Baurecht

Abgrenzung von Innen- und Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 18.1530

Datum:
5.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4333
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Eine Faustformel, wonach bei einer unbebauten Fläche mit einer Ausdehnung von drei bis maximal vier Bauplätzen gemäß der umliegenden Bebauungsstruktur regelmäßig von einer Baulücke auszugehen sei, ist weder geeignet, eine Regel für einen Bebauungszusammenhang aufzustellen, noch kann sie eine vorgenommene Einzelfallbeurteilung in Zweifel ziehen (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 16.865 2018-04-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zum Neubau eines Wochenendhauses auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung S …, hilfsweise die Feststellung, dass ihm in der Zeit vom 8. Oktober 2010 bis zum 27. September 2017 ein Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids zugestanden hat.
Das bislang mit einem Garagengebäude bebaute Vorhabengrundstück liegt im Süden einer überwiegend einzeiligen Bebauung, die sich über ca. 500 m zwischen dem Ostufer des W …sees und der parallel hierzu verlaufenden Straße „S …“ bis zum Grundstück Fl. …, das mit einem Wohngebäude des Klägers bebaut ist, auf dem Gemeindegebiet der Beigeladenen erstreckt. An das Vorhabengrundstück grenzt südlich das Grundstück FlNr. … an, auf dem mehrere Wohnwägen dauerhaft abgestellt sind und dessen südliche Grenze zugleich die Grenze zur Nachbargemeinde Seefeld darstellt. Eine überwiegend einzeilige Bebauung entlang des Seeufers setzt sich ab dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung H …, auf dem Gebiet der Nachbargemeinde fort.
Das Landratsamt lehnte mit Bescheid vom 19. August 2010 die Erteilung des Vorbescheids ab, da die zwischenzeitlich erlassene Veränderungssperre zur Sicherung eines Bebauungsplans dem Vorhaben entgegenstehe. Zudem befinde sich das Vorhaben im Außenbereich und beeinträchtige öffentliche Interessen.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. April 2018 abgewiesen. Es könne offenbleiben, ob der zwischenzeitlich in Kraft getretene Bebauungsplan Nr. … „… – … … … … …“, der für das Vorhabengrundstück eine private Grünfläche ausweise, wirksam sei. Im Fall seiner Wirksamkeit stehe die Festsetzung einer privaten Grünfläche dem Vorhaben entgegen, andernfalls läge der Vorhabenstandort im Außenbereich. Die unbebaute Fläche zwischen der südlichen Wand des Wohngebäudes auf dem Grundstück FlNr. … und der südlich auf dem Gebiet der Gemeinde Seefeld gelegenen Bebauung stelle nach dem im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Eindruck keine Baulücke mehr dar. Die Prägung dieses Bereichs erfolge vielmehr durch die sich im Osten anschließenden Freiflächen. Aufgrund der Außenbereichslage habe zu keinem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erteilung des Vorbescheids bestanden, so dass die Klage auch im Hilfsantrag keinen Erfolg habe.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem Vorhaben entweder die Festsetzung einer privaten Grünfläche im Bebauungsplan entgegensteht bzw. – die Unwirksamkeit des Bebauungsplans unterstellt – auf Grund der Außenbereichslage des Vorhabenstandorts öffentliche Belange nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt werden.
Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die – bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans – eine Zurechnung des Vorhabenstandorts zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen könnten. Ein Vorhaben liegt im Außenbereich, wenn es nicht Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist. Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 a.a.O.; B.v 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Das betreffende Grundstück muss selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bilden, also selbst am Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnehmen (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – a.a.O. m.w.N.). Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich dabei nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topographischen Situation und der Umgebungsbebauung bestimmen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651 m.w.N; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 a.a.O.; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – ZfBR 2007, 480; BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 1 ZB 16.2599 – juris Rn. 5; B.v. 9.12.2017 – 1 ZB 16.1301 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesen Maßstäben hat das Verwaltungsgericht zu Recht auf der Grundlage eines Ortstermins die vorhandenen Örtlichkeiten beurteilt und ist im Rahmen einer umfassenden Bewertung des Sachverhalts zu dem rechtsfehlerfreien Ergebnis gekommen, dass das Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. … den letzten Baukörper im Bebauungszusammenhang darstellt und daher an dessen südlicher Wand der Bebauungszusammenhang endet. Die vorliegenden Unterlagen, insbesondere die von Klägerseite vorgelegten Lichtbilder und die Lagepläne sowie die Darstellung in Bayern-Atlas(plus) belegen die Richtigkeit dieser Einschätzung. Soweit das Zulassungsvorbringen anführt, dass das Verwaltungsgericht den Abstand von ca. 65 m zwischen den Gebäuden auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung S …, und FlNr. …, Gemarkung H …, unzutreffend als zu groß für eine Baulücke erachtet habe, da die unbebaute Fläche im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse nur in etwa der Größe von zwei bis maximal drei Baugrundstücken entspreche, lässt es unberücksichtigt, dass das Verwaltungsgericht auf der Grundlage einer Gesamtschau zu seiner Einschätzung gelangt ist, dass sich der Vorhabenstandort im Außenbereich befindet. Es hat seiner Beurteilung nicht alleine den Abstand zwischen den Gebäuden zu Grunde gelegt, sondern es hat im Rahmen der erforderlichen Einzelfallbeurteilung insgesamt auf die Situierung des Grundstücks abgestellt. Die vom Kläger herangezogene Faustformel, wonach bei einer unbebauten Fläche mit einer Ausdehnung von drei bis maximal vier Bauplätzen gemäß der umliegenden Bebauungsstruktur regelmäßig von einer Baulücke auszugehen sei, ist weder geeignet, eine Regel für einen Bebauungszusammenhang aufzustellen, noch kann sie die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Einzelfallbeurteilung in Zweifel ziehen. Der Vorhabenstandort ist auch nicht durch die einzeilige Bebauung entlang des Seeufers geprägt. Die Ausführungen im Zulassungsvorbringen, dass der klassische Fall einer einseitig bebauten Straße vorliege, für die in der Rechtsprechung der Grundsatz anerkannt sei, dass hier die Straße die maßgebliche Grenzlinie zwischen Innen- und Außenbereich ziehe, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Denn auch nach der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Februar 1988 (Az. 4 B 19.88) sind jeweils die konkreten örtlichen Gegebenheiten maßgeblich. Im Übrigen verläuft entlang des Vorhabengrundstücks nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die S … wie im Bebauungsplan dargestellt lediglich als Weg und damit deutlich schmäler als in seinem nördlichen Verlauf. Daher lässt die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Vorhabenstandort von den östlichen Freiflächen geprägt sei, keinen Fehler erkennen.
Auf Grund der Lage des Vorhabenstandorts im Außenbereich war das Vorhaben auch in dem im Hilfsantrag bezeichneten Zeitraum nicht genehmigungsfähig, so dass das Verwaltungsgericht die Klage im Hilfsantrag zu Recht abgewiesen hat.
2. Tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor. Die auftretenden Fragen können anhand der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung beantwortet werden. Im Übrigen ist die Frage, ob für die Beurteilung eines Bebauungszusammenhangs auch die Bebauung auf dem Gebiet der Nachbargemeinde in den Blick zu nehmen ist, hier nicht entscheidungserheblich, da aus den dargestellten Gründen bereits keine Baulücke vorliegt. Auf die Rechtsausführungen im Beschluss wird Bezug genommen. Einen weiteren Klärungsbedarf zeigt der Kläger in der Zulassungsbegründung nicht auf. Er möchte lediglich die tatsächlichen Verhältnisse anders bewertet wissen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihm auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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