Verwaltungsrecht

Sondernutzungserlaubnis für Außengastronomie – Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  8 ZB 20.868

Datum:
20.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14724
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 88, § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5
BayStrWG Art. 18

 

Leitsatz

1. Ob und inwieweit aus einem Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen die sachgerechte Auslegung des Klagebegehrens nach § 88 VwGO, der zu einem Verfahrensmangel führt, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO resultieren können (vgl. hierzu BayVGH BeckRS 2016, 41744 Rn. 12), kann offen bleiben, wenn ein solcher Rechtsverstoß nicht dargetan ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das unter Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) aus dem gesamten Parteivorbringen zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel, wobei der Wortlaut der Erklärung hinter deren Sinn und Zweck zurücktritt und auch die erkennbare Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen ist.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 K 18.1221 2020-02-11 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 11. Februar 2020 für beide Rechtszüge auf jeweils 500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erweiterung der ihr erteilten Sondernutzungserlaubnis für Außengastronomie auf öffentlichen Verkehrsflächen.
Die Klägerin ist Mieterin von Ladenflächen im Anwesen M … im Stadtgebiet der Beklagten. Seit Mai 2017 betreibt sie dort eine Schankwirtschaft und eine Eisdiele. Auf einer Fläche im nordöstlichen Bereich vor ihrem Lokal ist einer Bäckerei mit einer früher erteilten Sondernutzungserlaubnis die Bewirtung gestattet; vor dem sich weiter nordöstlich anschließenden Gebäudeteil des Anwesens betreibt eine Kaffeerösterei eine straßenrechtlich erlaubte Außengastronomie.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2017 erteilte die Beklagte der Klägerin die Erlaubnis zur Ausübung einer Sondernutzung für Außengastronomie (zwei Tische mit je zwei Stühlen, kleiner Werbeständer, Sonnenschirm) für einen schmalen Streifen der Verkehrsfläche entlang der Hausfront am südwestlichen Ende ihres Ladenlokals.
Den Antrag der Klägerin, ihr – unter gleichzeitigem teilweisen Widerruf der Sondernutzungserlaubnisse der benachbarten Ladenlokale – für die Freifläche vor ihrem Lokal eine Sondernutzung für fünf Tische mit je zwei Stühlen und Sonnenschirmen zu genehmigen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Oktober 2018 (ursprüngliches Datum 15.6.2018 wurde nachträglich berichtigt) ab.
Mit Urteil vom 11. Februar 2020 hat das Verwaltungsgericht Bayreuth die Klage, die Beklagte unter Aufhebung dieses Bescheids zu verpflichten, über ihren Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, abgewiesen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Verpflichtungsbegehren weiter.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, 4 und 5 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36). Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19). Sie sind nicht erst dann gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – IÖD 2017, 52 = juris Rn. 19).
Nach diesem Maßstab zeigt der Zulassungsantrag keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf.
1.1 Das zentrale Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit einem Anspruch auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis im Winter (1.3. bis 1.11.) befasst und damit über einen Teil des Klagebegehrens nicht entschieden, geht fehl. Da ein solcher – auf sachgerechte Auslegung des Klagebegehrens nach § 88 VwGO abzielender – Rechtsverstoß nicht dargetan ist, kann offen bleiben, ob und inwieweit hieraus ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Ersturteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO resultieren können (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 19.1.2016 – 22 ZB 15.551 = juris Rn. 12; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 80).
Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (stRspr, vgl. nur BVerwG, U.v. 1.9.2016 – 4 C 4.15 – BVerwGE 156, 94 = juris Rn. 9; Peters/Kujath in Sodan/Ziekow, VwGO, § 88 Rn. 20). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) anzuwenden. Wesentlich ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und den sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (BVerwG, U.v. 31.1.2018 – 8 C 12.17 – ZOV 2018, 109 = juris Rn. 11; U.v. 27.4.1990 – 8 C 70.88 – NJW 1991, 508 = juris Rn. 23). Neben Klageantrag und -begründung ist auch die Interessenlage des Klägers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 7.12 – DÖD 2012, 190 = juris Rn. 5; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 88 Rn. 8).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die erstinstanzliche Auslegung des Klagebegehrens der Klägerin als zutreffend. Ihr Zulassungsvorbringen, das Erstgericht hätte wie die Beklagte übersehen, dass sie auch für den Zeitraum, in dem die konkurrierenden Mitbewerber keine Außengastronomie betreiben (November bis Februar), eine Sondernutzungserlaubnis beanspruche, liegt neben der Sache. Der Klageschrift vom 27. November 2018 ist eindeutig zu entnehmen, dass sich ihr Verpflichtungsbegehren allein darauf richtet, eine Neuaufteilung der Sondernutzungsflächen zwischen ihr und den Mitbewerbern – unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Maßgabe der Länge der Fensterfront und der Größe der Ladenfläche – zu erreichen (vgl. VG-Akte S. 2 ff.). Dies deckt sich mit dem Inhalt des anwaltlichen Antragsschreibens vom 9. August 2018 (vgl. Behördenakte S. 231). Hinzu kommt, dass der frühere Prozessbevollmächtigte am 19. November 2018, also nach Erlass des Ablehnungsbescheids (30.10.2018) und kurz vor der Klageerhebung (29.11.2018), gegenüber der Beklagten klargestellt hat, dass die Außenfläche vor ihrem Ladenlokal in den Wintermonaten überhaupt nicht genutzt wird; dabei war keine Rede davon, dass sie dies künftig beabsichtige (vgl. Behördenakte S. 318). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin erklärt, mit ihrer Klage erreichen zu wollen, dass ihr – wie den anderen Ladeninhabern auch – eine Sondernutzungsfläche vor ihrer Ladenfront zugesprochen wird (vgl. Sitzungsprotokoll vom 11.2.2020, VG-Akte S. 84). Eine Sondernutzung für die Wintermonate, die für eine Eisdiele auch nicht naheliegt, hat sie nicht erwähnt.
1.2 Auch das Zulassungsvorbringen, der Abstand von nur 1 m zwischen den genehmigten Sondernutzungsflächen der Bäckerei und der Kaffeerösterei zeige, dass die Beklagte ihr Verkehrskonzept nur vorschiebe und nicht anwende, greift nicht durch. Die „Gestaltungsrichtlinie 1: M …“ der Beklagten (zur Anwendung ermessenslenkender Richtlinien vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147 = juris Rn. 25) sieht eine freizuhaltende Durchgangsbreite von 2 m nur „entlang der Gebäudefronten“ vor (vgl. Behördenakte S. 201). Bei dem von der Klägerin angeführten Durchgang zwischen den genehmigten Sondernutzungsflächen handelt es sich nicht um einen solchen, sondern um einen Zugang frontal zur Gebäudefront.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan.
Dieser Zulassungsgrund ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem von einem anderen in der Vorschrift genannten Gericht aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Die divergierenden Rechtssätze müssen einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 22.10.2014 – 8 B 2.14 – juris Rn. 21 ff.).
Diesen Anforderungen wird der Zulassungsantrag nicht im Ansatz gerecht. Die Klägerin hat keinen abstrakten Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausgearbeitet; sie hat dem auch keinen divergierenden Rechtssatz aus den „im Urteil zitierten Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs“ gegenübergestellt.
3. Ein Verfahrensmangel, auf dem die erstinstanzliche Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), liegt ebenfalls nicht vor.
Ein Verstoß gegen § 88 VwGO, der zu einem Verfahrensmangel führt (vgl. BVerwG, B.v. 12.3.2012 – 9 B 7.12 – DÖD 2012, 190 = juris Rn. 5; Rennert in Eyermann, VwGO, § 88 Rn. 13; Ortloff/Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 88 Rn. 13), ist aus den unter Nr. 1.1 angeführten Gründen nicht dargetan.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Orientierung an Nr. 43.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da die Klägerin angegeben hat, mit ihrem Ladenlokal bislang Verluste erlitten zu haben (vgl. Protokoll des Amtsgerichts Coburg vom 7.3.2018, Behördenakte S. 181), ist der Mindestbetrag in Höhe von 500 Euro angemessen. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung war deshalb abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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