Verwaltungsrecht

Schulpflicht

Aktenzeichen  M 3 S 20.187

Datum:
26.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49605
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 6 Abs. 2
GG Art. 7 Abs. 1
BayEUG Art. 76
BayLStVG Art. 7 Abs. 2
BayVwZVG Art. 36

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Antragsteller sind Eltern der drei schulpflichtigen Kinder C. (geboren am … 2007), S. (geboren am … 2009) und T. (geboren am … 2012).
Nachdem es bereits bei den beiden älteren Geschwistern massive Probleme mit dem Schulbesuch gegeben hatte, besuchte auch das seit dem Schuljahr 2019/2020 schulpflichtige jüngste Kind der Antragsteller seit dem 7. Oktober 2019 die Schule nicht mehr, wobei es auch schon vorher an sechs von 18 Schultagen unentschuldigt gefehlt hatte.
Nachdem bereits ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Antragstellerin zu 1) durchgeführt worden war, ein familiengerichtliches Verfahren und mehrere Gespräche mit den Antragstellern stattgefunden hatten und die Antragsteller für die beiden älteren Geschwister mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 beim Staatlichen Schulamt beantragt hatten, dass die Schulpflicht ruhen solle, hilfsweise, dass beide Kinder für das Schuljahr 2019/2020 vom Präsenzunterricht beurlaubt würden, weiter hilfsweise, dass die Teilnahme an einer Fernbeschulung als schulpflichtersetzende Maßnahme anerkannt und gestattet würde, teilte das Landratsamt Traunstein den Antragstellern mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 mit, dass das Schulamt beabsichtige, diese Anträge abzulehnen.
Weiter wurden die Antragsteller mit diesem Schreiben zu der Absicht angehört, sie per Bescheid zu verpflichten, ihre schulpflichtigen Kinder beschulen zu lassen.
Mit Bescheid des Landratsamts Traunstein vom 6. November 2019, zugestellt am 7. November 2019, wurden die Antragsteller verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die drei Kinder regelmäßig am Unterricht der zuständigen Grund- und Mittelschule R … teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen (Ziffer 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Ziffer 2). Für den Fall der Nichterfüllung der Pflichten nach Ziffer 1 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 200,- € pro Elternteil für jedes schulpflichtige Kind, das vom ersten Tag nach Zustellung des Bescheides an auch nur einem Tag ohne schulrechtlich ausreichende Entschuldigung dem Unterricht fernbleibt, angedroht (Ziffer 3).
Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 20. November 2019 Widerspruch, über den noch nicht entschieden wurde, und beantragten außerdem die Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides (Sofortvollzug der Ziffer 1).
Mit Schreiben vom 22. November 2019 lehnte das Landratsamt den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung ab.
Mit Schreiben vom 14. Januar 2020 teilte das Landratsamt den Antragstellern mit, dass das Zwangsgeld wegen des Fernbleibens vom Unterricht des Sohnes T am 13. Januar 2020 fällig geworden ist und übersandte eine entsprechende Kostenrechnung.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 15. Januar 2020, eingegangen am selben Tag, beantragten die Antragsteller beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 20. November 2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. November 2019 (Ziffer 1) wiederherzustellen, sowie
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 20. November 2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. November 2019 (Ziffer 3) anzuordnen.
Außerdem beantragten die Antragsteller,
den Antragstellern unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung zu gewähren.
Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wurde nicht vorgelegt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Ausgangsbescheid erweise sich als offensichtlich rechtswidrig, es fehle bereits an einer Ermächtigungsgrundlage für dessen Erlass. Die herangezogene Norm des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des LStVG könne nicht Ermächtigungsgrundlage sein. Die Norm sei verfassungswidrig, es werde ein Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip gerügt. Die Norm habe in der hier einzig in Betracht kommenden Tatbestandsvariante die Voraussetzung, dass „rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen“, vorliegen müssten. Gemäß dem Grundsatz der Gewaltenteilung sei die Feststellung, ob eine rechtswidrige Tat vorliege, ausschließlich und endgültig den Gerichten vorbehalten. Eine Vorverlagerung der Prüfung der Rechtswidrigkeit auf die Ordnungsbehörden sei mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz nicht vereinbar.
Die Norm könne aber auch deshalb nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen werden, da das BayEUG im sechsten Teil „Maßnahmen zur Durchsetzung der Schulpflicht, Ordnungswidrigkeiten“ die Möglichkeiten zur Durchsetzung des Schulzwangs abschließend regele.
Letztlich scheitere die Anwendung des Art. 7 Abs. 2 LStVG auch an Abs. 4 der Norm, wonach die Freiheit der Person und die Unverletzlichkeit der Wohnung durch Maßnahmen aufgrund der Absätze 2 und 3 nicht eingeschränkt werden dürften. Mit dieser Anordnung werde die Freiheit zumindest der drei Kinder eingeschränkt. Auch fehle es an einem eigenständigen Regelungsgehalt der Anordnung, sie stelle sich als lediglich normwiederholend den Bestimmungen über die Schulpflicht entsprechend dar.
Der Bescheid erweise sich aus weiteren Gründen als offensichtlich rechtswidrig: bereits die Sachverhaltsermittlungen träfen nicht zu. Insbesondere treffe nicht zu, dass die Eltern seit geraumer Zeit nicht mehr dafür sorgten, dass ihre drei Kinder in Erfüllung der Schulpflicht die Schule besuchten. Die Eltern hätten im Rahmen und in den Grenzen ihrer Erziehungsverantwortung alles dafür getan, dass den Kindern der Schulbesuch wieder möglich werde. Zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses seien – auf Veranlassung der Eltern – die Bedingungen für einen Wiedereinstieg in die Schule bereits besprochen gewesen. In Anbetracht der enormen Gefahr für das psychische Wohlergehen der Kinder sei hier gerade eine Eilbedürftigkeit auszuschließen. Jeglicher Zwang und Druck führe nachweislich zu einer Traumatisierung der Kinder und löse erhebliche Schäden in der Psyche aus.
Weiter entspreche es nicht den Tatsachen, dass das Verhalten der Eltern den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfülle. Die weitere Behauptung, die Eltern weigerten sich wissentlich und willentlich, ihre gesetzlichen Verpflichtungen aus dem BayEUG zu erfüllen, entbehre ebenfalls der Grundlage.
Den Kindern drohe bei einem Nichtschulbesuch überhaupt keine Gefahr. Im Gegenteil werde gerade bei Kindern, die aus eigenen nachvollziehbaren Gründen den Schulbesuch ablehnten, die zwangsweise Durchsetzung desselben zu einer eigenständigen Gefahr. Es bestünde die Gefahr, dass durch einen erzwungenen Schulbesuch es tatsächlich zu krankheitsbedingten Fehlzeiten komme, eine endgültige Schul- und vor allem Bildungsverweigerung stattfinde und schließlich das gesunde Bindungsverhältnis zwischen Eltern und ihren Kindern gestört zu werden drohe. Diese Gefahr wiederum müssten die Eltern aufgrund ihrer Erziehungsverantwortung jedoch verhindern. Die Eltern befänden sich damit in einem unauflösbaren Dilemma.
Es bleibe festzuhalten, dass den Eltern keine „erlaubten“ Erziehungsmaßnahmen zur Seite stünden, um den Schulbesuch gegen den Willen der Kinder zwangsweise durchzusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge abzulehnen.
Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und speziell der angeordnete Sofortvollzug sei angesichts der Vorgeschichte und der jetzigen Situation erforderlich, um den Schulbesuch der Kinder der Antragsteller zu gewährleisten.
Das Sorgerechtsverfahren sei übrigens am 18. November 2019, d.h. in der Zeit eingestellt worden, als die Kinder der Antragsteller die Schule (wohl infolge des vorangegangenen streitgegenständlichen Bescheids) besucht hätten.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat eine Klage gegen einen Verwaltungsakt grundsätzlich aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass dieser zunächst nicht befolgt werden muss und nicht vollstreckt werden kann. Die aufschiebende Wirkung entfällt indes nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn der Verwaltungsakt im öffentlichen Interesse von der Behörde, die ihn erlassen hat, für sofort vollziehbar erklärt wird. Dies ist vorliegend geschehen. Dem Erfordernis aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, das besondere Interesse am sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen, ist die Behörde nachgekommen.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht, das über eine Klage zu entscheiden hat, auf Antrag deren aufschiebende Wirkung wiederherstellen oder anordnen. Für die vom Gericht im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende eigene Ermessensentscheidung kommt es auf eine Abwägung der öffentlichen Interessen an der sofortigen Vollziehung mit den privaten Interessen der Antragsteller an. In erster Linie fallen dabei die Erfolgsaussichten der Antragsteller in einem eventuellen Hauptsacheverfahren, wie sie augenblicklich beurteilt werden können, ins Gewicht. Ist die Erfolgsaussicht mit genügender Eindeutigkeit zu verneinen, ist der Antrag grundsätzlich abzulehnen; ist sie offensichtlich zu bejahen, ist die aufschiebende Wirkung in der Regel wiederherzustellen. Im Übrigen kommt es auch darauf an, wie schwer die angegriffene Maßnahme durch ihren Sofortvollzug in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreift, ob und unter welchen Erschwernissen sie wieder rückgängig zu machen ist und wie dringlich demgegenüber das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des angegriffenen Verwaltungsakts zu bewerten ist (vgl. BayVGH, B. v. 7.4.1995, 7 CS 95.1163 – m.w.N.).
Von diesen Grundsätzen ausgehend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entlassung die privaten Interessen der Antragsteller, da sich der Bescheid des Antragsgegners nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 6. November 2019 ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Danach können die Sicherheitsbehörden, falls sie nicht anderweitig hierzu ermächtigt sind, Anordnungen für den Einzelfall treffen, um rechtswidrige Taten zu unterbinden, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen. Von den in Art. 6 LStVG genannten Sicherheitsbehörden ist hier das Landratsamt als Kreisverwaltungsbehörde zuständig, da den Kreisverwaltungsbehörden gemäß Art. 118 BayEUG die Durchsetzung des Schulzwangs obliegt.
Das Verhalten der Antragsteller erfüllt den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Ihre Kinder sind gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 BayEUG schulpflichtig. Gemäß Art. 76 Satz 1 BayEUG müssen die Erziehungsberechtigten dafür sorgen, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen und die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen. Dieser Verpflichtung widersetzen sich die Antragsteller. Ohne den Erlass des angefochtenen Bescheides würden ihre Kinder weiter nur sporadisch die staatliche Schule besuchen, ansonsten zu Hause unterrichtet. Dies erfüllte in der Vergangenheit und würde zukünftig weiter den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG erfüllen (vgl. BayObLG, B. v. 14.10.1999, 3 ObOWi 96/99 – juris). Nach dieser Vorschrift kann mit Geldbuße belegt werden, wer entgegen Art. 76 Satz 2 BayEUG nicht dafür sorgt, dass minderjährige Schulpflichtige am Unterricht regelmäßig teilnehmen.
Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist keine generelle Verweigerungshaltung der Antragsteller erforderlich. Es genügt, dass sich die Antragsteller weigern, durch entsprechende Erziehungsmaßnahmen dafür zu sorgen, dass ihre Kinder regelmäßig die Schule besuchen. Auch bei einer gewaltfreien Erziehung im Sinne des § 1631 BGB bestehen ausreichende erzieherische Möglichkeiten, das Verhalten der Kinder zu beeinflussen, ohne dabei Gewalt im Sinne des Gesetzes ausüben zu müssen.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung ist nicht erkennbar, da Ordnungswidrigkeiten regelmäßig von Verwaltungsbehörden beurteilt und verfolgt werden. Eine gerichtliche Überprüfung wird dadurch nicht verhindert.
Für die Frage, ob eine gegenüber der Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 BayLStVG vorrangige Spezialbefugnis greift, ist maßgeblich, ob diese den Sachverhalt abschließend regelt (BayVGH, B. v. 17.11.2016, 20 ZB 16.1897 – juris). Eine abschließende Regelung bei den Bestimmungen des sechsten Teils des BayEUG (Art. 118 und 119 BayEUG) ist nicht erkennbar. Insbesondere richtet sich der Schulzwang des Art. 118 Abs. 1 BayEUG lediglich gegen die schulpflichtigen Schüler. Dass dadurch Maßnahmen gegen die Unterbindung von Ordnungswidrigkeiten gemäß Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 BayEUG gegen die gemäß Art. 76 Satz 2 BayEUG verpflichteten Erziehungsberechtigten ausgeschlossen werden sollen, ist in keiner Weise erkennbar.
Die Tochter C. der Antragsteller ist entsprechend ihrem Alter grundsätzlich der Mittelschule zuzuordnen, die Söhne S. und T. der Grundschule. Die entsprechende Pflichtschule für die Kinder der Antragsteller ist die Grund- und Mittelschule R …, deren Besuch mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. November 2019 gefordert wird.
Es ist kein Anhalt dafür ersichtlich, dass die Kinder Schüler einer staatlich genehmigten Ersatzschule wären, an der die Schulpflicht erfüllt werden kann (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2, 90 Satz 3, 92 Abs. 1 BayEUG). Das gilt auch für den Besuch einer hierfür geeigneten Ergänzungsschule (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 102 BayEUG). Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Kinder eine Schule außerhalb Bayerns besuchen würden, die den genannten in Bayern gelegenen Schulen, mit deren Besuch die Schulpflicht erfüllt werden könnte, gleichwertig ist. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des nach den Regelungen des Schulrechts vorgesehenen Hausunterrichts ist ebenfalls nichts ersichtlich. Hausunterricht kann nach Art. 23 Abs. 2 Satz 1 BayEUG nur für längerfristig kranke oder aus gesundheitlichen Gründen nicht schulbesuchsfähige Schüler erteilt werden. Die Kinder der Antragsteller sind weder längerfristig krank noch aus gesundheitlichen Gründen am Schulbesuch verhindert.
Anordnungen nach Art. 7 Abs. 2 LStVG stehen im Ermessen der Behörde. Das Landratsamt hat dies erkannt und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben hiervon ordnungsgemäßen Gebrauch gemacht.
Die zwangsweise Durchsetzung der Schulpflicht verstößt nicht gegen höherrangiges Recht und insbesondere nicht gegen das elterliche Erziehungsrecht der Antragsteller aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 des GG.
Das elterliche Sorgerecht ist schon für sich genommen nicht unbegrenzt. Auch die elterlichen Rechte finden ihre Rechtfertigung letztlich allein im Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe. So wird mit dem Begriff elterliche Sorge in §§ 1626 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), durch die Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG weiter ausgefüllt wird, klargestellt, dass Eltern keinen Machtanspruch gegenüber ihren Kindern haben, da diese kein Rechtsobjekt ihrer Eltern sind. Nur ein derart verstandenes Sorgerecht wird der Stellung des Kindes als Grundrechtsträger gerecht. Das Kind ist ein Wesen mit Menschenwürde und eigenem Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG. Eine Verfassung, die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihrer Gewährleistung stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen. Dem entspricht es, das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht in Art. 6 Abs. 2 GG als eine komplexe Verknüpfung von Rechten und Pflichten zu sehen, wobei die Pflicht nicht lediglich eine das Recht begrenzende Schranke, sondern einen wesensbestimmenden Bestandteil des Elternrechts darstellt, das insoweit besser als Elternverantwortung bezeichnet werden kann (vgl. BVerfG, B. v. 13.5.1986 – 1 BvR 1542/84 -).
Art. 6 Abs. 2 GG enthält zudem keinen ausschließlichen Erziehungsauftrag der Eltern. Der Staat ist im Bereich der Schule nicht auf das ihm durch Art. 6 Abs. 2 GG zugewiesene Wächteramt beschränkt. Der staatliche Erziehungsauftrag, den Art. 7 Abs. 1 GG beinhaltet, ist im Bereich der Schule dem Elternrecht nicht nachsondern gleichgeordnet (vgl. BVerfG, B. v. 31.5.2006 – 2 BvR 1693/04 – m.w.N.). Nach der einhelligen Meinung der Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, wird das Elternrecht durch die allgemeine Schulpflicht in verfassungskonformer Weise eingeschränkt. Die Eltern können die Erfüllung der Schulpflicht nicht unter Berufung auf eine Glaubens- und Gewissensfreiheit oder auf andere Gründe, aus denen sie die öffentliche Schule für ungeeignet halten, verweigern (vgl. BVerfG, B. v. 5.9.1986 – 1 BvR 794/86 – juris; B. v. 21.4.1989 – 1 BvR 235/89 – juris; BVerwG, B. v. 15.11.1991 – 6 B 16/91 – juris; BayVGH, B. v. 16.3.1992 – 7 CS 92.512 – juris; B. v. 27.9.2000 – 7 ZS 00.2403 – juris). Die Schulpflicht ist in Bayern durch Art. 129 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern (BV) verfassungsrechtlich verankert. Nach Art. 131 Abs. 1 BV sollen die Schulen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden und damit auch erziehen. Diese Erziehung hat sich an den in Art. 131 Abs. 2 BV festgelegten Erziehungszielen zu orientieren. Der Staat kann diesem Erziehungsauftrag nur dann nachkommen, wenn die Kinder kontinuierlich in Schulen unterrichtet und erzogen werden, die er entweder selbst betreibt oder aber die Errichtung und den Betrieb von privaten Schulen von der Erfüllung der in Art. 92 f. BayEUG festgelegten Bedingungen abhängig macht und diese Schulen schulaufsichtlich überwacht. Die Unterrichtung und Erziehung der Kinder außerhalb von Schulen entzieht die Kinder diesem Erziehungsauftrag des Staates.
Das Elternrecht muss dem gegenüber zurücktreten. Die Antragsteller gefährden durch ihre Weigerungshaltung das Kindeswohl in erheblicher Weise. Der von ihm gewünschte Hausunterricht vermittelt den Kindern keine schulische Qualifikation und ermöglicht so weder den Zugang zu weiterführenden Schulen noch zu einer qualifizierten Berufsausbildung
Der von den Antragstellern durchgeführte Hausunterricht mag bei entsprechender Qualität der Unterrichtsmaterialien und angesichts des erkennbaren Engagements der Eltern zwar geeignet sein, den Kindern Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, wie sie an staatlichen Schulen ebenfalls vermittelt werden. Auch ist nicht ersichtlich, dass diese Art der Unterrichtung den Kindern unmittelbar schaden würde.
Der Unterrichtung der Kinder im Wege des Heimunterrichts fehlt aber das gesellschaftspolitische Element der gemeinsamen Unterrichtung an Schulen. Es liegt auf der Hand, dass die kontinuierliche, jahrelange und gemeinsame Unterrichtung von Schülern aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft durch hierfür im Wege einer Hochschulausbildung besonders geschultes Personal von anderer Qualität ist als der Heimunterricht. Der Staat hat von der Verfassung her das Recht, zur Umsetzung der in Art. 131 Abs. 2 BV festgelegten obersten Bildungsziele Lerninhalte, Lernziele und Lernmethoden vorzugeben. Der Hausunterricht entzieht die Kinder diesem staatlichen Erziehungsauftrag.
Der von den Antragstellern gewünschte Hausunterricht wird auch insoweit die Kinder auf ihrem späteren Lebensweg beeinträchtigen, als das Schulsystem der Bundesrepublik Deutschland nach der Grundschule eine Differenzierung in verschiedene Schularten vorsieht, die jeweils zum Abschluss des Schulbesuchs Prüfungen abhalten und Zeugnisse erteilen. Letztere berechtigen ihrerseits zum Besuch weiterführender Ausbildungsstätten oder dazu, bestimmte Berufe zu ergreifen. Der von den Antragstellern für ausreichend erachtete Hausunterricht beinhaltet weder staatlich anerkannte Prüfungen, noch sind die Eltern berechtigt, vergleichbare Zeugnisse zu erteilen. Die Kinder wären daher darauf verwiesen, Schulabschlüsse als Externe zu erwerben, soll ihnen die Möglichkeit, einen qualifizierten Beruf auszuüben, nicht verschlossen bleiben. Ob ihnen dies, zumindest was den Realschulabschluss oder das Abitur betrifft, gelingen kann, ist angesichts des Niveaus entsprechender Prüfungen sehr zweifelhaft.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof führt hierzu in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2002 (Vf. 73-VI-01 – juris) grundsätzlich aus:
„Die Entscheidung der Verfassung für einen eigenständigen Erziehungsauftrag der Schule lässt es grundsätzlich zu, dass die Erziehung in Schule und Elternhaus nach unterschiedlichen Wertvorstellungen durchgeführt wird (vgl. VerfGH 41, 44/46 f.). Seine Befugnisse überschreitet der Staat erst dann, wenn er die notwendige Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern vermissen lässt, also ihren Erziehungsintentionen von vornherein keinen Raum gibt (BVerfG vom 21. April 1989 Az. 1 BvR 235/89 S. 2).“
Bei der Ausgestaltung der öffentlichen Schulen ist der Gesetzgeber an die Vorgaben der Verfassung gebunden. Nach dem Bildungsauftrag der Bayerischen Verfassung (Art. 131 BV) sollen die Schulen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden; zu den obersten Bildungszielen gehören Ehrfurcht vor Gott sowie Achtung vor religiöser Überzeugung anderer (vgl. dazu VerfGH, a.a.O., S. 47 f.). Unter den Grundsätzen der christlichen Bekenntnisse, nach denen die Schüler gemäß Art. 135 Satz 2 BV zu unterrichten sind, sind nicht die Glaubensinhalte einzelner christlicher Bekenntnisse zu verstehen, sondern in Achtung der religiös-weltanschaulichen Gefühle Andersdenkender die Werte und Normen, die, vom Christentum maßgeblich geprägt, auch weitgehend zum Gemeingut des abendländischen Kulturkreises geworden sind (vgl. BVerfG, B. v. 17.12.1975, 1 BvR 63/68 – juris).
Aufgrund der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Schulpflicht ist es rechtlich abwegig, die Verpflichtung zum Schulbesuch während der Unterrichtszeiten und sonstigen Schulveranstaltungen als (rechtlich unzulässige) Beeinträchtigung der Freiheit der Kinder zu bewerten.
Auch die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 des Bescheids vom 6. November 2019 erweist sich bei summarischer Überprüfung als rechtmäßig.
Die Höhe des angedrohten Zwangsgelds ist nicht zu beanstanden. Das Zwangsgeld beträgt nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG mindestens fünfzehn und höchstens fünfzigtausend Euro. Das Verhalten der Antragsteller stellt mitnichten eine Bagatelle dar. Vielmehr verstoßen sie nicht nur massiv gegen schulrechtliche Verpflichtungen, sondern vor allem gegen das Interesse ihrer Kinder. Das Landratsamt war so berechtigt, die Höhe des Zwangsgelds in deutlich spürbarem Umfang festzulegen.
Die Erfolgsaussichten der Antragsteller in der Hauptsache sind also aus den dargestellten Gründen als gering anzusehen.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war deshalb abzulehnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts beruht unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters des Verfahrens auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
2. Aus den dargestellten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zu einem Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet, wie unter 1. dargestellt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist kostenfrei, Auslagen werden nicht erstattet.


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