Verwaltungsrecht

Unzulässigkeit einer in Prozessstandschaft gegen den Dienstherrn geführten Leistungsklage auf Erstattung geleisteter Zahlungen

Aktenzeichen  3 ZB 19.1337

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14675
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 86
BayBG Art. 12 S. 1, Art. 83 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine gewillkürte Prozessstandschaft kommt wegen entsprechender Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO auch bei der Leistungsklage nicht in Betracht (stRspr BVerwG BeckRS 2013, 58242). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit der allgemeinen Feststellungsklage sind zwar auch zukünftige Rechtsverhältnisse feststellungsfähig, aber sie müssen bereits konkret und hinreichend überschaubar sein; unzureichend sind Rechtsverhältnisse, die sich – wie hier – aufgrund der Beschreibung  verschiedener Szenarien ergeben, die potentiell geeignet sind, einen finanziellen Schaden zu verursachen, dessen Eintritt aber gegenwärtig noch völlig ungewiss ist (Anschluss BVerwG BeckRS 9998, 47677). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 5 K 17.1499 2019-05-28 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 329.316,68 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist als Verwaltungsoberamtsrat (BesGr. A 13) für die Beklagte tätig. Zwischen 2004 und 2009 war er in deren Auftrag für die B. GmbH, eine städtische Wohnbaugesellschaft im Alleineigentum der Beklagten, als Geschäftsführer im Rahmen einer Abordnung tätig. Die B. GmbH hatte für den Kläger eine sog. D& O-Versicherung, eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung (Berufshaftpflichtversicherung), abgeschlossen und die Versicherungsbeiträge gezahlt.
Im Zusammenhang mit der Realisierung eines Wohnbauprojekts hat die B. GmbH den Kläger aus Organhaftung in Anspruch genommen. Das Landgericht Traunstein verurteilte ihn mit rechtskräftigem Urteil vom 31. Mai 2017 (1 HK O 2158/15) zur Zahlung von 13.203,83 € nebst Zinsen. Zusammen mit sämtlichen Gerichts- und Anwaltskosten belaufen sich die Ansprüche der B. GmbH aus diesem Verfahren auf 29.316,68 €. Außerdem wurde festgestellt, dass der Kläger der B. GmbH alle Schäden zu ersetzen hat, die ihr infolge des Abschlusses und der Durchführung eines bestimmten Kaufvertrags im Rahmen des erwähnten Wohnbauprojektes entstanden sind bzw. noch entstehen.
Der Versicherungsträger ist für den Schaden eingetreten und hat die 29.316,68 € an die B. GmbH bezahlt. Nach dem Vortrag des Klägers handelt es sich nur um einen vorläufigen Deckungsschutz; eine endgültige Prüfung stehe noch aus.
Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagte in Prozessstandschaft für den Versicherungsträger auf Erstattung des an die B. GmbH gezahlten Betrags in Anspruch (Klageantrag zu 1.) und begehrt in eigenem Namen die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihn von etwaigen weiteren Schadensersatzansprüchen und Erstattungsansprüchen der B. GmbH freizustellen (Klageantrag zu 2.).
Den Zahlungsantrag hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen. Die Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen komme jedenfalls im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage nicht in Betracht. Selbst wenn man die grundsätzliche Zulässigkeit einer gewillkürten Prozessstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bejahen wolle, läge deren weitere Zulässigkeitsvoraussetzung – ein eigenes rechtliches (oder ggf. wirtschaftliches) Interesse des Klägers an dessen Durchsetzung – nicht vor. Ferner wies das Verwaltungsgericht darauf hin, dass fraglich sei, ob dem Kläger, der Versicherungsschutz genieße und deshalb wirtschaftlich nicht aus dem fraglichen Schadensereignis belastet sei, Ansprüche gemäß Art. 83 BayBG zustünden. Fraglich sei auch, ob ein gesetzlicher Forderungsübergang auf die D& O-Versicherung nach § 86 VVG wegen des höchstpersönlichen Charakters der Rückgriffshaftung des Dienstherrn nach Art. 83 BayBG in Betracht komme.
Den Feststellungsantrag hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, es sei derzeit nicht absehbar, ob dem Kläger überhaupt ein weiterer Schaden drohe. Selbst wenn dies der Fall sei, könne er Ansprüche nur gegen die Versicherung und aufgrund der Subsidiarität der Ansprüche nach Art. 83 BayBG nicht gegen die Beklagte geltend machen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (ernstliche Zweifel), des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (besondere rechtliche Schwierigkeiten) sowie des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen können. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
a. Das Verwaltungsgericht hat den Klageantrag zu 1. zutreffend als unzulässig erachtet. Es fehlt bereits an einer Übertragung der Prozessführungsbefugnis von der Versicherung auf den Kläger und damit an der Grundvoraussetzung für eine gewillkürte Prozessstandschaft (Schenke in Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 25. Aufl. 2019, Vorb § 40 Rn. 24).
(1) Der Kläger kann im Übrigen mit seinem Einwand, bei der allgemeinen Leistungsklage sei eine gewillkürte Prozessstandschaft (ausnahmsweise) zulässig, da § 42 Abs. 2 VwGO keine Anwendung finde, keine ernstlichen Zweifel darlegen. Es ist in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur anerkannt, dass § 42 Abs. 2 VwGO auf die allgemeine Leistungsklage entsprechend anzuwenden ist (stRspr, BVerwG, U.v. 5.9.2013 – 7 C 21.12 – juris Rn. 18; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 80, Schmidt-Aßmann/Schenk in Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: Juli 2019, vor § 1 Rn. 168). Aus diesem Grund kommt eine gewillkürte Prozessstandschaft auch bei der Leistungsklage nicht in Betracht (generell eine gewillkürte Prozessstandschaft im Verwaltungsprozess verneinend: Happ a.a.O. Rn. 82; Schmidt-Kötters, BeckOK VwGO, Stand: Oktober 2019, § 42 Rn. 114; Redeker/v. Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Aufl. 2014, § 63 Rn. 7a; ausdrücklich auch für die allgemeine Leistungsklage verneinend: Schenke a.a.O. Rn. 25; differenzierend: Sennekamp in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 42 VwGO Rn. 179: jedenfalls für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen).
(2) Soweit die Zulassungsschrift auch auf die weiteren Hilfserwägungen des Verwaltungsgericht zur Zulässigkeit der Klage („Selbst wenn man die grundsätzliche Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bejahen wollte…“) bzw. zur Begründetheit der Klage („Im Übrigen sei darauf hingewiesen…“) wendet, sind diese Ausführungen von vornherein nicht geeignet, die Zulassung der Berufung zu begründen, weil es auf die Richtigkeit dieser Ausführungen nicht entscheidungserheblich ankommt.
b. Der Kläger kann auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Feststellungsantrag (Klageantrag zu 2.) sei unzulässig, da ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten jedenfalls zu dem für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht bestehe, mit seiner Zulassungsschrift nicht ernstlich in Frage stellen.
Das Verwaltungsgericht hat darauf hingewiesen, dass der hier der Feststellungsklage zugrunde zu legende Sachverhalt (noch) nicht hinreichend überschaubar sei, weil die zukünftige tatsächliche Entwicklung der finanziellen Belastung des Klägers infolge seiner Geschäftsführertätigkeit bei der B. GmbH und damit die rechtliche Bewertung seines möglichen Freistellungsanspruchs gegen die Beklagte noch offen sei. Es sei bisher ungewiss, ob der Kläger durch die B. GmbH tatsächlich wegen weiterer Schadenspositionen in Anspruch genommen werde und ob er diese Schäden selbst tragen müsse oder durch die D& O-Versicherung entlastet werde. Erst wenn die endgültige finanzielle Belastung des Klägers feststehe, könne auf dieser Grundlage die Frage beantwortet werden, ob sich der Dienstherr aus Fürsorgegesichtspunkten vor den Beamten stellen müsse.
Auf diesen Gesichtspunkt geht die Zulassungsschrift nicht ein, sondern beschränkt sich darauf verschiedene Szenarien zu beschreiben die potentiell geeignet sind, beim Kläger einen finanziellen Schaden zu verursachen. Dessen Eintritt ist aber völlig ungewiss. Zwar sind auch zukünftige Rechtsverhältnisse feststellungsfähig. Dies setzt aber voraus, dass sie konkret und bereits hinreichend überschaubar sind (BVerwG, U.v. 16.11.1989 – 2 C 23.88 – juris Rn. 17; Möstl in BeckOK VwGO, Stand: April 2020, § 42 Rn. 26). Die allgemeine Feststellungsklage scheidet daher aus, wenn sich das Rechtsverhältnis – wie hier – nur aufgrund eines theoretischen, ausgedachten oder unwahrscheinlichen Sachverhalts ergeben könnte (Sodan in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 43 Rn. 22).
Die Ausführungen des Klägers zur Verjährung liegen neben der Sache. Zum einem vermag er damit kein Rechtsverhältnis darzulegen, zum anderen beginnt die Verjährungsfrist des Art. 12 Satz 1 BayBG nicht „spätestens mit dem Urteil des LG Traunstein (also am 1.1.2018)“, sondern erst, wenn ihm tatsächlich ein nicht kompensierbarer Schaden und damit ein Anspruch nach Art. 83 Satz 1 BayBG entstanden ist.
2. Der Rechtsstreit weist keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die Frage der Beurteilung der Ansprüche nach Art. 83 BayBG und das Zusammenspiel mit § 86 VVG sind – wie bereits ausgeführt – nicht entscheidungserheblich (vgl. Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 125).
3. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen.
Der Kläger wirft die Rechtsfrage auf, „ob das Bestehen einer Versicherung zugunsten des Beamten seine Ansprüche nach Art. 83 BayBG bereits dem Grund nach ausschließt“.
Abgesehen davon, dass der Kläger den Klärungsbedarf dieser Frage schon nicht hinreichend dargelegt hat, besteht ein solcher auch nicht, weil sich diese Rechtsfrage mangels Entscheidungserheblichkeit in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde (vgl. Seibert a.a.O. Rn. 154).
4. Der Zulassungsantrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG (wie Vorinstanz).
5. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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