Baurecht

Anschluss einer Milchkammer an Entwässerungsanlage

Aktenzeichen  M 10 K 18.4550

Datum:
14.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30929
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 24 Abs. 1 Nr. 2
BayWG Art. 34 Abs. 1
BayVwVfG Art. 40

 

Leitsatz

Macht die Behörde von dem ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes, d.h. der im einzelnen Gesetz und in der Rechtsordnung insgesamt zum Ausdruck kommenden Zwecksetzung und Zweckvorgaben, Gebrauch, liegt ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Ermessensdefizits vor. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Bescheide der Beklagten vom 9. August 2018 und vom 14. November 2018 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

1. Klagegegenstand der Verfahren M 10 K 18.4550 und M 10 K 18.5996 ist der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2018 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14. November 2018. Soweit der Kläger im Verfahren M 10 K 18.5996 Klage gegen den Änderungsbescheid erhoben hat, liegt prozessual die Einbeziehung des den Ausgangsbescheid abändernden Änderungsbescheids in das ursprüngliche Verfahren M 10 K 18.4550 vor. Insoweit ist nur eine einheitliche Entscheidung möglich.
2. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 9. August 2018 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14. November 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die aufgrund § 21 Abs. 1 EWS der Beklagten getroffene Anordnung ist nach § 114 VwGO ermessensfehlerhaft, da sie die abzuwägenden Interessen des Klägers nicht berücksichtigt.
2.1 Die Beklagte ist für den Vollzug der Entwässerungssatzung und damit auch die angegriffene Einzelfallanordnung zuständig. Sie wurde von mehreren dem … anliegenden Gemeinden als gemeinsames Kommunalunternehmen des öffentlichen Rechts nach Art. 89 GO gegründet. Aufgabe der Beklagten ist nach § 2 Abs. 1 Unternehmenssatzung unter anderem die Beseitigung von Schmutzwässern und Oberflächenwässern in den Gemeinden. Dem Unternehmen wurde insoweit nach Art. 89 Abs. 2 GO die Aufgabe der Gemeinden zur Abwasserbeseitigung nach Art. 34 Abs. 1 BayWG übertragen. Das Kommunalunternehmen ist nach § 2 Abs. 3 und 4 Unternehmenssatzung u.a. berechtigt, anstelle der Gemeinden Satzungen für die öffentliche Entwässerungseinrichtung (Entwässerungssatzungen-EWS) sowie Beitrags- und Gebührensatzungen (BGS) zu den Entwässerungssatzungen (EWS) zu erlassen; dem Kommunalunternehmen wird auch das Recht übertragen, die von ihm erlassenen Satzungen zu vollziehen.
Die Beklagte hat dementsprechend die Satzung für die öffentliche Entwässerungsanlage des gemeinsamen Kommunalunternehmens …werke gKU (Entwässerungssatzung-EWS) vom 3. April 2012 erlassen.
2.2 Nach § 21 Abs. 1 EWS kann die Beklagte zur Erfüllung der nach dieser Satzung bestehenden Verpflichtungen Anordnungen für den Einzelfall erlassen.
a) Die Beklagte führt zu Recht aus, dass der Kläger nach § 5 Abs. 5 EWS verpflichtet ist, im Umfang des Benutzungsrechts alles Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten (Benutzungszwang). Das Grundstück des Klägers ist an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 EWS ist der Grundstückseigentümer damit berechtigt, nach Maßgabe der §§ 14 bis 17 alles Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten. Mit diesem Benutzungsrecht für das angeschlossene Grundstück – unter den Einschränkungen der Einleitungsge- und -verbote der §§ 14 bis 17 EWS, welche hier tatbestandlich für Milchkammerabwasser aber nicht vorliegen – korrespondiert der Benutzungszwang. Die genannten Satzungsregelungen sind nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 Gemeindeordnung (GO). Damit ist tatbestandlich die Voraussetzung für eine Anordnung gegenüber dem Kläger nach § 21 Abs. 1 EWS gegeben, auch das in der Milchkammer anfallende Abwasser in die öffentliche Entwässerungsanlage der Beklagten einzuleiten.
b) Jedoch liegt bei der dann angestellten Ermessensausübung ein Fehlgebrauch des Ermessens vor. Nach Art. 40 BayVwVfG hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten, wenn sie wie hier in § 21 Abs. 1 EWS befugt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln. Nach § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht auch, soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.
Die Beklagte hat in der angegriffenen Anordnung erkannt, dass ihr Ermessen zusteht. Sie hat ausgeführt, dass der Erlass von Anordnungen im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht und hielt ein Einschreiten im öffentlichen Interesse für notwendig. Jedoch liegt nach der Begründung des angefochtenen Bescheids vom 9. August 2018 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14. November 2018 ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Ermessensdefizits vor. Ein Fehlgebrauch des Ermessens liegt vor, wenn die Behörde von dem ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes, d.h. der im einzelnen Gesetz und in der Rechtsordnung insgesamt zum Ausdruck kommenden Zwecksetzungen und Zweckvorgaben Gebrauch macht, insbesondere wenn die Behörde nicht sämtliche Gesichtspunkte berücksichtigt, die dem Zweck der Ermächtigung entsprechen. Die Behörde muss als Voraussetzung ihrer Entscheidung bzw. ihres Handelns alle dafür vom Zweck der Ermächtigung her relevanten Tatsachen umfassend ermitteln und bei der Entscheidung alle Ergebnisse dieser Ermittlungen und alle sonst einschlägigen wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigen. So hat die Behörde auch nach Art. 24 Abs. 2 BayVwVfG alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Auflage 2015, § 40 Rn. 88 f.). Die Behörde muss alle Erwägungen anstellen, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm von ihr gefordert werden; übersieht sie einen wesentlichen Gesichtspunkt, so sind ihre Ermessenserwägungen unvollständig und rechtswidrig (Erwägungsdefizit; Rennert in: Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2018, § 114 Rn. 4 f. m.w.N.).
Im angefochtenen Bescheid wurde ausschließlich darauf abgestellt, dass die Verpflichtung des Klägers zur Ableitung der Milchkammernabwässer in die öffentliche Entwässerungseinrichtung aus hygienischen Gründen bzw. wegen einer möglichen chemischen Belastung des Abwassers zu erfolgen hat. Dabei wurde insbesondere auf ein vorgelegtes Merkblatt Nr. 4.5/10 des Bayerischen Landesamts für Wasserwirtschaft vom 25. Juli 2005 Bezug genommen.
Dem Merkblatt entnimmt die Beklagte, dass die Beseitigung von Milchkammernabwässern bei landwirtschaftlichen Betrieben mit Anschluss an die Kanalisation in die kommunale Kläranlage erfolgen muss (Hervorhebung durch das Gericht). Im Merkblatt selbst wird dies aber, anders als die Beklagte meint, nicht für zwingend angesehen. Nr. 3 des Merkblatts führt aus, dass die Beseitigung von Milchkammernabwässern bei landwirtschaftlichen Betrieben mit Anschluss an eine Kanalisation in die kommunale Kläranlage erfolgen sollte (Hervorhebung durch das Gericht). Dieser Hinweis im Merkblatt sieht damit zwar einen Anschluss an die Kanalisation als empfehlenswert, jedoch nicht als zwingend an. Eine besondere Gefahr durch die Milchkammernabwässer wird im Merkblatt offensichtlich nicht gesehen, da im weiteren ausgeführt wird, sofern wie im ländlichen Raum oft gegeben kein Anschluss an die kommunale Kläranlage bestehe, könne das Milchkammernabwasser in Güllegruben eingeleitet werden. Unter Nr. 4 des Merkblatts wird zudem ausgeführt, dass aufgrund des geringen Abwasseranfalls aus der Reinigung und des großen Puffervermögens der Güllegruben von einer ausreichenden Vermischung ausgegangen werden könne; bei bestimmungsgemäßem Einsatz der Desinfektionsmittel sei keine Beeinträchtigung der Güllequalität zu erwarten, so dass die landwirtschaftliche Verwertung der Gülle weiterhin möglich sei.
Letztlich sieht das genannte Merkblatt das Problem der Milchabwasserreinleitung aber unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt einer Beeinträchtigung der Gülle, die wiederum zu einer Beeinträchtigung der Bodenqualität bzw. Bodenhygiene bei einem Aufbringen der Gülle auf die landwirtschaftlichen Flächen erfolgen könnte. Mit dem Einleiten der Milchkammernabwässer in Güllegruben werden jedenfalls keinerlei Gesundheitsbeeinträchtigungen gesehen. Damit kann dieser Aspekt wohl nicht bei der Ermessensausübung im Einzelfall zulasten des Klägers angeführt werden.
Andere öffentliche Interessen, bezogen auf den ordnungsgemäßen Betrieb der öffentlichen Entwässerungseinrichtung, wurden dagegen nicht angeführt.
Fraglich bleibt, ob der Kläger aus der Nebenbestimmung in der Baugenehmigung für seinen Milchviehlaufstall durchgreifenden Vertrauensschutz ableiten kann. Die Regelung in Nr. 1.32 der Baugenehmigung vom 1. Oktober 2013, wonach das Abwasser aus der Milchkammer, wenn kein Anschluss an die gemeindliche Entwässerungseinrichtung erfolgt, in die Güllegrube einzuleiten ist, ist eine bausicherheitsrechtliche Nebenbestimmung. Sie ist so zu verstehen, dass, wenn kein Anschluss an die Kanalisation vorhanden ist, das Milchkammerabwasser jedenfalls in die Güllegrube geleitet werden muss, nicht aber anderweitig, z.B. durch Versickerung beseitigt werden darf.
Diese Nebenbestimmung hat jedoch keinerlei Auswirkung auf eine mögliche Anordnung oder Durchsetzung eines Benutzungszwangs nach der Entwässerungssatzung der Beklagten. Hierzu verhält sich diese baurechtliche Regelung nicht. Zudem war die Beklagte im Baugenehmigungsverfahren nicht beteiligt.
Völlig außer Acht gelassen wurden bei der Ermessensausübung weitere Interessen des Klägers als Betroffenem. So hat dieser ausgeführt, dass er bei der Errichtung des Milchviehlaufstalls die gewählte Entwässerung der Milchkammer in die Güllegrube mit der Baugenehmigungsbehörde abgesprochen habe. Jedenfalls sei der Zulauf von der Milchkammer in die Güllegrube unterhalb der Bodenplatte in einer Tiefe von eineinhalb Metern verlegt worden, was einen bedeutenden baulichen Eingriff fordern würde, wenn dieser Zulauf nicht mehr genutzt werden könnte bzw. wenn ein neuer Zulauf von der Milchkammer zur Kanalisation in der Straße geschaffen werden müsste. Die Anbindung der Milchkammer an die Kanalisation müsste nach den baulichen Verhältnissen auf dem Grundstück eine Länge von bis zu 100 m haben. Es würden Kosten in Höhe von 20.000 Euro entstehen.
Diese technischen und wirtschaftlichen Belange des Klägers hat die Beklagte nicht berücksichtigt. Dies führt zu einem Ermessensdefizit bzw. Ermessensfehlgebrauch, der die Anordnung rechtswidrig macht.
Damit ist der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 9. August 2018 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 14. November 2018 aufzuheben.
3. Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung: § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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