Verwaltungsrecht

Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt wegen wiederholter strafrechtlicher Verurteilungen bei Suchtmittelabhängigkeit

Aktenzeichen  19 ZB 20.496

Datum:
15.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 5346
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FreizügG/EU § 6
BtMG § 35 Abs. 1, Abs. 3, § 36
StGB § 57

 

Leitsatz

1. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (Fortführung BayVGH BeckRS 2018, 11351). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der Wiederholungsprognose ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer bereits zuvor Drogenbehandlungen absolviert hat, die längerfristig erfolglos geblieben sind, weil die Erfolgschancen einer Therapie umso geringer sind, je mehr erfolglose Therapien vorhergegangen sind. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie setzt nicht die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Durchführung der Therapie und erst recht nicht die Wahrscheinlichkeit des langfristigen Ausbleibens einer erneuten Delinquenz voraus. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der illegale Drogenhandel gehört zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 11 K 17.1173 2019-12-11 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Der Kläger wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2019, durch das seine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 2. Juni 2017 abgewiesen worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte – unter Anordnung des Sofortvollzugs – den Verlust des klägerischen Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt (Nrn. I und III des Bescheids), die Wirkungen der Feststellungswirkungen auf die Dauer von 8 Jahren ab Ausweisung/Abschiebung befristet (Nr. II des Bescheids) und die Abschiebung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise, insbesondere nach Italien, angedroht (Nrn. IV und V des Bescheids).
Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
1. Die Berufung des Klägers ist nicht aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerseite im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Solche schlüssigen Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn im Zulassungsverfahren substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19). Es reicht nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – juris Rn. 9).
Der Kläger rügt, das verwaltungsgerichtliche Urteil beruhe auf falschen Tatsachengrundlagen bzw. seien Tatsachen in fehlerhafter Weise gewürdigt oder offengelassen worden. Aus der Verurteilung des Klägers vom 17. Mai 2016 seien keine zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ersichtlich. Die Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt könne nur ultima ratio sein. Es sei zu berücksichtigen, dass Drogenabhängigkeit eine schwerwiegende Krankheit und als solche die Ursache für Verbrechen im Zusammenhang mit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und der Beschaffungskriminalität sei. Daher sei als milderes Mittel zunächst Sorge dafür zu tragen, dass die Abhängigkeit des Klägers hinreichend psychologisch und im Rahmen einer Substitutionstherapie auch medikamentös therapiert werde. Dies gelte umso mehr als der Kläger nunmehr bereit sei, sich therapieren zu lassen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit derzeit schon deshalb nicht bestehe, weil sich der Kläger in einer derartigen Therapie befinde. Auch nach Abschluss der stationären Therapie und endgültiger Entlassung aus der Haft könne die Gefahr erneuten Drogenkonsums und daraus resultierender Straftaten mit Mitteln der Führungsaufsicht auf ein kalkulierbares und von der Allgemeinheit hinzunehmendes Maß reduziert werden. Eine konkrete Gefahr, die sich bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge alsbald verwirklichen könne und daher die unverzügliche Entfernung des Klägers aus der Bundesrepublik notwendig machen würde, könne dann ausgeschlossen werden. Schon die Beklagte habe es unterlassen, anhand des Grads der Konkretheit der Gefahrverwirklichung darzulegen, wie „gegenwärtig“ und wie schwerwiegend tatsächlich die Gefährdung sei und welches Grundinteresse der Gesellschaft berührt sei. Vom Drogenmissbrauch und der Beschaffungskriminalität gingen keine erheblichen Gefahren für den Fortbestand der Gesellschaft, des Gesundheitssystems, der Volkswirtschaft und des hiermit verbundenen in der Bundesrepublik herrschenden Wohlstands aus. Etwas anderes ergebe sich im Hinblick auf ein mögliches beeinträchtigtes Interesse der Gesellschaft auch aus dem Vortrag der Beklagten nicht, der Kläger sei seit 23 Jahren drogenabhängig, bei wechselnden Arbeitgebern tätig gewesen und seit September 2013 keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Hier bleibe daher hilfsweise anzumerken, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits bekannt gewesen sei, dass der Kläger im Rahmen seiner Maßnahme nach § 64 StGB im Bereich der Gastronomie berufstätig gewesen sei. Da eine Drogenabhängigkeit als Krankheit anzusehen sei, sei es wenig hilfreich, dem Kläger zu unterstellen, dass er der Rechtsordnung keine Beachtung schenke, dass er sich durch die verbüßte Haft nicht beeindrucken lasse und dass sich sein Charakter üblicherweise aufgrund seines Lebensalters nicht mehr durchgreifend verändern lasse. Zudem habe die Beklagte es unterlassen, anhand des Grades der Konkretheit der Gefahrverwirklichung darzulegen, wie gegenwärtig und schwerwiegend im Sinne von § 6 Abs. 2 FreizügG/EU die Gefährdung sei. Bei der Gewichtung des Bleibeinteresses des Klägers gegenüber den Belangen der Öffentlichkeit habe nicht berücksichtigt werden dürfen, dass den Kläger die familiären Bindungen nicht von seiner Drogensucht und weiteren Straftaten haben abhalten können, da das Familiengrundrecht des Klägers Selbstzweck und nicht Mittel zur Durchsetzung von Rechtsnormen sei. Bei einer Trennung des Klägers von seiner Familie könne über Besuche seiner Tochter in Italien oder vielleicht in Kufstein oder Eger oder über einen Grenzzaun hinweg zwischen Konstanz und Kreuzlingen oder über soziale Medien keine tiefergreifende menschliche Nähe aufrechterhalten werden. Soweit sich das Verwaltungsgericht auf den Bericht des Bezirkskrankenhauses P. vom 8. März 2019 beziehe, wonach keine hinreichend konkrete Aussicht bestehe, den Kläger durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor einem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgingen, sei dem entgegenzuhalten, dass in P. Insassen, die einen Fluchtversuch unternähmen, immer und unabhängig von der Prüfung des Einzelfalles das Vertrauen der Einrichtung nachhaltig verlören. Dieser dem Verwaltungsgericht bekannte Umstand sei nicht gewürdigt worden. Auch sei die Behauptung einer fehlenden Heilungsaussicht nicht kritisch hinterfragt worden. Eine Heilung von einer Abhängigkeit könne von einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt niemals erwartet werden. Ziel sei es vielmehr, dem Patienten im Rahmen der Therapie den Willen und die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, damit dieser mit seiner weiter fortbestehenden Abhängigkeit künftig so umgehen könne, dass es nicht zum Schaden für ihn selbst oder auch für die Allgemeinheit gereiche. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, durch die Flucht des Klägers aus der Entziehungsanstalt im Zeitraum vom 11. Dezember 2018 bis zum 17. März 2019 könne festgestellt werden, dass es zu keiner tiefergehenden Auseinandersetzung mit dem eigenen Suchtverhalten sowie zum Aufbau grundlegender Voraussetzungen für eine längerfristige Verhaltensänderung gekommen sei, sei in sich nicht logisch nachvollziehbar. Die Flucht sei eine Kurzschlussreaktion aufgrund der Angst gewesen, nach einem Rückfall alsbald wieder ins Gefängnis gesteckt zu werden. Im Übrigen habe die Flucht gerade nicht dazu geführt, dass der Kläger erneut Straftaten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln oder im Sinne von Beschaffungskriminalität begangen habe. Auch dieser Tatsache habe das Verwaltungsgericht keinerlei Rechnung getragen. Angesichts der Tatsache, dass Verurteilungen wegen Sachbeschädigungen, räuberischen Erpressungen sowie Körperverletzungsdelikten lange zurücklägen, sei nicht nachvollziehbar, worauf das Verwaltungsgericht seine Erwartung gründe, dass der Kläger derartige Delikte erneut begehen werde. Es bleibe die Antwort darauf schuldig, worin die vom Kläger ausgehende gegenwärtige, tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, liegen solle. Ein formelhafter Hinweis, dass nach ständiger Rechtsprechung anerkannt sei, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgingen, schwerwiegend seien und ein Grundinteresse der Gesellschaft berührten, reiche nicht. Vielmehr nehme es Stellung zur moralischen Verwerflichkeit des Verhaltens des Klägers. Es führe zwar richtigerweise aus, dass eine vollständige Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht unterstellt werden könne, solange nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen worden sei, bleibe aber die Antwort schuldig, wie darüber hinaus die damit verbundene Erwartung künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht werden solle. Warum die vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung unterbreitete Mitteilung, der Kläger sei zu einer Substitutionstherapie bereit, um vom Heroin loszukommen, nicht geeignet sein solle, eine ausreichend konkrete, gegenwärtige und schwerwiegende Wiederholungsgefahr zu entkräften, erschließe sich ebenfalls nicht von selbst und wäre daher darzulegen gewesen. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren nicht immer schon automatisch einen zwingenden Grund für eine Verlustfeststellung darstellen müsse. Es verkenne zudem, dass es sich bei Drogenhandel zwar um Verbrechen und somit um schwere Straftaten, jedoch nicht um schwerste Straftaten handle. Das Verwaltungsgericht führe zudem nicht aus, worin die besonders schwerwiegenden Merkmale hinsichtlich der Art und Weise der Begehung der Straftat bestehen sollen. Das Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge an harten Drogen stelle jedenfalls kein besonders schwerwiegendes Merkmal hinsichtlich der Art und Weise der Begehung der Straftat dar, sondern gehöre bereits zum gesetzlichen Tatbestand. Auch die Tatsache, dass der Kläger unter offener Bewährung mehrfach straffällig geworden sei und seine Sucht nicht hinreichend aufgearbeitet habe, sei bei der Begehung von Drogendelikten alles andere als außergewöhnlich und weise keine besonders schwerwiegenden Merkmale hinsichtlich der Art und Weise der Begehung der Straftat auf. Ein besonders schwerwiegendes Merkmal aufgrund Tatbegehung als Mitglied einer Bande liege nicht vor, weil das Strafgericht den Strafrahmen nicht § 30a BtMG, sondern § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG entnommen habe. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt. Es liege schon nicht im Ermessen der Beklagten, festzustellen, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Klägers an seinem Verbleib im Bundesgebiet überwiege. Bei der Feststellung von Tatbestandsvoraussetzungen gebe es kein Ermessen. Im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die Beklagte auch nicht die Auswirkung der begangenen Betäubungsmitteldelikte auf die Allgemeinheit, oder auf den begrenzten Personenkreis der Käufer, der sich die Drogen sicher auch anderweitig beschafft hätte, berücksichtigt, sondern habe sich dazu geäußert, welche Gefahren allgemein von derartigen Delikten ausgingen. Die vom Verwaltungsgericht nicht beanstandete Feststellung der Beklagten, der Kläger sei mit 35.000 EUR verschuldet, sei sachfremd. Die Beklagte habe den Belangen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den Vorrang eingeräumt, ohne sich auch nur annähernd mit diesen, beispielsweise dem Grundinteresse der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Es sei zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Wiederholungsgefahr aufgrund pauschaler Erwägungen als so schwerwiegend eingestuft habe, dass die persönlichen Belange des Klägers zurückzutreten hätten. Auch könne das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens nicht schon dadurch gerechtfertigt werden, dass dem Kläger auch eine Reintegration im Heimatland möglich und zumutbar sei, da diese Reintegration den Folgen des Eingriffs in das Familiengrundrecht nicht entgegenwirke. Die verfügte Abschiebungsandrohung stehe im krassen Widerspruch zu den rechtlichen Gepflogenheiten des Strafvollzugs, denen der Kläger auch schon bei Bescheidserlass unterlegen habe.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen des Klägers auch unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklung nicht.
1.1 Die Einwendungen gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre (vgl. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, v. 29.4.2004, ABl. EU L 158 S. 77), greifen nicht durch.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU), wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass in der Regel eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U.v. 22.5.2012 – C-348/09 – juris Rn. 33 f.; EuGH, U.v. 27.10.1999 – juris Rn. 29/30).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. z.B. BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 34; BVerwG, U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – Rn. 18). Das Abwarten eines erfolgreichen Therapieverlaufs ist insoweit nicht angezeigt, da künftige Entwicklungen nichts über die aktuell vom Kläger ausgehende Gefährdung aussagen (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2015 – 1 B 39/15 – juris Rn. 10).
Der am … 1972 geborene und am 10. Januar 1995 in das Bundesgebiet eingereiste Kläger ist im Bundesgebiet wiederholt und erheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Es erfolgten Verurteilungen am 18. März 2003 wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung mit gefährlicher Körperverletzung und mit Körperverletzung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe (mit Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt; am 18.2.2009 war die Führungsaufsicht erledigt und die Reststrafe ist erlassen worden), am 12. Oktober 2009 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu vier Monaten Freiheitsstrafe, am 11. November 2019 wegen Diebstahls in zwei Fällen, einer hiervon gemeinschaftlich begangen, zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von fünf Monaten (Bewährungszeit bis 18.11.2013; nachträgliche Gesamtstrafenbildung unter Einbeziehung der Entscheidungen vom 12.10.2009 und 11.11.2009 zu sieben Monaten Freiheitsstrafe ), am 21. Dezember 2009 wegen Diebstahls zu vier Monaten Freiheitsstrafe (Strafvollstreckung am 10.3.2011 erledigt), am 2. Mai 2011 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde angeordnet; die in der Folge angeordnete Strafaussetzung wurde widerrufen; Anordnung der Führungsaufsicht bis 27.4.2018; Strafrestaussetzung zur Bewährung bis 18.5.2020) und am 17. Februar 2014 wegen Diebstahls in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten (Strafrest bis 18.5.2020 zur Bewährung ausgesetzt). Am 17. Mai 2016 folgte die der Verlustfeststellung zugrundeliegende Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Die Unterbringung des Klägers in einer Entziehungsanstalt und ein Vorwegvollzug von einem Jahr, einem Monat und zwei Wochen der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe unter Anrechnung der in dieser Sache verbüßten Untersuchungshaft wurden angeordnet.
Wesentlicher Hintergrund der Delinquenz des Klägers war seine Suchtmittelabhängigkeit. Ausweislich der Feststellungen im strafgerichtlichen Urteil vom 17. Mai 2016 kann der Kläger einen vielfältigen (Cannabis, Amphetamin, Methamphetamin, Kokain, Heroin) und langjährigen (insbesondere Heroin konsumierte er erstmals im Jahr 1994) Drogenkonsum vorweisen. Weder zwei Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt noch eine Therapie nach § 35 BtMG in der Vergangenheit haben dazu geführt, dass der Kläger dauerhaft keine Drogen mehr konsumiert. Im Zeitraum seiner ersten Unterbringung gem. § 64 StGB zwischen 2002 und 2004 und im Anschluss bis zu einem Rückfall Ende 2009 hat der Kläger eine Abstinenz von Betäubungsmitteln eingehalten. Ab diesem Zeitpunkt spritzte er sich wieder täglich ca. 0,7-0,8 g Heroin, bis er im Jahr 2010 inhaftiert und sodann von Juli 2011 bis August 2012 erneut untergebracht wurde. In der Unterbringung wurde der Kläger relativ schnell von der Aufnahmestation auf die Suchtherapiestation verlegt, führte sich auch in der Serienbeurlaubung tadellos und schloss die Therapie sodann erfolgreich ab. Bereits im Oktober 2013 kam es jedoch wieder zu einem Rückfall in Bezug auf Heroin. Nach einer Inhaftierung und anschließender Therapie nach § 35 BtMG im Zeitraum vom November 2013 bis November 2014 war der Kläger zunächst abstinent, offenbarte jedoch im Februar 2015 seinem Bewährungshelfer einen erneuten Rückfall. Nach einer Entgiftung im Juni 2015 beabsichtigte der Kläger eine Krisenintervention, die ab Mitte August 2015 angedacht war, das Ziel einer erneuten Therapie haben sollte und von der Strafvollstreckungskammer auch angeordnet wurde. Nachdem der Kläger jedoch die Entgiftung vorzeitig beendet hatte, war er für seinen Bewährungshelfer bereits im Juli 2015 nicht mehr erreichbar. Er spritzte sich sodann täglich 0,9-1,2 g Heroin, zuletzt in vier oder fünf Konsumeinheiten pro Konsumtag. Am 20. Oktober 2015 wurde der Kläger durch die Polizei zur Krisenintervention nach § 67h StGB im Bezirkskrankenhaus A. vorgeführt. Dort befand er sich bis zum 19. November 2015 auf der Aufnahmestation und sodann bis zum 7. Dezember 2015 (Beginn der Untersuchungshaft) auf der Therapiestation. Im psychiatrischen Gutachten vom 22. Februar 2016 wurde von einer manifesten Opiatabhängigkeit ausgegangen (zudem von einem Missbrauch von Methamphetamin, Kokain und Opioiden; eine sichere Feststellung einer diesbezüglichen manifesten Abhängigkeit erlaubten die Ergebnisse der chemisch toxikologischen Haaruntersuchung aber für sich allein genommen nicht).
Bei Straftaten, die – wie hier – auf einer Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs von einem Wegfall der für die Ausweisung erforderlichen Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen hat (entgegen der Auffassung des Klägers reicht die klägerische Aussage, zu einer Substitutionstherapie bereit zu sein, unter keinen Umständen aus) und die damit verbundene Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (siehe z.B. BayVGH, B.v. 29.5.2018 – 10 ZB 17.1739 – juris Rn. 9; B.v. 16.2.2018 – 10 ZB 17.2063 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 7.2.2018 – 10 ZB 17.1386 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 B 14.1613 – juris Rn. 32 m.w.N.). Solange sich der Ausländer nicht außerhalb des Straf- bzw. Maßregelvollzugs bewährt hat, kann nicht mit der notwendigen Sicherheit auf einen dauerhaften Einstellungswandel und eine innerlich gefestigte Verhaltensänderung geschlossen werden, die ein Entfallen der Wiederholungsgefahr rechtfertigen würde (BayVGH, B.v. 13.10.2017 – 10 ZB 17.1469 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 6.5.2015 – 10 ZB 15.231 – juris Rn. 11). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer bereits zuvor Drogenbehandlungen absolviert hat, die längerfristig erfolglos geblieben sind. Dies ist deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die Erfolgschancen einer Therapie, die im Allgemeinen bereits deutlich unter 50% liegen (die Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013 des Bundesverbandes für Stationäre Suchtkrankenhilfe e. V. – Teil 1 – lassen auf eine Misserfolgsquote nach einem Jahr von 70% und mehr schließen; nach Klos/Görgen – Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 25 ff. – sind Rückfälle eher die Regel als die Ausnahme; vgl. insoweit auch Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 47: „bescheidene Erfolge“), den vorliegenden Untersuchungen zufolge umso geringer sind, je mehr erfolglose Therapien vorhergegangen sind (Bundesverband für stationäre Suchtkrankenhilfe e.V., Nr. 4.6 der Auswertung der Katamnesedaten zum Entlassungsjahrgang 2011 – Drogeneinrichtungen – Stand: August 2013; als Grund für diese Chancenverschlechterung wird eine Chronifizierung der Sucht angenommen; vgl. auch Klos/Görgen, Rückfallprophylaxe bei Drogenabhängigkeit, 2009, S. 26 ff.). Der Kläger hat bereits mehrfach Drogenbehandlungen absolviert, die längerfristig erfolglos geblieben sind. Weder durch zwei Unterbringungen noch durch eine Therapie nach § 35 BtMG in der Vergangenheit (also noch vor den Anlasstaten) ist eine dauerhafte Drogenabstinenz erreicht worden. Betäubungsmitteldelikte – wie auch vom Kläger begangen – gehören zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV). Die Folgen insbesondere für junge Menschen können äußerst gravierend sein. In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG, U.v. 14.5.2013 – 1 C 13.12 – juris Rn. 12 mit Nachweisen zur Rspr des EuGH und des EGMR; vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2019 – 10 ZB 18.2272 – juris Rn. 7). Die von unerlaubten Betäubungsmitteln ausgehenden Gefahren betreffen die Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit, welche in der Werteordnung der Grundrechte einen sehr hohen Rang einnehmen. Rauschgift bedroht diese Schutzgüter in hohem Maße und trägt dazu bei, dass soziale Beziehungen zerbrechen und die Einbindung in wirtschaftliche Strukturen zerstört wird. Die mit dem Drogenkonsum häufig einhergehende Beschaffungskriminalität schädigt zudem die Allgemeinheit, welche ferner auch für die medizinischen Folgekosten aufkommen muss (BayVGH, B.v. 14.3.2013 – 19 ZB 12.1877 und B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 8).
Der Kläger hat bereits keine erfolgreiche Drogentherapie nachgewiesen, weshalb von einer bestehenden Drogenproblematik beim Kläger weiterhin auszugehen ist. Die am 17. Januar 2017 begonnene Unterbringung in der Entziehungsanstalt wurde vom Kläger nicht erfolgreich abgeschlossen. Mit strafvollstreckungsgerichtlichem Beschluss vom 24. April 2019 wurde die Unterbringung in der Entziehungsanstalt – nach einer Flucht des Klägers aus der Einrichtung – für erledigt erklärt (zudem wurde darin u.a. die Vollstreckung des Restes der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt und die Dauer der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht auf fünf Jahre festgesetzt). Der Aufenthalt in der Unterbringungseinrichtung war ausweislich des Therapieberichts der Unterbringungseinrichtung vom 18. März 2019 bis zu seiner Flucht aus der Einrichtung auch nicht reibungslos verlaufen. Vielmehr hat der Kläger während der Unterbringung mehrere Regelverstöße begangen, die mittels Lockerungsrücknahmen sanktioniert worden sind (Rauchen im Badezimmer, Auffinden eines Handys, positiver Befund im Drogenscreening am 20.2.2018, weitere Rückfalle am 13.3.2018, 28.4.2018, 4.6.2018; positive Befunde vom 9.7.2018, 10.7.2018 und vom 12.12.2018). Daher ist die von der Entziehungsanstalt in ihrem Antrag auf Erledigung der Maßregel vom 18. März 2019 geäußerte Auffassung, es seien (zum Beurteilungszeitpunkt) Rückfälle in ein süchtiges und delinquentes Leben (entsprechend der bisherigen Bundeszentralregistereinträge) zu erwarten, aufgrund der nicht erfolgreich abgeschlossenen Unterbringung nachvollziehbar. Am 8. Mai 2019 wurde der Kläger wieder der Justizvollzugsanstalt zugeführt (dabei zeigte ein Schnelltest einen Nachweis auf Buprenorphin). Eine weitere Unterbringung des Klägers ist nicht erfolgt.
Zwar wurde mit Beschluss der Staatsanwaltschaft vom 6. Februar 2020 die weitere Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe gemäß § 35 Abs. 1 und 3 BtMG für die Dauer von längstens zwei Jahren zurückgestellt. Insoweit ist aber darauf hinzuweisen, dass die Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Durchführung einer Drogentherapie nicht die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Durchführung der Therapie und erst recht nicht die Wahrscheinlichkeit des langfristigen Ausbleibens einer erneuten Delinquenz voraussetzt. Patzak (in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 377) zufolge soll die Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht nur Musterpatienten, sondern auch Risikopatienten eine Therapiechance eröffnen; sie setze kein besonderes Durchhaltevermögen und keine günstige Zukunftsprognose voraus, vielmehr solle gerade in Fällen schlechter Prognose (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 206), bei denen eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht in Betracht kam, drogenabhängigen Verurteilten die Möglichkeit geboten werden, anstelle eines wenig hilfreichen Strafvollzuges im Wege einer Drogentherapie ihre Suchtprobleme aufzuarbeiten, um so ein zukünftiges straffreies Leben vorzubereiten; der Weg aus der Drogensucht sei regelmäßig mit mehreren gescheiterten Therapieversuchen sowie strafrechtlichen Rückfällen und/oder mit Fehlverhalten im Strafvollzug verbunden (im weiteren weist Patzak auf die Bedeutung der Therapiebereitschaft hin). Insgesamt ist davon auszugehen, dass das Konzept des § 35 BtMG zwar die Sicherheit der Allgemeinheit berücksichtigt, jedoch nur generell, indem die Vorschrift die Durchführung von der Rehabilitation dienenden Behandlungen erheblich fördert. Eine Prüfung, ob die konkrete Zurückstellung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit vereinbar ist, findet nicht statt. Die Vorschrift setzt im Gegenteil eine so ungünstige Sozialprognose voraus, dass eine (der Zurückstellung nach § 35 BtMG vorgehende) Strafrestaussetzung nach § 57 StGB nicht möglich ist, die (von § 57 StGB geforderte) reale Chance eines Resozialisierungserfolgs also nicht besteht (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 18, 19, 28, 30, 49, 51, 206, 207, 377, 408; Volkmer in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, § 35 Rn. 479; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014 § 57 Rn. 2a). Wenn es zu einem Rückfall kommt, ist es sinnvoll, immer wieder neue Therapieprozesse in Gang zu setzen, um die Verweildauer des Probanden in der Therapie allmählich zu erhöhen und dadurch das Therapieziel wenigstens schrittweise zu verwirklichen (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 6, 30, 33, 174, 207, 444, 447 ff., 469 ff.). Dabei stellt die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Therapie einen entscheidenden Erfolgsfaktor dar (zur Bedeutung der Therapiebereitschaft vgl. BGH, B.v. 18.6.1991 – 5 StR 217/91 – NJW 91, 3289 sowie juris Rn. 4 ff.; Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 2 bis 5, 303 ff.). Therapien in Freiheit haben nicht zuletzt wegen der demotivierenden Wirkung der Haftumstände größere Erfolgschancen (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 2 und 35). Strafhaft sollte möglichst vermieden werden (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 65). Im Rahmen der §§ 35, 36 BtMG ist der Strafvollzug in erster Linie ein Druckmittel, durch das (echte) Therapiebereitschaft herbeigeführt und aufrechterhalten werden soll. Beispielsweise hat der Gesetzgeber festgelegt, dass der Strafrest, der nach § 36 BtMG ausgesetzt werden kann, wenn die Therapiedauer während der Vollstreckungszurückstellung angerechnet worden ist, noch mindestens ein Drittel der Strafe betragen muss (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG), und dadurch den Motivationsdruck aufrechterhalten (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 24, 68 ff.; zu den entsprechenden Gründen für die begrenzte Anrechenbarkeit im Fall der Unterbringung vgl. BVerfG, B.v. 16.3.1994, a.a.O., juris Rn. 94). Wird nach einem Rückfall erneut Therapiebereitschaft dargetan, ist in der Regel auf den Widerruf der Vollstreckungszurückstellung nach § 35 BtMG zu verzichten, erforderlichenfalls auf weniger einschneidende Maßnahmen zurückzugreifen (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 104, 107 ff., 119; gemäß § 35 Abs. 5 BtMG widerruft die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung, wenn nicht… zu erwarten ist, dass der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt). Ein Widerruf der Zurückstellung ist in der Regel nur bei erheblichen Straftaten veranlasst (Patzak, a.a.O., § 35 Rn. 467).
Da der Kläger dem Gericht aber keinerlei Nachweise über eine erfolgreiche Behandlung im Rahmen der Behandlung nach § 35 BtMG vorgelegt hat, muss der Senat weiterhin von einer bestehenden Drogenproblematik beim Kläger ausgehen. Da die Staatsanwaltschaft gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 4. November 2020 mitgeteilt hat, „das Gesuchsheft § 35 BtMG“ sei zur Entscheidung über die Aussetzung zur Bewährung gem. § 36 BtMG versandt worden, eine Strafaussetzungsentscheidung aber bislang – soweit ersichtlich – immer noch nicht ergangen ist, spricht auch dieser Umstand für eine weiterhin bestehende Drogenproblematik beim Kläger.
Da eine Strafaussetzungsentscheidung bislang nicht ergangen ist, hat der Kläger auch die Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens ohne strafvollstreckungsgerichtliche Kontrollmaßnahmen bislang nicht glaubhaft gemacht. In diesem Zusammenhang ist für den Kläger erschwerend zu berücksichtigen, dass er nach der ersten Unterbringung die angeordnete Dauer der Führungsaufsicht überstanden hat (die Führungsaufsicht war am 18.2.2009 erledigt), aber bereits keine vier Monate später (am 4.6.2009) wieder mit Betäubungsmitteln erwischt worden ist (daraus resultierte seine strafgerichtliche Verurteilung vom 12.10.2009), und daher – vor allem in zeitlicher Hinsicht – hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung zu stellen sind. Dass der Kläger während seiner Flucht aus der Entziehungsanstalt keine Betäubungsmitteldelikte oder Straftaten im Sinne von Beschaffungskriminalität begangen hat, reicht – entgegen der Auffassung des Klägers – unter keinen Umständen aus.
An dieser Auffassung ändert sich selbst im Falle eines (in Kürze ergehenden) strafvollstreckungsrechtlichen Aussetzungsbeschlusses nichts (dieser würde zwar ein wesentliches Indiz darstellen, eine Bindung des Senats an die strafvollstreckungsgerichtlichen Prognosen betreffend die Straf- und Maßregelaussetzung zur Bewährung bestünde aber nicht). Zum einen ist zu erwarten, dass der Kläger zunächst noch einem engmaschigen Kontrollkonzept unterliegen wird. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass die für die Strafrestaussetzung nach § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG erforderliche Verantwortbarkeit (reale Chance eines Resozialisierungserfolgs) kaum mehr zu verneinen ist, wenn eine Therapie nach § 35 BtMG abgeschlossen ist (also weder vom Verurteilten noch von der Einrichtung abgebrochen worden ist). Mangels anderer Alternativen muss auf der im Therapieabschluss liegenden Chance aufgebaut werden, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Drogenfreiheit nach Abschluss einer Drogentherapie deutlich unter 50% liegt (siehe bereits oben). Eine Fortsetzung der Strafvollstreckung ist zwar als Drohkulisse hilfreich, würde aber aus den bereits erwähnten Gründen die aus dem Therapieabschluss erwachsene Chance weiter schmälern. Auch die starke Verminderung des Strafrestes (bis zu dem Umfang, den der Gesetzgeber als „Damoklesschwert“ zur Aufrechterhaltung des Therapieerfolgs für nötig hält) mittels der großzügigen Anrechnungsvorschriften des § 36 BtMG – sogar abgebrochene und erfolglose Therapien sind anzurechnen (vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 16 ff und 37) – belegt, dass nach einer durchgestandenen Therapie eine Strafvollstreckung möglichst ganz vermieden werden soll (vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 1 und 65). Die positive Sozialprognose in § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG („unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses“), die auch hier bereits bei einer berechtigten Chance vorliegt (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 70), orientiert sich daher – abweichend von § 57 Abs. 1 StGB – nur wenig an Prognoseindizien wie dem Vorleben und den Tatumständen, dagegen mehr an den Erwartungen aufgrund der Therapie; ernsthafte Schritte zur Befreiung von der Drogensucht („Heilungstendenzen“) reichen aus (Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 70, 71, 91). Auch diese weitere Reduktion der Anforderungen an eine positive Sozialprognose beruht zweifellos auf dem strafrechtlichen Ausgangspunkt, dass die Allgemeinheit jedenfalls langfristig mit dem Verurteilten leben muss. Dementsprechend wird – wenn das mit der letzten Straftat (im Betäubungsmittelzusammenhang) befasste Gericht die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder ihre Vollstreckung zurückgestellt hat (die Zuständigkeitsverlagerung weg von der Strafvollstreckungskammer wird damit begründet, dass dem sach- und zeitnäher befassten Gericht aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung die besseren Erkenntnismöglichkeiten für eine sachgerechte Beurteilung dieser Zukunftsprognose zur Verfügung stünden, vgl. Patzak, a.a.O., § 36 Rn. 106) – auch das mit der Frage des Bewährungswiderrufs wegen einer vorherigen Strafe befasste Gericht in der Regel vom Widerruf absehen. Insgesamt werden bei der Strafrestaussetzung nach § 36 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 BtMG diejenigen Prognoseanhaltspunkte, die mit der Frage der Betäubungsmittelsucht nicht zusammenhängen, weitgehend in den Hintergrund gedrängt zugunsten einer Abstinenz- und Resozialisierungschance, die im Einzelfall (insbesondere – wie hier – bei mehreren gescheiterten Therapien im Vorfeld) minimal sein kann.
Selbst im Falle einer derzeitigen Rückfallfreiheit und dem Umstand, dass der Kläger wieder unter der Adresse seiner früheren Ehefrau, die den Kläger aufgrund eines neuerlichen Suchtmittelrückfalls im Mai 2015 aus der gemeinsamen Ehewohnung verwiesen hatte, und seiner 14-jährigen Tochter gemeldet ist, ist im Hinblick auf die Schwere der Verurteilung vom 17. Mai 2016 beim Kläger aufgrund der langjährig bestehenden Drogenproblematik, der (langfristig) erfolglosen vorherigen Drogenbehandlung, der – im Hinblick auf die Phasen der Straffälligkeit des Klägers in der Vergangenheit – kurzen Zeit nach der (möglicherweise erfolgreich) beendeten Behandlung nach § 35 BtMG, weiterhin davon auszugehen, dass das persönliche Verhalten des Klägers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
1.2 Das Zulassungsvorbringen zieht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU vor, nicht ernstlich in Zweifel.
Es kann insoweit dahinstehen, ob sich der Kläger überhaupt noch auf den erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU berufen kann, die Verlustfeststellung vielmehr gemäß § 6 Abs. 4 FreizügG/EU bereits aus schwerwiegenden Gründen möglich ist, weil die aufgrund seiner Haftaufenthalte ab dem Jahr 2009, der zweiten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt, seiner Arbeitslosigkeit seit Ende 2013, der – wenn überhaupt – geringen sozialen Kontakte (vgl. Arztbericht des Klinikums N. vom 16.7.2015; laut Führungsbericht der Justizvollzugsanstalt A. vom 19.9.2019 habe der Kläger bisher keinen Besuch erhalten) und der wenig intensiven familiären Beziehungen (laut der gegenüber der Beklagten am 10.4.2017 getätigten Aussage der im Klinikum a. E. beschäftigten früheren Ehefrau melde sich der Kläger regelmäßig jeden zweiten Tag bei der gemeinsamen Tochter und kümmere sich im Rahmen der Möglichkeiten; zudem halte er nach wie vor guten und regelmäßigen Kontakt zu seiner Stieftochter) bereits gelockerten Integrationsverbindungen des Kläger durch seinen am 7. Dezember 2015 begonnenen Untersuchungshaftaufenthalt endgültig abgerissen sein könnten (wofür aufgrund der Umstände viel spricht). Die Beklagte und das Verwaltungsgericht sind von dem erhöhten Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ausgegangen.
Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn von Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der RL 2004/38/EG dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09- juris Rn. 40 f.). Eine Beschränkung auf die äußere und innere Sicherheit des Mitgliedsstaats sowie den bandenmäßigen Betäubungsmittelhandel besteht nicht. Den Mitgliedstaaten steht es frei, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist (EUGH, U.v. 22.5.2012 – C-348/09 – juris Rn. 33).
Es ist nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte und das Verwaltungsgericht vorliegend von zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit ausgehen, da die begangenen Straftaten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen sind, die geeignet sind, die Ruhe und die Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen. Der – auch vom Kläger betriebene – illegale Drogenhandel gehört zu den schweren, die Grundinteressen der Gesellschaft berührenden und schwer zu bekämpfenden Straftaten (Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, vgl. bereits die Ausführungen zu 1.1). Entgegen der Auffassung des Klägers weisen die von ihm begangenen Straftaten auch besonders schwerwiegende Merkmale auf. Wenn das Verwaltungsgericht insoweit berücksichtigt, dass der Kläger bei Begehung der Anlasstaten bereits mehrfach vorbestraft war, er unter offener Bewährung stand und er seit mehreren Jahrzehnten selbst intensiv drogensüchtig war, ist dies nicht zu beanstanden, da diese Umstände bei Tatbegehung vorgelegen haben und sie – selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger eine erheblich geringere Rolle als sein Mittäter gespielt hat – die besondere vom Kläger ausgehende Gefahr verdeutlichen. Zudem macht die Art des Rauschgifts (die entgegen der klägerischen Auffassung nicht zum gesetzlichen Straftatbestand gehört) und seine Gefährlichkeit die Straftaten zu besonders schwerwiegenden. Der Kläger hat vorliegend nicht etwa mit einer weichen Droge, sondern vielmehr mit Heroin gehandelt (vgl. zum Stufenverhältnis BGH, B.v. 14.8.2018 – 1 StR 323/18 – juris Rn. 4), das eine der gefährlichsten harten Drogen darstellt und dessen Konsum sehr schnell zu einer starken körperlichen und seelischen Abhängigkeit führt (BVerwG, U.v. 14.5.1997 – 1 D 58/96 – juris Rn. 39). Hinzu kommt, dass die geringe Menge von 1,5 g Heroinhydrochlorid bei den vier abgeurteilten Taten in der Gesamtmenge (um das 4,7-fache, 8,2-fache, 9,3-fache und 17,5-fache) wie auch in der zum Handel bestimmten Menge (um das 1,4-fache, 4,1-fache, 4,9-fache und 14,3-fache) erheblich überschritten worden ist. In diesem Zusammenhang ist auch der Zeitraum der Tathandlungen erschwerend zu berücksichtigen (die Taten wurden innerhalb von nur drei Wochen begangen). Die im Zeitraum vom 24. September 2015 bis zum 15. Oktober 2015 angekauften Drogenmengen sind innerhalb kürzester Zeit auf drastische Weise erhöht worden und wären vermutlich weiter angestiegen, wenn der Drogenhandel nicht aufgeflogen wäre. Die besondere Schwere der Taten kommt auch aus den vom Strafgericht als tat- und schuldangemessen erachteten Einzelstrafen von zwei Jahren und neun Monaten, 3 Jahren, 3 Jahren und neun Monaten und vier Jahren deutlich zum Ausdruck. Auf den Umstand, dass der Kläger nicht wegen bandenmäßigen Handeltreibens verurteilt worden ist (insoweit würde der Kläger ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal als besonders schwerwiegendes Merkmal anerkennen), kommt es daher nicht an (eine solche Verurteilung scheiterte bereits deshalb, weil der Kläger die Taten nur mit einem weiteren Mittäter begangen hat).
1.3 Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte habe das ihr nach § 6 Abs. 1 und Abs. 3 FreizügG/EU eingeräumte Ermessen bei Erlass der Verlustfeststellung pflichtgemäß ausgeübt, ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat erkannt, dass die Entscheidung über die Verlustfeststellung in ihrem Ermessen steht und die tatbezogenen Umstände eingehend gewürdigt. Sie hat auch hinreichend die gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU zu berücksichtigenden Belange abgewogen und dabei insbesondere die Dauer des Aufenthalts, den Integrationsstand und die familiäre Situation bewertet. Eine Fehlgewichtung ist darin nicht zu sehen. Die Beklagte ist hinreichend auf die noch bestehenden (familiären) Bindungen zu seiner minderjährigen Tochter und zu seiner volljährigen Stieftochter eingegangen. Die Verlustfeststellung, und insbesondere der Umstand, dass das Verlassen des Bundesgebiets eine räumliche Trennung hervorruft, ist in Anbetracht der vom Kläger weiterhin ausgehenden erheblichen Wiederholungsgefahr auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK im Hinblick auf die vom Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr nicht unverhältnismäßig. Entgegen der Auffassung des Klägers war insoweit auch der Umstand zu berücksichtigen, dass ihn die familiären Bindungen nicht vom Drogenkonsum und der Begehung weiterer Straftaten abhalten konnten, da die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach der der Staat Ehe und Familie zu schützen und zu fördern hat, die Beklagte zwar verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiäre Bindung des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, bei ihrer Entscheidung pflichtgemäß in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Pflichtgemäß bedeutet aber nur entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, was grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles erfordert (BVerfG, B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – juris Rn. 7 m.w.N.).
1.4 Soweit der Kläger meint, die verfügte Abschiebungsandrohung stehe im krassen Widerspruch zu den rechtlichen Gepflogenheiten des Strafvollzugs, denen der Kläger auch schon bei Bescheidserlass unterlegen habe, verkennt er, dass in einem Verlustfeststellungsbescheid gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU die Abschiebung angedroht werden soll. Durch den unsubstantiierten Verweis auf einen krassen Widerspruch zu den „rechtlichen Gepflogenheiten des Strafvollzugs“ werden keine verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen oder atypische Umstände des Einzelfalls, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, dargelegt, die eine Ausnahme vom Regelfall rechtfertigen könnten.
2. Der geltend gemachte, aber nicht begründete Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt. Insoweit hätte es einer substanziellen Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil und einer Darlegung im Einzelnen bedurft, hinsichtlich welcher aufgrund der erstinstanzlichen Entscheidung auftretenden Fragen sich besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sollen (BayVGH, B.v. 2.5.2011 – 8 ZB 10.2312 – juris Rn. 21 m.w.N.).
3. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend hinreichend dargelegt.
Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die vorformulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, warum der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr vgl. z.B. BayVGH, B.v. 17.12.2015 – 10 ZB 15.1394 – juris Rn. 16 m.w.N.). Der Kläger hat vorliegend bereits keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 3, Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben