Verwaltungsrecht

Wirkung einer Fiktionsbescheinigung bei materieller Unrichtigkeit

Aktenzeichen  10 CE 15.2653

Datum:
28.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 25 Abs. 5, § 60a Abs. 2, § 81 Abs. 3, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die alleinige Verneinung der Reisefähigkeit eines Antragstellers aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung belegt nicht, dass die Erkrankung einen Grad erreicht hat‚ der eine Ausreise unzumutbar macht und auch ein inländisches Abschiebunshindernis vorliegt.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 AufenthG vermag nicht eine Abschiebung zu vereiteln, wenn die Bescheinigung zu Unrecht erteilt wurde, indem sie nicht der materiellen Rechtslage entsprach. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 E 15.5522 2015-12-09 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000‚- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller‚ eine vierköpfige Familie mazedonischer Staatsangehörigkeit‚ verfolgen mit der Beschwerde ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Aussetzung der Abschiebung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihre am 18. Juni 2015 gestellten Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen weiter.
Mit Bescheiden vom 24. Oktober 2012 – rechtskräftig seit 23. August 2013 – lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge auf Durchführung weiterer Asylverfahren der Antragsteller zu 1 und 2 sowie die Anträge ihrer Kinder, der Antragsteller zu 3 und 4, auf Anerkennung als Asylberechtigte ab‚ in Bezug auf letztere als offensichtlich unbegründet‚ und drohte ihnen die Abschiebung nach Mazedonien oder in ein anderen aufnahmebereiten Staat an‚ sollten sie nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung das Bundesgebiet verlassen. Im Folgenden erhielten sie jeweils verlängerte Grenzübertrittsbescheinigungen und Duldungen‚ zuletzt gültig bis 9. Juni 2015. Nach Stellung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen vom 18. Juni 2015 erhielten die Antragsteller vom Landratsamt … bis 31. Dezember 2015 gültige Bescheinigungen nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG.
Nachdem eine amtsärztliche Untersuchung am 22. Oktober 2015 die Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 1 ergeben hatte‚ betrieb der Beklagte die Abschiebung weiter. Mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 nahm das Landratsamt ohne vorherige Anhörung der Antragsteller die Fiktionsbescheinigungen zurück. Am 9. Dezember 2015 wurden die Antragsteller um 12:00 Uhr vom Flughafen München aus abgeschoben. Mit Telefax vom gleichen Tag um 10:13 Uhr hatten die Antragsteller beantragt, ihre Abschiebung im Wege einer einstweiligen Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis auszusetzen.
Mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 lehnte das Verwaltungsgericht München den Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit der Begründung ab‚ der Antragsgegner habe den Bescheid‚ mit dem die Fiktionsbescheinigungen aufgehoben worden seien‚ der Bevollmächtigten per Telefax spätestens am Tag der Abschiebung um 11:47 Uhr bekannt gegeben. Einen Befangenheitsantrag der Antragsteller vom 10. Dezember 2015 wies das Verwaltungsgericht München mit Beschluss vom 16. Dezember 2015 zurück.
Mit ihrer Beschwerde vom 9. Dezember 2015 beantragen die Antragsteller‚
den Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben und festzustellen‚ dass die Anordnung der Abschiebung rechtswidrig war und die Antragsteller nach Deutschland zurückzuführen sind.
Der Beschluss sei schon wegen der Befangenheit der Richter der 24. Kammer des Verwaltungsgerichts München aufzuheben‚ denn wegen der im Befangenheitsantrag vom 10. Dezember 2015 aufgeführten Gründe sei die Kammer in dieser Besetzung nicht mehr zur Entscheidung befugt gewesen. Der Abschiebung fehle die Rechtsgrundlage‚ weil die Erlaubnisfiktionen bis 31. Dezember 2015 gültig gewesen seien. Die Rücknahme dieser Fiktionen sei ohne vorherige Gewährung rechtlichen Gehörs erfolgt; der Bescheid sei bis zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht bekannt gegeben worden. Die Abschiebung sei vor einer Entscheidung über die Anträge auf Aufenthaltserlaubnis nicht zulässig gewesen. Außerdem sei den Antragstellern infolge der Überraschungsentscheidung die Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise genommen worden.
Am 17. Dezember 2015 erhoben die Antragsteller Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Rücknahmebescheid mit dem Ziel seiner Aufhebung und der Feststellung‚ dass die Fiktionsbescheinigungen über den 31. Dezember 2015 hinweg fortbestehen. Außerdem erhoben sie Feststellungsklage mit dem Ziel‚ die Wirkung der Abschiebung mit einer zeitlichen Befristung auf Null festzustellen.
Der Beklagte beantragt‚
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach Beendigung einer Instanz könne ein Richter dieser Instanz grundsätzlich nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Der Antrag auf Aufenthaltserlaubnis könne keine Fiktionswirkung haben. Die fehlerhaft ausgestellten Bescheinigungen stellten keine Verwaltungsakte dar‚ sondern dienten lediglich der Dokumentation des bestehenden Rechtszustandes. Wegen der auch der Bevollmächtigten bekannten Vorladung der Antragsteller zum örtlichen Gesundheitsamt am 22. Oktober 2015 sei klar gewesen‚ dass bei Feststellung der Reisefähigkeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet würden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Nach dem Vollzug der Abschiebung der Antragsteller am 9. Dezember 2015 hat sich der vor dem Verwaltungsgericht gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO mit seinem ursprünglichen Begehren erledigt‚ weil die Aussetzung der Abschiebung nach ihrer Durchführung am 9. Dezember 2015 objektiv unmöglich geworden ist. Dementsprechend haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren ihren Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in zweierlei Hinsicht „erweitert“: zum einen um das Begehren der Feststellung‚ dass die Abschiebung rechtswidrig war, und zum anderen um den Antrag‚ sie in das Bundesgebiet zurückzuführen.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist unzulässig, soweit mit ihm nun unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebung nach Mazedonien begehrt wird (1.1). Im Hinblick auf das geänderte Antragsbegehren, den Antragstellern die (vorläufige) Rückkehr in das Bundesgebiet zu ermöglichen, erscheint die Zulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung zweifelhaft (1.2); der Antrag ist jedenfalls unbegründet (2.).
1.1 Hinsichtlich des Feststellungsantrags ist schon nicht dargetan oder erkennbar‚ welches subjektiv-öffentliche Recht der Antragsteller durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorläufig gesichert werden müsste‚ um der Gefahr einer Veränderung des bestehenden Zustandes zu begegnen (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht im Wege der Abschiebung kann bei Vorliegen eines Feststellungsinteresses nach § 43 Abs. 1 VwGO grundsätzlich nur in einem Klageverfahren erreicht werden. Die Rechtmäßigkeit der Abschiebung kann darüber hinaus inzident im Rahmen eines anderen Klageverfahrens als Vorfrage geprüft werden, etwa des bereits beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens, das die Frage zum Gegenstand hat, ob durch die Abschiebung die Wirkungen des § 11 Abs. 1 AufenthG ausgelöst wurden und wie sie ggf. nach § 11 Abs. 2 AufenthG zu befristen sind. Die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebung – wie beantragt – würde für sich allein im Übrigen auch nicht ausreichen, einen mit Hilfe von § 123 Abs. 1 VwGO u.U. sicherungsfähigen Anspruch auf Rückführung in das Bundesgebiet zu begründen, denn ein solcher Anspruch würde das Vorliegen eines durch den zwangsweisen Vollzug der Ausreisepflicht verletzten Duldungsanspruchs voraussetzen (dazu 2.1).
1.2 Auch der Antrag auf einstweilige Anordnung mit dem Ziel, die Antragsteller (vorläufig) in das Bundesgebiet zurückzuführen, dürfte nicht zulässig sein.
Die Antragsteller begehren nicht mehr – wie noch vor dem Verwaltungsgericht – den Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO‚ mit deren Hilfe ihr tatsächlicher Status im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die ihnen drohende Abschiebung vorläufig erhalten werden sollte. Ziel des Beschwerdeverfahrens ist vielmehr der Erlass einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO‚ mit der sie eine Veränderung ihres Status als abgeschobene Ausländer durch vorläufige Einräumung einer nicht mehr bestehenden tatsächlichen Position erreichen wollen (vgl. Funke-Kaiser‚ GK-AufenthG‚ a. a. O., § 81 Rn. 180‚ 181). Der Sache nach erheben die Antragsteller damit einen Folgenbeseitigungsanspruch, indem sie die Rückgängigmachung der Folgen eines behördlichen Handelns – hier: der Abschiebung als Realakt – begehren. Für das Verfahren nach § 123 VwGO fehlt jedoch eine § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO entsprechende Regelung; diese Bestimmung bietet eine prozessuale Anknüpfung an die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Abschiebungsandrohung. Im vorliegenden Fall geht es aber gerade nicht um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen die (hier im Übrigen bestandskräftige) Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamts vom 25. Oktober 2012, sondern unmittelbar um die Rückgängigmachung der Folgen eines Realaktes. Außerdem dient das Beschwerdeverfahren ausschließlich der rechtlichen Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung und eröffnet grundsätzlich keinen Raum‚ über in erster Instanz nicht gestellte Anträge zu entscheiden (OVG NW‚ B.v. 9.3.2007 – 18 B 2533/06 – juris Rn. 31 f.; Funke-Kaiser in GK-AufenthG‚ Stand: Oktober 2015‚ § 81 Rn. 190).
2. Die Beschwerde bliebe jedenfalls auch dann ohne Erfolg‚ wenn man die Zulässigkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung im Falle einer bereits zwangsweise vollzogenen Aufenthaltsbeendigung ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände aus dem Grundsatz der Gesetz- und Rechtmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG anerkennen (so OVG Saarl‚ B.v. 18.10.2005 – 2 W 15/05 – juris; B.v. 24.1.2003 – 9 W 50/02 juris; VG Gießen‚ B.v. 30.10.2006 – 7 G 439/06 – juris) und eine entsprechende Antragsänderung für zulässig erachten wollte (§ 91 Abs. 1 VwGO entspr.). Ein Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO ist hier nämlich nicht glaubhaft gemacht.
Unter Berücksichtigung der allein maßgeblichen‚ von den Antragstellern im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben sie jedoch den für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch im Hinblick auf ihr Ziel‚ eine (vorläufige) Rückkehr in das Bundesgebiet zu erreichen‚ nicht glaubhaft gemacht. Denn aus den dargelegten Gründen ergibt sich nicht‚ dass ihnen vor ihrer Abschiebung ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zugestanden hatte‚ der durch die zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht zunichte gemacht worden sein und aus dem sich u.U. ein Rückführungsanspruch ergeben könnte.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit ausschließlich geprüft‚ ob die Fiktionsbescheinigungen, deren Bestand mangels wirksamer Rücknahme als einziger Hinderungsgrund für die Abschiebung geltend gemacht worden war, rechtzeitig vor der Abschiebung vom Antragsgegner zurückgenommen wurden‚ und diese Frage bejaht, ohne auf das Vorliegen von Duldungsgründen nach § 60a Abs. 2 AufenthG einzugehen. Die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes ist gleichwohl zutreffend gewesen‚ weil weder aus den vom Antragsgegner noch nicht beschiedenen Anträgen auf Aufenthaltserlaubnis (2.1) noch aus dem sich aus den bis 31. Dezember 2015 gültigen Fiktionsbescheinigungen ergebenden Rechtsschein (2.2) oder aus sonstigen Vorschriften (2.3) ein zu einem Duldungsanspruch führendes rechtliches Abschiebungshindernis im Sinn von § 60a Abs. 2 Satz 1, 3 AufenthG resultierte‚ das durch die Abschiebung zunichte gemacht wurde und dem nun im Beschwerdeverfahren unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nur dadurch Rechnung getragen werden könnte‚ dass den Antragstellern eine vorläufige Rückkehr ins Bundesgebiet ermöglicht wird.
2.1 Den Antragstellern stand im Zeitpunkt ihrer Abschiebung nach summarischer Beurteilung kein sicherungsfähiger Duldungsanspruch im Hinblick auf die bisher nicht beschiedenen Anträge auf Aufenthaltserlaubnisse aus humanitären Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 25 Abs. 5 AufenthG) zu (vgl. HessVGH‚ B.v. 4.4.1993 – 13 TA 2186/91 – juris; Funke-Kaiser‚ GK-AufenthG‚ a. a. O. § 81 Rn. 187).
Ob die materielle Beurteilung dieses Anspruchs‚ der durch die einstweilige Anordnung gesichert werden soll und grundsätzlich durch Zulassung der Rückkehr in das Bundesgebiet auch gesichert werden könnte‚ voraussetzt‚ dass für den Erfolg der Hauptsacheklage mehr spricht als für ihren Misserfolg‚ oder ob eine Anordnung schon bei nur offenen Erfolgsaussichten in Betracht kommt‚ kann im vorliegenden Fall dahinstehen (vgl. zum Meinungsstreit: Funke-Kaiser in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth u. a., VwGO‚ 6. Aufl. 2014‚ § 123 Rn. 22 m. w. N.). Denn es kann hier bereits nicht von offenen Erfolgsaussichten der Klagen auf Aufenthaltserlaubnisse in der Hauptsache ausgegangen werden kann. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung spricht alles dafür, dass das in der Person der Antragstellerin zu 1 geltend gemachte (inlandsbezogene) Abschiebungshindernis in Form des Bestehens einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung nicht vorlag. Das die Erkrankung benennende fachpsychiatrische Attest vom 12. Mai 2015 verneint nur – entgegen dem überzeugenden Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung vom 22. Oktober 2015 – die Reisefähigkeit der Antragstellerin zu 1, belegt jedoch nicht, dass die Erkrankung einen Grad erreicht hat‚ der eine Ausreise unzumutbar macht‚ weil etwa eine bereits begonnene‚ auf Dauer angelegte Psychotherapie mit der Folge einer gravierenden Verschlimmerung der diagnostizierten Belastungsstörung abgebrochen werden müsste. Zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die sich etwa aus der Frage Behandelbarkeit der Erkrankung in Mazedonien ergeben könnten, bleiben hier im Rahmen des von der Ausländerbehörde durchzuführenden Abschiebungs- und Duldungsverfahren außer Betracht, weil das Bundesamt im Bescheid vom 24. Oktober 2012 mit Bindungswirkung für der Ausländerbehörde (vgl. § 24 Abs. 2, § 42 AsylG) festgestellt hat‚ dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Ist aber für den Zeitpunkt der Abschiebung kein Duldungsanspruch glaubhaft gemacht‚ so kommt es nicht darauf an‚ ob die Durchführung der Abschiebung aus sonstigen Gründen rechtswidrig war (s. 2.2); mit ihnen kann ein mit der begehrten Anordnung durchzusetzender Rückkehranspruch in das Bundesgebiet nicht begründet werden. Die summarische Bewertung des Senats, dass ein rechtliches Ausreisehindernis im Zeitpunkt der Abschiebung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht vorgelegen hat, lässt im Übrigen den Umstand bedeutungslos werden, dass zum Zeitpunkt dieses Beschlusses das für § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderliche Tatbestandsmerkmal der vollziehbaren Ausreisepflicht infolge der Abschiebung entfallen ist und bereits aus diesem Grund eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift ohne vorherige Wiedereinreise nicht erteilt werden kann.
Vor dem dargestellten Hintergrund kommt eine Rückgängigmachung der Abschiebung der Antragsteller in ihr Heimatland wegen der noch anhängigen Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nicht in Betracht.
2.2 Auch im Hinblick auf die ihnen nach § 81 Abs. 3 Satz 1, Abs. 5 AufenthG erteilten Bescheinigungen war die Abschiebung der Antragsteller nicht auszusetzen.
Die Bescheinigungen waren zu Unrecht ausgestellt worden, weil sie nicht der Rechtslage entsprachen. Nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt nämlich nur der Aufenthalt eines rechtmäßig im Bundesgebiet lebenden Ausländers, dessen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis noch nicht beschieden wurde, bis zur Entscheidung hierüber als erlaubt; die Antragsteller waren jedoch nach bestandskräftiger Ablehnung ihrer Asyl- und Asylfolgeanträge ausreisepflichtig und konnten daher keinen rechtmäßigen Aufenthalt nachweisen, an dem die ausgestellten Fiktionsbescheinigungen hätten anknüpfen können. An der bestehenden Ausreisepflicht haben sie nichts zu ändern vermocht, denn Fiktionsbescheinigungen besitzen lediglich deklaratorischen Charakter, ohne konstitutiv einen bestimmten Rechtsstatus festzustellen (BVerwG, U.v. 3.6.1997 – 1 C 7.97 – InfAuslR 1997, 391; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, a. a. O., § 81 Rn.115). Eine nicht der Rechtslage entsprechende Bescheinigung ist nicht geeignet‚ die rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung des Inhabers der Bescheinigung und infolgedessen einen Duldungsanspruch zu begründen.
Deshalb kommt es – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – auch nicht darauf an‚ ob die Rücknahme der Bescheinigungen mit Bescheid vom 7. Dezember 2015 noch vor der Durchführung der Abschiebung bekannt gegeben worden war, und ebenso wenig darauf, dass – worauf die Antragsteller hinweisen – der Rücknahmebescheid im Zeitpunkt der Abschiebung noch nicht bestandskräftig war. Offenbleiben kann auch‚ ob eine derartige Rücknahme durch Verwaltungsakt überhaupt geboten war, um den mit den Bescheinigungen gesetzten Rechtsschein zu beseitigen und ob durch die Bescheinigungen bei den Antragstellern ein Vertrauen dahingehend erzeugt wurde‚ sie würden zumindest bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bescheinigungen nicht abgeschoben werden und hätten weiterhin die Möglichkeit, von ihrem Recht auf freiwillige Ausreise nach Fristsetzung unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. Art. 7‚ 8 Richtlinie 2008/115/EG) zur Vermeidung einer zwangsweise Beendigung ihres Aufenthalts Gebrauch zu machen. All diese Fragen sind nicht Gegenstand des Verfahrens des einstweiligen Rechtschutzes‚ sondern derjenigen Verfahren‚ die sich mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Durchführung der Abschiebung (ungeachtet eines Duldungsanspruchs) befassen‚ also etwa dem Verfahren um die Sperrwirkung der Abschiebung und ggf. ihrer Befristung‚ oder im Zusammenhang mit den Fragen‚ ob die Erstattung der Abschiebungskosten nach § 66 Abs. 1 AufenthG verlangt werden kann oder ggf. Schadensersatzansprüche der Antragsteller bestehen. Im Hinblick auf das Bestehen eines sicherungsfähigen Anspruchs auf (vorläufige) Rückführung in das Bundesgebiet ist hingegen nur maßgeblich‚ dass die Wirkungen des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch die Stellung der Anträge auf Aufenthaltserlaubnis im Juni 2015‚ wie dargelegt, nicht eingetreten sind.
2.3 Es bestand auch kein Duldungsanspruch aus Art. 6 Abs. 1 GG‚ der die Ausländerbehörde bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen zur Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen verpflichtet hätte; in diesem Zusammenhang könnte sich insbesondere eine längere Trennung von Kindern auch nur von einem Elternteil als im Sinne von Art. 6 Abs. 2 GG unzumutbar und unverhältnismäßig erweisen (vgl. BVerfG‚ B.v. 31.8.1999 – 2 BvR 1523/99 – NVwZ 2000‚ 59 f.). Im vorliegenden Fall ist die Abschiebung jedoch unter Wahrung der Familieneinheit vorgenommen worden‚ so dass eine Verletzung der Grundrechte der Antragsteller aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht in Rede steht.
Schließlich lagen auch keine Gründe für die Erteilung einer Duldung aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen (§ 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG) vor‚ da entsprechende Anhaltspunkte weder ersichtlich sind noch etwas in dieser Richtung vorgetragen wurde.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1‚ § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit‚ so dass für jeden Antragsteller ein Streitwert in Höhe von 1.250‚- Euro anzusetzen war.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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