Baurecht

Anspruch eines Bauwerbers auf bauaufsichtliches Einschreiten

Aktenzeichen  15 ZB 15.780

Datum:
13.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24998
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2 Hs. 1
FeuV § 9 Abs. 1 Nr. 4 lit. a

 

Leitsatz

Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten auf der Basis von Art. 54 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BayBO verlangt, dass die fragliche Anlage öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt, welche Rechte des Nachbarn schützen. Ferner muss das der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zugunsten eines Einschreitens auf Null reduziert sein (vgl. BayVGH BeckRS 2009, 43669).  (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

5 K 14.988 2015-02-26 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Im Juni 2013 beantragte die Klägerin die Erteilung eines Vorbescheids für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit vier Garagen und fünf Carports auf einem an der Westseite der Münchener Straße im Markt Mering gelegenen Grundstück. Da das Vorhaben bis auf 5,25 m an die nördliche Grenze des Baugrundstücks heranrücken soll und sich hier auf dem benachbarten Grundstück des Beigeladenen ein grenzständiges Gebäude mit dem Kamin einer Feststofffeuerstätte befindet, wurde der Vorbescheid vom 28. Mai 2014 diesbezüglich mit einer Auflage versehen. Danach sind in einem Umkreis von 15 m zur bestehenden Kaminmündung sowie ab einer Höhe von 1 m über dieser Kaminmündung keine zu öffnenden Fenster oder andere Lüftungsöffnungen in der Fassade zulässig.
Die gegen diese Nebenbestimmung erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 26. Februar 2015 ab. Die zulässige Klage sei jedenfalls unbegründet, weil damit ein partielles Genehmigungshindernis – die Einhaltung der Anforderungen des § 9 Abs. 1 Nr. 4a FeuV – dauerhaft beseitigt werde. Die Klägerin verfüge derzeit nicht über eine bestandsgeschützte Nutzung auf dem Baugrundstück, weshalb sie keinen Anspruch darauf habe, dass die zuständige Behörde ihr von § 24 Satz 1 BImSchG eingeräumtes Ermessen zu einem Vorgehen gegen den Betreiber der vorhandenen Feuerungsanlage ausübe und diesen zur Nachrüstung, etwa durch die Erhöhung des Kamins, verpflichte. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Klägerin.
Mit Bescheiden vom 6. März 2015 (Baugenehmigung) und 22. Mai 2015 (Änderungsbescheid) erhielt die Klägerin die Genehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses (8 WE) und 4 Carports auf dem Baugrundstück. Die Baugenehmigung enthält als Auflage 4 eine dem hier streitigen Inhalt des Vorbescheids im Wesentlichen entsprechende Nebenbestimmung; das zweite die Zulässigkeit von Öffnungen in der Fassade ausschließende Maß von 1 m bezieht sich hiernach jedoch auf die Höhe unter der Kaminöffnung und nicht mehr, wie im Vorbescheid, auf die Höhe von 1 m über der Kaminöffnung. Dieses Vorhaben wurde verwirklicht, wobei der Abstand zur nördlichen Grundstücksgrenze geringfügig, um etwa 0,25 m, vergrößert und der Grundriss ebenfalls leicht verändert wurden (jetzt rund 13,25 m x 15,50 m – abgegriffen aus den Eintragungen im BayernAtlas – gegenüber 13,50 m x 15,99 m laut Vorbescheidsplan). Nach Mitteilung des Beklagten sind Klagen der Bauherrin gegen die Nebenbestimmung und von Nachbarn gegen die Baugenehmigung beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängig.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Aus der Sicht des Senats haben weder die weniger als ein Jahr nach dem Erlass des Vorbescheids erteilte Baugenehmigung noch die darin teilweise abweichende Formulierung der Auflage das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin an der Entscheidung über ihr Rechtsmittel im vorliegenden Verfahren entfallen lassen. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung bestand die dreijährige Bindungswirkung des Vorbescheids gemäß Art. 71 Satz 2 BayBO fort (zum durch Rechtsmittel nicht beeinflussten Lauf dieser Frist im Übrigen: BayVGH, U.v. 15.3.2010 – 1 BV 08.3157 – VGHE 63, 151 = juris Ls und Rn. 23 bis 30; B.v. 17.1.2018 – 15 ZB 16.1706 – juris Rn. 10 bis 20). Da die die Klägerin belastende Regelung in die Baugenehmigung übernommen wurde, ist es jedenfalls prozessökonomisch, über diesen Punkt bereits im vorliegenden Rechtsstreit Klarheit zu schaffen.
2. Die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies käme nur dann in Betracht, wenn der Klägerin gegenüber der zuständigen Behörde ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten – hier auf der (sachnächsten) Grundlage von Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO, wonach die Bauaufsichtsbehörden bei der Nutzung von Anlagen darüber zu wachen haben, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden und zu diesem Zweck die erforderlichen Maßnahmen treffen können – gegen den Beigeladenen zustünde und damit zugleich jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt.
Ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten auf der Basis von Art. 54 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BayBO verlangt, dass die fragliche Anlage öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt, die Rechte des Nachbarn schützen. Ferner muss das der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zugunsten eines Einschreitens auf Null reduziert sein (vgl. BayVGH, B.v. 9.9.2009 – 15 ZB 08.3355 – juris Rn. 8).
In diesem Zusammenhang hat sich das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass wegen der im baurechtlichen Rücksichtnahmegebot angelegten Gegenseitigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6/98 – BVerwGE 109, 314 = juris Ls. 4 und Rn. 30) hier als erstes die Bauwerberin die Obliegenheit trifft, durch ihr mögliche und zumutbare Maßnahmen der „architektonischen Selbsthilfe“ die ihrerseits gebotene Rücksicht auf den in der unmittelbaren Umgebung vorhandenen Baubestand zu nehmen. Wie die Landesanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 16. Juni 2015 zutreffend ausführt, hat die Klägerin selbst in ihrer Email vom 30. April 2014 (Bl. 138/138 der Bauakte) die der später festgesetzten Auflage entsprechenden Vorschläge gemacht. Die Bauaufsichtsbehörde durfte daher davon ausgehen, dass diese Maßnahmen möglich und zumutbar sind.
Die von der Klägerin in der Begründung ihres Zulassungsantrags herangezogene Vorschrift des § 24 Satz 1 BImSchG überlässt es ebenfalls der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens durch die zuständige Behörde, ob und gegebenenfalls welche Anordnungen im Einzelfall zu treffen sind. Auf das oben dargestellte Ergebnis hat das keinen Einfluss.
Auf Folgendes sei noch hingewiesen: Im Hinblick auf die in der Baugenehmigung korrigierte und an die Anforderungen des § 9 Abs. 1 Nr. 4 a) FeuV angepasste Formulierung, wonach die Mündungen von Abgasanlagen entsprechend leistungsfähiger Feuerstätten für feste Brennstoffe (bis 50 kW Gesamtnennwärmeleistung) die Oberkanten von Lüftungsöffnungen, Fenstern und Türen um mindestens 1 m überragen müssen, ergeben sich aus der Sicht des Senats ebenfalls keine Gründe für eine Entscheidung des vorliegenden Verfahrens zugunsten der Klägerin. Diese Richtigstellung der materiell gerechtfertigten Anforderungen führt weder in dem gegen die Baugenehmigung anhängigen Verfahren der Klägerin tatsächlich zu einer weitergehenden Beschwer noch begründet sie die Notwendigkeit, die im Vorbescheid offensichtlich nur sprachlich versehentlich falsch formulierte Regelung teilweise zu kassieren. Bei verständiger Würdigung aus der Sicht des Erklärungsempfängers war ohne Weiteres erkennbar, in welche Richtung der Abstand von 1 m wirklich zu messen ist. Der Inhalt der Email eines Vertreters der Klägerin selbst vom 30. April 2014 (vgl. bereits im vorletzten Absatz; Bl. 138/139 der Behördenakte) bestätigt die Richtigkeit dieser Einschätzung. Dort ist konkret von einem Bereich die Rede, der innerhalb des Radius von 15 Meter und höher als 1 Meter unterhalb der Oberkante des Kamins liegt und innerhalb dessen die zur Wohnung im Dachgeschoss rechts liegenden Räume ausschließlich mechanisch belüftet werden sollten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat im Zulassungsverfahren ausführlich Stellung genommen, weshalb es ausnahmsweise der Billigkeit entspricht, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 und § 52 Abs. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben