Verwaltungsrecht

Versammlungsrechtliche Beschränkung von Kundgebungsmitteln

Aktenzeichen  10 CS 18.405

Datum:
16.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 637
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VereinsG § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5

 

Leitsatz

Zur versammlungsrechtlichen Beschränkung von Kundgebungsmitteln, die den Schriftzug einer kurdischen Organisation (hier: YPG, YPJ, PYD) tragen
Es ist offen und bleibt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten, ob die Verwendung von Kundgebungsmitteln mit der Aufschrift YPG, YPJ, PYD unter den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 VereinsG fällt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 13 S 18.743 2018-02-16 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Nr. 6.3.2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2018 wird mit der Maßgabe angeordnet, dass beim Zeigen oder Verwenden der Kundgebungsmittel, die den Schriftzug YPG, YPJ oder PYD tragen, keinerlei Bezug zur PKK oder Abdullah Öcalan hergestellt werden darf.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller drei Viertel und die Antragsgegnerin ein Viertel.
II. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen zwei mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2018 verfügte Beschränkungen der für den 17. Februar 2018 angezeigten Versammlungen aus Anlass der Münchener Sicherheitskonferenz. Unter der II.6.3 enthält der Bescheid unter der Überschrift „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ folgende Beschränkungen:
„6.3.1 angezeigte Kundgebungsmittel mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan“ inkl. dem Porträt Abdullah Öcalans
die Versammlungsteilnehmer dürfen keine Flaggen/Fahnen, Abzeichen, Transparente, Schilder, Handzettel oder sonstige Gegenstände öffentlich zeigen oder verteilen, die mit dem Abbild Abdullah Öcalans versehen sind.
6.3.2 angezeigte Kundgebungsmittel mit der Aufschrift YPG, YPJ, PYD
die Versammlungsteilnehmer dürfen keine Flaggen/Fahnen, Abzeichen, Transparente, Schilder, Handzettel oder sonstige Gegenstände öffentlich zeigen oder verteilen, die mit dem Schriftzug YPG, YPJ, PYD versehen sind.“
Der Antragsteller hat die beim Verwaltungsgericht München unter dem Aktenzeichen M 13 K 18.742 anhängige Klage gegen die beiden Beschränkungen erhoben. Mit Beschluss vom 16. Februar 2018 hat das Verwaltungsgericht den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt. Die Beschränkungen seien nach summarischer Prüfung auf der Rechtsgrundlage des Art. 15 Abs. 1 BayVersG rechtmäßig. Zutreffend sei die Antragsgegnerin von einer zu befürchtenden Verletzung von Vorschriften des Vereinsgesetzes ausgegangen; die PKK sei durch Verfügung des Bundesministers der des Inneren vom 22. November 1993 im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten, so dass die öffentliche Verwendung ihrer Kennzeichen gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG strafbar sei. Kennzeichen seien auch Organisationsmittel, die durch ihren Symbolwert auf den Vereinszweck hinweisen würden. Hierunter falle auch das Vorzeigen von Abbildern Öcalans im Rahmen von Versammlungen. Auch heute noch verkörpere Öcalan in der öffentlichen Wahrnehmung aufgrund seiner hervorgehobenen Stellung die PKK und sei eine besondere Symbolfigur für die Ziele dieser Vereinigung. Der Antragsteller habe auch deutlich gemacht, dass sich die Versammlung für die Freilassung Öcalans und die Abschaffung des Verbots der PKK einsetzen werde. Die Antragsgegnerin habe nach den vorliegenden Erkenntnissen auch davon ausgehen dürfen, dass das Zeigen von Kundgebungsmitteln mit dem Schriftzug YPG, YPJ und PYD als Verwendung eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung im Sinne des Vereinsgesetzes anzusehen sei. Nach Einschätzung des Bundesministers des Inneren mit Schreiben vom 29. Januar 2018 seien die drei Organisationen unbeschadet ihrer organisatorischen Selbständigkeit dem Einflussbereich der PKK zuzuordnen. Mit der Erweiterung des Versammlungsthemas („Angriff der Türkei auf den kurdischen Kanton Afrin in Nordsyrien“) habe der Antragsteller deutlich gemacht, dass sich die Versammlung gegen das Verhalten der Türkei in Nordsyrien wenden und zugleich auch für eine Abschaffung des PKK-Verbots werbe. Damit würden die YPG, YPJ und PYD gerade in Verbindung mit den angezeigten Kundgebungsmitteln (Abbild Öcalans) eher als Ableger der PKK denn als Teil der Allianz im Kampf gegen den IS wahrgenommen werden.
Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde bringt der Antragsteller insbesondere vor, dass das Verbot jeglicher Darstellung von Öcalan etwa auch in privaten Situationen zu weitgehend sei. Die drei syrischen Organisationen könnten nicht als Unterorganisationen der PKK bezeichnet werden und seien mangels Verbotsverfügung legal.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nur zum Teil begründet. Die vom Antragsteller im Be-schwerdeverfahren dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen die Abänderung des angefochtenen Beschlusses lediglich im tenorierten Umfang.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage zu treffende Abwägungsentscheidung führt nach Auffassung des Senats zu dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage das gesetzlich bestimmte öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung (s. Art. 25 BayVersG) der angefochtenen Beschränkungen lediglich bezüglich der Beschränkung unter Nr. 6.3.2 (angezeigte Kundgebungsmittel mit der Aufschrift YPG, YPJ, PYD) mit der im Beschlusstenor verfügten Maßgabe des Senats überwiegt. Die Beschränkung unter Nr. 6.3.1 (angezeigte Kundgebungsmittel mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan“ inkl. dem Porträt Abdullah Öcalans) hat das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung dagegen zu Recht als rechtmäßig erachtet, weshalb die Klage des Antragstellers insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
Zutreffend haben die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der streitbefangenen Beschränkungen auf die versammlungsrechtliche Befugnisnorm des Art. 15 Abs. 1 BayVersG und bezüglich der erforderlichen unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei der Durchführung der angezeigten Versammlung auf den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG abgestellt. Bei der Frage, ob die Antragsgegnerin aufgrund der ihr vorliegenden Erkenntnisse im Zeitpunkt des Bescheidserlasses davon ausgehen durfte, dass das Zeigen bzw. die Verwendung der streitgegenständlichen Kundgebungsmittel im Rahmen der Versammlung den vereinsrechtlichen Straftatbestand gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG erfüllt, ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Akten und Unterlagen sowie des Beschwerdevorbringens bei der gerade auch im Hinblick auf den Versammlungszeitpunkt nur möglichen summarischen Prüfung durch den Senat eine differenzierende Beurteilung geboten. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Die Beschwerde zeigt keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts auf, die Beschränkung unter Nr. 6.3.1 des Bescheids sei nach summarischer Prüfung rechtmäßig. Der Vortrag des Antragstellers, es könne nicht verboten werden, Öcalan zumindest in privaten Situationen („als Kind, beim Badeausflug“) im Rahmen einer Friedensdemonstration zu zeigen und seine Freilassung zu fordern, geht insoweit an der Sache vorbei, als nach allen dem Senat vorliegenden Erkenntnissen die angemeldeten Versammlungen einen ausschließlich politischen Charakter haben und daher Bilder mit den beispielhaft genannten Ansichten schon deshalb sinnvollerweise nicht gezeigt werden, weil eine Darstellung von Öcalan in der genannten Art und Weise nicht dem angegebenen Versammlungszweck dienen würde. Dass der Antragsteller den Charakter der angemeldeten Versammlungen als ihrem Schwerpunkt nach als Friedensdemonstration bezeichnet, ändert nichts daran, dass die PKK als nach den Vorschriften des Vereinsgesetzes seit langem verbotene Organisation nicht – auch nicht unter Verwendung der Symbolkraft des inhaftierten Vorsitzenden – für sich und ihre Anliegen werben darf. Auch die vom Antragsteller geforderte Notwendigkeit eines Zusammenhangs zwischen den Protesten gegen die Sicherheitskonferenz und den Forderungen der PKK besteht nicht. Auf die insoweit zutreffende und ausführliche Darstellung im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts (BA, S. 8 bis 12) nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
2. Dagegen kann nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse nicht hinreichend sicher abgeschätzt werden, ob die Verwendung der Kundgebungsmittel unter Nr. 6.3.2 des Bescheids (bzgl. der drei in Syrien tätigen Organisationen) unter den Straftatbestand des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 VereinsG fällt. Dies wäre dann zu bejahen, wenn sie entsprechend der Einstufung durch die Antragsgegnerin und ihr folgend das Verwaltungsgericht trotz formell bestehender Unabhängigkeit praktisch eine Unterorganisation („Ableger“) der PKK bilden würden. Eine sichere Beurteilung dieser Frage würde wegen der dafür erforderlichen Auswertung der verfügbaren Erkenntnisquellen den Rahmen dieses Eilverfahrens sprengen, zumal zu dieser Frage – soweit ersichtlich – auch noch keine Rechtsprechung vorliegt. In diese Richtung zielt auch die in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft München I erfolgte Stellungnahme des Polizeipräsidiums München vom 9. Februar 2018, wonach alleine die Verwendung von Fahnen einer der drei genannten Organisationen ohne gleichzeitige aktive Sympathieäußerung zur PKK oder dessen Vorsitzenden für eine Strafbarkeit wohl nicht ausreiche und eine abschließende Beurteilung dieser Frage über eine „oberinstanzielle“ Entscheidung erreicht werden solle. Auch der Senat hält es nicht für völlig fernliegend, dass der genannte Straftatbestand des Vereinsgesetzes durch ein bloßes Vorzeigen von Fahnen der drei syrischen Organisationen noch nicht erfüllt ist. Damit wären aber auch die Voraussetzungen für eine versammlungsbehördliche Beschränkung insoweit nicht gegeben.
Daher war die Abwägungsentscheidung, wie erfolgt, zu treffen. Damit wird einerseits sichergestellt, dass kein Kundgebungsteilnehmer gleichzeitig sowohl PKK-Symbole und Symbole einer der syrischen Organisationen verwendet und entsprechende Bezüge herstellt. Andererseits wird damit dem durch Art. 8 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Antragstellers Rechnung getragen, auf das aktuelle militärische Geschehen im syrischen Grenzraum zur Türkei wirksam aufmerksam zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2
sowie § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben