Verwaltungsrecht

Zur relativen Unwirksamkeit einer während der Verfahrensaussetzung ergangenen Entscheidung im gerichtlichen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO

Aktenzeichen  6 CS 18.1570

Datum:
28.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21883
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 130 Abs.1 S. 1, § 173
ZPO § 246, § 249

 

Leitsatz

1 Die Rechtsfolgen der Aussetzung gem. § 173 VwGO iVm § 249 ZPO kann jeder Beteiligte trotz des Verfahrensstillstands mit den statthaften Rechtsbehelfen geltend machen, um der noch bestehenden Aussetzung Geltung zu verschaffen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Gerichtsentscheidung, die in Widerspruch Zur Verfahrensaussetzung während der Aussetzung des Verfahrens ergeht, ist relativ unwirksam und daher mit den üblichen Rechtsbehelfen anfechtbar; dies gilt auch für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO (Anschluss an BayVGH BeckRS 2000, 29206).(Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 28 S 17.4496 2018-07-03 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 3. Juli 2018 – M 28 S 17.4496 –aufgehoben.
II. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht München zurückverwiesen.
III. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 384,60 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller beantragte mit Schriftsatz vom 18. September 2017 beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs vom 21. Juli 2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Juni 2014, mit dem er zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 1.538,41 € herangezogen worden war.
Seine Bevollmächtigten teilten unter dem 18. Dezember 2017 dem Verwaltungsgericht mit, dass der Antragsteller am 7. November 2017 verstorben ist und seine Erben noch nicht bekannt sind. Auf entsprechenden Antrag der Antragsgegnerin vom 15. Januar 2018 hin hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 16. Januar 2018 gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO das Verfahren ausgesetzt. Ohne dass das Verfahren durch den Rechtsnachfolger aufgenommen worden wäre, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. Juli 2018 – wie in einigen Parallelfällen – die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Straßenausbaubeitragsbescheid angeordnet.
Gegen diesen Beschluss vom 3. Juli 2018 richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin, die sie allein damit begründet, dass der Beschluss unzulässig sei, weil er wegen der erfolgten und noch nicht beendeten Aussetzung des Verfahrens nicht hätte ergehen dürfen.
Mit Schreiben vom 20. August 2018 hat die Alleinerbin des Antragstellers sowohl dem Verwaltungsgericht als auch dem Verwaltungsgerichtshof mitteilen lassen, dass sie das Verfahren aufnimmt (§ 239 Abs. 1 ZPO).
II.
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO), fristgerecht begründet (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig.
Insbesondere ist die Antragsgegnerin mit der Rüge, der Beschluss des Verwaltungsgerichts hätte während des Verfahrensstillstands nicht ergehen dürfen, beschwerdebefugt. Die Rechtsfolgen der Aussetzung gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 249 ZPO kann jede Partei, also auch die Antragsgegnerin, trotz des Verfahrensstillstands mit den statthaften Rechtsbehelfen geltend machen, um der noch bestehenden Aussetzung Geltung zu verschaffen. Das folgt aus § 249 Abs. 2 ZPO, der keine Differenzierung nach der Parteirolle kennt (vgl. BGH, U.v. 21.6.1995 – VIII ZR 224/94 – juris).
2. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt aus den von der Antragsgegnerin dargelegten Gründen zur Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.
a) Der erstinstanzliche Beschluss über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Straßenausbaubeitragsbescheid hätte nicht ergehen dürfen. Denn im Zeitpunkt der Beschlussfassung dauerte die Aussetzung des Verfahrens, die das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Januar 2018 wegen des Todes des Antragstellers nach § 173 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO angeordnet hatte, noch fort. Das ergibt sich aus § 249 Abs. 2 ZPO, der nicht nur in Ansehung der Hauptsache vorgenommene Prozesshandlungen der Parteien umfasst, sondern auch alle nach außen wirkenden, die Hauptsache betreffenden Entscheidungen des Gerichts (vgl. BFH, B.v. 27.11.2003 – VII B 236/02 – juris Rn. 2 m.w.N.; Stackmann in Münchner Kommentar zur ZPO, § 249 Rn. 19 ff.). Eine Gerichtsentscheidung, die in Widerspruch hierzu während der Aussetzung des Verfahrens ergeht, ist zwar nicht nichtig, aber relativ unwirksam und daher mit den üblichen Rechtsbehelfen anfechtbar (vgl. BGH, VU v. 27.1.2009 – XI ZR 519/07 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 17.12.2008 – XII ZB 125/06 – juris Rn. 14 m.w.N.). Das gilt entgegen der Auffassung der Antragstellerseite auch für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen über Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO (BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 23 CS 00.647 – juris). Diese sind nicht vergleichbar mit Vollstreckungsschutzanträgen nach § 719 Abs. 2 ZPO, die nur eine vorbereitende Maßnahme im Rahmen der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbaren Urteil zum Ziel haben und deshalb auch während des Verfahrensstillstands gestellt und verbeschieden werden dürfen (vgl. BGH, B.v. 31.10.2000 – XII ZR 3/00 – NJW 2001, 375).
Die Antragsgegnerin hat die Unwirksamkeit des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses mit der nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaften Beschwerde geltend gemacht. Über diese kann der Senat auch während der Aussetzung entscheiden (Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 76. Aufl. 2018, § 249 Rn. 12).
b) Das Verfahren ist gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, der im Beschwerdeverfahren entsprechende Anwendung findet (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 130 Rn. 4), an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, weil der Beschluss an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet und nur so der Aussetzung des Verfahrens Geltung verschafft und der unterbrechungsgemäße Zustand wieder hergestellt werden kann. Dass die Rechtsnachfolgerin des Antragstellers inzwischen die Aufnahme des Verfahrens erklärt hat, ändert daran nichts.
Eine Fortsetzung des erstinstanzlich ausgesetzten Verfahrens im Beschwerdeverfahren ist nicht vertretbar, weil damit die prozessualen Handlungsmöglichkeiten sämtlicher Beteiligten unzumutbar beschränkt würden und das Verfahren mit einem anderen Kostenrisiko verbunden wäre. Das gilt umso mehr, als die Prüfungsbefugnis im Beschwerdeverfahren durch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe beschränkt ist und deshalb eine Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht ausscheiden müsste.
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten (vgl. Happ in Eyermann, a.a.O., § 130 Rn. 19), wobei § 21 GKG in Betracht zu ziehen ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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