Verwaltungsrecht

Umdeutung der „Berufung“ in einen Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  12 B 17.2019

Datum:
13.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 132483
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124, § 124a

 

Leitsatz

1 Es kann vom Vorliegen eines Antrags auf Zulassung der Berufung auch ausgegangen werden, wenn der Rechtsmittelführer gleichsam versehentlich „Berufung“ eingelegt hat, sich aber aus den Gesamtumständen innerhalb der Antragsfrist ergibt, dass er sich lediglich im Ausdruck vergriffen hat (Anschluss an BVerwG BeckRS 9998, 50929). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Vor Fehlern des eigenen Prozessbevollmächtigten durch Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs bzw. der verfristeten Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs schützt Art. 19 Abs. 4 GG einen Rechtsschutzsuchenden nicht. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 22 K 16.1653 2017-04-27 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Berufung (hilfsweise der Antrag auf Zulassung der Berufung) wird als unzulässig verworfen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 6.362,- € festgesetzt.

Gründe

Der Kläger beansprucht mit seiner Klage unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 6. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. März 2016 von der Beklagten die Bewilligung von Wohngeld ab dem 1. Oktober 2015.
1. Mit Urteil vom 27. April 2017 wies das Verwaltungsgericht München die auf die Wohngeldbewilligung gerichtete Klage als unbegründet ab. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung:versehene Urteil wurde den Bevollmächtigten des Klägers am 18. Juli 2017 zugestellt. Mit Telefax vom 1. August 2017 legten die Bevollmächtigten des Klägers – die DGB Rechtsschutz GmbH – beim Verwaltungsgericht München Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil ein. Die Einlegung solle zunächst nur zur Fristwahrung erfolgen, Berufungsanträge und Berufungsbegründung blieben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten.
Mit Telefax vom 18. September 2017 stellten die Klägerbevollmächtigen daraufhin den Antrag,
„unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 27.04.2017, Az.: M 22 K 16.1653, den Bescheid der Landeshauptstadt München vom 06.10.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Unterfranken vom 11.03.2016 aufzuheben und dem Kläger und seinen Familienangehörigen Wohngeld in maximal möglichem Umfang ab 01.10.2015 zu gewähren.“
Sodann erfolgte die schriftsätzliche Begründung der Berufung, die sich ausführlich unter Beweisantritt mit der Vermögenssituation des Klägers auseinandersetzte. Mit weiterem Telefax vom gleichen Tag teilten die Klägerbevollmächtigten „im Hinblick auf die heutige Berufungsbegründung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 27.04.2017 mit, dass wir zunächst namens und in Vollmacht des Klägers und Berufungsklägers die Zulassung der Berufung beantragen.“ Zur Begründung werde „auf den heute bereits übersandten Schriftsatz mit der ‚Berufungsbegründung‘ vollinhaltlich Bezug genommen“. Die Berufungsschrift vom 31. Juli 2017 sei „dahingehend auszulegen, dass Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt wird.“
Nachdem der Senat die Verfahrensbeteiligten nach § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die beabsichtigte Verwerfung der klägerseits eingelegten „Berufung“ als unzulässig hingewiesen hatte, nahmen die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2017 dahingehend Stellung, dass es im vorliegenden Fall nach Maßgabe der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG geboten sei, den Berufungsantrag als Antrag auf Zulassung der Berufung auszulegen. Entgegen den Hinweisen des Senats habe der Kläger in der „Berufungsbegründung“ auch Zulassungsgründe dargelegt. Insbesondere sei ausgeführt worden, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zum Nachteil des Klägers vom Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2012 (Az.: 12 A 2492/11) abweiche. Mithin liege auch ein Zulassungsgrund vor.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
2. Die Berufung des Klägers ist unzulässig.
2.1 Das von den Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017, beim Verwaltungsgericht München am 1. August 2017 eingegangene und mit weiterem Schriftsatz vom 18. September 2017 unter entsprechender Antragstellung begründete Rechtsmittel der „Berufung“ ist mangels Zulassung durch das Verwaltungsgericht unzulässig (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 VwGO). Auf das Erfordernis, zunächst die Zulassung der Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zu beantragen, sind die Klägerbevollmächtigten in der Rechtsbehelfsbelehrung:des angefochtenen Urteils ausdrücklich hingewiesen worden. Die Berufung war folglich als unzulässig zu verwerfen (§ 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO; zu der hier vorliegenden Fallkonstellation vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 12 B 13.2441 – Umdruck).
Das unstatthafte Rechtsmittel der Berufung wahrt auch die Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht und einen Antrag auf Zulassung der Berufung, der die Antragsfrist, die gemäß § 57 Abs. 2 VwGO am Tag der Zustellung, dem 18. Juli 2017, zu laufen begann und gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 ff. BGB am Freitag, dem 18. August 2017, ablief, allein hätte wahren können, haben die Klägerbevollmächtigten bis zu deren Ablauf nicht gestellt. Stattdessen wurde mit weiterem Schriftsatz vom 18. September 2017 zunächst die „Berufung“ unter Stellung eines entsprechenden Berufungsantrags begründet.
2.2 Entsprechend dem Grundsatz „falsa demonstratio non nocet“ kann zwar vom Vorliegen eines Antrags auf Zulassung der Berufung dann ausgegangen werden, wenn der Rechtsmittelführer gleichsam versehentlich „Berufung“ eingelegt hat, sich aber aus den Gesamtumständen, etwa durch die Bezeichnung und Darlegung von Zulassungsgründen innerhalb der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ergibt, dass der Rechtsmittelführer sich lediglich im Ausdruck vergriffen hat (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.1998 – 1 B 110.98 – NVwZ 1999, 405).
Hierfür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Denn die rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers haben nicht nur mit Schriftsatz vom 31. Juli 2017 das Rechtsmittel der „Berufung“ eingelegt und die Parteien des Rechtsstreits als „Berufungskläger“ und „Berufungsbeklagter“ bezeichnet, sondern auch mit weiterem Schriftsatz vom 18. September 2017 zunächst einen Berufungsantrag gestellt und eine Berufungsbegründung abgegeben, die sich unter vielfältigen Beweisantritten mit der tatsächlichen Einkunfts- und Vermögenssituation des Klägers befasst. Weiter haben sie im Schriftsatz vom 18. September 2017 (Seite 13) vorsorglich um Fristverlängerung bezüglich einer ergänzend zu erbringenden weiteren Berufungsbegründung nachgesucht. Nach § 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO ist indes lediglich die Berufungsbegründungsfrist einer Fristverlängerung durch den Senatsvorsitzenden zugänglich. Mithin lassen die Gesamtumstände der vorliegenden Rechtsmitteleinlegung die vom Kläger beanspruchte Umdeutung der „Berufung“ in einen Antrag auf Zulassung der Berufung und der Berufungsbegründung in die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung nach Ablauf der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht zu, zumal auch innerhalb des Laufs der Antragsfrist nicht „klargestellt“ wurde, dass es sich bei dem eingelegten Rechtsmittel um einen Antrag auf Zulassung der Berufung handeln solle (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 27.8.2008 – 6 C 32.07 – NJW 2009, 162).
2.3 Die Klägerbevollmächtigten haben mit der „Berufungsbegründung“ vom 18. September auch keinen Berufungszulassungsgrund dargelegt. Soweit sie sich im Schriftsatz vom 30. Oktober 2017 auf § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO beziehen und vortragen, angesichts des Hinweises auf ein dem angefochtenen Urteil widersprechendes Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. April 2012 im Schriftsatz vom 18. September 2017 liege der Zulassungsgrund der Divergenz vor, geht dies fehl. Denn § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO verlangt die Darlegung, dass das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Oberverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht. Keine zulassungsrelevante Divergenz vermag der Vortrag zu begründen, das Verwaltungsgericht weiche in seinem Urteil von der Rechtsprechung nicht des zuständigen Berufungsgerichts, sondern eines anderen Oberverwaltungsgerichts ab (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 45). Weiter muss die Divergenzrüge, will sie die Zulassung der Berufung bewirken, einen entscheidungserheblichen Rechtssatz des angefochtenen Urteils herausarbeiten, der von einem ebenso zu bezeichnenden Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts abweicht (vgl. hierzu Happ, a.a.O., Rn. 42). Dies leistet die „Berufungsbegründung“ vom 18. September 2017 ebenso wenig, da sie sich insoweit in der wörtlichen passagenweisen Wiedergabe des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen erschöpft. Da sich auch im Übrigen der „Berufungsbegründung“ vom 18. September 2017 keine Darlegung von Berufungszulassungsgründen entnehmen lässt und eine Umdeutung des „Berufungsantrags“ in einen Antrag auf Zulassung der Berufung ausscheidet, ist – jedenfalls hilfsweise – auch der Antrag auf Zulassung der Berufung, als den die Klägerbevollmächtigen die Berufungseinlegung verstanden wissen wollen, als unzulässig zu verwerfen.
2.4 Entgegen der Auffassung der Klägerbevollmächtigten gebietet auch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG im vorliegenden Fall die Umdeutung der „Berufung“ in einen Antrag auf Zulassung der Berufung nicht, da es – wie vorstehend ausgeführt – bereits an Anhaltspunkten für eine Umdeutung des von den rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers eingelegten Rechtsmittels mangelt. Eine Auslegung des Antrags „zugunsten“ des Klägers kommt daher nicht in Betracht. Vor Fehlern des eigenen Prozessbevollmächtigten durch Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs bzw. der verfristeten Einlegung des statthaften Rechtsbehelfs schützt Art. 19 Abs. 4 GG einen Rechtsschutzsuchenden nicht (vgl. hierzu mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung Enders in BeckOK Grundgesetz, Art. 19 GG Rn. 75).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Verwaltungsstreitsachen in Angelegenheiten des Wohngeldrechts sind nicht nach § 188 Satz 2, 1 VwGO gerichtskostenfrei. Der Streitwert bestimmt sich für das Berufungsverfahren nach § 47 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 GKG.
4. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 125 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO).


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