Verwaltungsrecht

Unverzügliche Information der Öffentlichkeit nach § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB, Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für einen Abänderungsantrag betreffend einen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts, der durch das Beschwerdegericht geändert wurde

Aktenzeichen  B 7 E 21.1321

Datum:
4.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2827
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
VwGO analog § 80 Abs. 7
LFGB § 40 Abs. 1a

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000.00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, vertreten durch …, plant die Veröffentlichung von konkret benannten Hygieneverstößen/Reinigungsmängeln in einem von der Antragsgegnerin betriebenen Schlacht- und Zerlegebetrieb. Mit dem hiesigen Verfahren begehrt wird die Abänderung von zwei im vorläufigen Rechtsschutz ergangenen Beschlüssen des Verwaltungsgerichts Bayreuth, wobei einer dieser Beschlüsse in einem Beschwerdeverfahren durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geändert wurde.
Die Antragsgegnerin betreibt einen Schlacht- und Zerlegebetrieb für Schafe, Ziegen, Rinder und Schweine in … Der Betrieb wurde von … gemeinsam mit … am 12.07.2021 kontrolliert. Am 09.08.2021 fand eine Nachkontrolle statt. Im Rahmen dieser Kontrolltermine wurde eine Reihe tierschutz-, lebensmittel- und hygienerechtlicher Verstöße festgestellt, die im Kontrollbericht vom 09.08.2021 hinsichtlich des Termins am 12.07.2021 und im Kontrollbericht vom 19.08.2021 hinsichtlich des Termins am 09.08.2021 im Einzelnen aufgeführt und mit zwei Bildmappen dokumentiert wurden.
Gegen eine diesbezüglich beabsichtigte behördliche Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB ließ die Antragsgegnerin am 21.09.2021 um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag der Maßgabe, die Verstöße im Veröffentlichungstext zu präzisieren durch Beschluss vom 29.09.2021 ab (Az. B 7 E 21.1038). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof änderte diesen Beschluss am 15.11.2021 dahingehend ab, dass dem Antragssteller im Weg der einstweiligen Anordnung untersagt wird, die entsprechenden Informationen zu veröffentlichen (Az. 20 CE 21.2568). Von Seiten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde insbesondere moniert, dass die Anhörung der Antragsgegnerin durch den Antragsteller nicht den relevanten Anforderungen genüge, weil der Antragsteller seinerzeit im Vergleich zu der Anhörung im behördlichen Verfahren die Veröffentlichung eines anderslautenden Textes beabsichtigt hatte, um die durch das Verwaltungsgericht für erforderlich gehaltene Maßgabe zu gewährleisten. Ohne dass es noch darauf ankomme, wies der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs darauf hin, dass eine gerichtliche Maßgabe nur im Falle des Erlasses einer Anordnung zugunsten des jeweiligen Antragstellers und nicht bei einer vollständigen Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung möglich sei. Soweit sich das Verwaltungsgericht einer auch höchst- und obergerichtlich vertretenen Ansicht angeschlossen hat, dass eine Maßgabe im Eilverfahren auch bei Antragsablehnung – freilich in gewissen Grenzen, die vorliegend nicht zu vertiefen sind – möglich ist (vgl. etwa BVerwG, B.v. 2.10.2014 – 9 VR 3/14; BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 19 CE 17.657; BayVGH, B.v. 2.7.2019 – 19 CE 17.2135 u.a. zu VG Bayreuth, B.v. 12.10.2017 – B 6 E 17.454; VGH BW, B.v. 29.6.2021 – 10 S 310/21; s.a. BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 10 CS 16.1468; BeckOK VwGO/Kuhla, § 123, Rn. 144a), mochte dem der 20. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – ohne nähere Begründung – nicht folgen; es liege eine Überschreitung des durch die Prozessordnung eingeräumten Ermessens vor.
Nach dem Abschluss des Beschwerdeverfahrens hörte … die hiesige Antragsgegnerin mit Schreiben vom 18.11.2021 abermals zur beabsichtigten Veröffentlichung unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht für nötig erachteten Präzisierung an. Dem trat die Antragsgegnerin durch ihren Bevollmächtigten entgegen, worauf die Behörde zuletzt mit Schreiben vom 10.12.2021 an der beabsichtigten Veröffentlichung festhielt, soweit nicht binnen sieben Werktagen eine gerichtliche Untersagung erfolge.
Am 20.12.2021 wandte sich die Antragsgegnerin an das Verwaltungsgericht und beantragte, dass der Behörde die geplante Veröffentlichung der konkreten Hygieneverstöße/ Reinigungsmängel untersagt werde. Das Verwaltungsgericht gab dem Eilantrag mit Beschluss vom 22.12.2021 statt (Az. B 7 E 21.1302) und verwies zur Begründung auf die Rechtskraft des Beschlusses vom 29.09.2021 in der Fassung der Beschwerdeentscheidung vom 15.11.2021. Hingewiesen wurde ferner auf die Erforderlichkeit eines Abänderungsverfahrens analog § 80 Abs. 7 VwGO. Der Beschluss vom 22.12.2021 wurde den Beteiligten am 23.12.2021 bzw. 28.12.2021 zugestellt.
Mit am 28.12.2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz beantragte der Antragsteller,
1.unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.09.2021 (Az.: B 7 E 21.1038) in der Fassung des Beschlusses durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 15.11.2021 (Az.: 20 CE 21.2568) den Antrag der Antragsgegnerin auf Untersagung der Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB der Hygieneverstöße aus den Betriebskontrollen vom 12.07.2021 und 09.08.2021 abzulehnen.
2.unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 22.12.2021 (Az.: B 7 E 21.1302) den Antrag der Antragsgegnerin vom 20.12.2021 auf Untersagung der Veröffentlichung gemäß § 40 Abs. 1a Nr. 3 LFGB der Hygieneverstöße aus den Betriebskontrollen vom 12.07.2021 und 09.08.2021 abzulehnen.
3.die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht Bayreuth sei für das Abänderungsverfahren analog § 80 Abs. 7 VwGO zuständig. Es sei zur Abänderung auch der im Beschwerdeverfahren ergangenen Entscheidung befugt. Ein etwaiges Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss vom 22.12.2021 sei nicht vorrangig. Auch im Übrigen seien die Anträge zulässig (wurde näher ausgeführt). Aufgrund einer geänderten Sachlage seien die Anträge auch begründet. Der formelle Mangel der unzureichenden Anhörung sei nämlich vollständig behoben. In der Folge sei nicht nur der Beschluss vom 29.09.2021 abzuändern, sondern auch derjenige vom 22.12.2021, da insoweit eine Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung nicht mehr entgegenstehe. In der Sache sei nunmehr von einer rechtmäßigen Veröffentlichung auszugehen, insbesondere sei diese mangels schuldhaften Zögerns des Antragstellers als unverzüglich zu bewerten (wurde weiter ausgeführt).
Mit Schriftsatz vom 30.12.2021 beantragte die Antragsgegnerin durch ihren Bevollmächtigten,
1.den Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 29.09.2021 – B 7 E 21.1038 – in der Fassung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.11.2021 – 20 CE 21.2568 – abzulehnen.
2.den Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 22.12.2021 – B 7 E 21.1302 – abzulehnen.
3.die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller aufzuerlegen.
Die Anträge seien unzulässig und unbegründet. Für den ersten Abänderungsantrag sei das Verwaltungsgericht Bayreuth bereits unzuständig. Zuständig sei, da keine Hauptsache anhängig sei, insoweit vielmehr der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, da dieser die maßgebliche Entscheidung erlassen habe. Ferner stehe der Zulässigkeit das Verbot der doppelten Rechtshängigkeit entgegen. Beide Anträge seien auf denselben Verfahrensgegenstand gerichtet, so dass beiden Anträgen das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Jedenfalls sei der zeitlich später anhängig gemachte Antrag – hier der Antrag zu 2) – als unzulässig anzusehen. Der zweite Antrag sei darüber hinaus unzulässig, weil es dem Antragsteller an einer Antragsbefugnis und am Rechtsschutzbedürfnis mangele. Der Antrag sei unstatthaft, da das zugrundeliegende Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei; auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 24.07.2018 wurde hingewiesen. Zudem sei eine geänderte Sach- und Rechtslage in Bezug auf den Beschluss vom 22.12.2021 nicht gegeben. Die Anhörung zur Präzisierung der Veröffentlichung sei bereits vor dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 22.12.2021 erfolgt.
Beide Abänderungsanträge seien schließlich unbegründet. Der Antragsgegnerin stünden weiterhin Anordnungsgrund und -anspruch zur Seite. Die vom Antragsteller geplante Veröffentlichung würde nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB erfolgen. Ein schuldhaftes Zögern der Behörde sei zu bejahen, weil ursprünglich eine nur schlagwortartige Veröffentlichung geplant gewesen sei. … habe am ursprünglich geplanten Text der Veröffentlichung festgehalten und sich erst nach der Beschwerdeentscheidung vom 15.11.2021 veranlasst gesehen, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Die dadurch eingetretenen Verzögerungen seien ihr als schuldhaftes Zögern zuzurechnen. Die Behörde könne sich nicht darauf berufen, dass der Adressat der Maßnahme Rechtsmittel einlege, denn die Kontrollbehörde müsse damit rechnen, dass Rechtsschutz in Anspruch genommen werde, sei es nach Art. 7 der Verordnung (EU) 2017/625 (Recht auf Rechtsbehelf) oder entsprechend dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG. Ein schuldhaftes Zögern der Behörde sie hier auch deshalb zu bejahen, weil diese die nötige Anhörung unterlassen und nicht nachgeholt habe. Nachdem hier zwischenzeitlich mehr als 12 Wochen verstrichen seien (zeitliches Moment), würde eine Veröffentlichung nicht mehr unverzüglich erfolgen. Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der Feststellung der bemängelten Zustände und der geplanten Veröffentlichung. Vorliegend lägen die Kontrollen aber fast sechs bzw. vier Monate zurück. Zurechnen lassen müsse sich die Behörde auch den Zeitablauf, der durch das erneut eingeleitete Anhörungsverfahren und das Verfahren Az. B 7 E 21.1302 entstanden sei. Auch die Laufzeit des vorliegenden (unzulässigen) Abänderungsverfahren gehe zu Lasten der Behörde. Überdies sei eine geplante Veröffentlichung schon formell rechtswidrig, weil eine Zuständigkeit … nicht gegeben sei. Der Verordnungsgeber habe in § 9 GesVSV keine zu § 40 Abs. 1a LFGB abweichende Regelung treffen können. Zuständig wäre allenfalls das Landratsamt Amberg-Sulzbach. Die durch § 9 GesVSV erfolgende Kompetenzzuweisung verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot und den Grundsatz der Normenklarheit. Damit würde eine Veröffentlichung auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen. In materieller Hinsicht sei darüber hinaus der sachliche Anwendungsbereich des § 40 Abs. 1a LFGB nicht eröffnet (wurde – wie auch im Übrigen – umfangreich begründet) und es liege weder ein hinreichend begründeter Verdacht eines Verstoßes gegen sonstige Vorschriften im Sinne der Norm vor noch sei eine belastbare Bußgeldprognose gegeben. Die geplante Veröffentlichung erweise sich schließlich als unverhältnismäßig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten – auch diejenigen der Verfahren Az. B 7 E 21.1038 und B 7 E 21.1302 – sowie die in elektronischer Form vorliegenden Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Das Verwaltungsgericht Bayreuth ist für die beiden streitgegenständlichen Antragsbegehren zuständig. Nach § 80 Abs. 7 VwGO analog entscheidet das Gericht der – hier: fiktiven – Hauptsache über die beantragte Abänderung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts vom 22.12.2021 und 29.09.2021, letzterer in der Fassung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15.11.2021. Ist – wie hier – eine Hauptsache (noch) nicht anhängig, so liegt die Zuständigkeit bei dem Gericht, bei dem die Hauptsache in erster Instanz anhängig zu machen sein würde.
Soweit es um den Beschluss vom 29.09.2021 geht, liegt mit der Beschwerdeentscheidung vom 15.11.2021 auch kein vom Beschluss des Ausgangsgerichts losgelöster „eigenständiger“ Beschluss vor, denn der Bayerische Verwaltungsgerichthof hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht aufgehoben und mit seiner Entscheidung eine Regelung getroffen, die neben dem erstinstanzlichen Beschluss steht, sondern das Beschwerdegericht hat den Beschluss des Verwaltungsgerichts inhaltlich abgeändert und dies auch im Tenor seiner Entscheidung zum Ausdruck gebracht. Nachdem aber vorliegend ein Hauptsacheverfahren nicht anhängig ist, insbesondere auch nicht beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, verbleibt es bei der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für die begehrte Abänderung der beiden inmitten stehenden Beschlüsse (vgl. zur Problematik Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, § 123, Rn. 97; Eyermann, VwGO, § 123, Rn. 28a, 79; BeckOK VwGO/Kuhla, § 123, Rn. 184; Schoch/Schneider/Schoch, § 123 VwGO, Rn. 179 jeweils m.w.N.).
2. Die Anträge auf Abänderung der Beschlüsse vom 29.09.2021 und 22.12.2021 sind zwar zulässig, insbesondere ist insoweit kein Beschwerdeverfahren gemäß § 146 VwGO (mehr) anhängig. Die gerügte doppelte Rechtshängigkeit bzw. das fehlende Rechtsschutzbedürfnis ist für das Gericht in der hiesigen Konstellation ebenfalls nicht ersichtlich, da im Beschluss vom 22.12.2021 dem Antrag – im Gegensatz zum Beschluss vom 29.09.2021 – (lediglich) aus prozessualen Gründen stattgegeben wurde und dementsprechend die Abänderungsanträge hinsichtlich beider Beschlüsse, zumindest aus Gründen der Rechtsklarheit, geboten erscheinen.
3. Die Anträge sind jedoch in der Sache unbegründet. Zwar liegt aufgrund der von der Behörde am 18.11.2021 in zutreffender Form nachgeholten Anhörung der Antragsgegnerin eine veränderte Sachlage vor, die Raum für das hiesige Verfahren analog § 80 Abs. 7 VwGO eröffnet. Jedoch darf die Veröffentlichung der konkret benannten Hygieneverstöße/ Reinigungsmängel aus materiellen Gründen nicht mehr erfolgen. Vorliegend würde eine Veröffentlichung nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB erfolgen, so dass sie unzulässig ist (vgl. Zipfel/Rathke, LebensmittelR, LFGB, § 40, Rn. 127 m.w.N.) und daher dem Antragsgegner weiterhin ein Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 1 VwGO zusteht.
Die Vorgabe, dass die Information der Öffentlichkeit „unverzüglich“ zu erfolgen hat, hat (erst) mit Wirkung vom 30.04.2019 Eingang in das Gesetz gefunden. In der Gesetzesbegründung wird Bezug genommen auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21.03.2018 (Az.: 1 BvF 1/13), mit dem dem Gesetzgeber aufgegeben wurde, die Dauer der zulässigen Veröffentlichung zu begrenzen. Hier hat das Bundesverfassungsgericht zum zeitlichen Abstand zwischen dem lebensmittelrechtlichen Verstoß und der Veröffentlichung ausgeführt: „Je weiter der Verstoß zeitlich entfernt ist, desto geringer ist auf der einen Seite noch der objektive Informationswert seiner Verbreitung, weil sich vom Verstoß in der Vergangenheit objektiv immer weniger auf die aktuelle Situation des betroffenen Unternehmens schließen lässt.“ Diese Erwägung wird in der Gesetzesbegründung zur Aufnahme des Begriffs „unverzüglich“ in § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB aufgegriffen und es wird weiter ausgeführt: „Mit der Ergänzung werden die zuständigen Vollzugsbehörden verpflichtet, nach der abschließenden Ermittlung des Sachverhalts die erforderliche Veröffentlichung ohne Zeitverzug vorzunehmen. Verzögerungen von zum Teil mehreren Monaten zwischen der Feststellung von Verstößen und einer Veröffentlichung, wie in der Vergangenheit teilweise erfolgt, sind im Sinne der Verbraucherinformation nicht zweckdienlich“ (vgl. BT-Dr. 19/8349, S. 19). Vor diesem Hintergrund bezweckt der Gesetzgeber mit dem tatbestandlichen Merkmal der Unverzüglichkeit einen möglichst geringen zeitlichen Abstand der Veröffentlichung der Information zu dem die Informationspflicht auslösenden Rechtsverstoß und dadurch eine hinreichende Aktualität zu gewährleisten. Allerdings gibt er mit der Anknüpfung an den unbestimmten Rechtsbegriff der Unverzüglichkeit auch zu erkennen, dass er die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung nicht von der Einhaltung einer starren zeitlichen Grenze, sondern von einer Beurteilung der konkreten Umstände des Einzelfalls abhängig machen will. Deshalb und weil es an einer spezifisch lebensmittelrechtlichen Definition des Begriffs der Unverzüglichkeit fehlt, liegt es – auch mit Blick auf den Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung – nahe, in Anlehnung an die Legaldefinition in § 121 Abs. 1 BGB ein behördliches Handeln „ohne schuldhaftes Zögern“ zu verlangen, was auch in der Gesetzesbegründung („ohne Zeitverzug“) anklingt. Zwar ist – ebenfalls in Anlehnung an die zu § 121 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze – der zuständigen Behörde eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist einzuräumen. Gerade auch mit Blick auf die erheblichen Folgen einer Veröffentlichung für die grundrechtlichen Belange des betroffenen Unternehmens muss die Behörde Gelegenheit erhalten, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Veröffentlichung mit der gebotenen Sorgfalt zu prüfen. Soweit etwaige zu einer Verfahrensverzögerung führende Umstände nicht der Sphäre der Behörde – auch während eines gerichtlichen Eilverfahrens -, sondern derjenigen des Lebensmittelunternehmers zuzurechnen sind, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die Unverzüglichkeit der Veröffentlichung in Frage zu stellen (zum Ganzen vgl. VGH BW, B.v. 9.11.2020 – 9 S 2421/20 m.w.N.).
Nach der Rechtsprechung der Kammer ist auf die Verhältnisse des Einzelfalls abzustellen, wobei freilich angesichts der notwendigen Sachaufklärung und eines angemessenen Prüfungs- und Überlegungszeitraums eine ins Auge gefasste Veröffentlichung innerhalb von wenigen Wochen regelmäßig noch unverzüglich sein dürfte. Dabei sind Verzögerungen aus der Sphäre des Lebensmittelunternehmers „fristverlängernd“ zu würdigen (vgl. B.v. 31.08.2021 – B 7 E 21.945 – juris).
Für die vorliegende Konstellation gilt bei Anwendung dieser Maßstäbe Folgendes:
Die Behörde hat nach der Kontrolle vom 09.08.2021, auf die hier alleine abzustellen ist, weil nur die in diesem Zusammenhang festgestellten Mängel veröffentlicht werden sollen, zügig das Veröffentlichungsverfahren nach § 40 Abs. 1a LFGB eingeleitet und die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.08.2021 angehört. Die beabsichtigte Veröffentlichung wurde den Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am 09.09.2021 mitgeteilt, wobei der geplante Text der Veröffentlichung mit Blick auf die Umschreibung der Verstöße nicht konkret genug gefasst war (vgl. B.v. 29.09.2021 – B 7 E 21.1038, BA S. 31 ff.). Daran ist auch nach nochmaliger Überprüfung festzuhalten.
Ein konkreter gefasster Veröffentlichungstext wurde vorliegend erstmals mit der Maßgabe der Kammer im Beschluss vom 29.09.2021 eingebracht und nachfolgend von … aufgegriffen. Ausgehend von der Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hätte jedoch eine derartige Maßgabe – jedenfalls ohne gesonderte Anhörung der Antragsgegnerin – nicht erfolgen dürfen. Dies hat eine zeitliche Zäsur zur Folge, die durch den Beschluss vom 29.09.2021 ausgelöst wurde und bis zur Beschwerdeentscheidung „andauerte“. Dieser Zeitraum von ca. sechs Wochen lag nicht in der Sphäre der Behörde, die sich (zu Recht) an den mit einer Maßgabe versehenen Beschluss des Gerichts gebunden gesehen hat und der insoweit ein „schuldhaftes Zögern“ hinsichtlich der bislang unterbliebenen Veröffentlichung nicht vorgehalten werden kann. … zeitlich zuzurechnen ist insoweit vielmehr ein Zeitraum von rund sieben Wochen.
Zu berücksichtigen ist darüber hinaus aber ein zweiter Zeitraum zwischen der erneuten Anhörung vom 15.11.2021 und der Antragstellung im hiesigen Verfahren am 28.12.2021, mithin weitere rund sechs Wochen. Es versteht sich, dass die Laufzeit des Verfahrens Az.
B 7 E 21.1302 nicht zugunsten … „herausgerechnet“ werden kann, denn soweit die Behörde seinerzeit eine Veröffentlichung ohne vorherige Abänderung des Beschlusses vom 29.09.2021 beabsichtigte, liegt ein ihr zuzurechnendes „schuldhaftes Zögern“ vor.
Insgesamt ergibt sich somit ein der Behörde zuzurechnender Zeitraum von rund 13 Wochen, nach dessen Ablauf eine Veröffentlichung nicht mehr als unverzüglich angesehen werden kann. „Herauszurechnen“ sind ferner lediglich einige Tage an zusätzlicher, in die alleinige Sphäre der Antragsgegnerin fallender Verzögerung, die durch die Anrufung des unzuständigen Verwaltungsgerichts Regensburg im Verfahren Az. B 7 E 21.1038 entstanden waren. Das Verfahren ging beim dortigen Gericht am 17.09.2021 ein, wurde jedoch bereits am 21.09.2021 verwiesen (Az. RO 5 E 21.1888) und ging hier am 21.09.2021 ein.
Nach dem in der vorliegenden Sache verstrichenen „anrechenbaren“ Zeitraum von ca. 12 bis 13 Wochen fehlt es an dem von § 40 Abs. 1a LFGB vorausgesetzten engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Verstoß und der geplanten Veröffentlichung. Es sind auch keine Umstände des Einzelfalls ersichtlich (z.B. aufwändige Ermittlungen, etc.), die vorliegend eine Veröffentlichung gleichwohl noch als unverzüglich im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB erscheinen lassen könnten.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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