Arbeitsrecht

Gegenstandswertfestsetzung im Verfassungsbeschwerdeverfahren – Zur objektiven Bedeutung eines Verfahrens ua für Parallelverfahren – hier: Minderung des subjektiven Wertes wegen geringerer objektiver Bedeutung um ein Drittel

Aktenzeichen  1 BvR 2952/08

Datum:
13.6.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2013:rk20130613.1bvr295208
Normen:
§ 113 Abs 2 S 3 BRAGebO
§ 14 Abs 1 RVG
§ 37 Abs 2 S 2 RVG
Spruchkörper:
1. Senat 2. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 23. September 2008, Az: XI ZR 379/07, Beschlussvorgehend KG Berlin, 12. Juni 2007, Az: 13 U 54/06, Urteilvorgehend BVerfG, 28. Juni 2012, Az: 1 BvR 2952/08, Stattgebender Kammerbeschluss

Tenor

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 70.000 € (in Worten: siebzigtausend
Euro) festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Verfassungsbeschwerde betraf eine zivilrechtliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dem finanzierten Erwerb einer
Eigentumswohnung zu Steuersparzwecken.

2
1. Im zivilgerichtlichen Ausgangsverfahren nahm der Beschwerdeführer eine Bausparkasse und eine Bank, die den Kauf finanziert
hatten, auf Rückabwicklung des Wohnungskaufs und der Finanzierung im Wege des Schadensersatzes in Anspruch. Zur Begründung
führte er unter anderem aus, die beklagte Bausparkasse und die beklagte Bank hätten ihn darüber unterrichten müssen, dass
er durch die Angaben im “Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag”, der auch ihm gegenüber verwendet worden sei, über
die Höhe der Vertriebsprovisionen getäuscht worden sei. Das Landgericht gab der Klage im Wesentlichen statt. Auf die dagegen
gerichtete Berufung der Beklagten wies das Kammergericht die Klage ab. Der Bundesgerichtshof wies die Nichtzulassungsbeschwerde
zurück und setzte den Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren auf 107.106,11 € fest.

3
2. Mit seiner hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidungen des Berufungsgerichts
und des Bundesgerichtshofs eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG und hinsichtlich der angegriffenen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde
darüber hinaus – der Sache nach – eine Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs.
3 GG) sowie des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG). Nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde gab die 3. Kammer des Ersten
Senats der Verfassungsbeschwerde statt, soweit sie sich gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs richtete, stellte eine
Verletzung des Justizgewährungsanspruchs fest, hob den Beschluss des Bundesgerichtshofs auf, verwies die Sache zur erneuten
Entscheidung an den Bundesgerichtshof zurück und ordnete die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers durch
die Bundesrepublik Deutschland an (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 – 1 BvR 2952/08
-, WM 2013, S. 15 f.).

4
3. Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2012 hat der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers die Festsetzung des Gegenstandswerts
auf mindestens 20.000 € beantragt.

II.
5
1. Nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG ist der Gegenstandswert im Verfassungsbeschwerdeverfahren unter Berücksichtigung der in § 14
Abs. 1 RVG genannten Umstände nach billigem Ermessen zu bestimmen; er beträgt jedoch mindestens 4.000 €.

6
2. Ausgangspunkt der Bewertung ist die Bedeutung der Angelegenheit (vgl. BVerfGE 79, 365 , dort noch zu § 113 Abs. 2
Satz 3 BRAGO a.F.). Der Umstand, dass § 14 Abs. 1 RVG die in der genannten Grundsatzentscheidung aufgegriffene “gesetzliche
Reihenfolge” der Kriterien geändert hat und – anders als § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO a.F. – nunmehr den anwaltlichen Arbeitsaufwand
an erster Stelle nennt, hat insofern keine inhaltliche Änderung bewirkt (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge,
BVerfGG, § 34a Rn. 97 mit Fn. 236 ). Die durch das Bundesverfassungsgericht im 79. Band seiner Entscheidungssammlung
für die Festsetzung des Gegenstandswerts im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entwickelten Maßstäbe gelten fort (vgl. BVerfG,
Beschluss des Ersten Senats vom 19. August 2010 – 1 BvR 2192/05 -, juris; Beschluss des Ersten Senats vom 10. November 2011
– 1 BvR 611/07 -, juris; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juni 2012 – 1 BvR 774/10 -, juris, Rn. 27, insofern
in NJW 2012, S. 2420 ff. nicht abgedruckt).

7
3. In Anwendung dieser Maßstäbe ist der Gegenstandswert der Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers
gerundet mit 70.000 € zu bemessen. Maßgebend sind hierfür folgende Erwägungen:

8
a) Das subjektive Interesse des Beschwerdeführers am Verfahrensausgang ist, da er mit der Verfassungsbeschwerde dasselbe Anliegen
wie im Ausgangsverfahren weiterverfolgt hat, in Übereinstimmung mit der Streitwertfestsetzung durch den Bundesgerichtshof
mit 107.106,11 € zu bewerten.

9
b) Die objektive Bedeutung der Sache, die neben der subjektiven Seite bei der Wertfestsetzung einbezogen werden muss (vgl.
BVerfGE 79, 357 ; 79, 365 ), führt vorliegend zu einer Verringerung des Einsatzwertes.

10
Die objektive Seite des Falls weist im Verhältnis zum subjektiven Interesse nur ein sehr untergeordnetes Gewicht auf.

11
Zwar hat die angestrebte Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde zugleich den Weg für neunzehn Parallelverfahren vorgezeichnet,
weil auch dort jeweils die fachgerichtliche Auslegung desselben formularmäßigen Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrages
eine maßgebliche Rolle spielte. Indes haben – anders als im Fall eines sogenannten Musterverfahrens über eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde
– mit der Entscheidung die Verfahren der anderen Beschwerdeführer nicht ihre Erledigung gefunden. Zudem fehlt es an einer
über diese Parallelverfahren hinausgehenden Bedeutung der vom Beschwerdeführer hier erstrebten Entscheidung, weil zuvor der
Bundesgerichtshof im Rahmen eines Grundsatzurteils dasselbe Formular verbindlich ausgelegt und seine vormals vertretene Rechtsauffassung
im Sinne des Beschwerdeführers selbst geändert hatte (vgl. BGHZ 186, 96 Rn. 28 ff.).

12
Dass der Sache neben der subjektiven Bedeutung für den Beschwerdeführer nur ein sehr untergeordneter Stellenwert zukommt,
findet schließlich darin seinen Ausdruck, dass über sie die Kammer entschieden hat, weil die zugrunde zu legenden verfassungsrechtlichen
Maßstäbe geklärt waren (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 BVerfGG; vgl. BVerfGE 79, 365 ).

13
c) Hat, wie hier, die objektive Bedeutung neben dem subjektiven Interesse des Verfassungsbeschwerdeführers nur einen sehr
untergeordneten Stellenwert, führt der hinzu tretende Umstand, dass das Ausgangsverfahren mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
nicht endgültig beigelegt war, sondern im fachrechtlichen Instanzenzug erneut über die Nichtzulassungsbeschwerde befunden
werden muss, zu einer Verringerung des Einsatzwertes für die subjektive Bedeutung (vgl. BVerfGE 79, 365 ). Dies rechtfertigt
es vorliegend, den Einsatzbetrag für die subjektive Bedeutung der Sache (107.106,11 €) um ein Drittel zu mindern. Dabei ist
auch berücksichtigt, dass sich auf Grundlage der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Erfolgsaussicht
der Revision geradezu aufdrängt (vgl. nur BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Juni 2012 – 1 BvR 2952/08
-, WM 2013, S. 15 ), obgleich eine erfolgreiche Revision grundsätzlich keine Gewähr für eine abschließende Entscheidung
durch den Bundesgerichtshof bietet, sondern auch eine Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht in
Betracht kommt.

14
4. Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit stehen nicht außer Verhältnis zu der vorstehend bewerteten
Bedeutung der Sache. Deshalb ist unter diesem Gesichtspunkt eine weitere Änderung des Wertes nicht angezeigt.

15
5. Nach alledem sind für das vorliegende Verfahren – gerundet – zwei Drittel des Einsatzwertes für die subjektive Bedeutung
der Sache festzusetzen.


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