Verwaltungsrecht

Überstellung eines international schutzberechtigten jungen Mannes nach Griechenland

Aktenzeichen  RO 11 K 20.31474

Datum:
19.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 42227
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Es ist davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK hinsichtlich der Ausländer mit einem Schutzstatus in Griechenland in der Regel nicht vorliegen.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2.  In besonders gelagerten Einzelfällen, insbesondere bei Personen mit besonderem Schutzbedarf, kann es geboten sein, dass die deutschen mit den ausländischen Behörden Kontakt aufnehmen und notwendige Vorkehrungen zum Schutz dieser Personen getroffen werden.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einem alleinstehenden, gesunden jungen Mann kann es zugemutet werden, seinen Lebensunterhalt in Griechenland zu sichern, auch wenn er der griechischen Sprache nicht mächtig ist und er nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann. (Rn. 23 – 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht kann mit Einverständnis der Prozessparteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Beklagte hat mit der „Generalerklärung“ vom 27. Juni 2017 (Az. 234 – 7604/1.17) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Der Kläger hat ebenfalls auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Die Klage hat keinen Erfolg.
A.
Die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage ist unbegründet.
I. Bezüglich Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ist die Anfechtungsklage im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 des Asylgesetzes (AsylG) maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unbegründet, da der Bescheid insoweit rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Der Asylantrag ist unzulässig, da dem Kläger in Griechenland am 30. März 2020 der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde und er eine vom 30. März 2020 bis 29. März 2023 gültige Aufenthaltserlaubnis erhielt. Die Richtigkeit dieser Angaben ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Schreiben des griechischen Ministeriums für Migration vom 4. August 2020. Der Kläger ist dem nicht – substantiiert – entgegengetreten. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Nach letzterer Vorschrift umfasst der internationale Schutz den Schutz vor Verfolgung nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und den subsidiären Schutz. Da dem Kläger in Griechenland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, ist sein in Deutschland gestellter Asylantrag unzulässig.
2. Zwar hat die Beklagte über den Wortlaut des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hinaus zu beachten, dass bei einer – drohenden – Verletzung des Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bzw. des inhaltsgleichen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GrCharta) Asylanträge nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Hierzu nimmt das Gericht auf folgende Ausführungen in dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 13. November 2019 (Az. C-540/17) Bezug:
„Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta zu erfahren.“
3. Im Fall des Klägers verletzen die gegenwärtigen Bedingungen in Griechenland jedoch nicht Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EU-GrCharta, da die nach der Rechtsprechung des EuGH erforderliche besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit bei ihm nicht erreicht ist. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen daher bei dem Kläger nicht vor. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
a. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt eine Verletzung des Art. 3 EMRK nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht. Es muss eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit im Sinne einer extremen materiellen Not erreicht werden. Zu den Anforderungen hieran hat sich der EuGH in seinem Urteil vom 19. März 2019 (Az. C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17) wie folgt geäußert:
„Daher ist das Gericht, das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein neuer Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abgelehnt wurde, in dem Fall, dass es über Angaben verfügt, die der Antragsteller vorgelegt hat, um das Vorliegen eines solchen Risikos in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat nachzuweisen, verpflichtet, auf der Grundlage objektiver, zuverlässiger, genauer und gebührend aktualisierter Angaben und im Hinblick auf den durch das Unionsrecht gewährleisteten Schutzstandard der Grundrechte zu würdigen, ob entweder systemische oder allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C-163/17, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist festzustellen, dass die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Schwachstellen nur dann unter Art. 4 der Charta, der Art. 3 EMRK entspricht und nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite hat, wie sie ihm in der EMRK verliehen wird, fallen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C-163/17, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C-163/17, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Diese Schwelle ist daher selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichneten Situationen nicht erreicht, sofern sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, aufgrund deren die betreffende Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C-163/17, Rn. 93).
Im Hinblick auf die insoweit vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist festzustellen, dass unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens für das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat, Verstöße gegen Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungsrichtlinie, die nicht zu einer Verletzung von Art. 4 der Charta führen, die Mitgliedstaaten nicht daran hindern, ihre durch Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrensrichtlinie eingeräumte Befugnis auszuüben.
Der vom vorlegenden Gericht ebenfalls genannte Umstand, dass subsidiär Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Antragsteller diesen Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser Antragsteller dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Antragsteller aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die den in den Rn. 89 bis 91 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien entspricht.
Jedenfalls kann der bloße Umstand, dass in dem Mitgliedstaat, in dem der neue Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in dem bereits subsidiären Schutz gewährenden Mitgliedstaat, nicht die Schlussfolgerung stützen, dass die betreffende Person im Fall ihrer Überstellung in den zuletzt genannten Mitgliedstaat tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 der Charta verstoßende Behandlung zu erfahren (vgl. entsprechend Urteil vom heutigen Tag, Jawo, C-163/17, Rn. 97).“
b. Hinsichtlich der tatsächlichen Verhältnisse in Griechenland nimmt das Gericht auf die überzeugenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Ansbach in dem Urteil vom 23. Juli 2020 (Az. AN 17 K 19.50826), die auch jetzt noch grundsätzlich gültig sind, Bezug und schließt sich ihnen an:
„Das Gericht geht auf Basis der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel von folgender Lage für in Griechenland anerkannte international Schutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung Griechenland verlassen haben und nun wieder zurückgeführt werden sollen, aus:
Asylbewerber, die bereits von Griechenland als international Schutzberechtigte anerkannt worden sind, werden im Falle einer Abschiebung dorthin von den zuständigen Polizeidienststellen in Empfang genommen und mit Hilfe eines Dolmetschers umfassend über ihre Rechte aufgeklärt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3). Die betroffenen Personen erhalten insbesondere Informationen zur nächsten Ausländerbehörde, um dort ihren Aufenthaltstitel verlängern zu können. Anerkannt Schutzberechtigte haben sich sodann beim zuständigen BürgerserviceCenter zu melden. Spezielle staatliche Hilfsangebote für Rückkehrer werden vom griechischen Staat nicht zur Verfügung gestellt. Auch für Familien mit Kindern gilt das genannte Verfahren (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 8 f.).
Die staatlichen Integrationsmaßnahmen im Allgemeinen erscheinen defizitär. Es existiert kein funktionierendes Konzept für die Integration von Flüchtlingen (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 11). Diesbezügliche Ansätze der Regierung wie die „Nationale Strategie zur Integration von Drittstaatsangehörigen“ sind nur teilweise umgesetzt (Pro Asyl, a.a.O.) oder haben wie im Falle der nationalen Integrationsstrategie aus Juli 2018 keine rechtlich bindende Wirkung (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7). Zwar berichten einige Erkenntnismittel etwa von 53 Integrationsräten auf lokaler Ebene, welche das Ziel verfolgten, Integrationsprobleme zu identifizieren und dem jeweiligen Gemeinderat Vorschläge für eine möglichst reibungsfreie Integration von Einwanderern zu unterbreiten (BAMF, Länderinformation: Griechenland, Stand Mai 2017, S. 5). Diese Beschreibung deutet jedoch auf ein eher politisches Gremium hin, welches sich um Änderungen bemüht, selbst aber keine Integrationsleistungen anbietet. Hinsichtlich staatlicher Kurse zu Sprache sowie Kultur und Geschichte des Landes ist das Bild uneinheitlich (für die Existenz kostenloser Kurse: Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 11), wobei aktuellere und insofern vorzugswürdige Erkenntnismittel ein solches Angebot verneinen (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 12). Zudem wird die hohe Abhängigkeit etwaiger Integrationsprogramme von einer Finanzierung durch die EU betont, da auf nationaler und kommunaler Ebene keine nennenswerten Ressourcen zur Verfügung stehen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 7).
In diese Lücke stoßen jedoch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die auf verschiedensten Feldern Integrationshilfe leisten (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 91 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 2), aber räumlich zum einen auf die Ballungsräume Athen und Thessaloniki konzentriert sind und zum anderen den weitestgehenden Ausfall staatlicher Strukturen nicht kompensieren.
Hingegen ist der Zugang zum staatlichen Schulsystem für Minderjährige gewährleistet (Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 11 f.).
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte ebenso der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen. Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt, entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Auch findet keine staatliche Beratung zur Wohnraumsuche statt. Sie sind zur Beschaffung von Wohnraum grundsätzlich auf den freien Markt verwiesen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 3; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30; Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 9). Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30).
Zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigten werden nicht in den Flüchtlingslagern oder staatlichen Unterkünften untergebracht. Zwar leben dort auch anerkannt Schutzberechtigte, jedoch nur solche, die bereits als Asylsuchende dort untergebracht waren und über die Anerkennung hinaus dort verblieben sind (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, Stand 4.10.2019, S. 26; Raphaelswerk, Informationen für Geflüchtete, die nach Griechenland rücküberstellt werden, Stand Dezember 2019, S. 9). Von einer Unterbringung kann nur ausgegangen werden, soweit eine explizite Zusage im Einzelfall zur Betreuung des Rückkehrers seitens der griechischen Behörden vorliegt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.).
Auch haben die zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten keinen Zugang zu einer Unterbringung im Rahmen des EUfinanzierten und durch das UNHCR betriebenen ESTIA-Programms (Emergency Support to Accomodation and Integration System). Über das ESTIA-Programm stehen – Stand Januar 2020 – 4.610 Appartements und insgesamt ca. 25.650 Unterbringungsplätze zur Verfügung (UNHCR, Fact Sheet Greece, Stand Februar 2020). Dieses steht jedoch nur Asylsuchenden und begrenzt zwischenzeitlich auch für international Anerkannte zur Verfügung, die bereits dort gelebt haben (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 1 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2; Pro Asyl, Returned recognized refugees face a deadend in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 3). Durch das neue Asylgesetz vom 1. November 2019 wurden die Bedingungen für die anerkannt Schutzberechtigten überdies verschärft, sie sollen nunmehr unmittelbar ab dem Zeitpunkt der Anerkennung die ESTIA-Unterkünfte verlassen, wobei es eine einmalige Übergangsfrist von zwei Monaten Anfang 2020 geben soll (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Das Helios 2-Programm, ein von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Abstimmung mit dem griechischen Migrationsministerium entwickeltes und durch die EU finanziertes Integrationsprogramm, sieht zwar 5000 Wohnungsplätze für anerkannte Schutzberechtigte vor. Die Wohnungsangebote werden dabei von Nichtregierungsorganisationen und Entwicklungsgesellschaften griechischer Kommunen als Kooperationspartner der IOM zur Verfügung gestellt und von den Schutzberechtigten, unter Zahlung einer Wohnungsbeihilfe an sie, angemietet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 2 f.). Hinsichtlich des Zeitpunkts des Beginns des Helios 2-Programmes bestehen Unklarheiten (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 105: 1.6.2019; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 3: frühestens ab September 2019). Das Programm kommt nach derzeitigem Erkenntnisstand aber nicht den anerkannten Flüchtlingen zugute, die nach Griechenland zurückkehren, sondern gilt für ab dem 1. Januar 2018, vorzugsweise ab dem 1. Januar 2019 Anerkannte nach einer Übergangsfrist von sechs Monaten im ESTIA-Programm (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2).
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings reichen die kommunalen Unterkünfte, etwa in Athen, kapazitätsmäßig nicht aus und sind chronisch überfüllt (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 30, Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3). Die Wartelisten sind entsprechend lang und teils stellen die Unterkünfte weitere Anforderungen an die Interessenten, wie etwa Griechisch- oder Englischkenntnisse und psychische Gesundheit (Pro Asyl, Returned recognized refugees face a deadend in Greece – a case study, Stand 4.1.2019, S. 4). Eine Erhebung des Refugee Support Aegean (RSA) vom 16. Juli 2018 ergab, dass von zwölf seitens der Stadt Athen genannten Obdachlosenunterkünften, soweit sie überhaupt Familien aufnehmen, alle bis auf eine entweder belegt oder gar geschlossen waren. In dieser einen, der „EKKA“-Unterkunft mit einer Kapazität von 65 Personen, werden Familien wiederum nur ausnahmsweise und nur mit griechischen oder englischen Sprachkenntnissen und maximal für drei Monate aufgenommen (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 6 ff.).
Wohnungsbezogene Sozialleistungen, die das Anmieten einer eigenen Wohnung unterstützen könnten, gibt es seit dem 1. Januar 2019 mit dem neu eingeführten sozialen Wohngeld, dessen Höhe maximal 70,00 EUR für eine Einzelperson und maximal 210,00 EUR für einen Mehrpersonenhaushalt beträgt. Das soziale Wohngeld setzt allerdings einen legalen Voraufenthalt in Griechenland von mindestens fünf Jahren voraus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 5; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Potsdam vom 23.8.2019, S. 1 f.).
Angesichts dessen bleiben viele international Schutzberechtigte obdachlos oder wohnen in verlassenen oder besetzten Gebäuden, häufig ohne Strom und fließend Wasser (OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 108 f.; Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 5). Obdachlosigkeit ist unter Flüchtlingen in Athen dennoch kein augenscheinliches Massenphänomen, was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 3).
Zugang zu Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte, die nach Griechenland zurückkehren, unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das im Februar 2017 eingeführte System der Sozialhilfe basiert auf drei Säulen. Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor, welches sich um 100,00 EUR je weiterer erwachsener Person und um 50,00 EUR je weiterer minderjähriger Person im Haushalt erhöht. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus Sachleistungen wie einer prioritären Unterbringung in der Kindertagesstätte, freien Schulmahlzeiten, Teilnahme an Programmen des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen, aber auch trockenen Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Reis, Kleidung und Hygieneartikeln. Alles steht jedoch unter dem Vorbehalt der vorhandenen staatlichen Haushaltsmittel. Die dritte Säule besteht in der Arbeitsvermittlung. Neben zahlreichen Dokumenten zur Registrierung für die genannten Leistungen – unter anderem ein Aufenthaltstitel, ein Nachweis des Aufenthalts (z.B. elektronisch registrierter Mietvertrag, Gas-/Wasser-/Stromrechnungen auf eigenen Namen oder der Nachweis, dass man von einem griechischen Residenten beherbergt wird), eine Bankverbindung, die Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, die Arbeitslosenkarte und eine Kopie der Steuererklärung für das Vorjahr – wird ein legaler Voraufenthalt in Griechenland von zwei Jahren vorausgesetzt. (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2 f.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Stade vom 6.12.2018, S. 4 ff.; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 28 f.: Mindestaufenthalt ein Jahr).
Das sogenannte Cash-Card System des UNHCR, welches über eine Scheckkarte Geldleistungen je nach Familiengröße zur Verfügung stellt, steht nur Asylbewerbern, nicht aber anerkannt Schutzberechtigten, die zurückkehren, offen (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Leipzig vom 28.1.2020, S. 2; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, 28 f.).
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben. Allerdings sind die Chancen auf Vermittlung eines Arbeitsplatzes gering, da die staatliche Arbeitsverwaltung schon für die griechischen Staatsangehörigen kaum Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung hat. Zudem haben sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Griechenland, aktualisierter Stand 19.3.2020, S. 31). Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind, wenn sie überhaupt Arbeit finden, meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder gleich in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad Adenauer Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Dazu tritt regelmäßig die Sprachbarriere (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7). Eine spezielle Förderung zur Arbeitsmarktintegration anerkannt Schutzberechtigter findet derzeit nicht statt (Pro Asyl, Update Stellungnahme Lebensbedingungen international Schutzberechtigter in Griechenland, Stand 30.8.2018, S. 10), vereinzelt haben Nichtregierungsorganisationen Initiativen zur Arbeitsvermittlung gestartet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 7).
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und dem Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte gegeben, unterliegt allerdings denselben Beschränkungen durch Budgetierung und restriktive Medikamentenausgabe wie für griechische Staatsbürger (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Berlin vom 4.12.2019, S. 9; OVG SH, U.v. 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – BeckRS 2019, 22068 Rn. 141 f.).“
c. Diese tatsächlichen – auch durch die weiteren Erkenntnismittel bestätigten – Verhältnisse führen – trotz aller Defizite – für sich noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 EMRK, da die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit nicht in jedem Fall eines anerkannten Schutzberechtigten erreicht wird. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedsstaates – hier Griechenland – zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. auch BVerwG vom 17.6.2020 Az. 1 C 35/19). Hier geht es insbesondere um die elementaren Grundbedürfnisse wie Ernährung, Hygiene und Unterbringung. Die Situation darf außerdem nicht dazu führen, dass die physische oder psychische Gesundheit der Person beeinträchtigt wird und sie in einen Zustand der Verelendung versetzt wird, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. EuGH vom 19.3.2019 a.a.O.). Große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person führen jedoch noch zu keinem Verstoß gegen Art. 3 EMRK, sofern die Situation nicht mit der ernsthaften Gefahr extremer materieller Not verbunden ist. Die betreffende Person muss sich in einer derart schwerwiegenden Situation befinden, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird, die sie nicht aus eigener Kraft wieder abwenden kann (vgl. EuGH a.a.O.). Ein Anspruch auf vergleichbare Verhältnisse und Rechte wie in Deutschland besteht nicht. Der Umstand, dass in Deutschland die Sozialhilfeleistungen und/oder die Lebensverhältnisse günstiger sind als in Griechenland, rechtfertigt nicht die Schlussfolgerung, dass die betreffende Person im Falle ihrer Überstellung eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu erfahren hätte (vgl. EuGH vom 19.3.2019 a.a.O.).
Hinzu kommt, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, anerkannte Schutzberechtigte nicht nach Griechenland zu überstellen. Dem Fehlen einer solchen Empfehlung des UNHCR kommt besondere Bedeutung zu. Denn die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente sind im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in einem Mitgliedstaat angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die – bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrensrechts zu beachtende – Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant (vgl. EuGH vom 30.5.2013 Az. C-528/11).
d. Vor dem Hintergrund dieser strengen Anforderungen an die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK geht die Kammer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK hinsichtlich der Ausländer mit einem Schutzstatus in Griechenland in der Regel nicht vorliegen. Allerdings kann es bei der gebotenen individuellen Betrachtung in besonders gelagerten Einzelfällen – insbesondere bei Personen mit besonderem Schutzbedarf – geboten sein, dass die deutschen mit den ausländischen Behörden Kontakt aufnehmen und notwendige Vorkehrungen zum Schutz dieser Personen getroffen werden. Eine Überstellung würde in solchen Fällen nur dann nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen, wenn die ausländischen Behörden eine individuelle Garantieerklärung abgeben, wonach die Betroffenen – zumindest übergangsweise – eine Unterkunft erhalten und ihre elementaren Bedürfnisse abgedeckt sind. Eine solche individuelle Zusicherung der zuständigen griechischen Stellen liegt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung für den Kläger nicht vor. Zwar hat das griechische Ministerium für Migration in einem Schreiben vom 8. Januar 2018 mitgeteilt, dass Griechenland die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in das nationale Recht umgesetzt hat. Den international Schutzberechtigten würden alle aus dieser Richtlinie erwachsenden Rechte unter Berücksichtigung der Vorgaben der EMRK gewährt. Dieses Schreiben ist jedoch keine konkretindividuelle Zusicherung in Bezug auf den Kläger, sondern nur eine allgemeine Absichtserklärung der griechischen Behörden (vgl. BayVGH vom 25.6.2019 Az. 20 ZB 19.31553).
Allerdings gehört der Kläger nicht zu dem besonders schutzbedürftigen Personenkreis. Es gibt in seiner Person keine individuellen Gründe, die ohne eine individuelle Zusicherung der griechischen Behörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auf die ernsthafte Gefahr einer Verletzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK schließen ließen. Soweit sich der Kläger auf seine Erfahrungen in Griechenland bezieht, entspricht dies der allgemein schwierigen (wirtschaftlichen) Lage, die zumindest grundsätzlich auch die einheimische Bevölkerung trifft. Hinzu kommt, dass er nach seinen Angaben in Saloniki ein Zimmer zugewiesen bekam und Leistungen internationaler Hilfsorganisationen erhielt. Ferner erhielt er – wenn auch geringe – Sozialhilfeleistungen. Einen Fall „extremer materieller Not“ konnte er damit nicht zur Überzeugung des Gerichts darlegen. Dem steht auch nicht entgegen, dass sich nach den – unbelegten – Behauptungen des Klägers internationale Hilfsorganisationen mittlerweile aus Griechenland zurückgezogen hätten. Hilfestellung bieten nämlich auch zahlreiche griechische Nichtregierungsorganisationen an (s.o.).
Es ist weder erkennbar noch vorgebracht, dass den Kläger in Griechenland die Gefahr extremer materieller Not treffen würde. Es verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK, wenn Schutzberechtigte den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt sind und von ihnen erwartet wird, dass sie selbst für ihre Unterkunft sorgen. Art. 3 EMRK gewährt grundsätzlich auch keinen Anspruch auf Verbleib in einem Mitgliedsstaat, um dort weiterhin von medizinischer, sozialer oder anderweitiger Unterstützung und Leistung zu profitieren. Dem Kläger ist es zuzumuten, sich auf dem – zugegebenermaßen engen – griechischen Arbeitsmarkt um eine Arbeit zu bemühen und ggf. Sozialleistungen wie ein Inländer zu beantragen. Auch wenn das in Griechenland anzutreffende soziale Niveau dem in Deutschland nicht entspricht, kann hieraus nicht abgeleitet werden, dass bei einer Rückführung eine Situation extremer materieller Not entstehen würde. Die schwierigen sozialen Verhältnisse treffen griechische Staatsangehörige in einem vergleichbaren Ausmaß. Einen Anspruch auf vergleichbare soziale Verhältnisse kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen. Zwar ist der Zugang zu Soziallleistungen gerade in der Anfangszeit nicht gewährleistet und es ist im Allgemeinen auch schwierig, eine geregelte Arbeitsstelle und eine angemessene Unterkunft zu finden (s.o.). Allerdings können dem jungen, gesunden und alleinstehenden Kläger auch schwierige Verhältnisse zugemutet werden, ohne dass er hierbei auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann. Er ist in seiner Eigeninitiative nicht durch familiäre Verpflichtungen eingeschränkt. Er kann sich ohne Einschränkungen dem Alltag und der Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts widmen. Es ist ihm auch zumutbar, sich möglichst schnell zumindest Grundkenntnisse der griechischen Sprache anzueignen. Die Eigeninitiative des Klägers ist auch in Bezug auf die Wohnungssuche gefragt. Ihm ist auch eine Unterbringung in einer Obdachlosenunterkunft oder vorübergehend in informellen Strukturen zumutbar. Er kann sich zur Unterstützung auch an NGOs wenden.
Dass sich nach den Angaben des Klägers Onkel und Tanten in Deutschland aufhalten sollen, steht einer Rückführung ebenfalls nicht entgegen. Es ist nicht erkennbar, dass sie unabdingbar auf einen Aufenthalt des Klägers in Deutschland angewiesen wären. Dieser hat auch keine Erkrankungen geltend gemacht, die zu einer besonderen Vulnerabilität führen würden. Die Auswirkungen von Corona stehen dieser Beurteilung ebenfalls nicht entgegen. Es ist nicht erkennbar, dass das Gesundheitssystem in Griechenland dadurch so beeinträchtigt wird, dass die physische Gesundheit des Klägers in einem relevanten Ausmaß gefährdet wird, zumal dieser keinen erkennbaren erheblichen Vorerkrankungen geltend gemacht hat.
Das Gericht entnimmt höchstrichterlichen Entscheidungen bei außergewöhnlichen familiären Gründen die Verpflichtung, dass es wegen der bestehenden Kapazitätsengpässen in besonders gelagerten Einzelfällen geboten sein kann, dass die deutschen mit den ausländischen Behörden Kontakt aufnehmen und notwendige Vorkehrungen zum Schutz der Betroffenen treffen. Bei der Abschiebung von Familien mit Kleinstkindern muss das Bundesamt eine konkrete und einzelfallbezogene Zusicherung einholen, dass die Familie eine gesicherte Unterkunft für alle Familienmitglieder erhalten wird (vgl. BVerfG vom 27.5.2015 Az. 2 BvR 3024/14, 2 BvR 177/15, 2 BvR 601/15). Das Bundesverfassungsgericht ist dabei von Kindern bis zu einem Alter von drei Jahren ausgegangen (vgl. BVerfG vom 17.9.2014 Az. 2 BvR 1795/14). Solle eine Familie mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden, so ergebe sich aus Art. 21 ff. der EU-Aufnahmerichtlinie sowie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eindeutig, dass den Belangen der Betroffenen besondere Rechnung getragen werden muss (vgl. BVerfG vom 29.8.2017 Az. 2 BvR 863/17). Im vorliegenden Fall steht jedoch keine Abschiebung des Klägers mit einem Kleinstkind im Raum.
II. Die Anfechtungsklage gegen Nr. 3 Sätze 1 bis 3 des Bescheids ist ebenfalls unbegründet. Das Bundesamt durfte eine schriftliche Abschiebungsandrohung erlassen, da die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG vorliegen. In dem Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer gemäß § 35 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Dies ist hier Griechenland. Die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt eine Woche, § 36 Abs. 1 AsylG. Nr. 3 Satz 5 des Bescheids berücksichtigt die Rechtsprechung des EuGH (vgl. Urteil vom 19.6.2018 Az. C-181/16, „Gnandi“) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 20.2.2020 Az. 1 C 19/19).
III. Die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Das Bundesamt ist gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG bei Abschiebungsandrohungen nach den §§ 34, 35 AsylG für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG zuständig. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 3 AufenthG von Amts wegen zu befristen. Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen liegen hier vor. Die Zeitdauer der Befristung hält sich im gesetzlich vorgegebenen Rahmen und lässt bei dem erwachsenen Kläger keine Ermessensfehler erkennen. Insoweit wird auch auf den Bescheid Bezug genommen.
B.
Schließlich ist damit die hilfsweise erhobene Klage auf Verpflichtung, bei dem Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich Griechenlands festzustellen, unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist nämlich auch in Nr. 2 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Er hat keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Griechenlands (s.o.).
Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vor. Vom Kläger wurden keine solchen schwerwiegenden Erkrankungen vorgebracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83b AsylG.
Die Höhe des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.


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