Verwaltungsrecht

Vorübergehendes Verbot der Führung der Dienstgeschäfte eines Leitenden Militärdekans

Aktenzeichen  6 ZB 17.2316

Datum:
12.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4386
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BBG § 66
GG Art. 140
MSV Art. 10, Art. 19 Abs. 2
WRV Art. 137 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Einem Leitenden Militärdekan kann mit sofortiger Wirkung aus zwingenden dienstlichen Gründen vorübergehend die Führung der Dienstgeschäfte untersagt werden, wenn es durch dessen Wahrnehmung seines Dienstes zu einer nachhaltigen Störung und einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kirchlichen Leitung im Dekanat gekommen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2. Entscheidend hierfür ist nicht ein vorwerfbares Verhalten des Beamten, sondern die objektive Gefährdung des Dienstes (BayVGH BeckRS 2017, 131749). (redaktioneller Leitsatz)
3. Wegen ihres vorläufigen Charakters ist für eine Anordnung nach § 66 S. 1 BBG keine erschöpfende Aufklärung des Sachverhalts erforderlich; es genügt, wenn der zuständige Vorgesetzte zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass die dienstlichen Gründe das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als zwingend erscheinen lassen (ebenso BVerwG BeckRS 9998, 30649). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 21 K 16.1061 2017-09-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. September 2017 – M 21 K 16.1061 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Der Kläger, der als Leitender Miliärdekan im Dienst der Beklagten steht, begehrt die Feststellung, dass das ihm gegenüber mit Bescheid vom 2. April 2015 ausgesprochene Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als Leiter eines Evangelischen Militärdekanats rechtswidrig war.
Mit Schreiben vom 17. März 2015 informierte der Evangelische Militärbischof den Kläger über eine Mitteilung des Konvents der evangelischen Militärgeistlichen des Militärdekanats, wonach eine gedeihliche vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr möglich sei. Er sehe die kirchliche Auftragserfüllung deshalb, anders als bislang, nicht mehr nur als gefährdet an. Die zuvor angeordneten Maßnahmen (Mediation, die Fort- und Weiterbildung) seien nicht mehr geeignet, das zerrüttete Vertrauensverhältnis in absehbarer Zeit wiederherzustellen. Es liege eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kirchlichen Leitung im Dekanat vor. Unter Berufung auf dieses Schreiben hörte der Evangelische Militärgeneraldekan den Kläger zu einem beabsichtigten Verbot der Führung der Dienstgeschäfte an und bot auch ein persönliches Gespräch an. Der Kläger teilte daraufhin mit Schreiben vom 28. März 2015 mit, dass er aus gesundheitlichen Gründen der Aufforderung nicht nachkommen könne. Auch zu einer telefonischen Kontaktaufnahme sei er nicht in der Lage.
Unter dem 2. April 2015 untersagte der Militärgeneraldekan dem Kläger mit sofortiger Wirkung aus zwingenden dienstlichen Gründen vorübergehend die Führung der Dienstgeschäfte als Leiter des Evangelischen Militärdekanats. Vor dem Hintergrund der im Schreiben des Militärbischofs enthaltenen Feststellungen sei die Wahrnehmung der Leitungsaufgaben im Militärdekanat durch den Kläger gegenwärtig nicht gewährleistet, sodass dessen Entbindung von der Pflicht zur Dienstleistung und dem Recht auf amtsangemessene Beschäftigung unabhängig von der aktuellen Krankschreibung unabdingbar sei.
Hiergegen legte der Kläger zunächst Widerspruch ein und erhob später Klage zum Verwaltungsgericht auf Feststellung, dass der Bescheid des Militärgeneraldekans vom 2. April 2015 rechtswidrig gewesen sei. Mit Urteil vom 22. September 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten sei zwar eröffnet und die Feststellungsklage zulässig. Sie sei aber unbegründet. Das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte sei auf der Grundlage das § 66 Satz 1 BBG während seiner gesamten durch § 66 Satz 2 BBG begrenzten Geltungsdauer rechtmäßig gewesen. Es sei ausschließlich auf die Besorgnis einer nachhaltigen Störung und schwerwiegenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kirchlichen Leitung im Militärdekanat gestützt. Die Beklagte habe aufgrund der zutage getretenen Spannungsverhältnisse zu der Feststellung gelangen dürfen, dass zwingende dienstliche Gründe für das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte des Klägers vorlägen. Die Feststellung innerdienstlicher Spannungen und einer nachhaltigen Zerrüttung sei auch nicht vorgeschoben oder rechtsmissbräuchlich gewesen, wie die gerichtliche Beweisaufnahme erwiesen habe. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt.
2. Die Einwände, die der Zulassungsantrag dem erstinstanzlichen Urteil entgegenhält, rechtfertigen nicht die Zulassung der Berufung.
a) Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würde (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163/1164; B.v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl 2007, 624). Das ist nicht der Fall.
aa) Rechtsgrundlage des streitigen Verbots ist § 66 Satz 1 BBG. Danach kann einer Beamtin oder einem Beamten aus zwingenden dienstlichen Gründen die Führung der Dienstgeschäfte verboten werden. Bei dem Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Diese liegen vor, wenn bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Beamten auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde oder andere gewichtige dienstliche Nachteile ernsthaft zu besorgen wären. Die Vorschrift stellt dabei (anders bei der vorläufigen Dienstenthebung nach § 38 BDG) nicht auf ein vorwerfbares Verhalten des Beamten ab, sondern auf die objektive Gefährdung des Dienstes (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 6 CS 17.1722 – juris Rn. 9), was allerdings nicht ausschließt, dass zugleich ein Schuldvorwurf dem Beamten gegenüber begründet werden kann.
Die Anordnung nach § 66 Satz 1 BBG hat nur vorläufigen Charakter, weil das Verbot gemäß § 66 Satz 2 BBG erlischt, wenn nicht bis zum Ablauf von drei Monaten gegen die Beamtin oder den Beamten ein weiteres Verfahren eingeleitet worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.7.1979 – 1 WB 67.78 – BVerwGE 63, 250/251). Wegen dieses vorläufigen Charakters ist für eine Anordnung nach § 66 Satz 1 BBG keine erschöpfende Aufklärung des Sachverhalts erforderlich. Es genügt, wenn der zuständige Vorgesetzte aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zu der begründeten Überzeugung gelangt, dass die dienstlichen Gründe ein sofortiges Handeln erfordern und das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte als zwingend erscheinen lassen. Demnach ist nicht erforderlich, dass bereits Klarheit über den Grund für die Beeinträchtigung der dienstlichen Belange oder die weitere Verwendung und Behandlung besteht; vielmehr eröffnet das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte dem Dienstherrn die Möglichkeit, ohne Gefährdung der dienstlichen Interessen Ermittlungen anzustellen und eine solidere Grundlage für dauerhafte Entscheidungen zu gewinnen (vgl. BVerwG, B.v. 19.11.1998 – 1 WB 36.98 – DVBl 1999, 326 f.; BayVGH, B.v. 20.3.2017 – 3 ZB 16.921 – juris Rn. 5 f.; B.v. 12.10.2017 – 6 CS 17.1722 – juris Rn. 9).
bb) Gemessen an diesem rechtlichen Maßstab teilt der Senat im Ergebnis die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Dienstführungsverbot rechtmäßig war. Dabei kann dahinstehen, ob § 66 BBG auf evangelische Militärgeistliche, deren Status als Bundesbeamte auf dem Gesetz über die Militärseelsorge vom 26. Juli 1957 (BGBl II S. 701) in Verbindung mit dem am 22. Februar 1957 unterzeichneten Militärseelsorgevertrag (MSV) der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland gründet, uneingeschränkt Anwendung findet oder aber mit Blick auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) gerichtlich nur begrenzt überprüfbare Spielräume eröffnet. Denn auch bei einer uneingeschränkten Anwendung des § 66 BBG (i.V.m. Art. 19 Abs. 2 MSV) bedürfen die Einwände, die der Kläger mit dem Zulassungsantrag gegen die Verfahrensweise, Rechtsauslegung und -anwendung durch das Verwaltungsgericht vorbringt, keiner weiteren Überprüfung in einem Berufungsverfahren.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, das Dienstführungsverbot sei durch „zwingende dienstliche Gründe“ im Sinn von § 66 Satz 1 BBG gerechtfertigt gewesen, wird durch das Zulassungsvorbringen nicht ernstlich in Frage gestellt.
Das Verbot stützt sich auf die Feststellungen des Evangelischen Militärbischofs, dem die kirchliche Leitung der Militärseelsorge obliegt (Art. 10 MSV). Danach ist es in der Wahrnehmung des Dienstes durch den Kläger im Militärdekanat zu einer nachhaltigen Störung und einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der kirchlichen Leitung im Dekanat gekommen. Das ergibt sich aus der schriftlichen Stellungnahme des Konvents der evangelischen Militärgeistlichen des Militärdekanats vom 23. Februar 2015. Die vollzählig anwesenden Militärgeistlichen des Dekanats haben darin erklärt, dass eine gedeihliche, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr möglich sei. Mit Blick auf diese unmissverständliche und schwerwiegende Erklärung und die entsprechende Bewertung durch den Militärbischof durfte der Militärgeneraldekan – ohne weiteres – davon ausgehen, dass bei weiterer Ausübung des Dienstes durch den Kläger auf seinem bisherigen Dienstposten der Dienstbetrieb erheblich beeinträchtigt würde. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerden über die Dienstführung des Klägers nur vorgeschoben oder gar missbräuchlich gewesen wären, bestanden nicht. Das hat die Zeugenvernehmung durch das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Ob die durch den Konvent offen zu Tage getretene massive Beeinträchtigung des Dienstbetriebs dem Kläger subjektiv vorwerfbar war, ist im Rahmen des § 66 BBG ebenso unerheblich wie der mit dem Zulassungsantrag hervorgehobene Umstand, dass die konkreten Umstände aus der Sicht der Dienstvorgesetzten selbst noch nicht abschließend ermittelt waren.
Es bestehen entgegen der Ansicht des Klägers auch keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung (§ 114 Satz 1 VwGO), insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit.
Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Militärgeneraldekan auf die zunächst mit Schreiben vom 26. Januar 2015 angeordnete Mediation verzichtet hat. Die Stellungnahme des Konvents der Militärgeistlichen vom 23. Februar 2015 hat den Ausgangssachverhalt, der schon zuvor Anlass zu Gesprächen und dienstlichen Anordnungen gegeben hatte, deutlich „verschlimmert“ und den Schluss gerechtfertigt, dass eine Mediation jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht mehr geeignet sei, das zerrüttete Vertrauensverhältnis innerhalb des Dekanats in absehbarer Zeit wieder herzustellen. Ein milderes Mittel, wie eine vorläufige Umsetzung oder Versetzung, ist angesichts des Status und der Funktion des Klägers nicht ersichtlich.
Dass der Kläger bei Erlass des Dienstausübungsverbots dienstunfähig war, begründet ebenfalls keinen Rechtsfehler. Mit Schreiben vom 28. März 2015 hatte er im Rahmen seiner Anhörung gebeten, das Verfahren bis zur Wiederherstellung seiner Belastbarkeit auszusetzen. Schon begrifflich bedeutet dies nicht bis zur Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Militärgeneraldekan, wie im Bescheid vom 2. April 2015 ausgeführt, mit Blick auf krankheitsbedingte Unwägbarkeiten gleichwohl das Verbot der Führung der Dienstgeschäfte angeordnet hat. Dass keine weiteren Erhebungen durchgeführt worden sind, ist auch insoweit unerheblich.
b) Die Rechtssache weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die aufgeworfenen Fragen lassen sich aus den oben genannten Gründen ohne weiteres in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn beantworten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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