Verwaltungsrecht

Verwaltungsgerichte, Klärungsbedürftigkeit, Kostenentscheidung, Verfahrensmangel, Schutzberechtigter, Entscheidungserhebliches Vorbringen, Zulassungsantrag, Isolierte Anfechtung, Asylantrag, Abweichungsentscheidung, Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, Aufhebung, Oberverwaltungsgericht, Abschiebungsverbot, Beweiswürdigung, Angefochtenes Urteil, Rechtliches Gehör, Asylverfahren, Antrag auf Zulassung, Rechtsmittelführer

Aktenzeichen  21 ZB 20.31621

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4212
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3, Abs. 4 S. 4
VwGO § 138

 

Leitsatz

Verfahrensgang

AN 17 K 18.50059, AN 17 K 18.50411 2020-03-05 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich u.a. dagegen, dass das Bundesamt für … (Bundesamt) ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihr die Abschiebung nach Ungarn angedroht hat.
Die am 10. Juli 2001 geborene Klägerin ist nach eigenen Angaben Staatsangehörige der Arabischen Republik Syrien. Ihren Angaben zufolge reiste sie am 13. Oktober 2017 zusammen mit ihrem Ehemann (Kläger im Verfahren 21 ZB 20.31620) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 29. Januar 2018 einen Asylantrag. Die Klägerin hat mit ihrem Ehemann zwei gemeinsame Kinder, die sich ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
Mit Bescheid vom 12. April 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Zudem forderte es die Klägerin auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, drohte ihr widrigenfalls die Abschiebung nach Ungarn oder in einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat an und stellte fest, dass die Klägerin nicht nach Syrien abgeschoben werden darf (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Das Verwaltungsgericht Ansbach hat der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage mit Urteil vom 5. März 2020 insoweit stattgegeben, als sie sich gegen Nummer 4 des Bescheids vom 12. April 2018 richtet. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1.1 Soweit sich der Antrag ausweislich seiner uneingeschränkten Formulierung auch gegen die Aufhebung von Nummer 4 des Bescheids vom 12. April 2018 richtet, ist er bereits unzulässig. Die Klägerin ist und war bereits im Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, vor § 124 Rn. 18) durch die mit dem angefochtenen Urteil des Verwaltungsgerichts erfolgte Aufhebung von Nummer 4 des Bundesamtsbescheids nicht beschwert. Sie kann insoweit ihre Rechtsstellung nicht weiter verbessern. Allein aus der Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils, in der der Klägerin, auch soweit sie obsiegte, gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO die Kosten des Verfahrens auferlegt wurden, ergibt sich wegen § 158 Abs. 1 VwGO, wonach eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig ist, keine Beschwer, die den Antrag auf Zulassung der Berufung rechtfertigen würde (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.1999 – 4 B 18.99 – juris Rn. 7; Olbertz in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 158 Rn. 5).
1.2 Der Antrag hat auch im Übrigen keinen Erfolg, da ein Zulassungsgrund im Sinne von § 78 Abs. 3 AsylG entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht hinreichend dargelegt wurde.
1.2.1 Die Klägerin trägt vor, dass die „Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Situation anerkannt Schutzberechtigter in Ungarn […] von der Einschätzung“ konkret aufgeführter anderer Gerichte abweiche. Die daraus aus Sicht des Berufungsgerichts abzuleitende Rüge, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts von Entscheidungen der Verwaltungsgerichte Augsburg, München, Düsseldorf und Bremen sowie von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes abweiche, erfüllt die Anforderungen an die Darlegung einer Divergenz im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht.
Abgesehen davon, dass es dem Zulassungsvorbringen an der hierfür erforderlichen Gegenüberstellung abstrakter voneinander abweichender Rechts- oder Tatsachensätze fehlt, ist im Rahmen von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nur die Abweichung von einer Entscheidung der in der Vorschrift genannten Gerichte relevant. Demnach rechtfertigen Abweichungen von Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG ebenso wenig wie Abweichungen von einer Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts als des dem Verwaltungsgericht im Rahmen des Instanzenzugs konkret übergeordneten Oberverwaltungsgerichts, d.h. vorliegend des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 78 Rn. 73). In derartigen Fällen kann jedoch eine Grundsatzrüge in Betracht kommen.
1.2.2 Der der Sache nach geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) wurde entgegen § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG ebenfalls nicht hinreichend dargelegt.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinn des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG hat der Rechtsmittelführer eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und auszuführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Dem genügt der Zulassungsantrag nicht. Ihm lässt sich schon keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage entnehmen. Vielmehr beschränkt sich das Vorbringen insoweit auf einen pauschalen Hinweis auf „die Situation anerkannter Schutzberechtigter in Ungarn“ und listet Entscheidungen anderer erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte und des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes auf, die die Situation anerkannter Schutzberechtigter in Ungarn betreffen. Allein der Hinweis auf eine abweichende Entscheidung eines anderen Oberverwaltungsgerichts als des dem Verwaltungsgericht im Rahmen des Instanzenzugs konkret übergeordneten Oberverwaltungsgerichts und/oder abweichende Entscheidungen anderer erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte vermag die Formulierung einer konkreten klärungsbedürftigen Rechts- oder Tatsachenfrage nicht zu ersetzen. Es ist nicht Aufgabe des Berufungsgerichts, nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dargelegte Fragen in klärungsbedürftige Grundsatzfragen im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG umzuformulieren (OVG NRW, B.v. 14.7.2015 – 11 A 2515/14.A – juris Rn. 5). Hinzu kommt, dass das Verwaltungsgericht unter Auswertung zahlreicher Erkenntnisse die tatsächlichen Verhältnisse in Ungarn eingehend gewürdigt hat (UA S. 16 ff.) und auf dieser Grundlage zu der Einschätzung gelangt ist, dass die Klägerin dort – unter der Annahme einer Rückkehr zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden am 26. März 2018 bzw. 13. Mai 2019 geborenen Kindern (UA S. 15 f. und 18 f.) – keiner Lage ausgesetzt ist, die einen Verstoß gegen die Rechte aus Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh bedeuten würde (UA S. 18 f.). Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, die verdeutlichen würde, dass die angegriffene Entscheidung dem Klärungsbedarf nicht gerecht wird (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72), findet in der Begründung des Zulassungsantrags nicht statt.
1.2.3 Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines in § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG) zuzulassen. Mit der Rüge, dass aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht hervorgehe und dort wohl auch nicht berücksichtigt worden sei, dass die Klägerin und ihr Ehemann zwei Töchter hätten, und sich das Verwaltungsgericht nicht mit der besonderen Situation der Klägerin als Mutter von minderjährigen Kindern auseinandergesetzt habe, wird der Sache nach geltend gemacht, dass der Klägerin das rechtliche Gehör versagt worden sei (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Dies wird den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG an die Darlegung eines solchen Verfahrensmangels nicht gerecht.
Neben einer substantiierten Darlegung, welches entscheidungserhebliche Vorbringen das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen haben soll, muss jedenfalls auch ausgeführt werden, inwiefern der nicht ordnungsgemäß berücksichtigte Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – juris Rn. 4; B.v. 23.9.2009 – 9 B 64.09 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 27.7.2005 – 1 ZB 05.30554 – juris Rn. 11). Die insofern gebotene Darlegung der Entscheidungserheblichkeit des (angeblich) nicht ordnungsgemäß berücksichtigten Vortrags und damit des Beruhens des angefochtenen Urteils auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2001 – 1 B 211.01 – juris Rn. 5) fehlt vorliegend.
Unabhängig von diesem Darlegungsmangel ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht nicht zur Kenntnis genommen und seiner Entscheidung nicht zugrunde gelegt hat, dass die Klägerin Mutter von zwei Kleinkindern ist. Das Verwaltungsgericht hat diese Tatsache vielmehr im Tatbestand seines Urteils ausdrücklich aufgeführt (UA S. 3) und seiner Entscheidung auch zugrunde gelegt, indem es bei der Prognose der Situation, die die Klägerin im Fall ihrer Rückkehr nach Ungarn erwarten würde, von der Rückkehr der Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern ausgegangen ist (UA S. 15 f., 18 f.). Dass es diese Tatsache rechtlich anders gewürdigt hat als von der Klägerin für richtig erachtet, begründet keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Die (vermeintlich) fehlerhafte Verwertung von Tatsachen ist grundsätzlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, B.v. 2.11.1995 – 9 B 710.94 – juris Rn. 5 f.). Mit der Kritik an der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung kann die Annahme eines Gehörsverstoßes daher grundsätzlich nicht begründet werden (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2014 – 5 B 25.14 – juris Rn. 13; BayVGH, B.v. 2.11.2015 – 13a ZB 15.30205 – juris Rn. 7). Dass hier ausnahmsweise anderes gelten müsste, zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. März 2020, soweit es den Asylantrag der Klägerin betrifft, rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben