Verwaltungsrecht

Schadensersatz wegen unterbliebener Beförderung

Aktenzeichen  6 ZB 19.2515

Datum:
3.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16931
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 2
BBG § 126 Abs. 2
BGB § 839 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Das obligatorische Widerspruchsverfahren in beamtenrechtlichen Angelegenheiten dient der Selbstkontrolle der Verwaltung‚ dem individuellen Rechtsschutz und der Entlastung der Verwaltungsgerichte. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ausnahmsweise kann die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich sein, wenn die Zwecke eines Vorverfahrens schon auf andere Weise erreicht worden sind oder nicht mehr erreicht werden können; dies gilt auch, wenn der Beklagte sich im Klageverfahren vorbehaltlos zur Sache einlässt. (Rn. 11) (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Beamter kann Ersatz des ihm durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21a K 19.1987 2019-09-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 25. September 2019 – M 21a K 19.1987 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. In Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. September 2019 wird der Streitwert für beide Rechtszüge auf je 22.289,34 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg.
Die innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor oder wurden nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Der Kläger stand als Technischer Posthauptsekretär (Besoldungsgruppe A 8) bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze mit Ablauf des 30. April 2019 im Dienst der Beklagten. Mit Wirkung zum 15. Dezember 2016 war ihm ein Dienstposten bei der Service Niederlassung Fuhrparkmanagement, … Group, als Sachbearbeiter Technisches Instandhaltungsmanagement übertragen worden. Dieser war gebündelt nach A 9vz, A 9 bis A 11 bewertet.
Am 26. April 2019 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und beantragen, die Beklagte zu verurteilen, ihn dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so zu stellen, als ob er ab dem 1. Januar 2018 zum Technischen Betriebsinspektor mit der Besoldungsgruppe A 9 befördert worden wäre.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2019 aus zwei die Entscheidung selbstständig tragenden Erwägungen abgewiesen: Zum einen sei die Klage unzulässig, weil das nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Zum anderen hätte die Klage, selbst wenn das Vorverfahren durchgeführt worden wäre, in der Sache nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB keinen Erfolg gehabt, weil der Kläger ihm mögliche und zumutbare Rechtsbehelfe unmittelbar gegen die beanstandete Unterlassung der Beförderung ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen habe.
2. Die mit dem Zulassungsantrag gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Einwendungen bleiben ohne Erfolg und bedürfen keiner weiteren Prüfung oder Aufklärung in einem Berufungsverfahren.
Es bestehen bereits erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit des Zulassungsantrags. Dieser setzt sich nämlich mit den beiden tragenden Erwägungen des verwaltungsgerichtlichen Urteils nicht substantiiert auseinander, sondern wiederholt im Wesentlichen lediglich die Klagebegründung, wonach der Kläger spätestens ab dem 1. Januar 2018 nach erfolgreicher Erprobung auf dem höherwertigen Dienstposten die Voraussetzungen einer Beförderung erfüllt habe. In jedem Fall ist der Zulassungsantrag unbegründet.
a) An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 26.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
aa) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Klage bereits unzulässig ist, weil vor Klageerhebung nicht das nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG erforderliche Vorverfahren durchgeführt worden ist. Nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG ist vor allen Klagen von Beamten ein Vorverfahren nach den Vorschriften des 8. Abschnitts der Verwaltungsgerichtsordnung durchzuführen. Deshalb ist eine Klage aus dem Beamtenverhältnis unabhängig von der Klageart erst nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens zulässig (BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 6 ZB 17.1863 – juris Rn 8).
Das Vorverfahren soll grundsätzlich zum einen im öffentlichen Interesse eine Selbstkontrolle der Verwaltung durch die Widerspruchsbehörde ermöglichen. Außerdem soll es zu einem möglichst effektiven individuellen Rechtsschutz beitragen: Für den Betroffenen soll eine gegenüber der gerichtlichen Kontrolle zeitlich vorgelagerte und ggf. erweiterte Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet werden. Dabei hat der Beamte sein Begehren zu konkretisieren. Denn nur dies gibt dem Dienstherrn Gelegenheit zu verwaltungsinterner Prüfung und zu dem Versuch, einen gerichtlichen Rechtsstreit zu vermeiden‚ sei es durch Abhilfe‚ durch gütliche Einigung oder durch nähere Begründung seines Rechtsstandpunktes (vgl. BVerwG, U.v. 28.6.2001 – 2 C 48.00 – juris Rn. 12 ff.). Schließlich soll das Vorverfahren im öffentlichen Interesse die Gerichte entlasten und damit Ressourcen schonen helfen („Filterwirkung“). Diese dreifache normative Zwecksetzung eines Widerspruchsverfahrens ist allgemein anerkannt (vgl. BVerwG, U.v. 15.9.2010 – 8 C 21.09 – juris Rn. 30 m.w.N.; BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 6 ZB 17.1863 – juris Rn 9).
Auch das nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG obligatorische Widerspruchsverfahren in beamtenrechtlichen Angelegenheiten dient der Selbstkontrolle der Verwaltung‚ dem individuellen Rechtsschutz und der Entlastung der Verwaltungsgerichte (vgl. BVerwG‚ U.v. 30.10.2013 – 2 C 23.12 – juris Rn. 20). Da es damit mehreren Zwecken dient, steht es weder im Belieben der Verwaltungsbehörden noch in dem des jeweiligen Rechtsschutzsuchenden, hierauf umstandslos zu verzichten. Wenn allerdings die genannten Zwecke eines Vorverfahrens schon auf andere Weise erreicht worden sind oder nicht mehr erreicht werden können‚ wäre ein Widerspruchsverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts funktionslos und daher ausnahmsweise entbehrlich (BVerwG, U.v. 15.9.2010 – 8 C 21.09 – juris Rn. 30). Seine Durchführung würde dann einen sachlich nicht zu rechtfertigenden Formalismus darstellen‚ der die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes unnötig verzögert. Ob diese Voraussetzung im konkreten Fall vorliegt, bestimmt sich allerdings nicht nach der subjektiven Einschätzung des Rechtsschutzsuchenden; vielmehr ist auf einen objektiven Beurteilungsmaßstab abzustellen (BayVGH – B.v.1.2.2018. – 6 ZB 17.1863 – juris Rn. 10).
Dies zugrunde gelegt, war die Durchführung eines Vorverfahrens vorliegend nicht entbehrlich. Der Kläger selbst legt nicht dar‚ dass er vor seiner Klage vom 26. April 2019 schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde gemäß § 70 Abs. 1 VwGO Widerspruch gegen die von der Beklagten unterlassene Beförderung eingelegt hätte oder diese mit dem von ihm geltend gemachten Schadensersatzanspruch bereits konfrontiert gewesen wäre.
Auch ein vorbehaltloses Einlassen der Beklagten zur Sache im Klageverfahren, das ausnahmsweise die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens entbehrlich machen könnte, liegt nicht vor. In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte vielmehr ausgeführt, dass sie die Klage mangels Durchführung des erforderlichen Vorverfahrens für unzulässig hält (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2013 – 2 C 23.12 – juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 1.2.2018 – 6 ZB 17.1863 – juris Rn. 11).
bb) Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die Klage auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte, selbst wenn der Kläger das obligatorische Vorverfahren durchgeführt hätte, weil er es vorwerfbar unterlassen hat, primären Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
Rechtsgrundlage für das vom Kläger geltend gemachte Begehren ist der beamtenrechtliche Schadensersatzanspruch. Dieser findet seinen Rechtsgrund im Beamtenverhältnis und begründet einen unmittelbar gegen den Dienstherrn gerichteten Ersatzanspruch für Schäden, die aus einer Verletzung der aus dem Beamtenverhältnis folgenden Pflichten entstehen (BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 2 C 12.14 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 7.6.2019 – 6 ZB 18.2341 – juris Rn. 8). Ein Beamter kann danach von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch eine Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, dem Beamten das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden wäre und dieser es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (ständige Rechtsprechung, BVerwG, U.v. 15.6.2018 – 2 C 19.17 – juris Rn. 11; U.v. 19.3.2015 – 2 C 12.14 – juris Rn. 12; U.v. 26.1.2012 – 2 A 7.09 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 6.8.2019 – 6 ZB 19.584 – juris Rn. 9; B.v. 7.6.2019 – 6 ZB 18.2341 – juris Rn. 8).
Gemessen an diesem Maßstab ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass dem Kläger der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch deshalb nicht zusteht, weil er ihm mögliche und zumutbare Rechtsbehelfe des Primärrechtsschutzes gegen die unterlassene Beförderung ohne hinreichenden Grund nicht in Anspruch genommen hat. Bei rechtswidrigem Handeln des Staates soll der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz im Vordergrund stehen. Dem Betroffenen soll die von der Rechtsordnung missbilligte Wahlmöglichkeit genommen werden, entweder den rechtswidrigen Hoheitsakt mit ordentlichen Rechtsschutzmitteln anzugreifen oder aber ihn hinzunehmen und zu liquidieren, d.h. untätig zu bleiben und sich den Schaden finanziell abgelten zu lassen (kein „Dulde und liquidiere“). Nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und in zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat. (BVerwG, U.v. 15.6.2018 – 2 C 20.17 – juris Rn. 22 ff.; B.v. 3.11.2014 – 2 B 24.14 – juris Rn. 7 m.w.N.; BayVGH, B.v. 6.8.2019 – 6 ZB 19.584 – juris Rn. 11; B.v 7.6.2019 – 6 ZB 18.2341 – juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 – 6 ZB 18.1025 – juris Rn. 11; B.v. 26.6.2018 – 6 ZB 17.2287 – juris Rn. 5). Dies hat der Kläger nicht getan. Vielmehr hat er nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bis zur Klageerhebung am 26. April 2019 überhaupt kein Rechtsmittel ergriffen und bis auf die von ihm im Zulassungsantrag genannten mehrmaligen, offensichtlich lediglich mündlichen Aufforderungen, ihn zu befördern, keine Anstrengungen unternommen, um die erforderlichen Schritte gegen die – aus seiner Sicht – rechtswidrig unterbliebene Beförderung einzuleiten und die dafür zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.
b) Die Rechtssache weist aus den oben dargelegten Gründen keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
c) Der Kläger hat keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dargelegt.
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer erstens eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, zweitens ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, drittens erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und viertens darlegen, weshalb ihr eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung zukommt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72). Hier fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechts- oder Tatsachenfrage, die einer fallübergreifenden Klärung zugeführt werden soll.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 3, § 40, § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 bis 3 GKG (vgl. Nr. 10.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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