episode, somatoforme Störung, chronische Schmerzstörung bestätigt. Therapie mit Mirtazapin 30 mg zur Nacht“. Auf neurologischem Gebiet besteht daher eine chronische Migräne und eine schwere somatoforme Störung mit Tremor, Kraftlosigkeit der Hände und eine depressive Störung. Der Facharzt empfiehlt im Verlauf eine Wiederholung der stationären Behandlung in der psychosomatischen Klinik. Die Klägerin gibt in der mündlichen Verhandlung zudem selbst an, sie wünsche sich, arbeiten zu können, sei dazu aber gerade nicht in der Lage. Das Gericht geht daher unter Gesamtwürdigung dieser Umstände im Einzelfall davon aus, dass die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu den besonders schutzbedürftigen Personen nach Art. 21 ff. der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (EU-Aufnahmerichtlinie) bzw. zum besonders vulnerablen Personenkreis gehört und selbst unter Zuhilfenahme der vorhandenen Unterstützung nicht in der Lage sein wird, in absehbarer Zeit eine Lebensgrundlage für sich zu schaffen und ihr Existenzminimum zu sichern. Ohne Arbeit besteht für die Klägerin aber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Obdachlosigkeit und einer existenziellen Notlage. Die Klägerin hat auch kein Netzwerk in Griechenland, auf dessen Unterstützung sie zurückgreifen könnte.
Das Bundesamt wäre deshalb verpflichtet gewesen, konkrete Zusagen zur Unterbringung der Klägerin einzuholen oder zumindest auf andere Weise sicher zu stellen, dass der speziellen Situation Rechnung getragen wird. Eine solche individuelle Zusicherung der zuständigen griechischen Stellen ist für die Klägerin aber bisher nicht erteilt worden und auch nicht mehr zu erwarten. Zwar hat das griechische Ministerium für Migration in einem Schreiben vom 8.1.2018 mitgeteilt, dass Griechenland die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umgesetzt hat. Den international Schutzberechtigten würden alle aus dieser Richtlinie erwachsenden Rechte unter Berücksichtigung der Vorgaben der EMRK gewährt. Das Gericht geht jedoch davon aus, dass dieses Schreiben keine konkret-individuelle Zusicherung sondern nur eine allgemeine Absichtserklärung ist. Diese ist jedoch nicht geeignet, die bestehende Befürchtung einer Verletzung von Art. 3 EMRK auszuräumen. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist eine konkrete und individuelle Stellungnahme erforderlich, die nähere Details zu den spezifischen Bedingungen enthalten muss, in welcher konkreten Einrichtung die Betreffenden untergebracht werden. Es müssen, wie der EGMR ausgeführt hat, hinreichende detaillierte und verlässliche Informationen betreffend die konkrete Einrichtung und die materiellen Aufnahmebedingungen geliefert werden; die Unterbringungsbedingungen müssen demnach konkret dargestellt sein (vgl. EGMR, U.v. 4.11.2014 Az. 29217/12, Tarakhel/Schweiz a.a.O.). Dies lässt sich dem Schreiben der griechischen Behörden vom 8.1.2018 in Bezug auf die Klägerin nicht entnehmen.
Als Folge der Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots war nicht nur Ziffer 2 des Bescheids aufzuheben, sondern auch die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 Sätze 1 bis 3 sowie die Regelung zum gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4. Zu Gunsten der Klägerin und unter Auslegung des Klagebegehrens geht die erkennende Einzelrichterin davon aus, dass die Aufhebung der in Ziffer 3 Satz 4 des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Feststellung, dass die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe, nicht begehrt wird, § 88 VwGO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Entscheidung war im Kostenpunkt gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) für vorläufig vollstreckbar zu erklären.


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