Verwaltungsrecht

vermögensrechtlicher Anspruch, Zuweisung einer Pfarrdienstwohnung, Rückwirkung

Aktenzeichen  3 CS 20.1407

Datum:
11.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 46298
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 1, 5 S. 1, 3
PfarrBesG § 25 Abs. 3
BfDWV § 5
KBG-EKD § 30 Abs. 2, 3, 38 Abs. 1

 

Leitsatz

Hat der Widerspruch eines kirchlichen Beamten gegen die Zuweisung einer Dienstwohnung aufschiebende Wirkung, steht die Rückgängigmachung kraft Gesetzes in der Vergangenheit bereits eingetretener besoldungsrechtlicher Folgen (Dienstwohnungsabschlag, Familienzuschlag) gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO im Ermessen des Gerichts.

Verfahrensgang

B 5 S 20.195 2020-05-25 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 8.371,40 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, als Pfarrer in Diensten der Antragsgegnerin, begehrt die Nachzahlung des von seinen Bezügen seit 1. März 2017 einbehaltenen Pfarrdienstwohnungsabschlags.
Mit Schreiben vom 21. November 2016 und Urkunde vom gleichen Tag wurde dem Antragsteller mit Wirkung vom 1. März 2017 die Pfarrstelle C. unter Hinweis auf seine Verpflichtung übertragen, am Dienstort zu wohnen und eine für ihn bestimmte Dienstwohnung zu beziehen (§ 38 Abs. 1 PfDG.EKD). Nach mündlicher Zuweisung der Dienstwohnung in der W.-Str. 8 ist der Antragsteller dort am 1. März 2017 eingezogen. Seither wurde sein Gehalt um den sich aus § 25 Abs. 3 i.V.m. Anlage 3 Pfarrbesoldungsgesetz – PfBesG – errechneten Dienstwohnungsabschlag und den Familienzuschlag Stufe 1 (§ 9 Satz 3 Pfarrdienstwohnungsverordnung – PfDWV – i.V.m. § 27 Abs. 6 PfBesG) gemindert.
Im Folgenden traten beim Antragsteller und seiner Ehefrau zahlreiche verschiedenartige Krankheitssymptome auf, die ihre Ursache in der Schadstoffbelastung der Dienstwohnung hatten, die eine vom Antragsteller beauftragte Raumluftanalyse vom Mai 2017 festgestellt hat. Der Antragsteller und seine Ehefrau zogen in Absprache mit der Antragsgegnerin Ende Juli 2017 in eine Ferienwohnung um; nach weiteren kurzfristigen Wohnungswechseln bezogen sie schließlich am 1. Januar 2018 die heute noch von ihnen bewohnte Mietwohnung. Die Antragsgegnerin hatte die Übernahme der anfallenden Netto-Mietkosten zugesagt. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Zuweisung der Dienstwohnung W.-Str. 8 ein und begehrte zugleich mit Rückwirkung ab 1. März 2017 die Auszahlung der ungeminderten Bezüge. Mit Schreiben vom 28. März 2019 wurde der Antragsteller aufgefordert, die Dienstwohnung zum 1. Mai 2019 erneut zu beziehen, da sie nach Durchführung fachgerechter Renovierungsmaßnahmen nun schadstofffrei sei. Auch gegen dieses Schreiben legte der Antragsteller Widerspruch ein. Beide vorgenannten Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 9. bzw. 11. Juli 2019 zurückgewiesen; die hiergegen zum Verwaltungsgericht der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (i.F.: kirchliches Verwaltungsgericht) erhobenen Klagen sind noch anhängig. Anträge auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen lehnte das kirchliche Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. Dezember 2019 (VG-302) mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig ab.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2019 hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Dienstwohnung zur Beseitigung etwaiger Rechtsunklarheiten gemäß § 5 Satz 1 PfDWV „rein vorsorglich nochmals“ zugewiesen und zugleich den Sofortvollzug angeordnet, weil zu befürchten sei, dass der Antragsteller der neuerlichen, im kirchlichen Interesse stehenden Zuweisung nicht nachkommen werde. Auch hiergegen erhob dieser Widerspruch und suchte beim kirchlichen Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nach. Mit Beschluss vom 23. Januar 2020 (VG-306) stellte es die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 31. Oktober 2019 gegen die Zuweisung der Dienstwohnung im Hinblick auf die offene Frage, ob die Schadstoffbelastung in der Pfarrdienstwohnung beseitigt sei, wieder her. Im Übrigen lehnte das kirchliche Verwaltungsgericht den Antrag ab, soweit er auf die Anordnung gerichtet war, die Vollziehung des Bescheids vom 28. Oktober 2019 im Hinblick auf eine Auszahlung der ungekürzten Bruttobezüge aufzuheben, weil es sich insoweit um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handele, für die der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten eröffnet sei.
Daraufhin beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Bayreuth nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom 28. Oktober 2019 dergestalt anzuordnen, dass dem Antragsteller seit März 2017 Besoldungsbezüge ohne Dienstwohnungsabschlag und ohne den einbehaltenen Familienzuschlag zu zahlen sowie die seit März 2017 fälligen Brutto-Differenzbesoldungsbeträge nachzuzahlen sind, weiter hilfsweise nach § 123 Abs. 1 VwGO, die Antragsgegnerin hierzu zu verpflichten. Das Verwaltungsgericht ordnete mit Beschluss vom 25. Mai 2020 die Aufhebung der Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2019 an, soweit diese „seit dem 1.5.2019 einen Dienstwohnungsabschlag und eine Minderung des Familienzuschlags vorgenommen hat“, sowie die Auszahlung des seit 1. Mai 2019 einbehaltenen Kürzungsbetrags; im Übrigen wurde der Antrag abgelehnt und die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller zu zwei Dritteln auferlegt. Der Antrag sei für die Zeit ab 1. Mai 2019 begründet, weil ab diesem Zeitpunkt die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der von ihr behaupteten Schadstofffreiheit der Dienstwohnung nicht mehr bereit sei, weitere Mietkosten des Antragstellers für seine privat angemietete Wohnung zu übernehmen; die Frage der Schadstofffreiheit sei jedoch Gegenstand des kirchenrechtlichen Hauptsacheverfahrens (VG-301), das offene Erfolgsaussichten aufweise. Für den Zeitraum vom 1. August 2017 bis 30. April 2019 sei der Antrag im Hinblick auf das überwiegende Interesse der Antragsgegnerin abzulehnen und die einbehaltenen Bezüge einstweilen nicht auszubezahlen, weil sie den Ausgleich der privat angefallenen Mietkosten angeboten habe.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller die Auszahlung der unverminderten Bezüge auch für den letztgenannten Zeitraum. Zur Begründung macht er insbesondere geltend, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsfolgen des Beschlusses des kirchlichen Verwaltungsgerichts, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 28. Oktober 2019 mit Wirkung ex tunc wiederhergestellt worden sei, missachtet. Es bestehe kein Ermessen, die Vollzugsfolgen nur zeitlich eingeschränkt rückgängig zu machen. Der Anspruch auf Beseitigung der Vollzugsfolgen nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO könne nur durch Nachzahlung in Höhe des jeweils ohne Rechtsgrundlage einbehaltenen Kürzungsbetrags erfüllt werden, ohne dass eine Interessenabwägung vorgenommen werden dürfe.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt (im Haupt- und Hilfsantrag) ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO gestellten Hauptantrag, die Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2019 auch für den vor dem 1. Mai 2019 liegenden Zeitraum auszusetzen und die einbehaltenen Besoldungsbestandteile (Dienstwohnungsabschlag und Familienzuschlag) für den Zeitraum vom 1. März 2017 bis 30. April 2019 nachzuzahlen, zu Recht abgelehnt.
Die Aufhebung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ist als sogenanntes Annexverfahren nur möglich, wenn durch eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs eingetreten ist und der Verwaltungsakt durch die Behörde vollzogen wurde.
Mit dem hier zugrundeliegenden Beschluss vom 23. Januar 2020 stellte das Verwaltungsgericht der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2019 wieder her. Der mit diesem Bescheid angeordnete Sofortvollzug erfasst jedoch nicht den im Beschwerdeverfahren noch streitbefangenen Zeitraum ab 1. März 2017 (Einzug des Antragstellers in die Pfarrdienstwohnung) bis zum 30. April 2019 (1.). In diesem Zeitraum bestand zwar schon infolge des Widerspruchs vom 6. Oktober 2017 keine vollziehbare Zuweisung der Dienstwohnung (2.1); dennoch kommt insoweit eine Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO nach Aufhebung der Vollziehung der Zuweisungsentscheidung durch das kirchliche Verwaltungsgericht nicht in Betracht (2.2). Die im Beschwerdeverfahren vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine andere Entscheidung.
1. Der mit Bescheid vom 28. Oktober 2019 angeordnete Sofortvollzug der infolge der Zuweisung ausgelösten Verpflichtung, die konkrete Wohnung zu beziehen, entfaltet keine Rückwirkung auf einen vor Bekanntgabe des Sofortvollzug liegenden Zeitpunkt.
Die Anordnung des Sofortvollzugs tritt nämlich immer ex nunc ein und kann nicht ex tunc wirken (Külpmann in Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 791; Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 59; NdsOVG, B.v. 20.6.2006 – 2 ME 436/05 – juris Rn. 7). Demnach ist die rückwirkende Anordnung der sofortigen Vollziehung auch unzulässig (OVG Bremen, B.v. 15.6.1961 – b B 20/61 – DVBl 1961, 678). Andernfalls wäre der Behörde die Möglichkeit eingeräumt, die infolge zuvor eingelegter Rechtsmittel eingetretene aufschiebende Wirkung für die Vergangenheit (und nicht nur für die Zukunft) zu beseitigen und einen wegen der Missachtung der aufschiebenden Wirkung rechtswidrigen Vollzug des Verwaltungsaktes zu „heilen“.
Der Bescheid vom 28. Oktober 2019 berühmt sich auch nicht einer solchen Rückwirkung bis zum 1. März 2017, anders als das Beschwerdevorbringen (vgl. Beschwerdebegründung v. 29.6. 2020, S. 6, 7) nahelegt. Vielmehr hat die Antragsgegnerin den Sofortvollzug der Zuweisungsentscheidung schon in Ermangelung einer ausdrücklichen Rückwirkung mit Wirkung zum Zeitpunkt seines Erlasses angeordnet. Aus diesem Zusammenhang folgt ohne weiteres, dass sich der Beschluss des kirchlichen Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2020, mit dem die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers (vom 31.10.2019) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2019 wiederhergestellt wird, ausschließlich auf die – hier nicht (mehr) streitgegenständlichen Zeiträume – ab Widerspruchseinlegung beziehen kann. Weder der angeordnete Sofortvollzug noch die kirchenverwaltungsgerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 31. Oktober 2019 sind daher geeignet, rechtliche Wirkungen für einen davorliegenden Zeitraum zu entfalten. Schon aus diesem Grunde kann dem im Beschwerdeverfahren streitgegenständlichen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO auf Aufhebung der Vollziehung des Bescheids vom 28. Oktober 2019 für den davorliegenden Zeitraum (1. März 2017 bis 30. April 2019) und auf Nachzahlung der insoweit einbehaltenen Bezügebestandteile kein Erfolg beschieden sein.
Damit geht auch jegliches Beschwerdevorbringen ins Leere, das sich auf den Beschluss des kirchlichen Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2020 und hieraus angeblich abzuleitende Konsequenzen „gerade für die Vergangenheit über den Zeitpunkt 1.5.2019 hinaus“ (vgl. Beschwerdebegründung v. 29.6.2020, S. 8) bezieht. Unabhängig hiervon enthält sich der Beschluss vom 23. Januar 2020 gerade in Bezug auf die strittigen besoldungsrechtlichen Konsequenzen jeglicher inhaltlichen Äußerung, weil er insoweit die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltungsgerichte (vgl. § 11 KVGG, § 4 Abs. 2 AGPfDG.EKD: „vermögensrechtliche Ansprüche“) eröffnet sieht. Das kirchliche Verwaltungsgericht befasst sich folgerichtig ausschließlich mit der von ihm für offen angesehenen Frage, ob „derzeit noch eine Schadstoffbelastung in der Pfarrdienstwohnung vorliegt“, die gesundheitliche Gefahren für den Antragsteller und seine Frau als möglich erscheinen lasse; da diese Frage nicht eindeutig geklärt sei, müsse im Rahmen der Interessenabwägung den Belangen des Gesundheitsschutzes als höherwertigem Rechtsgut der Vorrang vor fiskalischen kirchlichen Interessen der Antragsgegnerin gegeben werden. Die staatlichen Verwaltungsgerichte bindende Feststellungen können diesen Ausführungen nicht entnommen werden.
2. Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2019 wurde dem Antragsteller (erstmals in schriftlicher Form) die Dienstwohnung W.-Str. 8 unter Anordnung des sofortigen Vollzugs zugewiesen; bis dahin bestand offenbar nur eine mündliche Zuweisung (vgl. Widerspruch des Bevollmächtigten des Antragstellers vom 6.10.2017), der der Antragsteller durch seinen Einzug in die benannte Dienstwohnung Ende Februar 2017 gefolgt ist. Diese mündliche Zuweisung wurde durch den Bescheid vom 28. Oktober 2019 („um etwaige bestehende Rechtsunklarheiten künftig zu vermeiden“) für die Zukunft in schriftlicher Form erneuert, um die vom Antragsteller auch für den Zeitraum ab 1. Mai 2019 nicht akzeptierte Zuweisung (Grundverwaltungsakt) erstmals mit Sofortvollzug zu versehen und gegebenenfalls vollstreckungsrechtlich vorgehen zu können.
Die sich daran anschließende Frage, ob die Zuweisungsentscheidung – unter Ersetzung der zunächst nur mündlich getroffenen Zuweisung – mit Rückwirkung (vgl. „rein vorsorglich nochmals“) auf den Zeitpunkt des Antritts der Pfarrstelle zum 1. März 2017 ausgesprochen oder ob damit ausschließlich der Zeitraum ab 1. Mai 2019 geregelt werden sollte, lässt sich dem Bescheid vom 28. Oktober 2019 nicht ohne weiteres entnehmen. Allerdings erscheint die im angefochtenen Beschluss vom 25. Mai 2020 (BA S. 8) unter pauschaler Bezugnahme auf das kirchliche Verwaltungsgericht („VG ELKB, B.v. 30.12.2019 – VG-302“) sowie die dort enthaltene „Einschätzung“, der Bescheid vom 28. Oktober 2019 sei „für den gesamten Zeitraum nunmehr allein maßgeblich“, fraglich. Denn das kirchliche Verwaltungsgericht hat in dem in Bezug genommenen Beschluss lediglich festgestellt, dass sich der dort gestellte Antrag Nr. 1, der sich auf das Schreiben der Antragsgegnerin vom 21. November 2016 und den nachfolgenden Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2019 beziehe, prozessual erledigt habe. Rechtlicher Folgerungen hieraus im Hinblick auf die im Beschwerdeverfahren begehrte Nachzahlung hat sich das kirchliche Verwaltungsgericht in der Annahme seiner fehlenden Entscheidungszuständigkeit enthalten.
Die nähere Bestimmung der mit dem Bescheid vom 28. Oktober 2019 verbundenen Regelungswirkungen kann indes offenbleiben. Denn – wie der Antragsteller insoweit zu Recht vorträgt – entfaltet der mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 6. Oktober 2017 gegen die damals in mündlicher Form ausgesprochene Zuweisung der konkreten Dienstwohnung erhobene Widerspruch zwar aufschiebende Wirkung (2.1). Gleichwohl reicht dieser rechtliche Umstand alleine nicht aus, um die Aufhebung der Vollziehung (Rückgängigmachung) anzuordnen (2.2).
2.1 Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 6. Oktober 2017 ist unabhängig davon, ob man die Zuweisung einer Dienstwohnung als belastenden oder rechtsgestaltenden Verwaltungsakt betrachtet (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1, 2 VwGO), eingetreten. Sie wirkte auf den Zeitpunkt des Erlasses des maßgeblichen Verwaltungsaktes zurück (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 80 Rn. 53, 54), hier auf den (aus den Verwaltungsakten der Antragsgegnerin nicht erkennbaren) Zeitpunkt der mündlich erfolgten Zuweisung der konkreten Dienstwohnung vor Einzug des Antragstellers. Damit lag bei Beginn des erstmaligen Einbehalts von Besoldungsbestandteilen zum 1. März 2017 keine vollziehbare Zuweisung vor. Die rückwirkend eingetretene aufschiebende Wirkung des Widerspruchs dauert über den im Beschwerdeverfahren maßgeblichen Zeitpunkt (30.4.2019) hinaus derzeit noch an; die aufschiebende Wirkung ist insbesondere nicht durch den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2019 beendet worden (BVerwG, U.v. 27.10.1987 – 1 C 19.85 – juris Rn. 45; HessVGH, B.v. 29.12.2014 – 7 B 1570/14 – juris Rn. 12), denn die gegen diesen Widerspruchsbescheid zum kirchlichen Verwaltungsgericht erhobene Klage (VG-301) ist nach Auskunft der dortigen Geschäftsstelle noch anhängig. Der Antragsteller war demnach während des im Beschwerdeverfahren streitgegenständlichen Zeitraums vom 1. März 2017 bis 30. April 2019 nicht verpflichtet, in der zugewiesenen Dienstwohnung zu wohnen.
2.2 Der rückwirkende Eintritt der aufschiebenden Wirkung entzieht zwar Vollzugsmaßnahmen, die aufgrund des Verwaltungsakts bereits getroffen wurden, rückwirkend die Rechtsgrundlage (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, VwGO § 80 Rn. 163a; Kopp/Schenke, a.a.O.) und eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, die Aufhebung der Vollziehung nach Ermessen anzuordnen (§ 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO). Im vorliegenden Fall stellt sich der monatlich wiederkehrende Einbehalt des Dienstwohnungsabschlags sowie des Familienzuschlags Stufe 1 als „Vollziehung“ des nach § 80 Abs. 1 VwGO nicht vollziehbaren (vgl. 2.1) Dauerverwaltungsakts (Zuweisung) dar. Der Begriff der Vollziehung ist in einem weiten Sinn zu verstehen und umfasst jegliche rechtliche und tatsächliche Folgerung, auch mittelbarer Art, die durch behördliches oder privates Handeln aus dem Verwaltungsakt gezogen wird und auf Verwirklichung seines Inhalts gerichtet ist (vgl. Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O., VwGO § 80 Rn. 38, 39 m.w.N.). In diesem Sinne unterfallen auch die aus der Zuweisung einer Pfarrdienstwohnung resultierenden Besoldungsabschläge (vgl. § 25 Abs. 3 PfBesG, § 9 PfDWV) als gesetzliche Folge des Vollzugs der Zuweisung dem Begriff der Vollziehung und damit dem Anwendungsbereich des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
Allerdings besteht nicht die vom Antragsteller dieser Vorschrift zugedachte „Automatik“, wonach Maßnahmen der faktischen Vollziehung entgegen bestehender aufschiebender Wirkung eines Rechtsmittels stets zu deren Aufhebung und Rückgängigmachung führen. Allein der Umstand, dass die seinerzeit mündlich angeordnete Zuweisung der Dienstwohnung im Hinblick auf den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 6. Oktober 2017 nicht vollziehbar gewesen ist, erlaubt nicht den Schluss darauf, dass deshalb sämtliche mit der Zuweisung in Zusammenhang stehenden (rechtlichen oder tatsächlichen) Maßnahmen der Antragsgegnerin rückgängig gemacht werden müssten. Vielmehr bedarf es einer Interessenabwägung durch das angerufene Gericht, wobei auf die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung bereits der Wortlaut („kann“) des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO hinweist. Über die Aufhebung der Vollziehung als Annexregelung zu § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist demnach in entsprechender Anwendung der für die Entscheidung im Aussetzungsverfahren geltenden Grundsätze zu entscheiden und dabei das öffentliche Interesse am Fortbestand des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an seiner Aufhebung abzuwägen (Külpmann, a.a.O., Rn. 1026; VGH BW, B.v. 4.12.1973 – IV 1113/73 – juris; BA S. 10; a.A. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2020, VwGO § 80 Rn. 446: Ermessen nur, soweit es um das „Wie“ der Rückgängigmachung geht; ebenso: Hoppe in Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 117).
Der Senat hält die im angefochtenen Beschluss vorgenommene Interessenabwägung für zutreffend. Die Beurteilung der Erfolgsaussichten, die hier auf vom zur Entscheidung über die Hauptsache berufenen kirchlichen Verwaltungsgericht mit bindender Wirkung (vgl. hierzu: BA S. 8, 9) für die staatlichen Verwaltungsgerichte vorgenommen wurde, sind nach dessen Auffassung als offen anzusehen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht geboten, die im hier maßgeblichen Zeitraum zu Lasten des Antragstellers eingetretenen besoldungsrechtlichen Konsequenzen allein im Hinblick auf die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs (vorläufig) rückgängig zu machen, um dann im Falle seines Unterliegens doch wieder zu vollziehen. Demgegenüber kann dem Antragsteller vor dem Hintergrund offener Erfolgsaussichten der Hauptsache zugemutet werden, zunächst den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, um dann im Falle eines Obsiegens erst mit Verzögerung in den Genuss der vollen Besoldung für den maßgeblichen Zeitraum zu kommen. Mit der Beschwerde werden keine weiteren, über den bloßen Erhalt der auch insoweit ungekürzten Besoldung hinausgehende Interessen des Antragstellers an einer Rückgängigmachung der Vollziehung vorgebracht. Der wiederholte Hinweis darauf, die durch den Widerspruch vom 6. Oktober 2017 eingetretene aufschiebende Wirkung sei „missachtet“ worden und allein deshalb eine Rückgängigmachung anzuordnen, ist unzutreffend. Im Übrigen hat im Rahmen der Interessenabwägung für den Zeitraum vom 1. März bis 31. Juli 2017 das Verwaltungsgericht richtigerweise auch darauf abgestellt, dass der Antragsteller die Dienstwohnung tatsächlich bewohnt hat und damit keine zusätzlichen Mietkosten aufbringen musste. Die Frage, ob ihm gegebenenfalls Ansprüche wegen einer schadstoffbedingten Minderung des Wohnwerts zustehen, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes. Gleiches gilt auch für die vom kirchlichen Verwaltungsgericht zu klärende Frage, ob die Schadstoffbelastung so erheblich war, dass nicht mehr von einer angemessenen Dienstwohnung ausgegangen werden konnte und deshalb die Zuweisung (zumindest bis zu der erfolgten Sanierung) rechtswidrig war. Schließlich begegnet es auch keinen Bedenken, die zu Lasten des Antragstellers ausgefallene Abwägung der Interessen damit zu begründen, dass ihm die Antragsgegnerin für den Zeitraum ab seinem Auszug (1.8.2017) die Erstattung der von ihm privat getragenen Mietkosten gegen Vorlage entsprechender Nachweise zugesagt hat, um eine „Doppelbelastung“ durch Dienstwohnungsabschlag und private Miete zu verhindern (vgl. etwa Schr. der Antragsgegnerin v. 26.10. und 20.11.2017); dass es zu einem Kostenausgleich bisher nicht gekommen ist, liegt offenbar im Verantwortungsbereich des Antragstellers, ohne dass die Beschwerdebegründung dieser Annahme des Verwaltungsgerichts etwas Substanzielles entgegengesetzt.
Die Aufhebung der Vollziehung ist auch nicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zwingend geboten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 7.11.2007 – 4 CS 07.1861 – juris Rn. 16; Kopp/Schenke, a.a.O., § 80 Rn. 176). Die Behauptung des Antragstellers trifft nicht zu, dass von einem wirksamen Rechtsschutz nur im Falle der (vollständigen) Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen ausgegangen werden könne. Denn der Antragsteller hat infolge des Beschlusses des kirchlichen Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2020 für die Dauer der Anhängigkeit der Hauptsache vorläufig keinen Einbehalt von seiner Besoldung mehr hinzunehmen; zudem hat das Verwaltungsgericht die Vollziehung der Zuweisung für die Vergangenheit teilweise (ab 1.5.2019) zugunsten des Antragstellers nach Interessenabwägung rückgängig gemacht. Sein Vortrag, die Ablehnung einer vollständigen Rückgängigmachung vereitele „mittelbar durch die Hintertür“ die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch den Beschluss des kirchlichen Verwaltungsgerichts vom 23. Januar 2020, ist nicht stichhaltig. Denn es verbleibt bei der damit verbundenen Feststellung, dass der Antragsteller nicht vollziehbar zum Einzug in die zugewiesene Dienstwohnung verpflichtet war; die Entscheidung darüber, ob trotz erfolgten Einzugs, ggf. in welchem Umfang, eingetretene Vollzugsfolgen vorläufig rückgängig zu machen sind, bestimmt sich aber gerade nicht nach Satz 1, sondern nach Satz 3 von § 80 Abs. 5 VwGO. Die Argumentation in der Beschwerdebegründung zielt darauf ab, Voraussetzungen und Rechtsfolgen der vom kirchlichen Verwaltungsgericht wiederhergestellten aufschiebenden Wirkung der Zuweisungsentscheidung (Beschlüsse v. 30.12.2019 u. 23.1.2020) in unzulässiger Weise mit der den staatlichen Gerichten obliegenden Entscheidung über die Rückgängigmachung der Vollziehung gleichzusetzen. Demnach findet die Forderung des Antragstellers, er müsse vorläufig so behandelt werden, „wie er stünde, wenn ihm von der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt eine Dienstwohnung… zugewiesen worden wäre“ (Beschwerdebegründung S. 10), keine Stütze im dargestellten Gefüge des § 80 VwGO.
3. Auch mit seinem „höchst vorsorglich hilfsweise“ gestellten Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO vermag der Antragsteller nicht durchzudringen. Ungeachtet der mit § 123 Abs. 5 VwGO verbundenen Problematik, wonach für das gerichtliche Hauptsacheverfahren eine andere Klageart als die Anfechtungsklage – etwa eine Feststellungs- oder allgemeine Leistungsklage – statthaft sein müsste (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 4, 18) und im vorliegenden Fall auch eine Klage auf Auszahlung der einbehaltenen Besoldungsbestandteile zulässig sein könnte, fehlt es jedenfalls an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der die begehrte Nachzahlung der Bezüge vorläufig ausgesprochen werden könnte. Dies würde im Fall der hier nur vorstellbaren Regelungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO) voraussetzen, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gefahren oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Hiervon kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ganz offensichtlich keine Rede sein. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin etwa einem rechtskräftigen Urteil des kirchlichen Verwaltungsgerichts im Falle ihres Unterliegens in der Hauptsache nicht Folge leisten würde oder einstweiliger Rechtsschutz aus anderen Gründen geboten ist.
4. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Senat orientiert sich dabei an der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts und errechnet hiervon zwei Drittel, also den Anteil, mit dem der Antragsteller in erster Instanz unterlegen war und der nunmehr dem Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren entspricht (2/3 x 12.557,10 Euro = 8.371,40 Euro).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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