Verwaltungsrecht

Übernahme der Kosten für die Teilnahme am Integrationskurs

Aktenzeichen  AN 6 K 19.01419

Datum:
27.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33037
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
IntV § 5, § 6, § 9 Abs. 6
AufenthG § 44, § 44a

 

Leitsatz

Bei der Kostenbeitragserstattung nach § 9 Abs. 6 IntV kommt es für die Bestimmung des Fristbeginns dann nicht auf die insgesamt erste (jemals) erteilte Teilnahmeberechtigung an, wenn die nunmehrige Teilnahmeberechtigung, auf die die Erstattung gestützt werden soll, die erste nach einer der beiden Alternativen § 5 Abs. 3 IntV und § 6 Abs. 1 IntV ist (hier: Erteilung der ersten, dann nicht genutzten Teilnahmeberechtigung nach § 6 Abs. 1 IntV, zweite Erteilung der Teilnahmeberechtigung nach § 5 Abs. 3 IntV). (Rn. 26 – 28)

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Juli 2019 – in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 – verpflichtet, über den Erstattungsantrag der Klägerin vom 21. Juni 2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin und die Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die von der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 1. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 erhobene, zulässige Klage auf (Verpflichtung der Beklagten zur) Gewährung der hälftigen Erstattung des Kostenbeitrags für den Integrationskurs, konnte mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden. Diese Klage ist – nur – zum Teil begründet gemäß § 113 VwGO und damit erfolgreich.
1. Zwar verletzt der – deshalb durch das Urteil aufzuhebende – Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für … vom 1. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 die Klägerin in ihren Rechten, weil das Bundesamt dabei fehlerhaft die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 6 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) vom 13. Dezember 2004 (BGBl I S. 3370), diese zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2017 (BGBl I S. 1875), verneint hat, weshalb (konsequenterweise) keinerlei Ermessenausübung stattgefunden hat, und weil sich die Beklagte im vorliegenden Fall auch nicht auf eine Ermessensreduzierung auf Null zu Ungunsten der Klägerin berufen kann.
Das Bundesamt hat der Besonderheit des vorliegenden Falles nicht Rechnung getragen, die darin liegt, dass die streitgegenständliche erneute Teilnahmeberechtigung, erteilt durch das Bundesamt für …, bzw. deren „Bestätigung“ anders als die am 30. August 2016 von der Ausländerbehörde nach § 44 Abs. 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 IntV erteilte Teilnahmeberechtigung nunmehr auf § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 und 3 IntV beruht, weshalb auch die Grundsatz-Rechtsprechung des VG Ansbach (U.v. 24.2.2011 – AN 14 K 10.01208), auf die das Bundesamt verwiesen hat und an der auch als solche für die Fälle, bei denen die ursprüngliche und die weitere Teilnahmeberechtigung auf derselben Alternative (§ 5 Abs. 3 oder § 6 Abs. 1 IntV) beruhen, festgehalten wird, hier nicht die erfolgte Versagung der Rückerstattung rechtfertigt. § 9 Abs. 6 IntV ist ausdrücklich dahingehend formuliert, dass das Bundesamt Teilnahmeberechtigten, die innerhalb von zwei Jahren nach Ausstellung der Teilnahmeberechtigung nach §§ 5 Abs. 3 und 6 Abs. 1 IntV die erfolgreiche Teilnahme (§ 17 Abs. 2 IntV) nachweisen, 50 Prozent des Kostenbeitrags nach Abs. 1 erstatten kann (Hervorhebung durch das Gericht), wobei hinter den beiden genannten Vorschriften zur Ausstellung der Teilnahmeberechtigung zwei voneinander zu trennende, einander ausschließende Alternativen stehen.
Während § 6 Abs. 1 IntV auf die Bestätigung von Teilnahmeansprüchen durch Ausländerbehörden, Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Träger der Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 4, 5 und 6 IntV i.V.m. § 44 Abs. 1, § 44a Abs. 1 AufenthG abhebt, handelt es sich bei der Fallgestaltung in § 5 Abs. 3 IntV über § 5 Abs. 1 IntV um Zulassungen zur Teilnahme am Integrationskurs durch das … für Ausländer, bei denen ein Teilnahmeanspruch gerade nicht oder nicht mehr besteht, § 44 Abs. 4 AufenthG. Diese Vorschrift erfasst also ausdrücklich auch Fälle, in denen die ursprüngliche, nach anderen speziellen ausländerrechtlichen Vorschriften erteilte Teilnahmeberechtigung ihre Gültigkeit verloren hat.
Dementsprechend kann hier für die Berechnung des Ablaufs der Frist von zwei Jahren aus § 9 Abs. 6 IntV nicht auf die (erstmalige) Ausstellung der Teilnahmeberechtigung durch das Landesverwaltungsamt als Ausländerbehörde am 30. August 2016 nach § 44 Abs. 1 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 1 IntV abgestellt werden, sondern ist für die Behandlung des Erstattungsantrags der Klägerin maßgeblich die Bestätigung des Bundesamts für … vom 18. Juli 2018 auf Grund der Zulassungsentscheidung vom selben Tag nach § 44 Abs. 4 AufenthG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 5 Abs. 3 IntV.
Davon ausgehend hat die Klägerin aber unstreitig den Integrationskurs binnen der Zwei-Jahres-Frist am 7. Juni 2019 erfolgreich absolviert im Sinne des § 9 Abs. 6 IntV.
Die gegen diese vom Gericht vorgenommene Auslegung des § 9 Abs. 6 IntV gerichtete Argumentation der Beklagten vermag nicht zu überzeugen:
Die ausdrückliche Beifügung von „nach § 5 Abs. 3 und § 6 Abs. 1“ bei dem Wort „Teilnahmeberechtigung“ in § 9 Abs. 6 IntV ist nicht, wie das Bundesamt für … meint, ausschließlich – formal – der bestehenden Verordnungssystematik geschuldet, um alle Arten der Zuerkennung einer Teilnahmeberechtigung zu erfassen. Dazu hätte es dieses Zusatzes nicht bedurft.
Der Zweck des § 9 Abs. 6 IntV wird zugleich gerade bei der hier gefundenen Auslegung auch gewahrt. Wenn bei der Ermessensvorschrift des § 44 Abs. 4 AufenthG sich das Bundesamt für … dafür entscheidet, einem Ausländer die Teilnahmeberechtigung zuzusprechen, ist davon auszugehen, dass die Integration dieses Ausländers im öffentlichen Interesse liegt (dass das … nach seiner Einlassung in den letzten Jahren das Ermessen dahingehend betätigt hat, bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 43 AufenthG und nicht oder nicht ausreichend vorhandenen Deutschkenntnissen eine Zulassung auf Antrag (stets) zu erteilen, spricht nicht dagegen, ansonsten müsste das … diese Praxis dringend kritisch hinterfragen) und damit zugleich dessen noch immer möglichst zeitnahe Integration, weshalb der Zweck des § 9 Abs. 6 IntV bei der insgesamt zweiten, aber erstmaligen Zulassung in der Alternative des § 5 Abs. 3 IntV zwar nicht mehr im wünschenswerten weitestmöglichen Umfang, aber auch immer noch hinreichend erfüllt wird.
Dass, wie das Bundesamt weiter meint, dadurch jeder Teilnahmeberechtigte zunächst zahllose frühere Teilnahmeberechtigungen und auch -verpflichtungen ungenutzt verstreichen lassen könnte, um dann zu einem Zeitpunkt in seinem Belieben irgendwann einen Antrag auf Zulassung nach § 44 Abs. 4 AufenthG beim BAMF zu stellen und bei erfolgter Teilnahme innerhalb von zwei Jahren nach Ausstellung dieser Zulassung die hälftige Kostenbeitragsrückerstattung erhalten könnte, wodurch sogar ein Teilnehmer, der die zeitlich erste Teilnahmeberechtigung in Anspruch nimmt, den Kurserfolg jedoch nicht innerhalb von zwei Jahren nach Ausstellung erreicht, gegenüber einem solchen Teilnehmer bestraft würde, ist ebenfalls nicht zu erkennen. Zunächst gilt die vom Gericht geforderte Handhabung des § 9 Abs. 6 IntV nur dann, wenn die erste Teilnahmeberechtigung nicht bereits in derselben dort genannten Alternative erteilt worden ist wie die zweite. Des Weiteren erscheint die beschworene Gefahr einer bewussten Nichtnutzung der ersten Teilnahmeberechtigung, um sich die Möglichkeit der 50-prozentigen Kostenrückerstattung erhalten zu können, lebensfremd, weil häufig mit dem ergebnislosen Verstreichenlassen der Gültigkeitsfrist der ersten Teilnahmeberechtigung sonstige drohende, auch gravierende negative Folgen verbunden sind, und es kann und wird sich auch niemand darauf verlassen, dass das Bundesamt für … sein Ermessen im Rahmen des § 44 Abs. 4 Satz 1 AufenthG immer zu Gunsten des Ausländers ausüben wird. Und schließlich steht die Gewährung der Rückerstattung nach § 9 Abs. 6 IntV wiederum im Ermessen des Bundesamtes für …, sodass es dabei ohne weiteres Fälle aussortieren kann, in denen die Rückerstattung im vom Bundesamt wohl gemeinten Sinne unangemessen wäre, etwa weil der Ausländer aus nicht nachvollziehbaren oder billigenswerten Gründen nicht schon die erste Teilnahmeberechtigung ausgenützt hat. Vielmehr kann dabei andererseits wiederum steuernd etwaigen besonderen Härten für einzelne Ausländer bei der Entscheidung über die Kostenerstattung durch die grundsätzliche Fixierung auf die erste Teilnahmeberechtigung begegnet werden.
Die bei alledem deshalb zu beanstandende Ablehnungsentscheidung des Bundesamtes für … stellt sich hier im Fall der Klägerin auch nicht ausnahmsweise deshalb als im Ergebnis beanstandungsfrei dar, weil das von ihr (und nicht vom Gericht, vgl. §§ 113 Abs. 5, 114 VwGO) gemäß dem Vorstehenden auszuübende Ermessen zu ihren Ungunsten dahingehend auf Null reduziert wäre, dass lediglich eine Ablehnung als ermessensgerecht in Frage käme. Der Umstand allein, dass die Klägerin bereits einmal über einen Teilnahmeanspruch, bestätigt durch die Ausländerbehörde, verfügt hatte, vermag angesichts der Ausgestaltung des Aufenthaltsgesetzes und der Integrationskursverordnung (vgl. dazu die obigen Ausführungen) eine derartige Ermessensreduktion nicht zu rechtfertigen und sonstige die Ermessensausübung zu Ungunsten der Klägerin zwingend bindende Umstände sind nach dem hier bekannten Sachverhalt nicht ersichtlich.
Mithin ist die ergangene ablehnende Verbescheidung aufzuheben und die Beklagte zur Neuverbescheidung unter Beachtung der im Urteil geäußerten Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten. Dementsprechend wird nunmehr das Bundesamt für … über den Erstattungsantrag der Klägerin vom 21. Juni 2019 – gegebenenfalls nach nochmaliger Anhörung der Klägerin – erneut zu entscheiden und dabei erstmals das Ermessen im Rahmen des § 9 Abs. 6 IntV auszuüben (und dabei die besonderen Umstände des Sachverhaltes zu würdigen) haben, dessen Tatbestandsvoraussetzungen das Bundesamt bei seiner ersten Entscheidung zu Unrecht verneint hat.
2. Dem weitergehenden Klagebegehren der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zur Erstattung des hälftigen Betrags (146,25 EUR) ihrer Kosten für den Besuch des Integrationskurses konnte allerdings nicht entsprochen werden.
Der Beklagten steht hinsichtlich der Erstattung bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ein Ermessen auf der Rechtsfolgenseite des § 9 Abs. 6 IntV zu und auch von einer Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Klägerin kann hier nicht ausgegangen werden.
Die Formulierung „kann … erstatten“ in § 9 Abs. 6 IntV ist typisch für eine Ermessenseinräumung und es sind auch keine systematischen oder teleologischen Gründe erkennbar, wonach die Bedeutung der gesetzgeberischen Formulierung „kann“ hier eine andere wäre. Das Gericht kann sich hinsichtlich der Ermessensausübung, wie bereits oben angemerkt, grundsätzlich nicht an die Stelle der Behörde setzen. Nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand sind auch Umstände, die die Ermessensausübung zu Gunsten der Klägerin zwingend binden würden, weder von dieser dargetan worden noch anderweitig dem Gericht ersichtlich. Insbesondere kann nach dem mitgeteilten Sachverhalt nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin dann, wenn das Bundesamt für … die auf der Bestätigung der Teilnahmeberechtigung durch das Landesverwaltungsamt vermerkte Gültigkeitsdauer akzeptiert hätte, den Integrationskurs noch im Rahmen der Zweijahresfrist ab dem 30. August 2016 erfolgreich im Sinne des § 9 Abs. 6 IntV abgeschlossen hätte.
3. Bei alledem war folglich der Klage teilweise stattzugeben, teilweise war sie abzuweisen. Mithin ergeht die Kostenlastentscheidung (§ 161 Abs. 1 VwGO) gemäß § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO nach dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten, das jeweils als hälftig einzuschätzen ist.
Die Aussprüche zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Eine Zulassung der Berufung gegen das Urteil (§ 124 a Abs. 1 VwGO) ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) veranlasst, weil Streitverfahren in der hier gegebenen besonderen Konstellation nach den Erfahrungen des Gerichts nur selten auflaufen, und es liegt, soweit der Kammer ersichtlich, auch keine Abweichung des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO vor.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben