Verwaltungsrecht

Widerruf einer Gaststättenerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit

Aktenzeichen  AN 4 S 20.00894, AN 4 S 20.00896

Datum:
16.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 15423
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 12 Abs. 1
GastG § 2, § 15 Abs. 2 , § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1, § 31 Hs. 1
GewO § 15 Abs. 2 S. 1, § 35 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Nr. 4, Abs. 3, Abs. 5 S. 1
BayVwZVG Art. 29 Abs. 3, Art. 34 S. 1, Art. 36 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird, wobei der Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GastG demjenigen des § 35 Abs. 1 GewO entspricht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kann insbesondere aus der Begehung von Ordnungswidrigkeiten abgeleitet werden, wobei es eines Gewerbebezuges und einer Vielzahl von Verstößen bedarf, aus denen ein Hang zur Nichtbeachtung gesetzlicher Bestimmungen abgeleitet werden kann. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden muss auch dann verneint werden, wenn dieser einem unzuverlässigen Dritten maßgeblichen bzw. bestimmenden Einfluss auf die Führung des Gewerbebetriebes einräumt oder auch nur nicht willens oder in der Lage ist, einen solchen Einfluss auszuschalten. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Wird die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers bejaht, ist der Widerruf der Gaststättenerlaubnis zwingend geboten; § 15 Abs. 2 GastG räumt der Behörde insoweit kein Ermessen ein. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis stellt einen selbstständigen Eingriff in die subjektive Berufswahlfreiheit des Erlaubnisinhabes gem. Art. 12 Abs. 1 GG dar, weil sie dessen berufliche Betätigung schon vor einer Entscheidung in der Hauptsache beeinträchtigt; sie ist daher nur gerechtfertigt, wenn die Fortsetzung der Gewerbetätigkeit des Erlaubnisinhabers während der Dauer des Rechtsstreits konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. ( (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Verfahren AN 4 S 20.00894 und AN 4 S 20.00896 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
2. Die Anträge werden abgelehnt.
3. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist Inhaber einer Gaststätte und begehrt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid, mit dem die Antragsgegnerin die ihm erteilte Gaststättenerlaubnis widerrufen, die Fortsetzung des Gaststättenbetriebes untersagt und unmittelbaren Zwang durch Versiegelung der Betriebsräume angedroht hat.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2019 wurde dem Antragsteller die Erlaubnis nach § 2 GastG zum Betrieb der Gaststätte „…“, …, … erteilt. Diese enthält unter Ziffer II u.a. folgende „Auflagen gemäß § 5 Abs. 1 GastG“:
1. Die Entzündung und das Abbrennen von Shisha-Pfeifen werden untersagt, bis die Auflagen Nrn. 2 – 6 erfüllt sind. Die Erfüllung der Auflagen Nrn. 2 – 6 sind schriftlich nachzuweisen.
2. In den Zubereitungsräumen und im Gastraum o.g. Gaststätte ist jeweils ein stationäres Gaswarngerät mit CO-Sensor für den ganzjährigen Dauereinsatz einzubauen. Das Gerät muss zur Erfüllung seiner Funktion von einem Fachbetrieb installiert werden.
3. Zudem muss ein Datenlogger vorhanden sein, um Spitzenwerte und Fehlfunktionen zu dokumentieren. Bei einem Überschreiten der Kohlenstoffmonoxidkonzentration ab einem Wert von 30 ppm muss ein sehr lautes Warnsignal (z.B. durch eine Warnhupe) ertönen und ein optisches Warnsignal (z.B. Blinklicht) abgegeben werden.
4. Das Gerät muss halbjährlich durch eine Fachfirma getestet bzw. nachkalibriert werden. Dies muss durch die Fachfirma dokumentiert werden.
5. In den Zubereitungsräumen und im Gastraum ist eine Be- und Entlüftungsanlage einzubauen. Bei der Be- und Entlüftungsanlage des Gastraums und der Zubereitungsräume muss durch ein Gutachten einer ausgewiesenen Fachfirma für Lüftungsanlagen nachgewiesen werden, dass die Leistung der Be- und Entlüftungsanlage (mit Betriebsstundennachweis) in den Gasträumen und den Zubereitungsräumen für einen Betrieb eines Shisha-Cafes bei geschlossenen Fenstern und Türen ausreichend ist und die Kohlenstoffmonoxidkonzentration in den Gasträumen und im Zubereitungsraum einen Wert von jeweils 30 ppm während der gesamten Betriebszeit nicht überschreitet.
6. Bei der Be- und Entlüftungsanlage ist ein Betriebsstundennachweis zu führen.
(…)
8. Während der Zubereitung (Anzünden) sowie des Rauchens der Shishas sind sämtliche Türen und Fenster grundsätzlich mit sofortiger Wirkung geschlossen zu halten.
9. In den Innenräumen der o.g. Gaststätte sind die Verwendung und das Rauchen von Shishatabak und anderen tabakhaltigen Erzeugnissen in den Shishapfeifen untersagt.
10. In den Räumlichkeiten der Gaststätte sind an jedem Fenster auf der Innenseite Hinweisschilder (mind. DINA4, Schriftgröße 26) mit folgendem Text „Das Rauchen von tabakhaltigen Shisha-Wasserpfeifen in den Innenräumen von Gaststätten stellt einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Gesundheitsschutzgesetzes dar.“ anzubringen (Schrift in den Innenraum zeigend).
11. In den Räumlichkeiten der Gaststätte sind an jedem Fenster auf der Innenseite Hinweisschilder (mind. DINA4, Schriftgröße 26) mit folgendem Text „Sehr geehrte Gäste, dies ist eine Gaststätte, in der Wasserpfeifen (Shishas) geraucht werden. Beim Zubereiten und Rauchen der Wasserpfeifen entsteht Kohlenmonoxid. Hierdurch können erhebliche Gesundheitsgefahren entstehen, insbesondere für Schwangere sowie das ungeborene Kind und Personen mit Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen.“ anzubringen (Schrift in den Innenraum zeigend).
12. Die Entzündung und das Abbrennen von kohlebetriebenen Shisha-Wasserpfeifen wird in sämtlichen Betriebsräumen untersagt.
(…)
16. Im Außenbereich sind an jedem Fenster Hinweisschilder (mind. DINA4, Schriftgröße 26) anzubringen, welche die Raucher und heimgehenden Gäste nach Eintritt der Sperrzeit dazu anhalten, sich ruhig zu verhalten und ihren Aufenthalt im Außenbereich auf das Nötigste zu beschränken.
17. Während den Betriebszeiten sind sämtliche Türen u. Fenster geschlossen zu halten.
18. Die Aufbewahrung und Lagerung sämtlicher Tabakprodukte und tabakähnlicher Erzeugnisse ist in sämtlichen Betriebsräumen untersagt.
(…)
25. Eine vollständige Ausfertigung der Gaststättenerlaubnis sowie der Gewerbemeldung ist in den Betriebsräumen vorzuhalten und bei Kontrolle den zuständigen Behörden (z.B. Ordnungsbehörde, Polizei) unverzüglich vorzulegen.
sowie unter anderem folgenden Hinweis
8. (…) Gemäß § 1 Nr. 2 SperrzeitVO darf die Bewirtschaftung auf öffentlichen Verkehrsflächen (Sondernutzungen) und privaten Flächen im Freien (z.B. Wirtschaftsgärten und Terrassen) bis längstens 23.00 Uhr erfolgen.
Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 5. Juli 2019 wurde die Auflage Nr. II.17 täglich bis 22 Uhr außer Vollzug gesetzt.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2019 erhielt der Antragsteller eine Sondernutzungserlaubnis nach dem Bayerischen Straßen- und Wegegesetz, die ihm eine Außenbestuhlung im Ausmaß 7,00 m Länge und 1,20 m Tiefe mit einem Sicherheitsabstand von 0,50 m zur Bordsteinkante erlaubte.
Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 18. Juli 2019 wurde die Gaststättenerlaubnis auf die vom Liegenschaftsamt zugewiesene Verkehrsfläche vor dem Anwesen … in … bis täglich 23 Uhr erweitert. Die Erweiterung der Gaststättenerlaubnis enthielt folgende „Auflagen gemäß § 5 Abs. 1 GastG“:
1. Während der Betriebszeiten dürfen maximal 16 Sitzplätze im Außenbereich aufgestellt werden.
4. Nach 23 Uhr sind sämtliche Tische und Stühle im Außenbereich der Gaststätten zusammenzustellen.
Die Antragsgegnerin drohte dem Antragsteller mit Bescheid vom 23. Oktober 2019 für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung Nr. II.12 der Gaststättenerlaubnis vom 27. Mai 2019 ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR an. Mit Bescheid vom 7. November 2019 hob die Antragsgegnerin die Gaststättenerlaubnis hinsichtlich der Nr. II.1 bis II.6 auf. Der Antragsteller hat gegen die Zwangsgeldandrohung und den Aufhebungsbescheid am 25. November 2019 Klage erhoben (AN 4 K 19.02330). Die Antragsgegnerin drohte dem Antragsteller mit Bescheid vom 8. Januar 2020 für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung Nr. II.12 der Gaststättenerlaubnis ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 2.000,00 EUR an. Diese erneute Zwangsgeldandrohung hat der Antragsteller im Wege der Klageerweiterung am 10. Februar 2020 angefochten.
Mit Schreiben vom 10. Januar 2020 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass bei einer Ortseinsicht am 22. November 2019 erneut gaststättenrechtliche Verstöße festgestellt worden seien, forderte den Antragsteller auf, den Gaststättenbetrieb in Zukunft ordnungsgemäß zu führen und wies ihn darauf hin, dass bei erneuten negativen Vorkommnissen mit dem Widerruf der Gaststättenerlaubnis und der Untersagung des Gaststättenbetriebes zu rechnen sei.
Mit Schreiben vom 26. Februar 2020 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zum beabsichtigten Widerruf der Gaststättenerlaubnis und zur beabsichtigten Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes an. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers nahm mit Schreiben vom 17. März 2020 zum beabsichtigten Widerruf Stellung.
Mit Bescheid vom 1. April 2020, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 9. April 2020 zugestellt, widerrief die Antragsgegnerin die gaststättenrechtliche Erlaubnis zum Betrieb der Gaststätte „…“, …, … (Ziffer 1), untersagte dem Antragsteller die Fortsetzung des Gaststättenbetriebes im Anwesen …, … (Ziffer 2) und ordnete für den Fall, dass der Ziffer 2 des Bescheides nicht bis zum 30. April 2020 nachgekommen wird, unmittelbaren Zwang durch Versiegelung der Räumlichkeiten an (Ziffer 3). Weiter ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 des Bescheides an (Ziffer 4) und legte dem Antragsteller die Kosten des Verfahrens auf (Ziffer 5). Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus, dass die Gaststätte zuvor von Herrn … … betrieben worden sei, dessen gaststättenrechtliche Erlaubnis infolge beharrlicher Verstöße gegen das Gaststättenrecht widerrufen worden sei. Die Antragsgegnerin zählte diverse gaststättenrechtliche Verstöße auf, die sich seit Betriebsübernahme durch den Antragsteller ereignet hätten:
– 2. Juni 2019: Ca. 15 Gäste hätten im Außenbereich gesessen, obwohl keine gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Außenbereich erteilt worden sei.
– 2. Juni 2019: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden, ebenso ein Tabak-Melasse-Gemisch, Hinweisschilder hätten gefehlt, die Eingangstüren hätten komplett offen gestanden.
– 3. Juni 2019: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden.
– 4. Juni 2019: Die Eingangstür habe offen gestanden, die Gäste hätten sich lediglich im Außenbereich aufgehalten.
– 5. Juni 2019: Ca. 15 Gästen hätten im Außenbereich gesessen, obwohl keine gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Außenbereich erteilt worden sei.
– 6. Juni 2019: Die Türen hätten während der Überwachungszeit von 20:20 Uhr bis 23:10 Uhr mehrmals offen gestanden und im Außenbereich hätten Hinweisschilder gefehlt.
– 8. Juni 2019: Die Zugangstür habe dauerhaft offen gestanden.
– 9. Juni 2019: Beide äußere Flügeltüren und beide inneren Flügeltüren hätten offen gestanden.
– 15. Juni 2019: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden und es sei eine unzulässige Außenbestuhlung von ca. 9 x 2 m festgestellt worden.
– 26. Juni 2019: Beide äußere Flügeltüren und eine innere Flügeltür hätten offen gestanden, die Klangkulisse sei außerhalb deutlich wahrnehmbar gewesen.
– 15. September 2019: Beide Türen hätten während der Überwachungszeit von 0:30 Uhr bis 1:50 Uhr offen gestanden.
– 30. September 2019: Um 23:15 Uhr seien Gäste im Außenbereich bewirtet worden, die Tür habe offen gestanden und es sei Musik auf der Straße zu hören gewesen.
– 1. Oktober 2019: Kohlebetriebene Shishas seien geraucht worden und die Gaststättenerlaubnis habe nicht ausgehändigt werden können.
– 18. Oktober 2019: Drei kohlebetriebene Shishas seien geraucht worden, Tabak und Kohle seien in einem abgetrennten Bereich im Eingangsbereich vorgehalten worden, der Außenbereich sei für 20, statt der zugelassenen 16 Personen bestuhlt gewesen und im Außenbereich hätten Hinweisschilder gefehlt.
– 31. Oktober 2019 um 23:15 Uhr: Die Eingangstür habe offen gestanden.
– 22. November 2019: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden.
– 28. Dezember 2019: Fünf kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden.
– 18. Januar 2020 um 22:20 Uhr: Lautstarke Musik sei über geöffnete Türen in den Außenbereich gedrungen und es seien „brandgefährliche Zustände im Eingangsbereich durch einen behelfsmäßigen Ofen erzeugt“ worden.
– 19. Januar 2020: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden und im Eingangsbereich hätten Hinweisschilder gefehlt.
– 6. Februar 2020: Kohlebetriebene Shishas seien im Innenraum der Gaststätte geraucht worden und es seien „brandgefährliche Zustände im Eingangsbereich durch einen behelfsmäßigen Ofen erzeugt“ worden.
– 19. Februar 2020 um 22:00 Uhr: Die Zugangstür habe offen gestanden.
– 21. Februar 2020 um 22:30 Uhr: Die äußere Tür habe offen gestanden, die innere Tür sei einen Spalt breit offen gewesen, im Eingangsbereich hätten Hinweisschilder gefehlt. Der ehemalige Betreiber Herr … habe gegenüber dem Ordnungsamt erklärt, sich weiterhin nicht an die Auflage, die das Abbrennen von Kohle verbiete, zu halten.
In der Begründung wurde weiter ausgeführt, Rechtsgrundlage für den Widerruf der Gaststättenerlaubnis sei § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Der Antragsteller sei unzuverlässig. Dies ergebe sich zunächst aus seinem negativen ordnungswidrigkeitsrechtlichen Auftreten. Trotz einer schriftlichen Abmahnung vom 10. Januar 2020 habe der Antragsteller weiterhin gegen die Vorschriften des GastG verstoßen. Es seien keine Anhaltspunkte für eine künftige ordnungsgemäße Betriebsführung durch den Antragsteller erkennbar. Weiter bestehe der Verdacht, dass der Antragsteller als Strohmann des ehemaligen Betreibers Herrn … fungiere. Herr … habe als Verpächter Einfluss auf den Gaststättenbetrieb und sei auch nach der Betriebsübernahme durch den Antragsteller verantwortlicher Betriebsleiter geblieben. Er sei bei den Vorfällen am 2. Juni 2019, 3. Juni 2019, 4. Juni 2019, 8. Juni 2019, 31. Oktober 2019, 22. November 2019, 18. Januar 2020 und 21. Februar 2020 verantwortlich gewesen. Der Antragsteller sei weder willens noch in der Lage, diesen maßgeblichen Einfluss zu unterbinden, was auch ihn unzuverlässig mache. Des Weiteren habe der Antragsteller weder auf Ansprachen während der Kontrolle noch auf schriftliche Abmahnungen reagiert. Die Klageerhebung gegen die Zwangsgeldandrohung sei irrelevant, da die Auflage Nr. II.12 ein bestandskräftiger Verwaltungsakt sei, die Auflagen Nr. II.1 bis II.6 seien nur zur Schaffung von Rechtsklarheit aufgehoben worden. Wie sich aus dem Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ergebe, sei dieser bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die anderweitige Klage nicht bereit, sich an die geltenden Auflagen zu halten. Die Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebs (Ziffer 2) beruhe auf § 31 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 GewO. Die Anordnung der Betriebseinstellung entspreche pflichtgemäßen Ermessen. Das Interesse des Antragstellers an der Betriebsfortführung müsse hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einem ordnungsgemäßen Gaststättenbetrieb zurückstehen, zumal sich der Antragsteller durch die Nichteinhaltung gaststättenrechtlicher Vorschriften einen Wettbewerbsvorteil verschaffe. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziffer 4) gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO liege im überwiegenden öffentlichen Interesse, das sich aus der Nachahmungsgefahr, der Brand- und Vergiftungsgefahr, der fortgesetzten Missachtung der Vorschriften des Gaststättengesetzes durch den Antragsteller und der Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Sicherheitsbehörden bei Fortbestand der Gaststätte trotz offenkundig rechtswidriger Zustände ergebe. Der Antragsteller könne nicht erwarten, sich weiterhin rechtswidrig zu verhalten und zusätzlich Brand- und Vergiftungsgefahren zu schaffen. Durch Zwangs- oder Bußgelder habe sich der Antragsteller nicht von seinem Fehlverhalten abbringen lassen. Außerdem würde das Vertrauen der Allgemeinheit in die Sicherheitsbehörden bei einem Fortbestand der Gaststätte angesichts offenkundig rechtswidriger Zustände beeinträchtigt. Die Androhung unmittelbaren Zwangs (Ziffer 3) gemäß Art. 29, 30, 34, 36 VwZVG sei erforderlich, da vorherige Zwangsgeldandrohungen keinen Erfolg gehabt hätten und angesichts der „widerstrebenden Geisteshaltung“ des Antragstellers nur so eine wirksame Gefahrenabwehr sichergestellt sei.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11. Mai 2020 Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 1. April 2020 erhoben und beantragt gleichzeitig
I. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. April 2020, mit dem die gaststättenrechtliche Erlaubnis zum Betrieb der Gaststätte „…“, …, … widerrufen und die Fortsetzung des Gaststättenbetriebs untersagt wird, wird wiederhergestellt
II. die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 1. April 2020, mit dem der unmittelbare Zwang durch Versiegelung der Räumlichkeiten der Gaststätte „…“, …, … angeordnet wird, wird angeordnet.
Zur Antragsbegründung führte der Prozessbevollmächtigte aus, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des Bescheides sei wiederherzustellen, da die Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht vorlägen. Entgegen der Begründung des Bescheides vom 1. April 2020 sei keine schwere Gefahr für die Rechtsordnung gegeben, insbesondere bestehe keine Gesundheitsgefahr für die Gäste durch eine Kohlenmonoxidvergiftung, da die Betriebsräume mit Be- und Entlüftungsanlagen ausgestattet seien. Zudem bestünden ernsthafte Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Widerrufs. Soweit die Antragsgegnerin vortrage, dass die Zuverlässigkeit insbesondere bei einer Verletzung der Aufsichtspflicht nicht gegeben sei, trage sie keine konkreten Tatsachen vor, die eine solche Aufsichtspflichtverletzung durch den Antragsteller begründen könnten. Strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten würden nur bei einem unmittelbaren Bezug zum Gaststättenbetrieb zur Unzuverlässigkeit führen, insofern führe die Antragsgegnerin aber keine konkrete strafbare Handlung bzw. Ordnungswidrigkeit an, die die Unzuverlässigkeit des Antragstellers begründen würde. Die Gaststättenerlaubnis habe von Anfang an eine Vielzahl widersprüchlicher und missverständlicher Anordnung enthalten, weshalb mit E-Mail vom 27. Juni 2019 und Bescheid vom 7. November 2019 zahlreiche Auflagen aufgehoben worden seien (Nr. II.1 – II.6, II.13, II.21 – II.24). Der Antragsteller habe eine Gaststättenerlaubnis zum Betrieb einer Shisha-Bar beantragt, sodass klar gewesen sei, dass in der Gaststätte kohlebetriebene Wasserpfeifen angeboten werden sollten. Der Antragsgegnerin sei auch bewusst gewesen, dass kohlebetriebene Shishas angeboten werden sollten, denn andernfalls hätte sie nicht die Auflagen zum Schutz der Gäste und Mitarbeiter vor Kohlenstoffmonoxidvergiftungen vorgesehen (z.B. Nr. II.2, II.3, II.5) bzw. angeordnet, dass Türen und Fenster während des Rauchens der Shishas geschlossen zu halten (Nr. II.8) und Hinweisschilder in der Gaststätte anzubringen seien (Nr. II.11). Auch die Begründung der Gaststättenerlaubnis setze sich mit erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit der Gäste durch Kohlenstoffmonoxid auseinander. Im Widerspruch zu den genannten Auflagen habe die Antragsgegnerin sodann in Nr. II.12 das Entzünden und Abbrennen kohlebetriebener Shishas in sämtlichen Betriebsräumen untersagt, was auf Seiten des Antragstellers zu Rechtsunsicherheit geführt habe. Die Gaststättenerlaubnis könne nur so ausgelegt werden, dass kohlebetriebene Shishas erlaubt seien sollten und die Auflage Nr. II.12 ein Schreibversehen war, denn andernfalls würde die Gaststättenerlaubnis einem Ablehnungsbescheid zum Betrieb einer Shisha-Bar gleichkommen. Folglich könnten mögliche Verstöße gegen die Auflage Nr. II.12, zumindest bis zur Aufhebung der Auflagen Nr. II.1 bis II.6 durch Bescheid vom 7. November 2019, nicht die Unzuverlässigkeit des Antragstellers begründen. Im Übrigen sei gegen den Bescheid vom 7. November 2019 eine Anfechtungsklage anhängig (AN 4 K 19.02330).
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers trug weiter vor, auch der Einsatz des ehemaligen Betreibers der Gaststätte als verantwortlicher Betriebsleiter mache den Antragsteller nicht unzuverlässig. Der Antragsteller gehe davon aus, dass der ehemalige Betreiber auf Grund seiner Erfahrung die nötigen Eigenschaften für den Einsatz als Betriebsleiter besitze. Der Verdacht des Strohmannverhältnisses beruhe auf reinen Vermutungen, konkret Belastbares habe die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Bei einer Gesamtbetrachtung seien der Widerruf der Gaststättenerlaubnis und die Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 18 AEUV unverhältnismäßig. Durch die Schaffung klarer Anordnungen in der Gaststättenerlaubnis könne die Antragsgegnerin erheblich dazu beitragen, Verstöße gegen das Gaststättengesetz zu verhindern. Die sofortige Vollziehung stelle eine unbillige Härte für den Antragsteller dar. Bereits die Schließung der Gaststätte auf Grund der Corona-Pandemie stelle eine erhebliche finanzielle Belastung dar, jede weitere Belastung bis zur Entscheidung in der Hauptsache führe zum endgültigen Verlust der Existenzgrundlage.
Zum Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen Ziffer 3 des Bescheides vom 1. April 2020 führte der Prozessbevollmächtige aus, die Gaststätte sei auf Grund der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 geschlossen. Mit einer Öffnung des Außenbereichs sei bis 18. Mai 2020 zu rechnen. Die Versiegelung der Räumlichkeiten werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen, sobald der Antragsteller den Außenbereich wieder bewirtschaften wolle. Die aufschiebende Wirkung sei anzuordnen, da bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Ziffer 1 und 2 des Bescheides bestünden. Weiter sei die Versiegelung der Räumlichkeiten nicht das mildeste Mittel, denn es sei nicht richtig, dass Zwangsgeldandrohungen bisher erfolglos gewesen seien und deshalb auch hier keinen Erfolg versprechen würden. Wie die Antragsgegnerin selbst im streitgegenständlichen Bescheid erwähne, sei gegen eine vorangegangene Zwangsgeldandrohung Klage erhoben worden (AN 4 K 19.02330).
Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 2. Juni 2020
Antragsabweisung
und verwies auf den Bescheid vom 1. April 2020 sowie ihr Vorbringen im Verfahren AN 4 K 19.02330. Der Antragsteller habe dem vorherigen Betreiber der Gaststätte, Herrn …, maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung eingeräumt, obwohl diesem mit Bescheid vom 27. November 2018 der Gaststättenbetrieb untersagt worden sei. Der maßgebliche Einfluss ergebe sich aus dem Vortrag des Prozessbevollmächtigen des Antragstellers sowie dem Verhalten des Antragstellers und des Herrn … bei den Kontrollen am 21. Februar 2020 und 18. Januar 2020. Ein wesentlicher Teil des Bescheides vom 1. April 2020 betreffe Verstöße gegen die Auflage Nr. II.12. Diese sei bestrandkräftig und ihrem Wortlaut nach eindeutig. Mögliche Irritationen wegen der Auflagen Nr. II.1 bis II.6 seien durch den Aufhebungsbescheid vom 7. November 2019 ausgeräumt worden. Der Antragsteller setze sich beharrlich über das Verbot des Abbrennens kohlebetriebener Shishas hinweg und habe bei der Kontrolle am 21. Februar 2020 angekündigt, diese Auflage auch künftig nicht beachten zu wollen. Grund für die Auflage Nr. II.12 sei, dass die Gaststättenräume wegen des Zuschnitts zum Anbieten kohlebetriebener Shishas ungeeignet seien, weshalb kohlebetriebene Shishas auch nicht unter strengen Auflagen zugelassen werden könnten. Die im Bescheid vom 1. April 2020 aufgelisteten zahlreichen Verstöße dokumentierten, dass sich der Antragsteller und Herr … nicht an gesetzliche Vorschriften und behördliche Anordnungen gebunden fühlten. Der Antragsteller werde durch die Rechtsmitteleinlegung gegen die Fälligkeitsmitteilung nicht von der Pflicht entbunden, bestandskräftige Auflagen zu beachten. Dies zeige auch, dass weitere Zwangsgelder keinen Erfolg versprechen und daher unmittelbarer Zwang angedroht werden dürfe. Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020 trug die Antragsgegnerin ergänzend vor, dass in der Vergangenheit trotz des Betriebes der Be- und Entlüftungsanlagen erhöhte Kohlenmonoxidwerte festgestellt worden seien. Dies läge unter anderem an den niedrigen Decken der Gaststätte.
Ergänzend wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Verfahren AN 4 S 20.00894 und AN 4 S 20.00896 werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, da der Erfolg beider Anträge von der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis des Antragstellers wegen Unzuverlässig abhängt.
Die zulässigen Anträge sind unbegründet.
1. Mit dem Antrag zu I. begehrt der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Gaststättenerlaubnis des Antragstellers (Ziffer 1 des Bescheides vom 1. April 2020) und die Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebs (Ziffer 2).
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig, insbesondere gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaft, da die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde (Ziffer 4). Er ist jedoch unbegründet, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO erging (a) und das öffentliche Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt (b).
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolgte formell ordnungsgemäß.
Die Begründung (Seite 7 des Bescheides) genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Behörde muss auf den konkreten Einzelfall bezogen das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts darlegen, insbesondere muss die Anordnung erkennen lassen, dass sich die Behörde des rechtlichen Ausnahmecharakters der Anordnung bewusst ist (Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 247). Die Antragsgegnerin begründete das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung mit folgenden Erwägungen: Die Gefahr der Nachahmung des illegalen Geschäftsgebarens des Antragstellers in Form der unzulässigen Abgabe von Tabak, die Gefahr eines Brandes oder einer Kohlenmonoxidvergiftung infolge Verstoßes gegen die Auflagen der Gaststättenerlaubnis, die fortgesetzte Missachtung der Vorschriften des Gaststättengesetzes durch den Antragsteller und die mögliche Beeinträchtigung des Vertrauens der Allgemeinheit in die Sicherheitsbehörden bei Weiterführung des Gaststättenbetriebes trotz offenkundig rechtswidriger Zustände. Mit dieser Begründung hat die Antragsgegnerin gestützt auf das bisherige Verhalten des Antragstellers dargelegt, warum sie die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis und der Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes für erforderlich hält. Insbesondere die Vermeidung eines Brandes in der Gaststätte oder einer Kohlenmonoxidvergiftung der Gäste und Beschäftigten ist ein nachvollziehbares Motiv der Antragsgegnerin, mit dem Vollzug des Bescheides nicht bis zu dessen Bestandskraft warten zu wollen. Auf die inhaltliche Richtigkeit oder Tragfähigkeit dieser Erwägungen kommt es hier nicht an, denn bei dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO handelt es sich um eine formelle und keine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Vollzugsanordnung (BayVGH, B.v. 31.7.2019 – 11 CS 19.1101 – juris Rn. 21; Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 80 Rn. 246 m.w.N).
b) Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der sofortigen Vollziehung und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung fällt zu Lasten des Antragstellers aus.
Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen den wiederstreitenden Interessen der Beteiligten abwägt. Maßgeblich ist, ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts oder das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Sofortvollzuges überwiegt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Diese sind in einer im Eilverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu ermitteln. Ergibt die summarische Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg hat, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO). Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts besteht, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (BVerfG, B.v. 13.6.2005 – 2 BvR 485/05 – NVwZ 2005, 1053/1054). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens schließlich offen, bedarf es einer umfassenden Interessenabwägung (BVerfG, B.v. 29.5.2007 – 2 BvR 695/07 – NVwZ 2007, 1176/1177).
Bei summarischer Prüfung wird die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage des Antragstellers voraussichtlich keinen Erfolg haben, denn sowohl der Widerruf der Gaststättenerlaubnis (aa) als auch die Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes (bb) sind rechtmäßig und verletzen den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es besteht ein über das öffentliche Vollziehungsinteresse hinausgehendes besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides (cc).
aa) Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis (Ziffer 1) ist rechtmäßig.
Rechtsgrundlage hierfür ist § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG. Nach § 15 Abs. 2 GastG ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die die Versagung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG rechtfertigen würden. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt. Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben wird (BVerwG, B.v. 23.9.1991 – 1 B 96/91 – NVwZ-RR 1992, 414 – juris Rn. 4; BayVGH, U.v. 9.5.2003 – 22 B 03.360 – juris Rn. 8). Der Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG entspricht demjenigen des § 35 Abs. 1 GewO (BVerwG, B.v. 23.9.1991 – 1 B 96/91 – NVwZ-RR 1992, 414 – juris Rn. 4), sodass auf die diesbezügliche Rechtsprechung und Kommentarliteratur zurückgegriffen werden kann.
Die Unzuverlässigkeit des Antragstellers ergibt sich aus der Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten, die er in dem knappen Jahr seit Übernahme des Gaststättenbetriebes begangen hat und dem Umstand, dass er seinem Bruder als gewerberechtlich unzuverlässiger Person bestimmenden Einfluss auf die Geschäftsführung eingeräumt hat.
Die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden kann insbesondere aus der Begehung von Ordnungswidrigkeiten abgeleitet werden, wobei es eines Gewerbebezuges und einer Vielzahl von Verstößen bedarf, aus denen ein Hang zur Nichtbeachtung gesetzlicher Bestimmungen abgeleitet werden kann (Brüning in BeckOK, 49. Ed., Stand: 01.03.2020, § 35 Rn. 22 f.; Heß in Friauf, GewO, 316. EL, Stand: Dezember 2019, § 35 Rn. 180; Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, GewO, 8. Aufl. 2011, § 35 Rn. 47). Irrelevant ist insofern, ob ein Bußgeldverfahren stattgefunden hat, denn es kommt nicht auf die rechtskräftige Ahndung von Verwaltungsrecht, sondern auf den dieser Ahndung zugrundeliegenden Sachverhalt an (Heß in Friauf, GewO, 316. EL, Stand: Dezember 2019, § 35 Rn. 180; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 83. EL Dezember 2019, § 35 Rn. 42 f.).
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 GastG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig ohne die nach § 2 Abs. 1 GastG erforderliche Erlaubnis ein Gaststättengewerbe betreibt. Der Antragsteller hat am 2. Juni 2019 und 15. Juni 2019 im Außenbereich seiner Gaststätte Personen bewirtet, obwohl die Gaststättenerlaubnis erst mit Bescheid vom 18. Juli 2019 auf die Verkehrsfläche vor dem Anwesen … in … erweitert wurde. Auf den Lichtbildern (Bl. 74 und 98 Behördenakte) sind zwar Personen zu sehen, die im überdachten Eingangsbereich und auf dem Gehweg vor der Gaststätte sitzen und teilweise auch Getränke vor sich stehen haben, der Akte ist jedoch nicht zu entnehmen, ob auch alkoholische Getränke im Außenbereich ausgeschenkt wurden, wofür es einer Erlaubnis gemäß § 2 GastG bedurft hätte. Die Sondernutzungserlaubnis, die eine Außenbestuhlung erlaubt, wurde bereits am 31. Mai 2019 erteilt. Daher ist zu Gunsten des Antragstellers davon auszugehen, dass an diesen beiden Tagen kein erlaubnispflichtiger Gaststättenbetrieb im Außenbereich stattgefunden hat.
Nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Inhaber einer Schankwirtschaft, Speisewirtschaft oder öffentlichen Vergnügungsstätte duldet, dass ein Gast nach Beginn der Sperrzeit in den Betriebsräumen verweilt. Nach § 1 Nr. 2 der Verordnung der Antragsgegnerin über die Sperrzeit für Gaststätten und öffentliche Vergnügungsstätten (SperrzeitVO – SpZVO) vom 23. Mai 2007 (Amtsblatt S. 185) gilt für den Gaststättenbetrieb auf öffentlichen Verkehrsflächen (Sondernutzungen) eine Sperrzeit von 23:00 bis 6:00 Uhr. Der Antragsteller als Inhaber der Schankwirtschaft „…“ hat am 30. September 2019 geduldet, dass nach Eintritt der Sperrzeit um 23:15 Uhr noch sechs Gäste mit teilweise gefüllten Gläsern im Außenbereich seiner Gaststätte saßen (Bl. 268 Behördenakte). Damit hat er eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 6 GastG i.V.m. § 1 Nr. 2 SpZVO begangen.
Ordnungswidrig handelt nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 GastG auch, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Auflage oder Anordnung nach § 5 GastG nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig nachkommt. Der Antragsteller ist verschiedenen Auflagen gemäß § 5 Abs. 1 GastG der Gaststättenerlaubnis vom 27. Mai 2019 – teilweise mehrmals innerhalb weniger Monate – nicht nachgekommen. Im Einzelnen stehen folgende Verstöße zur Überzeugung des Gerichts fest:
– Nach Nr. II.9 der Gaststättenerlaubnis sind in den Innenräumen der Gaststätte die Verwendung und das Rauchen von Shishatabak und anderen tabakhaltigen Erzeugnissen in den Shishapfeifen untersagt. Diese Auflage dient der Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Nr. 8 des Bayerischen Gesundheitsschutzgesetzes (GSG) vom 23. Juli 2010 (GVBl. S. 314, BayRS 2126-3-G), welches das Rauchen in den Innenräumen von Gaststätten verbietet. Gegen dieses Verbot hat der Antragsteller am 2. Juni 2019 verstoßen. Bei einer polizeilichen Kontrolle stellten die Beamten fest, dass in einer Shisha ein Tabak-Melasse-Gemisch geraucht wurde (Bl. 85 Behördenakte).
– Nach Nr. II.10 und II.11 der Gaststättenerlaubnis müssen an den Fenstern im Innenbereich Schilder mit dem Hinweis angebracht sein, dass das Rauchen von tabakhaltigen Shishas verboten ist bzw. dass beim Zubereiten und Rauchen der Shishas Kohlenmonoxid entsteht, was zu erheblichen Gesundheitsgefahren führen kann. Weiter müssen nach Nr. II.16 an den Fenstern im Außenbereich Hinweisschilder angebracht sein, welche die Raucher und heimgehenden Gäste nach Eintritt der Sperrzeit zu ruhigem Verhalten anhalten. Das Fehlen solcher Hinweisschilder wurde bei Kontrollen am 2. Juni 2019 (Bl. 94 Behördenakte), 6. Juni 2019 (Bl. 136 Behördenakte), 18. Oktober 2019 (Bl. 142 Behördenakte), 19. Januar 2020 (Bl. 354 Behördenakte) und 21. Februar 2020 (Bl. 339 Behördenakte) festgestellt.
– Nach Nr. II.17 der Gaststättenerlaubnis sind während den Betriebszeiten sämtliche Türen und Fenster geschlossen zu halten. Diese Auflage gilt seit dem 5. Juli 2019 erst ab jeweils 22 Uhr. Gegen diese Auflage hat der Antragsteller am 2. Juni 2019 (Bl. 94 Behördenakte), 4. Juni 2019 (Bl. 49), 5. Juni 2019 (Bl. 68 Behördenakte), 6. Juni 2019 (Bl. 136 Behördenakte), 8. Juni 2019 (Bl. 63 Behördenakte), 9. Juni 2019 (Bl. 38 Behördenakte), 26. Juni 2019 (Bl. 113 Behördenakte), 15. September 2019 (Bl. 279 Behördenakte), 30. September 2019 (Bl. 268 Behördenakte), 31. Oktober 2019 (Bl. 326 Behördenakte), 18. Januar 2020 (Bl. 345 Behördenakte), 19. Februar 2020 (Bl. 366 Behördenakte) und 21. Februar 2020 (Bl. 339 Behördenakte) verstoßen. An diesen Tagen standen die Türen der Shisha-Bar während der Betriebszeit mehrmals bzw. über einen längeren Zeitraum offen. Die Verstöße nach dem 5. Juli 2019 ereigneten sich sämtlich nach 22 Uhr.
– Weiter ist nach Nr. II.18 der Gaststättenerlaubnis die Aufbewahrung und Lagerung sämtlicher Tabakprodukte und tabakähnlicher Erzeugnisse in sämtlichen Betriebsräumen untersagt. Im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle am 18. Oktober 2019 wurde festgestellt, dass im Eingangsbereich der Gaststätte Tabak vorgehalten wurde (Bl. 142 Behördenakte).
– Nach Nr. II.25 der Gaststättenerlaubnis ist eine vollständige Ausfertigung der Gaststättenerlaubnis in den Betriebsräumen vorzuhalten und bei Kontrolle den zuständigen Behörden unverzüglich vorzulegen. Bei einer polizeilichen Kontrolle am 1. Oktober 2019 konnte die Gaststättenerlaubnis nicht ausgehändigt werden (Bl. 261 Behördenakte).
– Nach Nr. II.1 der Erweiterung der Gaststättenerlaubnis vom 18. Juli 2019 dürfen während der Betriebszeiten maximal 16 Sitzplätze im Außenbereich aufgestellt werden. Am 18. Oktober 2019 wurde im Rahmen einer Kontrolle festgestellt, dass im Außenbereich Sitzgelegenheiten für 20 Personen aufgebaut waren (Bl. 142 Behördenakte).
– Nach Nr. II.4 der Erweiterung der Gaststättenerlaubnis vom 18. Juli 2019 sind nach 23 Uhr sämtliche Tische und Stühle im Außenbereich der Gaststätte zusammenzustellen. Dies ist offensichtlich am 30. September 2019 nicht erfolgt, denn sonst hätten um 23:15 Uhr nicht noch sechs Gäste mit Getränken im Außenbereich sitzen können (Bl. 268 Behördenakte).
Nach derzeitigem Sachstand können dem Antragsteller zumindest bis zum 7. November 2019 keine Verstöße gegen die Auflage Nr. II.12 (Verbot des Entzündens und Abbrennens kohlebetriebener Shishas) zur Last gelegt werden. Die Auflage Nr. II.12 war inhaltlich nicht hinreichend bestimmt, da sie in unlösbarem Widerspruch zur Auflage Nr. II.1 (Verbot des Entzündens und Abbrennens von Shishas bis zur Erfüllung der Auflagen Nr. II.2 bis II.6) stand. Ob dieser Widerspruch durch die Aufhebung der Auflagen Nr. II.1 bis II.6 mit Bescheid vom 7. November 2019 wirksam beseitigt wurde, hält das Gericht nach derzeitigem Sachstand für fraglich. Anders als die Antragsgegnerin geht das Gericht davon aus, dass die Aufhebung der Auflagen Nr. II.1 bis II.6 einen den Kläger belastenden Verwaltungsakt darstellt, da infolgedessen die für den Kläger vergleichsweise ungünstigere Auflage Nr. II.12 verbleibt. Eine umfassende Klärung der in diesem Zusammenhang relevanten Fragen wird im Verfahren AN 4 K 19.02330 erfolgen und ist im hiesigen Eilverfahren auch nicht erforderlich, denn die oben aufgelisteten teilweise wiederholten Verstöße gegen mindestens neun verschiedene Auflagen der Gaststättenerlaubnis lassen in der Gesamtschau die Prognose zu, dass der Antragsteller auch künftig nicht willens oder in der Lage ist, sich an bestehende Auflagen zu halten.
Des Weiteren ergibt sich die Unzuverlässigkeit des Antragstellers aus dem Umstand, dass er seinen Bruder, den ehemaligen Inhaber der Gaststätte, bestimmenden Einfluss auf die Geschäftsführung eingeräumt hat, obwohl dieser gewerberechtlich unzuverlässig ist. Die Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden muss auch dann verneint werden, wenn dieser einem unzuverlässigen Dritten maßgeblichen bzw. bestimmenden Einfluss auf die Führung des Gewerbebetriebes einräumt oder auch nur nicht willens oder in der Lage ist, einen solchen Einfluss auszuschalten (BVerwG, U.v. 16.10.1959 – VII C 63.59 – BVerwGE 89, 222; BayVGH, B.v. 24. Mai 2016 – 22 ZB 16.252 – juris Rn. 15; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 82. EL Oktober 2019, § 35 GewO Rn. 69 m.w.N.). Dass der Bruder des Antragstellers gaststättenrechtlich unzuverlässig ist, ergibt sich aus dem Widerruf der ihm erteilten Gaststättenerlaubnis wegen Unzuverlässigkeit mit Bescheid vom 27. November 2018. Anders als von der Antragsgegnerin im Bescheid vom 1. April 2020 ausgeführt, folgt der bestimmende Einfluss des Bruders des Antragstellers nicht bereits daraus, dass dieser Verpächter der Gaststätte ist. Eine Verpächterstellung des Bruders ist aktuell nicht ersichtlich, vielmehr hat der Antragsteller mit dem Eigentümer des Betriebsgrundstücks am 6. Mai 2019 einen eigenen Mietvertrag geschlossen (Bl. 13 ff. Behördenakte). Jedoch beruht der bestimmende Einfluss des Bruders des Antragstellers auf die Geschäftsführung der Gaststätte auf folgenden Tatsachen: Der Antragsteller hat den Betrieb der Gaststätte „…“ im Mai 2019 übernommen, nachdem die Gaststättenerlaubnis seines Bruders zum Betrieb eben jener Gaststätte im November 2018 widerrufen wurde. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat selbst vorgetragen, dass der Antragteller seinen Bruder als verantwortlichen Betriebsleiter einsetzt, da dieser nach Einschätzung des Antragstellers die dafür nötigen Eigenschaften besitze. Zudem spricht für den maßgeblichen Einfluss des Bruders des Antragstellers, dass dieser sich bei mehreren Kontrollen der Gaststätte gegenüber den Beamten der Polizei bzw. des Ordnungsamtes als der Verantwortliche zu erkennen gab, während der Antragsteller selbst nicht zugegen war. So war der Bruder des Antragstellers einziger Ansprechpartner bei den Kontrollen am 2. Juni 2019, 3. Juni 2019, 4. Juni 2019, 8. Juni 2019, 31. Oktober 2019, 22. November 2019, 18. Januar 2020, 19. Februar 2020 und 21. Februar 2020. Die Antragsgegnerin spricht im Bescheid vom 1. April 2020 sogar den „konkreten Verdacht“ aus, dass der Antragsteller als Strohmann seines Bruders fungiert. Das „Strohmannverhältnis“ ist als noch stärkere Form der Einflussnahme eines unzuverlässigen Dritten auf den Gewerbetreibenden anerkannt und setzt voraus, dass der Strohmann zur Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse als Gewerbetreibender vorgeschoben wird, das in Frage stehende Gewerbe in Wirklichkeit aber von einem anderen betrieben wird (Heß in Friauf, GewO, 316. EL, Stand: Dezember 2019, § 35 Rn. 122). Das Gericht geht nach vorläufiger Einschätzung nicht davon aus, dass der Antragsteller über keinerlei eigenen Entscheidungsspielraum mehr verfügt und als bloße „Marionette“ seines Bruders fungiert, was ihn zum Strohmann machen würde.
Wird die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers bejaht, ist der Widerruf der Gaststättenerlaubnis zwingend geboten. § 15 Abs. 2 GastG räumt der Behörde insoweit kein Ermessen ein (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 22 CS 14.182 – juris Rn. 18). Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis stellt einen Eingriff in die gemäß Art. 12 Abs. 1 GG geschützte subjektive Berufswahlfreiheit dar, da er an die Unzuverlässigkeit als in der Person des Erlaubnisinhabers liegende Eigenschaft anknüpft. Der Ausschluss des unzuverlässigen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsleben und damit auch der Widerruf der Gaststättenerlaubnis stehen in Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der Ausprägung des Art. 12 GG (BVerwG, B.v. 7.6.1996 – 1 B 92/96 – juris Rn. 4). Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis kann nur in besonderen Ausnahmefällen unverhältnismäßig sein (BayVGH, B.v. 28.4.2014 – 22 CS 14.182 – juris Rn. 18). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
bb) Die Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes (Ziffer 2) ist rechtmäßig.
Die Untersagung findet ihre Rechtsgrundlage in § 31 HS. 1 GastG i.V.m. § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO. Nach § 31 HS. 1 GastG finden auf die den Vorschriften des GastG unterliegenden Gewerbebetriebe die Vorschriften der GewO soweit Anwendung, als nicht im GastG besondere Bestimmungen getroffen sind. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO kann die Fortsetzung des Betriebes von der zuständigen Behörde verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Ausübung eine Erlaubnis erforderlich ist, ohne diese Erlaubnis betrieben wird.
Die Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor. Der Antragsteller ist in Folge des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis nicht mehr im Besitz der gemäß § 2 GastG erforderlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Gaststätte, in der alkoholische Getränke ausgeschenkt werden. Der Widerruf der Gaststättenerlaubnis kann bereits mit der Verfügung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO verbunden werden. Grund hierfür ist, dass die Klage gegen den Widerruf grundsätzlich aufschiebende Wirkung hat mit der Folge, dass der eventuell unzuverlässige Erlaubnisinhaber bis zur rechtskräftigen Entscheidung die Gaststätte weiter betreiben könnte. Deshalb muss es der Behörde in Eilfällen zum Schutz öffentlicher Interessen möglich sein, den Widerruf mit der Untersagung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO zu verbinden und beides für sofort vollziehbar zu erklären (ausführlich hierzu Leisner in BeckOK, GewO, 49. Ed., Stand: 01.12.2019, § 15 Rn. 27.1; Marcks in Landmann/Rohmer, GewO, 83. EL Dezember 2019, § 15 Rn. 14; VGH BW, B.v. 2.10.1985 – 14 S 2058/85 – GewA 1987, 34/35).
Die Entscheidung über die Anordnung einer Untersagung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 GewO steht im Ermessen der Behörde. Bei einem vorangegangenen Widerruf der Gaststättenerlaubnis nach § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG wegen mangelnder Zuverlässigkeit des Gaststättenbetreibers reduziert sich das behördliche Ermessen im Regelfall auf die Untersagungsverfügung als einzig sachgerechte Entscheidung (HessVGH, B.v. 20.2.1996 – 14 TG 430/95 – GewA 1996, 291/292). Besondere Umstände, die ein Abweichen vom Normalfall rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
cc) Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis und der Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes liegt vor.
Die sofortige Vollziehung des Widerrufs der Gaststättenerlaubnis stellt einen selbstständigen Eingriff in die subjektive Berufswahlfreiheit des Antragstellers gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar, weil sie die berufliche Betätigung des Antragstellers schon vor einer Entscheidung in der Hauptsache beeinträchtigt (vgl. zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO: BVerfG, B.v. 19.12.2007 – 1 BvR 2157/07 – NJW 2008, 1369 – juris Rn. 20). Sie ist daher nur gerechtfertigt, wenn die Fortsetzung der Gewerbetätigkeit des Erlaubnisinhabers während der Dauer des Rechtsstreits konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt (BayVGH, B.v. 2.7.2014 – 22 CS 14.1186 – juris Rn. 11; B.v. 3.5.2013 – 22 CS 13.594 – juris Rn. 27). Die Nachtruhe und damit die Gesundheit der Anwohner stellt ein wichtiges Gemeinschaftsgut dar (BayVGH, B.v. 10.9.2019 – 22 ZB 18.229 – juris Rn. 25). Dem Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Lärmeinwirkungen vor allem zur Nachtzeit dienen unter anderem die Auflagen Nr. II.16 (Anbringen von Hinweisschildern an den Fenstern im Außenbereich, welche die Raucher und heimgehenden Gäste nach Eintritt der Sperrzeit zur ruhigem Verhalten anhalten sollen) und Nr. II.17 (Gebot, während der Betriebszeiten – hier ab 22 Uhr – sämtliche Türen und Fenster geschlossen zu halten) sowie die in § 1 Nr. 2 SpZVO geregelte Sperrzeit ab 23 Uhr für den Gaststättenbetrieb auf öffentlichen Verkehrsflächen (Sondernutzungen). Seit Übernahme des Gaststättenbetriebs im Mai 2019 hat der Antragsteller diese Schutzvorkehrungen umgangen: Die Türen der Gaststätte standen mehrfach nach 22 Uhr offen (s.o. 1. b) aa)), wobei zumindest am 26. Juni 2019, 30. September 2019 und 18. Januar 2020 auch die Vernehmbarkeit von Musik oder Lärm aus der Gaststätte auf der Straße dokumentiert ist, die Hinweisschilder im Außenbereich fehlten (festgestellt bei Kontrollen am 2. Juni 2019, 6. Juni 2019, 18. Oktober 2019) und die Sperrzeitregelung wurde am 30. September 2019 missachtet. Obwohl wegen einer offenstehenden Tür am 7. Oktober 2019 ein Bußgeld verhängt wurde (Bl. 243 Behördenakte), standen die Türen auch am 31. Oktober 2019, 18. Januar 2020, 19. Februar 2020 und 21. Februar 2020 offen. Dies spricht für die Unbelehrbarkeit des Antragstellers und dafür, dass dieser auch bis zur Entscheidung in der Hauptsache besagte Auflagen zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Lärmeinwirkungen nicht befolgen wird, zumal nun die warmen Sommermonate kommen, in denen mit einem verstärkten Außenbetrieb zu rechnen ist und ein strikteres Durchgreifen des Gaststätteninhabers gegenüber zu lauten Rauchern und Heimgehern notwendig werden kann.
Das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung besteht darin, die Entstehung eines Bezugsfalls zu verhindern und die Gefahr der Nachahmung durch andere Gaststättenbetreiber zu reduzieren. Der Antragsteller hat trotz wiederholter Kontrollen durch Polizei und Ordnungsamt gegen verschiedene Auflagen zur Gaststättenerlaubnis, die auch andere Betreiber von Gaststätten, insbesondere von Shisha-Bars und Shisha-Cafés, treffen, verstoßen. Diese Verstöße treten teilweise für jeden erkennbar zu Tage, z.B. das Nichtgeschlossenhalten der Türen, das Fehlen von Hinweisschildern, das Bewirten von Gästen nach Eintritt der Sperrzeit. Die Fortführung des Gaststättenbetriebes bis zur Entscheidung in der Hauptsache mit einem zu erwartenden weiteren Fehlverhalten würde bei anderen Gaststättenbetreibern den Eindruck erwecken, dass eine Missachtung des Gaststättengesetzes und der Sperrzeitverordnung ohne Folgen bleibt.
2. Der Antrag zu II. ist gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs durch Versiegelung der Räumlichkeiten (Ziffer 3 des Bescheides vom 1. April 2020). Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung findet nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statt, da Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG keine aufschiebende Wirkung haben. Der Antrag ist unbegründet, da das öffentliche Vollziehungsinteresse das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.
a) Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abwägt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ergibt die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg hat, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO). Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (vgl. zu allem BayVGH, B.v. 23.2.2012 – 14 CS 11.2837 – juris Rn. 38; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 146, 152 f., 158 f.).
b) Bei summarischer Prüfung wird die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs durch Versiegelung der Räumlichkeiten für den Fall, dass der Ziffer 2 des Bescheides nicht bis zum 30. April 2020 nachgekommen wird, voraussichtlich keinen Erfolg haben, da die Androhung rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Androhung unmittelbaren Zwangs ist Art. 19, Art. 29, Art. 34, Art. 36 VwZVG. Die Androhung erfolgte formell und materiell rechtmäßig, insbesondere war die Androhung unmittelbaren Zwangs vorliegend nicht subsidiär zur Zwangsgeldandrohung. Nach Art. 29 Abs. 3 VwZVG muss das Zwangsmittel in angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen und ist möglichst so zu bestimmen, dass der Betroffene und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden. Nach Art. 34 Satz 1 VwZVG ist unmittelbarer Zwang nur dann zulässig, wenn die sonstigen zulässigen Zwangsmittel nicht zum Ziel führen oder ihre Anwendung keinen zweckentsprechenden oder rechtzeitigen Erfolg erwarten lässt. Der in Art. 29 Abs. 3 VwZVG geregelte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird durch Art. 34 Satz 1 VwZVG dahingehend konkretisiert, dass unmittelbarer Zwang gegenüber Zwangsgeld und Ersatzvornahme subsidiär ist (BayVGH, U.v. 11.7.2000 – 10 B 99.3200 – juris Rn. 26). Die voraussichtliche Erfolglosigkeit einer Zwangsgeldandrohung zur Durchsetzung der Untersagungsverfügung lässt sich entgegen der Begründung der Antragsgegnerin nicht auf „vorangegangene erfolglose Zwangsgeldandrohungen“ stützen. Die Zwangsgeldandrohungen vom 23. Oktober 2019 und 8. Januar 2020 waren nicht erfolglos, sondern wurden vom Antragsteller angefochten (AN 4 K 19.02330). Der Antragsteller ist berechtigt, eine gerichtliche Überprüfung der Zwangsgeldandrohungen herbeizuführen, zumal sich diese auf die rechtlich nicht unproblematische Auflage Nr. II.12 beziehen. Jedoch ist aufgrund des bisherigen Gesamtverhaltens des Antragstellers nicht davon auszugehen, dass er durch eine Zwangsgeldandrohung zur Beachtung der Untersagungsverfügung angehalten werden kann. Der Antragsteller verstößt seit Übernahme des Gaststättenbetriebes im Mai 2019 immer wieder gegen verschiedene Auflagen der Gaststättenerlaubnis. Auch die ausdrückliche Aufforderung vom 10. Januar 2020, den Gaststättenbetrieb in Zukunft ordnungsgemäß zu führen, verbunden mit dem Hinweis, dass bei erneuten negativen Vorkommnissen mit einem Widerruf der Gaststättenerlaubnis und einer Untersagung des Gaststättenbetriebes zu rechnen ist, haben kein Einlenken des Antragstellers bewirkt. Zwischen dem 10. Januar 2020 und dem 21. Februar 2020 wurden mindestens fünf weitere Auflagenverstöße dokumentiert. Dies zeigt, dass sich der Antragsteller nicht einmal dann an behördliche Anordnungen hält, wenn er weiß, dass ein Verstoß eventuell sogar gewerberechtliche Konsequenzen haben kann. Entscheidender ist aber, dass der Antragsteller den Widerruf der Gaststättenerlaubnis seines Bruders ignoriert, indem er seinem Bruder trotz dessen festgestellter Unzuverlässigkeit bestimmenden Einfluss auf den Gaststättenbetrieb einräumt. Es ist daher zu befürchten, dass der Antragsteller auch nicht den Widerruf seiner eigenen Gaststättenerlaubnis beachten wird. Dies rechtfertigt hier ausnahmsweise auch ohne vorhergehende erfolglose Zwangsgeldandrohung die sofortige Androhung unmittelbaren Zwangs.
Für die Erfüllung der Verpflichtung aus Ziffer 2 des Bescheides wurde eine Frist bis 30. April 2020 bestimmt (Art. 36 Abs. 1 Satz 3 VwZVG). Diese Frist von vier Wochen seit Bescheidserlass war angemessen, zumal aufgrund der Ausgangsbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die Gaststätte des Antragstellers bereits seit 21. März 2020 geschlossen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Streitwert mit der Hälfte des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens anzusetzen (Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs 2013). Der Streitwert für den Widerruf der Gaststättenerlaubnis ist der Empfehlung Nr. 54.1 des Streitwertkatalogs 2013 folgend mit 15.000,00 EUR zu beziffern. Die mit dem Widerruf verbundene Untersagung der Fortsetzung des Gaststättenbetriebes sowie die unselbstständige Zwangsmittelandrohung erhöhen den Streitwert nicht, da sie keine selbstständige Bedeutung haben (vgl. OVG NW, B.v. 1.10.2004 – 4 B 1637/04 – NVwZ-RR 2005, 215 – juris Rn. 4, 8).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben