Verwaltungsrecht

Verlust des assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts

Aktenzeichen  M 12 K 15.5829

Datum:
14.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 49892
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 4 Abs. 5 S. 1, S. 2
ARB 1/80 Art. 7 S. 1, Art. 13, Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Aufenthaltsrecht eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen erlischt, wenn er das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigten Grund verlassen und seinen Lebensmittelpunkt von Deutschland wegverlagert hat. Zwischen der Dauer des Auslandsaufenthalts und den Gründen für das freiwillige Verlassen des Bundesgebiets muss ein Zusammenhang bestehen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Verfahrensgegenstand ist vorliegend der Bescheid vom 20. November 2015, mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) abgelehnt hat.
Die sich hiergegen richtende Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von fünf Jahren und Ausstellung einer Daueraufenthaltsbescheinigung gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 20. November 2015 erweist sich vielmehr als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von fünf Jahren auf Grundlage von § 4 Abs. 5 AufenthG.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 AufenthG wird auf Antrag demjenigen, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt. Hat ein türkischer Staatsangehöriger ein solches supranationales Aufenthaltsrecht erworben, so folgt die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts unmittelbar aus den Bestimmungen der Beschlüsse des Assoziationsrates. Die Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG ist daher insoweit nur deklaratorischer Natur. Um das Bestehen des Daueraufenthaltsrechts formal nachweisen zu können, bedarf es jedoch der Erteilung einer entsprechenden Aufenthaltserlaubnis, aus der sich eine mindestens fünfjährige Gültigkeitsdauer ergeben muss (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand: November 2015, § 4 Rn. 70a).
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer solchen Aufenthaltserlaubnis sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der Kläger kein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei geltend machen kann. Zwar hat der Kläger als Sohn türkischer Arbeitnehmer ursprünglich ein solches Aufenthaltsrecht gemäß Art. 7 Satz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei (ARB 1/80) erworben. Dieses ist jedoch infolge seines fast viereinhalbjährigen Aufenthalts in der Türkei vom 28. April 1998 bis zum 27. September 2002 wieder erloschen.
1.1. In Übereinstimmung mit den Parteien geht auch die Kammer davon aus, dass der Kläger ursprünglich ein von seinen Eltern abgeleitetes Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben hatte. Nach dieser Vorschrift haben die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz haben. Als Folge dieses unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleiteten Anspruchs auf Beschäftigung hat der Europäische Gerichtshof (vgl. U. v. 17.4.1997 – Kadiman, Rs. C-351/95 – juris Rn. 29) aus Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 ein Aufenthaltsrecht für die Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, abgeleitet. Dieses Recht auf Aufenthalt und Beschäftigung steht dabei nicht nur Familienangehörigen eines türkischen Arbeitnehmers zu, die die Erlaubnis erhalten haben, zu ihm zu ziehen, sondern auch Kindern türkischer Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – im Bundesgebiet geboren worden sind (vgl. EuGH, U. v. 11.11.2004 – Cetinkaya, C-467/02 – InfAuslR 2005, 13 Rn. 23 ff.; BayVGH, U. v. 21.1.2013 – 10 B 11.1722 – juris Rn. 33).
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Kläger als Sohn türkischer Arbeitnehmer ursprünglich ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Der Kläger, der von seiner Geburt am … an bis zu seiner erstmaligen Ausreise aus dem Bundesgebiet am 25. Juni 1996 ununterbrochen mit seinen Eltern in häuslicher Gemeinschaft lebte, hatte bei seinen Eltern für länger als fünf Jahre seinen ordnungsgemäßen Wohnsitz. Jedenfalls sein Vater gehörte ausweislich des vorgelegten Rentenversicherungsverlaufs vom … Juli 1973 bis zum … Juli 1978 auch durchgehend dem deutschen Arbeitsmarkt an.
1.2. Der Kläger hat die nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 erworbene Rechtsstellung jedoch wieder verloren.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können aus Art. 7 ARB 1/80 erwachsende Rechte nur unter zwei Voraussetzungen beschränkt werden: Entweder stellt die Anwesenheit des türkischen Familienangehörigen im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche und schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 dar, oder der Betroffene hat das Hoheitsgebiet dieses Staates für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen (vgl. EuGH, U. v. 16.3.2000 – Ergat, C-329/97 – juris und U. v. 8.12.2011 – Ziebell, C-371/08 – juris). Dabei ist grundsätzlich vom abschließenden Charakter dieser beiden Verlustgründe auszugehen (BVerwG, U. v. 9.8.2007 – 1 C 47.06 – BVerwGE 129, 162 Rn. 15 und U. v. 30.4.2009 – 1 C 6.08 – BverwGE 134, 27 Rn. 24). Daraus folgt, dass ein gemäß Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger sein Aufenthaltsrecht nicht allein deshalb verlieren kann, weil er wegen der Verurteilung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe keine Beschäftigung ausgeübt und dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stand; denn die Rechtsstellung der in Art. 7 ARB 1/80 genannten Familienangehörigen hängt nicht von der Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ab (vgl. EuGH, U. v. 25.9.2008 – Rs. C-453/07 – Er – NVwZ 2008, 1337 Rn. 31 f.; BVerwG, U. v. 30.4.2009 – 1 C 6/08 – juris Rn. 24).
Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger verwirklichten Straftaten ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Denn das Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 ist bereits deshalb erloschen, weil der Kläger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat.
(1) Welche Zeitspanne unter einem nicht unerheblichen Zeitraum zu verstehen ist, bemisst sich nach einer Gesamtbewertung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls und lässt sich nicht losgelöst von den Gründen des Betroffenen für das Verlassen des Bundesgebiets beurteilen (vgl. BVerwG, U. v. 25.3.2015 – 1 C 19/14 – juris Rn. 18). Zur näheren Bestimmung des Zeitraums, nach dem das Verlassen des Bundesgebietes zum Erlöschen des Daueraufenthaltsrechts nach Art. 7 ARB 1/80 führt, ist auf Ziel und Zweck der Regelung des Art. 7 ARB 1/80 zurückzugreifen: Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dient das System des schrittweisen Erwerbs von Rechten aus Art. 7 ARB 1/80 zwei Zwecken. Zum einen sollen Familienangehörige des Arbeitnehmers bis zum Ablauf des ersten Zeitraums von drei Jahren die Möglichkeit erhalten, bei diesem zu leben, um so durch Familienzusammenführung die Beschäftigung und den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers, der sich bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, zu begünstigen. Zum anderen soll die Vorschrift eine dauerhafte Eingliederung der Familie des türkischen Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat fördern, indem dem Familienangehörigen nach drei Jahren ordnungsgemäßer Wohnsitznahme selbst der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Hauptzweck ist also, die Stellung des Familienangehörigen, der sich in dieser Phase bereits ordnungsgemäß in den Aufnahmemitgliedstaat integriert hat, dadurch zu festigen, dass er die Mittel erhält, dort selbst seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich folglich eine gegenüber der Stellung des Stammberechtigten selbstständige Stellung aufzubauen (vgl. EuGH, U. v. 22.6.2000 – C-65/98 – Eyüp – juris; U. v. 11.11.2004 – C-467/02 – Cetinkaya – juris; U. v. 29.3.2012 – C-7/10 und C-9/10 – Kahveci und Inan – juris). Art. 7 ARB 1/80 zielt demzufolge nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs darauf ab, das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht nach seiner Entstehung aus der Abhängigkeit von der beschäftigungsbezogenen Rechtstellung des Stammberechtigten zu lösen und dem Familienangehörigen zum Zwecke der Integration im Mitgliedstaat eine autonome Rechtsposition zu verschaffen (vgl. EuGH, U. v. 7.7.2005 – C-373/03, Aydinli, Rn. 23; U. v. 18.7.2007 – C-325/05, Derin, Rn. 53 und 71).
Mit Blick auf dieses Regelungsziel kommt es im Falle eines längeren Auslandsaufenthalts des assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen bei der Bewertung aller Umstände des Einzelfalles, ob er das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat, daher maßgeblich darauf an, ob er seinen Lebensmittelpunkt aus Deutschland wegverlagert hat (vgl. BVerwG, U. v. 25.3.2015, 1 C 19/14 – juris Rn. 18). Ist ein dauerhafter Aufenthalt im Bundesgebiet erkennbar nicht mehr gewollt, erlöschen die Zielsetzung des ARB sowie die hieraus abgeleiteten Rechtspositionen. Abzustellen ist dabei darauf, ob der Betroffene bei objektiver Betrachtungsweise nach außen hin zu erkennen gegeben hat, dass er sich auf Dauer vom Bundesgebiet verabschiedet hat und seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei verlagert hat. Für die Annahme einer dauerhaften Abwesenheit vom Bundesgebiet können etwa eine melderechtliche Abmeldung in Deutschland, die Kündigung einer Wohnung oder aber die Tatsache sprechen, dass sich die Familienangehörigen in der Türkei und nicht mehr in Deutschland aufhalten. Wer auf der anderen Seite weiterhin seinen Wohnsitz in Deutschland hat, hier eine Wohnung inne hat oder noch über andere intensiven Kontakte verfügt, bei dem wird eher davon auszugehen sein, dass er nur auf beschränkte Zeit das Bundesgebiet verlassen möchte (vgl. BayVGH, B. v. 21.3.2006 – 24 ZB 06.233 – juris Rn. 23). Das zeitliche Moment und die Gründe für das Verlassen des Bundesgebiets stehen dabei nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr besteht zwischen ihnen ein Zusammenhang: Je länger der Betroffene sich im Ausland aufhält, desto eher spricht das dafür, dass er seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufgegeben hat. Ein nur kurzfristiger Aufenthalt in der Türkei, etwa zu Besuchszwecken oder zur Wahrnehmung geschäftlicher Termine, ist dagegen nicht geeignet, um die Annahme zu rechtfertigen, auf das aus dem ARB abgeleitete Recht werde verzichtet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U. v. 25.3.2015 – 1 C 19.14 – juris Rn. 18) müssen ab einem Auslandsaufenthalt von ungefähr einem Jahr gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Lebensmittelpunkt des türkischen Staatsangehörigen noch im Bundesgebiet ist.
(2) Ob die Abwesenheit vom Bundesgebiet von berechtigten Gründen getragen ist, hängt zum einen maßgeblich davon ab, ob damit anerkennenswerte Interessen verfolgt werden. Entscheidend ist nicht, ob die Gründe aus dem subjektiven Blickwinkel des Betroffenen berechtigt erscheinen, sondern ob sie allgemein gesellschaftlich anerkannt sind (vgl. Dienelt in Renner/Bergmann/Diennelt, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Auflage 2013, Art. 7 ARB 1/80 Rn. 46).
Zum anderen hat der EuGH in der Rechtsache Kadiman (EuGH U. v. 17.4.1997 – C-351/95 – juris) zum Ausdruck gebracht, dass im Rahmen der Beurteilung einer längeren Abwesenheit vom Aufnahmemitgliedstaat auf die Freiwilligkeit abzustellen ist. Jener Entscheidung lag ein Fall zugrunde, in dem der Ehemann seiner Frau während eines Urlaubs in der Türkei den Reisepass entwendet hatte, so dass sie erst nach fünf Monaten in das Bundesgebiet zurückkehren konnte. Der Gerichtshof hat im Zusammenhang mit dem anspruchsbegründenden Dreijahreszeitraum des Art. 7 Satz erster Spiegelstrich ARB 1/80 ausgeführt, dass kurzzeitige Unterbrechungen der Lebensgemeinschaft zwischen Familienangehörigen und Stammberechtigtem, die ohne die Absicht erfolgen, den gemeinsamen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat in Frage zu stellen, den Zeiten gleichzustellen seien, während der der betroffene Familienanagehörige tatsächlich mit dem türkischen Arbeitnehmer zusammengelebt habe. Erst recht habe dies für einen kürzeren als sechsmonatigen Aufenthalt des Betroffenen in seinem Heimatland zu gelten, wenn dieser Aufenthalt nicht von seinem eigenen Willen abhängig gewesen sei. Diese Ausführungen gelten – wie aus dem Verweis des Gerichtshofs in der Sache Ergat ersichtlich – entsprechend für den Verlust der assoziationsrechtlichen Stellung bei der Prüfung, ob ein Familienangehöriger den Mitgliedstaat für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat (BVerwG, U. v. 30.4.2009 – 1 C 6.08 – BverwGE 134,27 Rn. 26). Demzufolge ist maßgebend auf die Freiwilligkeit des Auslandsaufenthalts abzustellen. Zu prüfen ist, ob der auf längere Zeit angelegte Aufenthalt in der Türkei vom Willen des Betroffenen getragen war bzw. durch dessen persönliches Verhalten zu verantworten ist. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Verlassen der Bundesrepublik und der anschließende Aufenthalt in der Türkei vom Willen des Betroffenen getragen sind. Es mag aber eine Vielzahl denkbarer Konstellationen geben, bei denen die Freiwilligkeit nachträglich weggefallen ist. Dies gilt etwa dann, wenn eine Krankheit oder Inhaftierung die zunächst beabsichtigte Rückkehr nach Deutschland unmöglich macht oder unzumutbar erschwert. In gleicher Weise kann dies etwa der Fall sein, wenn familiäre Probleme oder sonstige Schwierigkeiten in der Türkei es unzumutbar erscheinen lassen, innerhalb einer angemessenen Frist nach Deutschland zurückzukehren (vgl. BayVGH, B. v. 21.3.2006 – 24 ZB 06.233 – juris Rn. 24).
(3) Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist vorliegend davon auszugehen, dass der Kläger seine assoziationsrechtliche Rechtsstellung aus Art. 7 ARB 1/80 verloren hat, da er jedenfalls im Zeitraum vom Dezember 1999 bis 27. September 2002 das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hatte.
Der Kläger hat das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlassen. In Übereinstimmung mit dem Klägerbevollmächtigten geht auch die Kammer davon aus, dass es sich bei dem erstmaligen Aufenthalt des Klägers in der Türkei, der von 16. Juli 1996 bis 4. Juni 1997 andauerte, angesichts der Dauer des Auslandsaufenthalts von unter einem Jahr sowie der zwischenzeitlichen Rückkehr des Klägers in das Bundesgebiet im November 1996 kaum um einen erheblichen Zeitraum gehandelt haben dürfte, der seine nach Art. 7 ARB 1/80 erworbene Rechtsstellung zum Erlöschen gebracht hat. Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls bei seinem zweiten Türkeiaufenthalt in der Zeit vom 28. April 1998 bis 27. September 2002 handelte es sich um einen solchen nicht unerheblicher Zeitraum, der zum Erlöschen seiner Rechte aus Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 geführt hat. Bei der Bewertung, ob dieser Auslandsaufenthalt einen nicht unerheblichen Zeitraum darstellt, ist der Zeitraum vom Mai 1998 bis November 1999, in der der Kläger seinen Wehrdienst in der Türkei geleistet hat, auszunehmen. Denn insoweit beruht seine Abwesenheit auf einem berechtigten Grund und kann folglich nicht zum Erlöschen der assoziationsrechtlichen Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 führen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, U. v. 11.5.2010 – 12 B 26.09 – juris Rn. 38 m. w. N.). Selbst wenn man jedoch die 18-monatige Wehrdienstzeit des Klägers außer Betracht lässt, stellt allein die Zeitspanne nach Ableistung des Wehrdienstes bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 27. September 2002 einen nicht unerheblichen Zeitraum dar, der die Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 zum Erlöschen gebracht hat:
Nach Ableistung seines Wehrdienstes verbrachte der Kläger bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 27. September 2002 noch fast zwei Jahre und neun Monate in der Türkei. Vorliegend ist auch davon auszugehen, dass der Kläger während dieses Zeitraums seinen Lebensmittelpunkt nicht mehr im Bundesgebiet, sondern vielmehr in der Türkei hatte. Gewichtige Anhaltspunkte, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einer mehr als einjährigen Abwesenheit vom Bundesgebiet vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass der türkische Staatsangehörige weiterhin seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet hatte, sind im Fall des Klägers nicht zu erkennen. Vielmehr lassen die objektiv erkennbaren Umstände darauf schließen, dass der Kläger im Zeitraum von Dezember 1999 bis 27. September 2002 seinen Lebensmittelpunkt in der Türkei hatte. Hierfür spricht zum einen die melderechtliche Abmeldung im Bundesgebiet zum 28. April 1998 (vgl. Blatt 104 der Behördenakte). Darüber hinaus ist hier maßgeblich zu berücksichtigen, dass auch die Eltern des Klägers im April 1998 bzw. im Mai 1999 ihren Wohnsitz im Bundesgebiet aufgegeben hatten und in die Türkei zurückgekehrt waren. Damit lebten die nächsten Familienangehörigen des Klägers in der betreffenden Zeit ebenfalls in der Türkei und nicht mehr im Bundesgebiet. In der mündlichen Verhandlung vom 11. Juni 2015 gab der Kläger auch an, dass er nach Ableistung seines Wehrdienstes zunächst abwechselnd im Sommer bei seinem Vater in … gelebt habe, um diesen bei seiner Arbeit in einem Restaurant zu unterstützen, und im Winter zu seiner Mutter nach … gezogen zu sein. Vom Sommer 2001 bis zum Sommer 2002 habe er wieder bei seinem Vater in … gelebt. Dass er weiterhin über soziale Kontakte im Bundesgebiet verfügte, die er während seines Auslandsaufenthalts aufrechterhielt, wurde weder vom Kläger geltend gemacht noch ergibt sich dies aus der vorgelegten Behördenakte. Lediglich im Jahr 2001 reiste der Kläger einmalig zu Besuchszwecken für wenige Wochen in das Bundesgebiet ein. Darüber hinaus unterhielt der Kläger auch keine Wohnung mehr im Bundesgebiet. Zwar ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist und die deutsche Sprache fließend beherrscht. Dies schließt angesichts der vorgenannten Umstände jedoch nicht aus, dass er im Zeitraum von Dezember 1999 bis 27. September 2002 seinen Lebensmittelpunkt in die Türkei verlagert hat. Vorliegend ist anzunehmen, dass der Kläger über seine Eltern sowohl mit der türkischen Sprache als auch mit der türkischen Kultur und den dortigen Lebensgewohnheiten vertraut ist. Auch der Umstand, dass er zwischen dem 16. Juli 1996 und 4. Juni 1997 fast ein Jahr in der Türkei verbracht hatte, spricht dafür, dass er seinem Heimatland keineswegs fremd gegenüberstand und er in der Lage war, sich auch dort eine Existenz aufzubauen. Hierauf lassen auch seine Aussagen im Rahmen der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht … am 8. November 1993 schließen, wonach er beabsichtige, auf Dauer in die Türkei zu ziehen, wo er sich wohler fühle. Wenngleich vorliegend zu berücksichtigen ist, dass der Kläger diese Aussagen nicht unmittelbar vor seiner Ausreise traf, so lässt sich ihnen jedoch zumindest entnehmen, dass der Kläger einem Leben in der Türkei jedenfalls nicht abgeneigt gegenüberstand. Die Gesamtumstände lassen somit darauf schließen, dass es sich bei dem zweiten Türkeiaufenthalt des Klägers um einen auf Dauer angelegten Aufenthalts handelte und er in dieser Zeit seinen Lebensmittelpunkt in die Türkei verlagert hat. Aufgrund der Dauer des Auslandsaufenthalts von fast zwei Jahren und neun Monaten sowie der Aufgabe des Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet ist daher davon auszugehen, dass der Kläger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum verlassen hat.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass er sich in der Zeit von Dezember 1999 bis zu seiner Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 27. September 2002 aus berechtigten Gründen in der Türkei aufgehalten hat. Zwar ist vorliegend davon auszugehen, dass die Ausreise selbst aus berechtigten Gründen erfolgte. Denn der Kläger wurde mit Ordnungsverfügung des … vom 8. September 1997 dazu verpflichtet, das Bundesgebiet bis zum 15. Oktober 1997 zu verlassen. Leistet der Ausländer mit seiner Ausreise einer behördlichen Verpflichtung Folge, so ist hierin grundsätzlich ein legitimer Grund für die Ausreise zu sehen. Des Weiteren stellt auch der bis November 1999 geleistete Wehrdienst einen berechtigten Grund für die Abwesenheit des Klägers vom Bundesgebiet dar (s.o.). Jedoch fehlt es an einem berechtigten Grund für den sich hieran anschließenden Aufenthalt des Klägers in der Türkei von Dezember 1998 bis zum 27. September 2002. Entgegen der Auffassung des Klägers ist insbesondere in der Ordnungsverfügung des … vom 8. September 1997 kein berechtigter Grund mehr für seinen weiteren Auslandsaufenthalt von zwei Jahren und neun Monaten zu sehen. Eine behördliche Ausreiseverpflichtung stellt nämlich keinen berechtigten Grund für einen jahrelangen Auslandsaufenthalt eines Ausländers dar, wenn der Ausländer nicht alle zumutbaren Rechtsmittel gegen die Verfügung ausgeschöpft hat und auch keine nach außen erkennbaren Anstrengungen für eine Rückkehr ins Bundesgebiet unternommen hat, sondern im Gegenteil seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt hat. So liegt der Fall hier. Der Kläger hat zum einen nicht alle ihm zumutbaren Mittel ausgeschöpft, um sich gegen die Ausreiseverpflichtung zur Wehr zu setzen. So hat er zwar Widerspruch gegen die Entscheidung vom 8. September 1998 eingelegt, jedoch gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1998 kein Rechtsmittel mehr erhoben. Zum anderen hat er – abgesehen von der Einholung eines Rechtsrats bezüglich der Ordnungsverfügung vom 8. September 1998 – auch keine erkennbaren Anstrengungen unternommen, um in das Bundesgebiet zurückkehren zu können. Weder hat sich der Kläger nach seiner Ausreise um die Erteilung eines Visums bemüht noch hat er ein weiteres Mal einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gestellt. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erschien hier auch nicht von vornherein aussichtslos. Aus der Begründung der Ordnungsverfügung vom 8. September 1998 geht vielmehr hervor, dass die Versagung der im Juni 1997 beantragten Aufenthaltserlaubnis ausschließlich darauf gestützt wurde, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet eingereist war. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch die zuständige Behörde bei Einholung eines entsprechenden Visums war daher nicht ausgeschlossen. Ferner lässt sich auch nicht feststellen, dass der Kläger beispielsweise über Bewerbungen für einen Arbeitsplatz im Bundesgebiet den Versuch unternommen hätte, in die Bundesrepublik Deutschland zurückzukehren. Zudem ist hier zu berücksichtigen, dass sich die Rechtsprechung des EuGH hinsichtlich der Auslegung der Erlöschensgründe assoziationsrechtlicher Aufenthaltsrechte jedenfalls mit der Entscheidung in der Rechtsache Ergat (vgl. EuGH, U. v. 16.3.2000, C-329/97 – juris) im März 2000 abzeichnete. Auch nach dieser Entscheidung hat der Kläger jedoch keine weiteren Bemühungen ergriffen, um sein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu erstreiten. Ein Wille des Klägers, in absehbarer Zeit seinen Aufenthalt in der Türkei zu beenden und in das Bundesgebiet zurückzukehren ist somit nach außen hin nicht erkennbar geworden. Im Gegenteil hat der Kläger in dieser Zeit seinen Lebensmittelpunkt vielmehr in der Türkei verlegt. Denn dorthin waren im April 1998 bzw. im Mai 1999 auch seine Eltern als seine nächsten Familienangehörigen gezogen. Im Bundesgebiet verfügte der Kläger hingegen nicht mehr über entsprechend enge soziale Bindungen (s.o.). All dies lässt somit darauf schließen, dass sich der Kläger offenbar auf ein Leben in der Türkei eingestellt hatte und sein Auslandsaufenthalt von seinem freien Willen getragen war. Aus diesem Grunde ist daher davon auszugehen, dass für den Aufenthalt des Klägers in der Türkei von Dezember 1999 bis 27. September 2002 kein berechtigter Grund vorlag. Ein Fortwirken eines äußeren Zwangs aufgrund der Ordnungsverfügung vom 8. September 1998 lässt sich für den Zeitraum Dezember 1998 bis 27. September 2002 zur Überzeugung der Kammer nicht feststellen.
Nach alledem ist daher davon auszugehen, dass der Kläger das Bundesgebiet für einen nicht unerheblichen Zeitraum ohne berechtigte Gründe verlassen hat.
Die Beklagte hat damit zu Recht die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers auf Grundlage von § 4 Abs. 5 ARB i. V. m. dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei abgelehnt.
2. Da der Kläger kein Aufenthaltsrecht aus dem ARB 1/80 ableiten kann, besteht entsprechend auch kein Anspruch auf Ausstellung eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4 Abs. 5 AufenthG.
Nach alledem war die Klage daher abzuweisen.
3. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
5. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124 und 124a Abs. 1 VwGO kann die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
Über die Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 5.00,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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