Verwaltungsrecht

Steuermaßstab bei Zweitwohnungssteuer

Aktenzeichen  4 CS 19.2271

Datum:
24.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 443
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
BVerfGG § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1
BayKAG Art. 3 Abs. 1, Abs. 3

 

Leitsatz

Die Anordnung der übergangsweisen Fortgeltung einer verfassungswidrigen Satzung durch das Bundesverfassungsgericht erstreckt sich nicht auf eine denselben Mangel aufweisende Nachfolgesatzung. (Rn. 13)

Verfahrensgang

Au 2 S 19.1247 2019-10-23 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Oktober 2019 wird in Nr. I. und II. aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 4. Juni 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 586,99 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin, eine aus zwei Personen bestehende Grundstücksgemeinschaft, die Inhaberin einer Wohnung im Gemeindegebiet des Antragsgegners ist, begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs gegen einen vom Antragsgegner erlassenen Zweitwohnungsteuerbescheid.
Der Antragsgegner, die Gemeinde Markt O…, setzte mit Bescheid vom 4. Juni 2019 gegenüber der Antragstellerin die Zweitwohnungsteuer für die Jahre 2018 und 2019 in Höhe eines Gesamtbetrags von 2.347,97 Euro (1.164,99 Euro für 2018 und 1.182,98 Euro für 2019) fest. Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein und beantragte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs, die das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 23. Oktober 2019 ablehnte. Das Landratsamt hatte den Widerspruch bereits mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2019 zurückgewiesen; hiergegen hat die Antragstellerin am 14. November 2019 Klage erhoben.
Mit Schriftsatz vom 11. November 2019 legte die Antragstellerin gegen den Eilbeschluss Beschwerde ein. Sie beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Vertreter des öffentlichen Interesses stellt keinen eigenen Antrag, hält aber die Zurückweisung der Beschwerde für rechtens.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Oktober 2019 hat Erfolg. Die von der Antragstellerin fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO den Prüfungsrahmen für den Senat bilden, rechtfertigen und gebieten es, den angefochtenen Beschluss in Nr. I. und II. aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Zweitwohnungsteuerbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids anzuordnen.
a) Die Beschwerde ist gemäß § 146 Abs. 1 und Abs. 4, § 147 Abs. 1 VwGO zulässig. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners steht ihrer Zulässigkeit insbesondere nicht der Umstand entgegen, dass zwischenzeitlich ein zurückweisender Widerspruch des Landratsamts ergangen ist. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs anordnen, wobei gemäß § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO der Antrag schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig ist. Ursprünglich bezog sich der Eilantrag auf den eingelegten Widerspruch als Hauptsacherechtsbehelf; nunmehr ist maßgeblicher Anknüpfungspunkt die gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids erhobene Anfechtungsklage. Da Bedenken gegen die fristgerechte Erhebung der Anfechtungsklage nicht vorgetragen worden sind, die angefochtenen Bescheide also jedenfalls nicht offensichtlich in Bestandskraft erwachsen sind (vgl. § 80b Abs. 1 VwGO), bestehen gegen den Austausch des Hauptsacherechtsbehelfs als Bezugspunkt für das Eilrechtsschutzbegehren keine Bedenken. Dass die Antragstellerin im Beschwerdeschriftsatz weiterhin von der „Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs“ spricht, ist dabei unschädlich, weil ihr Begehren gemäß § 88, § 86 Abs. 3 VwGO so ausgelegt werden kann, dass es sich auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage richtet.
b) Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Nach dem bei der Anforderung öffentlicher Abgaben anzuwendenden Maßstab des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, der auch für das gerichtliche Eilverfahren gilt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 95 m.w.N.), ist die aufschiebende Wirkung der Klage dann anzuordnen, wenn nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen, d.h. überwiegende Gründe für die Annahme der Rechtswidrigkeit sprechen. Dies ist hier der Fall. Der Bescheid kann nicht auf die Zweitwohnungsteuersatzung des Antragsgegners gestützt werden, weil der dort geregelte Steuermaßstab gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (aa); eine Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung kommt nicht in Betracht (bb).
aa) Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Bescheid ist die Satzung des Antragsgegners über die Erhebung einer Zweitwohnungsteuer vom 12. Juni 2018 (im Folgenden: ZwStS 2018), die in ihrem § 4 Abs. 2 zur Bestimmung des Mietwerts der Wohnung an die sogenannte indexierte Jahresrohmiete anknüpft. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass der Steuermaßstab der indexierten Jahresrohmiete mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Da die Verwendung dieses Maßstabs keine realitätsnahe und relationsgerechte Bewertung mehr ermöglicht, können jedenfalls seit dem Jahr 2009 weder das Ziel der Verwaltungsvereinfachung noch Gründe der Typisierung und Pauschalierung die Verwendung des Maßstabs rechtfertigen (BVerfG, B.v. 18.7.2019 – 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 – juris Rn. 32 f.; BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 C 4.19 – juris Rn. 17 ff.). Der Gleichheitsverstoß der Regelung in § 4 Abs. 2 ZwStS 2018 führt zur Gesamtnichtigkeit der Steuermaßstabsnorm des § 4 ZwStS 2018, so dass der angefochtene Steuerbescheid nicht auf eine gültige Satzungsgrundlage gestützt ist. Der Zweitwohnungsteuerbescheid erweist sich damit als rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
bb) Eine zeitlich begrenzte Fortgeltungsanordnung für die verfassungswidrige Satzungsbestimmung kommt nicht in Betracht. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht für die Vorgängersatzung des Antragsgegners, die Zweitwohnungsteuersatzung vom 29. Oktober 2004 (in Gestaltung der 1. Änderungssatzung vom 19. Dezember 2008), unter Berufung auf die speziellen Regelungen des § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG eine Fortgeltungsanordnung bis zum 31. März 2020 getroffen (BVerfG, B.v. 18.7.2019 – 1 BvR 807/12 und 1 BvR 2917/13 – Nr. I. 1. Satz 2 und Nr. II. des Tenors sowie Rn. 73 ff. der Gründe; dazu Rinsdorf, KommP BY 2020, 20/22 f.). Von dieser Fortgeltungsanordnung ist jedoch die hiesige Satzung vom 12. Juni 2018, die laut ihrem § 12 die Satzung von 2004/2008 abgelöst hat, nicht erfasst. Die hier streitgegenständliche Satzung war nicht Gegenstand der damaligen verfassungsgerichtlichen Prüfung und des dortigen Entscheidungsausspruchs; das Bundesverfassungsgericht hat sie nicht in seine Fortgeltungsanordnung einbezogen. Im Übrigen unterscheiden sich die beiden Satzungen auch inhaltlich voneinander. Während die Satzung 2004/2008 sowohl wegen des Steuermaßstabs als auch wegen der Art der Staffelung des Steuertarifs verfassungsrechtlich beanstandet wurde, trifft die Satzung 2018 „nur“ hinsichtlich des Steuermaßstabs auf verfassungsrechtliche Bedenken. Die verfassungsgerichtliche Fortgeltungsanordnung kann sich daher nicht auf die Nachfolgesatzung von 2018 erstrecken.
Der Senat ist auch nicht befugt, selbst eine derartige Fortgeltungsanordnung auszusprechen. Die Regelungen des § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG finden in der Verwaltungsgerichtsordnung keine Entsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 27.11.2019 – 9 C 4.19 – juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfG, B.v. 11.12.2018 – 2 BvL 4/11 u.a. – BVerfGE 150, 204 Rn. 70). Die Verwaltungsgerichte sind vielmehr gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Aufhebung der – mangels wirksamer Satzungsgrundlage rechtswidrigen – Zweitwohnungsteuerbescheide verpflichtet. Etwas anderes könnte allenfalls in besonderen Ausnahmefällen gelten, in denen die Erklärung der Satzung als unwirksam bzw. die darauf beruhende Aufhebung der Steuerbescheide einen „Notstand“ zur Folge hätte. Von einem derartigen Notstand, bei dem die befristete Weitergeltung zur Vermeidung eines noch verfassungsferneren Zustands geboten wäre, kann hier ersichtlich keine Rede sein. Wie das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt hat, besteht mangels schutzwürdigen Vertrauens kein Ansatzpunkt dafür, einem durch die bisherige Rechtsprechung zur Zulässigkeit des Steuermaßstabs begründeten Vertrauenstatbestand mittels Übergangsregelungen Rechnung zu tragen (BVerwG a.a.O. Rn. 21 ff.). Im Übrigen sind unzumutbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt des Antragsgegners nicht zu befürchten, auch wenn dieser im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht seine drohenden Einnahmeausfälle auf 1,06 Mio. bis 1,13 Mio. Euro pro Jahr beziffert hat. Denn die Kommunen sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts berechtigt, eine ungültige Satzung rückwirkend durch eine neue Satzung zu ersetzen und auf dieser Grundlage Steuern auch für einen zurückliegenden Zeitraum neu zu erheben (vgl. BVerwG a.a.O. Rn. 25 m.w.N.; BayVGH, B.v. 14.1.2020 – 4 ZB 19.1643 – juris Rn. 14; Oebbecke in Christ/Oebbecke, Handbuch Kommunalabgabenrecht, 2016, B. Rn. 18; zu den Gestaltungsmöglichkeiten näher Müller, ZKF 2020, 20/21 f.).
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 47 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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