Arbeitsrecht

Kostenrecht: Vergütung des Rechtsanwalts nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  L 12 SF 15/17 E

Datum:
19.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 12875
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
RVG § 14, § 58 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Bei der Anrechnung der Zahlungen nach § 58 Abs. 2 RVG kommt es grundsätzlich nicht darauf an, in welcher Höhe Zahlungen geschuldet sind, sondern nur darauf, in welcher Höhe die Zahlungen tatsächlich geleistet wurden. (Rn. 26)
2. Dies gilt auch dann, wenn der in die Kosten verurteilte Schuldner bei zutreffender Berechnung der Vergütung nur einen geringeren Betrag hätte zahlen müssen. (Rn. 26)
1. Ausgangspunkt für die Vergütungsfestsetzung bei Betragsrahmengebühren ist die Bestimmung der konkreten Gebühr durch den Rechtsanwalt. Das Leistungsbestimmungsrecht des Rechtsanwalts gehört in seiner Ausübung zum Entstehungstatbestand des Vergütungsanspruchs. Dies gilt auch, wenn der Rechtsanwalt einen Anspruch auf die Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von PKH geltend macht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Rechtsanwalt ist ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, um nach Möglichkeit Streit über die billige Gebühr zu vermeiden. Der Rechtsanwalt hat die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen und dabei die Kriterien des § 14 RVG zu berücksichtigen. Verbindlich ist die von ihm vorgenommene Bestimmung der Gebühr nur, wenn sie tatsächlich billigem Ermessen entspricht. (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Bestimmung der billigen Gebühr anhand der Kriterien von § 14 Abs. 1 RVG wird dem Rechtsanwalt im Einklang mit der Systematik des § 315 BGB ein gewisser Spielraum bzw. Toleranzrahmen zugestanden, der dann noch eingehalten ist, wenn die vom Anwalt bestimmte Gebühr bis zu 20% von der Gebühr abweicht, die der Kostenbeamte und ggf. das Gericht bzw. Beschwerdegericht für angemessen halten. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 56 SF 11/16 E 2016-03-15 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 15. März 2016, S 56 SF 11/16 E, abgeändert.
Die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung wird auf 101,15 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Streitig ist, in welcher Höhe eine Zahlung des Antragsgegners zu berücksichtigen ist.
Gegenstand des dieser Kostensache zugrundliegenden Verfahrens mit dem Az.: S 13 AS 1514/15 ER war ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aus dem Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuches (SGB II). Der Antragsteller des Eilverfahrens, vertreten durch die Beschwerdegegnerin, beantragte am 01.07.2015 die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens gegen einen näher bezeichneten Bescheid, hilfsweise die Hemmung des Vollzugs aus einem Erstattungsbescheid. Der Antrag wurde – neben der Antragstellung – auf 2 Seiten dezidiert begründet. Mit Beschluss vom 27.07.2015 gewährte das Sozialgericht München (SG) dem Antragsteller Prozesskostenhilfe und ordnete die Beschwerdegegnerin bei. Nachdem der Antragsgegner sich bereit erklärt hatte, die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu übernehmen, nahm die Beschwerdegegnerin das Kostengrundanerkenntnis für den Antragsteller an, erklärte den Rechtsstreit für erledigt und beantragte eine Kostengrundentscheidung. Mit Beschluss vom 12.08.2015 wurden dem Antragsgegner die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zur Hälfte auferlegt.
Am 20.08.2015 beantragte die Beschwerdegegnerin, die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 190,40 Euro wie folgt festzusetzen:
„ Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG (zu 1/2) 150,00 Euro
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG (zu 1/2) 10,00 Euro
19% USt, Nr. 7008 VV RVG 30,40 Euro
190,40 Euro
Der Antragsgegner teilte am 01.09.2015 mit, 190,40 Euro an die Beschwerdegegnerin überwiesen zu haben.
Mit Beschluss vom 18.12.2015 setzt die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 101,15 Euro fest. Der Festsetzung lag folgende Berechnung zugrunde:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 225,00 Euro
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
19% USt, Nr. 7008 VV RVG 46,55 Euro
Gesamt 291,55 Euro
Zahlung Antragsgegner – 190,40 Euro
Insgesamt 101,15 Euro
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei unterdurchschnittlich gewesen. Die Schwierigkeit der Angelegenheit sei wegen der schwierigen Persönlichkeitsstruktur des Antragstellers als leicht überdurchschnittlich zu beurteilen. Die Bedeutung sei als durchschnittlich anzusehen, da lediglich die Vollziehung der Forderung ausgesetzt, nicht aber die Forderung als solche überprüft werden könne. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers, dem PKH bewilligt worden sei, seien als unterdurchschnittlich anzusehen. Insgesamt stelle sich das Verfahren als unterdurchschnittlich dar, weshalb eine Verfahrensgebühr von 225,00 Euro ausreichend und angemessen sei.
Dagegen hat die Beschwerdegegnerin am 28.12.2015 Erinnerung eingelegt. Die Anforderungen an ein Eilrechtsschutzverfahren und der damit verbundene Aufwand seien mit einem Klageverfahren zu vergleichen. Die Bedeutung liege im Bereich der existenzsichernden Leistungen über der der Hauptsache, da es gelte, schnell eine klärende Situation zu erlangen und ein Unterliegen unabsehbare Konsequenzen habe. Zudem sei die Schwierigkeit der Sachlage mit der der Hauptsache vergleichbar und gehe darüber hinaus, da die Glaubhaftmachung höhere Anforderungen an den anwaltlichen Vortrag stelle. Die Höhe der Forderung sowie die schwierige psychische Situation des Antragstellers führe vorliegend zu einer überdurchschnittlichen Schwierigkeit der Angelegenheit. Insgesamt sei auch bei einem Eilverfahren auf die Mittelgebühr abzustellen.
Das SG hat mit Beschluss vom 15.03.2016 den Beschluss vom 18.12.2015 abgeändert und die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 145,77 Euro festgesetzt. Zur Begründung hat es zunächst ausgeführt, dass die von der Urkundsbeamtin in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr in Höhe von 225,00 Euro nicht zu beanstanden sei. Den Umfang der Tätigkeit wertet das SG aufgrund des konkreten Tätigkeitsumfangs als unterdurchschnittlich, die Schwierigkeit der Tätigkeit sei im Hinblick auf die Persönlichkeitsstruktur des Antragstellers leicht überdurchschnittlich gewesen. Die Beschwerdegegnerin könne nicht geltend machen, die Schwierigkeit habe sich dadurch erhöht, dass die Glaubhaftmachung des Vorbringens erforderlich gewesen sei, da Mittel zur Glaubhaftmachung zur Verfügung gestanden hätten. Die Bedeutung der Angelegenheit könne mit leicht unterdurchschnittlich bewertet werden. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass Gegenstand des Antrags nicht die vorläufige Bewilligung von existenzsichernden Leistungen, sondern vielmehr die Aussetzung des Vollzugs einer Forderung gewesen sei. Auch wenn die Forderung bei den Vermögensverhältnissen des Antragstellers erheblich sei, so könne mit dem gestellten Eilrechtsantrag alleine die Vollstreckung der Forderung abgewendet werden, jedoch nicht über deren Berechtigung entschieden werden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Antragstellers, dem PKH bewilligt worden sei, seien als unterdurchschnittlich anzusehen.
Allerdings sei nach der Rechtsprechung des BayLSG die Zahlung des Antragsgegners nur in der Höhe zu berücksichtigen, in der nach Feststellungen des Kostenfestsetzungsbeschlusses gegenüber dem Antragsgegner ein Erstattungsanspruch bestanden habe (Verweis auf BayLSG, Beschluss vom 31.07.2012, Az.: L 15 SF 214/10 B E).
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Staatskasse vom 21.03.2016. Die Beschwerde werde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Anrechnungsproblematik eingelegt. Zur Begründung verwies der Beschwerdeführer auf einen Beschluss des SG Würzburg vom 20.01.2016 (S 14 SF 82/15 E) sowie den darin zitierten Beschluss des Hessischen LSG vom 23.06.2014, Az.: L 2 AS 568/13 B. Es erscheine nur in sich schlüssig, dass es wie bei der Anrechnung nach § 15a RVG und der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG auf tatsächlich erfolgte Zahlungen, also den Zahlbetrag ankomme, damit Überzahlungen vermieden werden könnten und die intendierte Kostendämpfung – hier über die horizontale Anrechnung nach § 58 Abs. 2 RVG erfolgt – auch realisiert werde.
Die Beschwerdegegnerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens mit dem Az.: S 56 SF 11/16 E verwiesen. Der Senat hat zudem das Verfahren des SG München mit den Az.: S 13 AS 1514/15 ER hinzugezogen.
II.
Die Beschwerde ist erfolgreich.
1) Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerden ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Die Entscheidung ergeht ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
2) Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der ab dem 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG ist der Beschwerdegegnerin nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
3) Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist statthaft, weil das SG die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
4) Sie ist auch begründet.
a) Der dem Rechtsanwalt zuerkannte Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse beruht auf §§ 45 ff. RVG. Zentrale Bedeutung hat bei der Gebührenfestsetzung § 14 RVG. Ausgangspunkt für die Vergütungsfestsetzung bei Betragsrahmengebühren ist die Bestimmung der konkreten Gebühr durch den Rechtsanwalt. Das Leistungsbestimmungsrecht des Rechtsanwalts gehört in seiner Ausübung zum Entstehungstatbestand des Vergütungsanspruchs (vgl. die Entscheidung des 15. Senats des BayLSG vom 21.03.2011, Az.: L 15 SF 204/09 BE, m.w.N.). Dies gilt auch, wenn der Rechtsanwalt einen Anspruch auf die Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von PKH geltend macht (a.a.O.).
Der Gesetzgeber hat dem Rechtsanwalt ein Beurteilungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, um nach Möglichkeit Streit über die billige Gebühr zu vermeiden. Der Rechtsanwalt hat die Gebühr nach billigem Ermessen zu bestimmen und dabei die Kriterien des § 14 RVG zu berücksichtigen. Verbindlich ist die von ihm vorgenommene Bestimmung der Gebühr nur, wenn sie tatsächlich billigem Ermessen entspricht.
Im Fall einer nicht verbindlichen, d.h. nicht der Billigkeit entsprechenden Bestimmung der Gebühr durch den Rechtsanwalt, wird die Gebühr im Vergütungsfestsetzungsverfahren bestimmt. Der gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (Kostenbeamter), im Fall der Erinnerung das gemäß § 56 Abs. 1 RVG zuständige Gericht und im Fall der Beschwerde das Beschwerdegericht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG sind befugt und verpflichtet, die vom Rechtsanwalt bestimmten Gebühren auf ihre Billigkeit hin zu überprüfen und bei Feststellung der Unbilligkeit die Gebühr selbst festzusetzen.
Bei der Bestimmung der billigen Gebühr anhand der Kriterien von § 14 Abs. 1 RVG wird dem Rechtsanwalt zu Recht und im Einklang mit der Systematik des § 315 BGB ein gewisser Spielraum bzw. Toleranzrahmen zugestanden. In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat nach wie vor eine vom Rechtsanwalt bestimmte Gebühr für noch verbindlich, wenn sie bis zu 20% von der Gebühr abweicht, die der Kostenbeamte und ggf. das Gericht bzw. Beschwerdegericht für angemessen halten (vgl. zuletzt Entscheidung des Senats vom 24.03.2020, Az.: L 12 SF 271/16 E, BayLSG Beschluss vom 21.03.2011, Az.: L 15 SF 204/09 BE, m.w.N.; vgl. auch Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., § 14, Rdnr. 12, m.w.N.; Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 50. Aufl., § 14, Rdnr. 24).
b) Unter Berücksichtigung der aufgeführten Kriterien ist die Gebührenbestimmung des Beschwerdeführers unbillig und war neu festzusetzen.
aa) Für die Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG) rechtfertigt eine Gesamtbetrachtung jedenfalls keine höhere als die vorliegend festgesetzte Gebühr von 225,00 Euro. Wie Urkundsbeamtin und Kostenrichter zutreffend festgestellt haben, kann ein höherer Betrag nicht zuerkannt werden. Zur Begründung verweist der Senat in vollem Umfang auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Erinnerungsbeschluss und macht sich diese zu Eigen; er sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren auch keine Argumente vorgebracht, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten.
bb) Wegen der erfolgten hälftigen Kostenerstattung durch den Antragsgegner reduziert sich jedoch die aus der Staatskasse zu erstattende Vergütung auf 101,15 Euro.
Der Abzug der Kostenerstattung von der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung findet in § 58 Abs. 2, § 59 Abs. 1 RVG eine hinreichende Rechtsgrundlage. Wie das BayLSG mit Beschluss vom 31.07.2010, Az.: L 15 SF 214/10 B E, ausgeführt hat, enthält § 58 Abs. 2 RVG eine gesetzliche Tilgungsbestimmung von Zahlungen, die der Rechtsanwalt erhält; in diesem Zusammenhang wird geregelt, dass Zahlungen vorrangig auf die Vergütung als Wahlanwalt anzurechnen sind. § 58 Abs. 2 RVG setzt als selbstverständlich voraus, dass Zahlungen – als solche gelten auch Kostenerstattungen des dazu verurteilten Prozessgegners – überhaupt auch auf die Vergütung als beigeordneter Anwalt anzurechnen sind. Dieser Regelungsgehalt wird mittelbar bestätigt durch § 59 Abs. 2 RVG, der eine Legalzession in Bezug auf den Kostenerstattungsanspruch gegen den Prozessgegner zu Gunsten der Staatskasse anordnet, wenn diese zuerst zahlt. Aus dem Regelungskontext ist zu entnehmen, dass die Verurteilung des Prozessgegners zur Erstattung außergerichtlicher Kosten den Anspruch des beigeordneten Anwalts gegen die Staatskasse nicht schon per se vermindert, sondern erst dann und insoweit, als darauf auch Zahlungen geleistet werden. Im vorliegenden Fall hat der Antragsgegner derartige Zahlungen auf der Basis von § 126 ZPO in Höhe von 190,40 Euro an die Beschwerdegegnerin erbracht. Die Priorität, die zu Gunsten einer Tilgung von „überschießender“ Wahlanwaltsvergütung besteht, spielt hier keine Rolle, weil es im vorliegenden Fall keine „überschießende“ Wahlanwaltsvergütung gibt: Prozesskostenhilfe ist für das Verfahren insgesamt bewilligt worden und die Gebührenrahmen sind für die Wahlanwaltsvergütung und die Vergütung nach §§ 45 ff. RVG identisch.
cc) Die von dem Antragsgegner entrichteten 190,40 Euro sind in voller Höhe von dem Vergütungsanspruch der Beschwerdegegnerin gegen die Staatskasse in Abzug zu bringen. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegner – wie hier – bei zutreffender Berechnung der Vergütung nur einen geringeren Betrag hätte zahlen müssen.
Bei der Anrechnung der Zahlungen nach § 58 Abs. 2 RVG kommt es nicht darauf an, in welcher Höhe Zahlungen geschuldet, sondern nur darauf, in welcher Höhe die Zahlungen tatsächlich geleistet wurden. Hierfür spricht bereits der Gesetzeszweck, wonach die Anrechnung von Zahlungen erreichen soll, dass der beigeordnete Rechtsanwalt nicht aufgrund der Vergütung durch die Staatskasse bessergestellt wird als ein nicht beigeordneter Rechtsanwalt. Das wäre aber der Fall, wenn Zahlungen von Dritten den Anspruch gegenüber der Staatskasse nur insoweit mindern würden, wie sie der Höhe nach berechtigt wären (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23.06.2014, Az.: L 2 AS 568/13 B, Juris Rn 48; SG Würzburg, Beschluss vom 20.01.2016, Az.: S 14 SF 82/15 E). Zudem deutet der Wortlaut des § 58 Abs. 2 RVG auf die Anrechnung der tatsächlich geleisteten Beträge hin. Denn dieser fordert die Anrechnung von „Zahlungen“ ohne Einschränkung darauf, ob auf diese Zahlungen überhaupt ein Anspruch in dieser Höhe bestanden hat. Der Argumentation, dass eine volle Anrechnung nicht erfolgen dürfe, da der Rechtsanwalt insoweit Rückforderungsansprüchen des Prozessgegners ausgesetzt sein könnte und es unangebracht sei, die Staatskasse von nicht rechtmäßigen Zahlungen profitieren zu lassen (so noch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 31.07.2012, Az.: L 15 SF 214/10 B E, juris, Rn. 29), folgt der Senat nicht. Zum einen ist schon nicht verständlich, warum der Rechtsanwalt Nutznießer einer überhöhten Zahlung des Prozessgegners sein sollte, nicht aber die Staatskasse. Das Wesen der Prozesskostenhilfe als Sozialleistung setzt die wirtschaftliche und persönliche Bedürftigkeit der Partei voraus (§ 73a Abs. 1 Satz 1 iVm § 114 Abs. 1 ZPO). Soweit der Rechtsanwalt die Staatskasse im Wege der Prozesskostenhilfe in Anspruch nimmt, geht ein Anspruch gegenüber der Partei oder der ersatzpflichtigen gegnerischen Partei gemäß § 59 Abs. 1 RVG auf die Staatskasse über. Da nicht nur, aber insbesondere der bedürftigen Partei daran gelegen ist, die Höhe der Vergütung auf das angemessene Maß zu reduzieren, erscheint es sachgerecht, hiervon auch die Staatskasse profitieren zu lassen. Dies entspricht auch dem Grundsatz der Kostendämpfung.
Soweit vorgebracht wird, die Zahlung könne nicht in voller Höhe angerechnet werden, weil der Prozessgegner den zu viel gezahlten Betrag zurückverlangen würde und rechtlich auch könnte, überzeugt dies nicht. Denn ein solcher Rückzahlungsanspruch besteht nicht. Hier führt das Hessisches Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 23.06.2014 (aaO) zutreffend aus, dass als Anspruchsgrundlage hier der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht kommt:
„Dieser aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Anspruch besagt, dass Leistungen, die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, zurückzuerstatten sind (vgl. BSG vom 28. Juni 2006 – B 3 KR 20/05 R – juris, Rn. 9 = BSGE 97, 125). Es kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs erfüllt sind, jedenfalls steht ihm der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB) entgegen. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens hat – wie es bei den Jobcentern üblich ist – die Rechnung des Beschwerdeführers geprüft und ohne Beanstandungen und Vorbehalte gezahlt.
Den in § 197 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorgesehenen Weg der gerichtlichen Kostenfestsetzung zur Bestimmung der Höhe der Vergütung des Rechtsanwalts bei Uneinigkeit zwischen den Beteiligten hat der Antragsgegner nicht beschritten. Selbst den Beschluss über die Festsetzung der Vergütung aus der Staatskasse hat der Antragsgegner nicht abgewartet. Er hat damit deutlich gezeigt, dass er mit dem Gebührenansatz des Beschwerdegegners einverstanden war und damit bei dem Beschwerdegegner das Vertrauen geschaffen, dass sein Gebührenansatz akzeptiert wird. Mit einer nachträglichen Rückforderung würde sich der Antragsgegner in Widerspruch zu diesem Verhalten setzen und so gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen.”
Dieser Argumentation schließt sich der Senat nach eigener Prüfung und Überzeugung an.
Damit ist von der Gebührenforderung der Beschwerdegegnerin in Höhe von 291,55 Euro nicht – wie im Beschluss des SG vom 15.03.2016 erfolgt – lediglich 145,77 Euro, sondern vielmehr der Zahlbetrag von 190,40 Euro in Abzug zu bringen.
c) Im Ergebnis steht der Beschwerdegegnerin daher folgende Vergütung aus der Staatskasse zu:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 225,00 Euro
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG (zu 1/2) 20,00 Euro
19% USt, Nr. 7008 VV RVG 46,55 Euro
Gesamt 291,55 Euro
Zahlung Antragsgegner – 190,40 Euro
Insgesamt 101,15 Euro
5) Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht, weil das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
6) Der Beschluss ist unanfechtbar, eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


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