Baurecht

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, baurechtliche Nachbarklage, Baugenehmigung für Mehrfamilienwohnhaus mit 16 Wohneinheiten, Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans, nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß, Zahl der Vollgeschosse, Traufhöhe und Sockelhöhe, wechselseitiges, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindendes Austauschverhältnis, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  W 5 S 21.74

Datum:
1.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16357
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1
BauGB § 30 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1
BauNVO § 16

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu 1) ¾, die Antragstellerin zu 2) ¼ zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragsteller begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Stadt W. vom 4. November 2020, mit welchem der Beigeladenen die Baugenehmigung zum Neubau eines Mehrfamilienhauses erteilt wurde.
1. Die Antragsteller sind Miteigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung W., …weg … in W. Der Antragsteller zu 1) ist weiterhin Eigentümer des ebenfalls mit einem Wohnhaus bebauten und nördlich an das Grundstück Fl.Nr. …2 anschließenden Grundstücks Fl.Nr. …8 der Gemarkung W., …straße …a in W. Das streitgegenständliche Bauvorhaben soll auf dem westlich der Grundstücke der Antragsteller gelegenen Grundstück Fl.Nr. …4 der Gemarkung W. (Baugrundstück) errichtet werden. Das Bauvorhaben soll im südlichen Bereich des Baugrundstücks, das die Form einer „7“ aufweist, errichtet werden, in dem Bereich, der in westlicher Richtung an das Grundstück Fl.Nr. …2 angrenzt. Im betroffenen Bereich fällt das Gelände von Süd nach Nord deutlich ab.
Das Baugrundstück und das Grundstück Fl.Nr. …8 des Antragstellers zu 1) befinden sich im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite – …tal …“ der Stadt W., in Kraft getreten am 3. Juni 1981. Dieser setzt hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung für den südlichen Bereich des Baugrundstücks ein Allgemeines Wohngebiet fest und im nördlichen Bereich ein Mischgebiet sowie eine Fläche für Gemeinbedarf/Kindergarten. Für das Grundstück Fl.Nr. …8 wurde ein Mischgebiet ausgewiesen. Das Grundstück Fl.Nr. …2 grenzt an das Gebiet des vg. Bebauungsplans an; es liegt außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs. Für das Grundstück Fl.Nr. …4 wurde durch die 1. Änderung des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite (Ehem. … Keller) – …tal 2/6 – Für das Grundstück Fl.Nr. …4“ ein Änderungsverfahren durchgeführt. Der Änderungsbebauungsplan, der am 10. Mai 1989 in Kraft getreten ist, sieht im nördlichen Grundstücksbereich um den ehemaligen … Keller eine private Grünfläche vor, weil hier zwischenzeitlich von einer kartierten Biotopfläche ausgegangen wurde. Im Gegenzug wurde die Bebauungsmöglichkeit im südlichen Grundstücksteil erweitert. Festgelegt wurde hier durch eine zeichnerische Festsetzung ein vergrößertes Baufeld, unter den textlichen Festsetzungen eine Geschossflächenzahl von 0,25 und 0,35, hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse „III/II+D“, in der Legende erläutert als „Talseits 3 Vollgeschosse, bergseits 2 Vollgeschosse, Dachneigung bis 52°, Walmdach, bodenständige Dacheindeckung mit Dachziegeln oder Pfannen“ und unter den weiteren Festsetzungen die Regelung „Talseits darf die sichtbare Sockelhöhe 0,70 m, die Traufhöhe 8,00 m nicht überschreiten“. Im Bebauungsplanänderungsverfahren hatten der Antragsteller zu 1) wie auch weitere Anwohner Einwendungen erhoben.
2. Mit Bauantrag vom 20. Dezember 2018, eingegangen bei der Stadt W. am nächsten Tag, beantragte die Beigeladene die Erteilung der Baugenehmigung (unter acht Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans) für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit 16 Wohneinheiten auf dem Baugrundstück. Nachdem der Bau- und Ordnungsausschuss des Stadtrats der Stadt W. in seiner Sitzung vom 25. März 2020 den Bauantrag abgelehnt hatte, legte die Beigeladene geänderte Planunterlagen mit dem Datum 27. August 2020 vor, denen der Bau- und Ordnungsausschuss in seiner Sitzung vom 26. September 2020 zustimmte.
Mit Bescheid vom 4. November 2020 erteilte die Stadt W. der Beigeladenen die begehrte Baugenehmigung zum Neubau eines Mehrfamilienhauses mit 16 Wohnungen, zwei Dreifachparksystemen, fünf oberirdischen PKW-Stellplätzen und einem Kinderspielplatz. Des Weiteren wurden folgende Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans sowie eine Abweichung erteilt:
„1001
Eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplanes hinsichtlich der festgesetzten Geschossflächenzahl (GFZ zulässig: West Zone A 0,25; Ost Zone B 0,35; geplant: GFZ West 0,30 und Ost 0,33) wird bezugnehmend auf die Überschreitung im Rahmen der West Zone A gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt.
1002
Eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplanes hinsichtlich der festgesetzten Zahl der Vollgeschosse (zulässig: bergseits 2 VG und talseitig 3 VG; geplant: bergseits 3 (sichtbar 2 1/2 VG und talseitig 3 VG) wird gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt.
1003
Eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplanes hinsichtlich der Dachform (zulässig: Walmdach mit DN bis zu 52°; geplant: Flachdach begrünt) wird gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt.
1004
Eine Befreiung hinsichtlich der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze auf der Nordseite durch die Terrassen im Gartengeschoss und die vorgegliederten Balkone im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss (Überschreitung von 1,20 m bis max. 3,20 m) wird gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt.
1005
Eine Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplanes hinsichtlich der sichtbaren Sockelhöhe (zulässig: 0,70 m; geplant: 2,685 m / Gartengeschoss) und der Traufhöhe (zulässig 8,00 m; geplant: Attika 1.OG 9,165 m, Attika Penthouse 10,035 m und Attika Dach 12,635 m) wird gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilt.
2000
Eine Abweichung (Art. 63 Abs. 1 S. 1 BayBO) von der gem. Art. 6 Abs. 5 S. 1 BayBO vorgeschriebenen Tiefe der Abstandsfläche auf der Westseite für die Stützmauer des Grenz-Parkliftes (grundsätzlich erforderlich: von 2,15 m/3,00 m bis max. 4,45 m) wird zugelassen.“
3. Gegen den Bescheid vom 4. November 2020, den Antragstellern zugestellt am 10. November 2020, ließen die Antragsteller am 8. Dezember 2020 durch ihre Bevollmächtigte Klage erheben (W 5 K 20.1994). Sie stellten am 13. Januar 2020 im hiesigen Verfahren den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage W 5 K 20.1994 der Antragsteller anzuordnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Antrag sei zulässig und habe auch Aussicht auf Erfolg. Die streitgegenständliche Baugenehmigung sei rechtswidrig, da die mit der Genehmigung verbundenen Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht hätten erteilt werden dürfen und diese Festsetzungen drittschützend seien. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB, welche hinsichtlich der vorliegend erteilten Befreiungen voll überprüfbar seien, seien nicht erfüllt.
Solle eine Befreiung von drittschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt werden, könne dies nur zugelassen werden, wenn die Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB gerechtfertigt sei. Der Dritte habe hierbei einen Rechtsanspruch auf Einhaltung sämtlicher tatbestandlicher Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB. Werde von nachbarschützenden Festsetzungen abgewichen, so führe jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Die Festsetzungen, von denen hier abgewichen worden sei, seien im vorliegenden Fall nachbarschützend, die Baugenehmigung weiche von diesen Festsetzungen ab, ohne dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorlägen, so dass die Antragsteller in ihren Rechten verletzt seien. Die streitgegenständlichen Festsetzungen beträfen das Maß der baulichen Nutzung. Mithin sei maßgebend für die Frage der nachbarschützenden Wirkung, ob die Festsetzung nach dem Willen des Planungsgebers zumindest auch darauf gerichtet sei, dem Schutz des Nachbarn zu dienen. Der Planungswille der Gemeinde müsse sich dabei aus den Festsetzungen selbst und/oder der Begründung bzw. anderen Willensäußerungen oder Vorgängen im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bebauungsplans ergeben. Im Rahmen der Änderung des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite“ habe die Antragsgegnerin die zulässige Sockelhöhe auf 0,70 m und die zulässige Traufhöhe auf 8,00 m festgelegt. Der hiermit verbundene Drittschutz ergebe sich anhand der Auswertung und Auslegung der dem Bebauungsplan zugrundeliegenden Unterlagen. Das Stadtplanungsamt habe die von den Nachbarn im Bebauungsplanänderungsverfahren vorgebrachten Einwendungen mit der Argumentation zurückgewiesen, dass das geplante Wohnhaus keinen Fremdkörper in der Umgebung darstelle. Weiter sei dargelegt worden, dass die Befürchtung, dass der Baukörper durch ein überhöhtes Sockelgeschoss bzw. talseitig unverhältnismäßig hoch aus dem Gelände herausragen könnte, durch die Beschränkung der Traufhöhe auf maximal 8 m und der sichtbaren Sockelhöhe auf maximal 0,70 m unbegründet sei. Die Antragsgegnerin beschreibe damit ein nachbarliches Austauschverhältnis, mit welchem die spezifische Qualität des Plangebiets und damit dessen Gebietscharakter begründet werden solle und welches sich in den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung abschließend manifestiert habe. Aus der Abwägungsgrundlage ergebe sich weiter, dass die intensivere Nutzung des südlichen Bereichs als Ausgleich dafür vorgesehen sei, dass der nördliche Teil des Grundstücks aufgrund des vorhandenen Biotops nicht genutzt werden solle. In der Begründung sei ausgeführt worden, dass diese intensivere Nutzung den Grundstückseigentümern zuzugestehen sei, „soweit dies städtebaulich vertretbar und unter dem Gesichtspunkt der nachbarlichen Interessen vertretbar“ sei, was hier der Fall sei, weil die entsprechenden Festsetzungen „nicht als ein nachbarbereichsstörendes, für die Umgebung untragbares Bauwerk bezeichnet werden“ könnten. Hieraus lasse sich entnehmen, dass es dem Willen der Antragsgegnerin entsprochen habe, mit den Festsetzungen ein Austauschverhältnis zwischen den Planbetroffenen zu schaffen, die damit zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden worden seien. Wenn die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Antragserwiderung argumentiere, dass die nachbarlichen Belange im Bauplanänderungsverfahren unstreitig als wesentliche, gegeneinander abzuwägende Belange bei den Festsetzungen zur Bauweise berücksichtigt worden seien und hierdurch ein Ausgleich geschaffen worden sei, seien diese Festsetzungen folgerichtig auch nachbarschützend.
Die Baugenehmigung weiche von den nachbarschützenden Festsetzungen der zulässigen Trauf- und Sockelhöhe, der Geschossflächenzahl und der Zahl der Vollgeschosse sowie hinsichtlich der Baugrenze ab, wobei die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt seien. Durch die Abweichung würden die Grundzüge der zugrundeliegenden Planung berührt. Die vorhandenen Planungsunterlagen zeigten, dass die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung Ergebnis eines ausdifferenzierten Abwägungsgefüges seien und bei der Aufstellung des Bebauungsplans von maßgeblicher Bedeutung gewesen seien. Ohne die genannten Festsetzungen wäre der Bebauungsplan in dieser Form nicht aufgestellt worden, da im Umkehrschluss zu der Begründung der Plangeberin dann nachbarliche Interessen beeinträchtigt worden wären. Die Antragsgegnerin führe in ihrer Erwiderung selbst aus, dass in der Bebauungsplanänderung die größtmögliche Bebauung festgelegt worden sei. Durch die streitgegenständlichen Befreiungen werde in dieses Abwägungsgefüge ganz erheblich eingegriffen. Fehl gehe diesbezüglich der Einwand der Antragsgegnerin, dass „in Anbetracht des langwierigen Baugenehmigungsverfahrens und den zahlreich vorgenommenen Umplanungen“ deutlich werde, dass das Planungskonzept unter Beachtung einer nachbarlichen Verträglichkeit umgesetzt worden sei. Vor dem Hintergrund der Verletzung der planerischen Grundzüge sei auch die städtebauliche Vertretbarkeit zu verneinen. Es verbiete sich schon, auf der Tatbestandsseite des Abs. 2 Nr. 2 eine Befreiung zuzulassen, die zwar ihrerseits städtebaulich vertretbar sein möge, aber das planerische Gesamtkonzept berühre oder ihm sogar widerspreche, weil es sich um Festsetzungen handele, denen eine „Grund- oder sonstige Plankonzeption“ zu Grunde liege und die von der Befreiung nicht nur unwesentlich berührt würden. Es sei auch nicht erkennbar, dass sich die Antragsgegnerin mit den nachbarlichen Interessen der Antragsteller auseinandergesetzt habe, sodass dem Abwägungsgrundsatz, der auch im Rahmen der städtebaulichen Vertretbarkeit beachtet werden müsse, nicht genügt worden sei. Das planerische Konzept sei auch insoweit betroffen, als hier eine dreigeschossige Bebauung genehmigt worden sei, in der näheren Umgebung aber ausschließlich eine maximal zweigeschossige Bebauung zu finden sei. Eine Befreiung könne zudem nur erteilt werden, wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei, was hier nicht der Fall sei. Das geplante Gebäude verletze in seiner Gesamtheit die nachbarlichen Interessen und übersteige in dem Ausmaß der genehmigten Bebauung das, was den Antragstellern in ihrer Situation als benachbarte Grundstückseigentümer billigerweise zuzumuten sei. So füge sich das mit drei Vollgeschossen genehmigte Bauwerk nicht in die unmittelbare Umgebung ein, es bilde vielmehr am …weg einen Fremdkörper, was im besonderen Maß zu Lasten der Antragsteller als der unmittelbaren Angrenzer gehe, die der Wuchtigkeit des Baukörpers in besonderem Maße ausgesetzt seien. Die Rücksichtslosigkeit ergebe sich zum einen aus einer erdrückenden Wirkung, verstärkt durch die steile Hanglage und die hinzukommenden Einsichtsmöglichkeiten, und zum anderen auch daraus, dass von insgesamt sechs Festsetzungen, aus der hier eine unzumutbare Betroffenheit der Nachbarn resultiere, befreit worden sei. Die Antragsgegnerin verkenne jedenfalls, dass die erteilten Befreiungen sehr wohl erhebliche Beeinträchtigungen zu Lasten der Antragsteller mit sich brächten.
Die von der Antragsgegnerin im Baugenehmigungsverfahren vorgebrachte Begründung für die Erteilung der streitgegenständlichen Befreiungen könne vorstehende Ausführungen nicht entkräften. Auch wenn die Traufhöhen durch die genehmigte Flachdachbebauung im Falle der Errichtung eines Walmdaches eingehalten würden, wie es die Antragsgegnerin annehme, so seien die konkreten Auswirkungen der Planung dennoch nachteilig, da das Bauvorhaben insgesamt „klotziger“ wirke und die Einblicksmöglichkeiten erhöht würden. Es sei auch nicht vertretbar, wenn durch die Befreiung von der festgesetzten Geschossflächenzahl und der Zahl der Vollgeschosse der Kompromiss der zugrundeliegenden Bauleitplanung durch eine schrittweise Befreiungspraxis ausgehöhlt werde, möge die Befreiung für sich betrachtet auch gering sein. Es seien also die Grundzüge der Planung berührt, was städtebaulich nicht vertretbar sei. Für den Fall, dass die Kammer nicht zu einem nachbarschützenden Charakter der vg. Festsetzungen kommen sollte, sei von einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme auszugehen.
4. Die Antragsgegnerin stellte den Antrag,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage W 5 K 20.1994 abzulehnen.
Zur Begründung wurde vorgetragen: Der zulässige Antrag sei unbegründet, da die im Rahmen der angefochtenen Baugenehmigung erteilten Befreiungen rechtmäßig seien und die Antragsteller nicht in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzten.
Die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung hätten keinen nachbarschützenden Charakter. Dies sei zum Zeitpunkt der Änderung des Bebauungsplans weder planerischer Wille der Stadt W. als Planungsträger gewesen, noch lasse sich eine etwaige nachbarschützende Wirkung aus dem durchgeführten Bauleitplanverfahren ableiten oder durch Auslegung ermitteln. Das Erfordernis zur Bebauungsplanänderung habe aus einer Untersuchung resultiert, bei der festgestellt worden sei, dass für den auf dem Baugrundstück vorgesehenen Kindergarten kein Bedarf mehr bestehe und so eine Neuentwicklung dieser Fläche erforderlich gewesen sei. Ein sachgerechter Ausgleich der wesentlich gegeneinander abzuwägenden Belange des öffentlichen Interesses an der Erhaltung des ökologisch wertvollen Biotops und der Abwendung von Entschädigungsansprüchen, der privaten Interessen der Grundstückseigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …4 an dessen größtmöglicher Ausnutzung sowie der Eigentümer der Nachbargrundstücke an einer aufgelockerten Bebauung anstelle eines massiven Baukörpers sei darin gefunden worden, dass durch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung eine intensive Bebauungsmöglichkeit der verbleibenden Wohnbaufläche südlich am …weg ermöglicht worden sei. Dabei habe man sich offensichtlich an der bestehenden Bebauung in der Umgebung orientiert, um eine geordnete städtebauliche Bebauung zu gewährleisten. Die vorgebrachten nachbarlichen Einwendungen hätten sich im Rahmen der Abwägung nicht durchsetzen können. Entgegen der Ausführungen der Antragstellerbevollmächtigten lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, die im Rahmen des Bauleitplanverfahrens einen planerischen Willen zur Schaffung eines wechselseitigen Austauschverhältnisses zwischen den Planbetroffenen und der Bildung einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft erkennen ließen. Nachbarliche Belange seien hierbei in angemessener Weise berücksichtigt worden, ohne ihnen eine drittschützende Wirkung zukommen zu lassen.
Von den Festsetzungen des Bebauungsplans sei rechtmäßig entsprechend den Anforderungen des § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB befreit worden. Das stadtplanerische Grundkonzept, welches der Bebauungsplanänderung zugrunde liege, werde durch die erteilten Befreiungen nicht tangiert. Durch die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der Darstellung der Baugrenzen habe aufgrund der Ausweisung der privaten Grünfläche im nördlichen Grundstücksbereich unter Berücksichtigung der nachbarlichen Bebauung die größtmögliche Ausnutzung der verbleibenden Teilfläche des Baugrundstücks für Wohnungsbau erzielt werden sollen. Diese Grundzüge der Planung und die im Rahmen des Bauleitplanverfahrens gegeneinander abgewogenen Interessen würden durch die erteilten Befreiungen nicht berührt. Vielmehr werde in Anbetracht des langwierigen Baugenehmigungsverfahrens und der Umplanungen deutlich, dass hierbei das Planungskonzept einer intensiven Bebauung entlang des …wegs unter Beachtung einer nachbarschaftlichen Verträglichkeit umgesetzt worden sei. Die städtebauliche Vertretbarkeit der streitgegenständlichen Befreiungen sei jeweils nicht zu beanstanden, da die Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans mit dem planerischen Grundkonzept vereinbar seien. Der bei den Umplanungen gefundene Interessenausgleich rechtfertige die Erteilung der fünf Befreiungen. Die anfangs an der privaten Grünfläche verlaufende Zufahrt sei zur Wahrung der öffentlichen Interessen an der Erhaltung des Biotops und des schützenswerten Baumbestandes entfallen, so dass die Stellplätze am …weg hätten angeordnet werden müssen. Aufgrund des talseitigen Erscheinungsbildes sei auf das unterste Garagengeschoss verzichtet worden. Die Antragstellerseite trage keine Beeinträchtigungen vor, die für die Nachbarn durch die erteilten Befreiungen in unzumutbarer Weise entstünden. Das Mehrfamilienhaus mit seinen drei Vollgeschossen füge sich in die Umgebungsbebauung ein. Durch die Tiefereinstellung sei die Höhenerscheinung des Baukörpers abgemildert worden und den Befürchtungen einer wuchtigen und erdrückenden Gesamtwirkung für die Nachbarbebauung Rechnung getragen worden. Nachteile für die östlich angrenzenden Grundstücke durch Überschreitung der Baugrenze auf der Nordseite seien nicht zu erkennen. Hinsichtlich der Befreiung von der Geschossflächenzahl sei anzumerken, dass die tatsächliche Geschossfläche für die auf die östliche, an das Grundstück der Antragsteller angrenzende Teilfläche B von 528,96 m² hinter der maximal zulässigen Fläche von 560 m² zurückbleibe. Die Plangegenüberstellung Walmdach – Flachdach zeige auf, dass das Mehrfamilienwohnhaus bei einer bebauungsplankonformen Walmdachausführung deutlich höher herausragen und sich dadurch nachteiliger für die Nachbarschaft auswirken würde. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens seien die berührten privaten und öffentlichen Belange umfassend gewürdigt und gegeneinander abgewogen worden. Die streitgegenständlichen Befreiungen stellten für die Nachbarn keine unzumutbare und gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende Belastung dar.
5. Die Beigeladene äußerte sich (auch im Klageverfahren) nicht und stellte keinen Antrag.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wenden (§ 212a BauGB). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Stadt W. vom 4. November 2020 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind; insoweit ist die Stadt W. hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332; B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
Für eine Verletzung des Abstandsflächenrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 6 BayBO) zu Lasten der Antragsteller ist nichts ersichtlich, insbesondere werden vorliegend die Abstandsflächen gemäß der Vorschrift des Art. 6 BayBO zu den Grundstücken der Antragsteller eingehalten. Die Abstandsflächenvorschriften sind seitens des streitgegenständlichen Bauvorhabens zum östlichen Nachbargrundstück Fl.Nr. …2 – und erst recht zum nordöstlich gelegenen Grundstück Fl.Nr. …8 des Antragstellers zu 1) -sowohl zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung (vgl. Abstandsflächenplan zur Baugenehmigung) als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Neuregelung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 2021: 0,4 H) eingehalten. Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften zu Lasten der Antragsteller wurde von deren Bevollmächtigten schon nicht geltend gemacht. Die gemäß Art. 63 BayBO erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften für die Stützmauer des Grenz-Parkliftes betrifft das westlich an das Baugrundstück angrenzende Nachbargrundstück und so die den Anwesen der Antragsteller abgewandte Seite, so dass hierdurch von vornherein eine Beeinträchtigung der Antragsteller in tatsächlicher wie auch rechtlicher Hinsicht ausscheidet.
Aber auch aus bauplanungsrechtlichen Gründen spricht nach summarischer Prüfung nichts für einen Erfolg der Antragsteller im Hauptsacheverfahren. Im vorliegenden Fall ist nach Überzeugung der Kammer ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO) nicht gegeben.
2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich hier nach § 30 Abs. 1 BauGB, da das Vorhaben im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite“ der Stadt W., in Kraft getreten am 3. Juni 1981, in der Fassung der 1. Änderung „…weg – …straße – Südseite (Ehem. … Keller) – …tal 2/6 – Für das Grundstück Fl.Nr. …4“, in Kraft getreten am 10. Mai 1989, liegt. Das Bauvorhaben entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, die im Übrigen erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans verletzen die Antragsteller nicht in ihren subjektiven Rechten.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt hier wegen der geplanten Geschossflächenzahl in der West Zone A von 0,30 statt 0,25, der geplanten bergseitigen drei Vollgeschosse statt der festgesetzten zwei Vollgeschosse, des geplanten begrünten Flachdaches statt eines Walmdaches (Dachform), der Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze auf der Nordseite durch die Terrassen im Gartengeschoss und die vorgegliederten Balkone im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss in einer Größenordnung von 1,20 m bis max. 3,20 m und hinsichtlich der geplanten sichtbaren Sockelhöhe hinsichtlich des Gartengeschosses von 2,685 m statt der festgesetzten Höhe von 0,70 m sowie der geplanten Traufhöhe hinsichtlich der Attika im 1. OG von 9,165 m, der Attika Penthouse von 10,035 m und der Attika Dach von 12,635 m an Stelle der festgesetzten Traufhöhe von 8,00 m gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans.
Nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und (1) Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder (2) die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder (3) die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und wenn die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
2.2. Hinsichtlich des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 31 Abs. 2 BauGB) muss unterschieden werden, ob die Festsetzung, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dient oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung. Im zweiten Fall fehlt es an einer solchen Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift aufgrund unzutreffender Annahme der Befreiungsvoraussetzungen. Der Nachbarschutz richtet sich dann nach den Grundsätzen des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme, das aufgrund der gemäß § 31 Abs. 2 BauGB gebotenen „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findet (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2020 – 9 CS 19.1514 – juris Rn. 14).
Ob und inwieweit eine Norm des Bauplanungsrechts betroffenen Nachbarn Abwehrrechte einräumt, ist grundsätzlich durch Auslegung zu ermitteln. Dies gilt auch für die Festsetzungen eines Bebauungsplans, die gemäß § 10 Abs. 1 BauGB normativen Charakter haben (OVG Hamburg, U.v. 14.7.2008 – 2 Bf 277/03 – juris Rn. 22 m.w.N.). Während Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung grundsätzlich generell und unabhängig davon, ob der Nachbar durch die gebietswidrige Nutzung unzumutbar oder auch nur tatsächlich spür- und nachweisbar beeinträchtigt wird, schon kraft bundesrechtlicher Vorgabe als drittschützend angesehen werden (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – juris Rn. 3 m.w.N.; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 12), wobei als wesentlich hierfür das wechselseitige Austauschverhältnis durch Regelung und Ausgleich der verschiedenen Nutzungen aufgrund der Festsetzungen des Bebauungsplans angesehen wird, folgt aus Art. 14 GG kein Gebot, Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (§§ 16 ff. BauNVO) drittschutzfreundlich auszulegen. Ob der Plangeber eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung auch zum Schutze des Nachbarn trifft oder ausschließlich objektiv-rechtlich ausgestaltet, darf er regelmäßig selbst und ohne Bindung an das Eigentumsrecht des Nachbarn entscheiden (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 11; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 17). Dabei dient ein Bebauungsplan mit Rücksicht auf seine städtebauliche Ordnungsfunktion für das Plangebiet zunächst öffentlichen Interessen (OVG Hamburg, U.v. 17.1.2002 – 2 Bf 359/98 – juris Rn. 46), weshalb seine Festsetzungen in erster Linie aus städtebaulichen Gründen getroffen werden. Dasselbe gilt für Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche i.S. von § 23 BauNVO (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 17; B.v. 5.8.2019 – 9 ZB 16.1276 – juris Rn. 5 m.w.N.), zur Bauweise (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290) sowie für weitere Festsetzungen, die nicht die Art der baulichen Nutzung betreffen.
Von einer neben diese Ordnungsfunktion tretenden nachbarschützenden Wirkung einer Festsetzung ist daher ausnahmsweise erst dann auszugehen, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden planerischen Willen erkennbar sind. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 23; zusammenfassend BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris Rn. 11; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3; B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14; B.v. 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 21.5.2019 – 1 CS 19.474 – juris Rn. 4; B.v. 7.10.2019 – 1 CS 19.1499 – juris Rn. 17).
Die nachbarschützende Wirkung einer derartigen Festsetzung kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch daraus ergeben, dass die Festsetzungen nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen. In solchen Fällen eines wechselseitig verbundenen, nachbarlichen Austauschverhältnisses kommt den Festsetzungen nach ihrem objektiven Gehalt Schutzfunktion zugunsten der an dem Austauschverhältnis beteiligten Grundstückseigentümer zu. Denn der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses, in dem der nachbarliche Interessenkonflikt durch Merkmale der Zuordnung, der Verträglichkeit und der Abstimmung benachbarter Nutzungen geregelt und ausgeglichen ist (BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364, 375). Dieser Gedanke – so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 9. August 2018 (4 C 7.17 – juris Rn. 15 f., sog. „Wannsee-Entscheidung“) – prägt nicht nur die Anerkennung der drittschützenden Wirkung von Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung (BVerwG, Ue. vom 23.8.1996 – 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364, 375 und vom 24.2.2000 – 4 C 23.98 – juris Rn. 14), sondern kann auch eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung rechtfertigen. Stehen solche Festsetzungen nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis, kommt ihnen nach ihrem objektiven Gehalt Schutzfunktion zugunsten der an dem Austauschverhältnis beteiligten Grundstückseigentümer zu. Daraus folgt unmittelbar, dass der einzelne Eigentümer die Maßfestsetzungen aus einer eigenen Rechtsposition heraus auch klageweise verteidigen kann. Entscheidend ist danach, dass ein Eigentümer Verstöße gegen dieses Konzept, wie es in den Maßfestsetzungen zum Ausdruck kommt, geltend machen darf. Nachbarschutz auf der Grundlage eines wechselseitigen Austauschverhältnisses ist nicht von einer konkreten Beeinträchtigung des Nachbarn abhängig (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 22).
Das Konzept als Grundlage des wechselseitig verbundenen, nachbarlichen Austauschverhältnisses ergibt sich aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Festsetzungen des Bebauungsplans, nicht nur beschränkt auf die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzungen, sondern insbesondere unter Einschluss der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und ggf. von weiteren Festsetzungen wie z.B. zu den überbaubaren Grundstücksflächen und Grünflächen (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, Stand 139. EL August 2020, § 31 BauGB Rn. 69c). Festsetzungen eines Bebauungsplans können – je nach den Umständen des Falles – Teil eines Austauschverhältnisses sein, wenn mit ihnen die spezifische Qualität des Plangebiets (oder auch nur eines seiner Baugebiete) und damit dessen Gebietscharakter begründet werden soll. Das setzt eine konzeptionelle Einbindung einer derartigen Ausweisung in den Bebauungsplan voraus (OVG Hamburg, B.v. 25.6.2019 – 2 Bs 100.19 – juris Rn. 29 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 21.12.1994 – 4 B 261.94 – juris Rn. 10). Derartige Festsetzungen müssen in einem vergleichbaren Maße wie die Bestimmung der Art der baulichen Nutzung den besonderen Gebietscharakter formen, wobei sie nicht notwendigerweise der Art der baulichen Nutzung zu dienen haben. Ob ausnahmsweise ein derartiges wechselseitiges Austauschverhältnis vorliegt, muss im Einzelfall durch Auslegung des Bebauungsplans ermittelt werden. Anhaltspunkte hierfür können sich aus der Begründung und den Aufstellungsakten des Bebauungsplans ergeben (vgl. König/Petz in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 16 Rn. 45).
2.3. Die Auslegung des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite – …tal “ der Stadt W. (in Kraft getreten am 3.6.1981, künftig: Bebauungsplan) und der 1. Änderung des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite (Ehem. … Keller) – …tal 2/6 – Für das Grundstück Fl.Nr. …4“ (in Kraft getreten am 10.5.1989, künftig: Änderungsbebauungsplan) ergibt, dass sich ein Wille der plangebenden Gemeinde, den Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche, zur Zahl der Vollgeschosse, der Geschossflächenzahl, der Sockel- und Traufhöhe und zur Dachform, von denen im Rahmen der Baugenehmigung Befreiungen erteilt worden sind, drittschützende Wirkungen zukommen zu lassen, weder dem Bebauungsplan (also dessen Planzeichnung und textlichen Festsetzungen) noch dessen Begründung und den vorgelegten Verfahrensakten entnehmen lässt. Eine nachbarschützende Wirkung kann zum einen den einzelnen Festsetzungen des Bebauungsplans und des Änderungsbebauungsplans, von denen die Antragsgegnerin Befreiungen erteilt hat, nicht zugesprochen werden (unten 2.3.1.), zum anderen liegt auch kein wechselseitiges, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindendes Austauschverhältnis vor (unten 2.3.2.).
2.3.1. Der Wortlaut der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, nämlich zur Geschossflächenzahl, zur Zahl der Vollgeschosse und zur Höhe baulicher Anlagen, zur überbaubaren Grundstücksfläche, nämlich zu den Baugrenzen, und zu den ortsgestalterischen Festsetzungen, nämlich zur Dachform, sowie die Begründung des Bebauungsplans und des Änderungsbebauungsplans hierzu zeigen keine nachbarschützende Intention auf.
Der Bebauungsplan legt eine Geschossflächenzahl von 0,30, 0,35 und 0,60 fest, trifft Festsetzungen zur Zahl der Vollgeschosse zwischen eins und drei zuzüglich Dachgeschoss und legt Baugrenzen fest. In der Begründung des Bebauungsplans mit dem Datum 17. Dezember 1979/2. Juli 1980 (S. 1 f.) wird hierzu ausgeführt, dass für die Abrechnung der Straßenbaukosten die Festlegung des Maßes der baulichen Nutzung (Geschossflächenzahl) notwendig sei. Das Maß der baulichen Nutzung werde unter entsprechender Berücksichtigung der vorhandenen Durchschnittswerte für den größten Teil des Gebietes mit einer Geschossflächenzahl von 0,30 bzw. 0,35 festgelegt. Insoweit lässt sich eindeutig erkennen, dass die Plangeberin den vg. Festsetzungen des Bebauungsplans ausschließlich eine städtebauliche Ordnungsfunktion beigemessen hat.
Im Änderungsbebauungsplan werden für das Baugrundstück zeichnerisch eine Geschossflächenzahl von 0,25 (West Zone A) bzw. 0,35 (Ost Zone B), talseits drei Vollgeschosse und bergseits zwei Vollgeschosse zuzüglich Dachgeschoss festgesetzt, unter den „Weiteren Festsetzungen“ wird festgelegt, dass talseits die sichtbare Sockelhöhe 0,70 m und die Traufhöhe 8,00 m nicht überschreiten darf; des Weiteren werden durch zeichnerische Festsetzungen Baugrenzen sowie ein Walmdach bei einer Dachneigung bis 52° festgelegt. In der Begründung („Planung“, S. 8) wird lediglich dargelegt, dass als bebaubare Grundstücksfläche ein „Baufenster“ entlang des …weges in der Größe von 16 m x 33 m ausgewiesen werde. Hierauf könnten entweder zwei einzelstehende Häuser oder auch zwei aneinandergebaute Wohnhäuser (Doppelhäuser) mit einer Geschossflächenzahl von 0,25 bzw. 0,35 errichtet werden. Die Geschossanzahl könne zwei Vollgeschosse zur Bergseite (…weg) und drei Vollgeschosse zur Hangseite betragen. Das 52 Grad-Dach könne voll ausgebaut werden. Bezüglich der möglichen Ausnützung des Gesamtgrundstückes für Wohnungsbau (Geschoßfläche) sei hiermit eine Lösung erreicht, die für die Grundstückseigentümer gegenüber dem rechtsverbindlichen Bebauungsplan keine Verschlechterung bedeute. Insoweit hat die Plangeberin den vg. Festsetzungen des Bebauungsplans ausschließlich eine städtebauliche Ordnungsfunktion beigemessen.
Auch die Festsetzung des Änderungsbebauungsplans über die sichtbare Sockelhöhe von 0,70 m und die Traufhöhe von 8,00 m hat keinen nachbarschützenden Gehalt. Wenn die Antragstellerseite insoweit vorbringt, dass sich eine drittschützende Wirkung unmittelbar aus der zitierten Abwägungsentscheidung des Stadtplanungsamts sowie aus der Begründung des Bebauungsplans, in dem auf die begrenzte Trauf- und Sockelhöhe Bezug genommen werde, ergebe, kann dem die Kammer nicht folgen. Ausweislich der Planbegründung vom 26. August 1987/23. November 1988 wie auch der – nahezu inhaltsgleichen – Behandlung der Bedenken und Anregungen durch das Stadtplanungsamt vom 26. Oktober 1988 hat die Stadt W. bei der Aufstellung des Änderungsbebauungsplans eine „Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen untereinander und gegeneinander“ (vgl. Ziffer 3. der Planbegründung) vorgenommen. Als einzelne Schritte hat es dabei zunächst eine „Ermittlung und Zusammenstellung der privaten Interessen“, nämlich der des Grundstückseigentümers und der des Grundstücksnachbarn Fl.Nr. …4 (vgl. Ziffer 3.a der Planbegründung), sodann eine „Ermittlung und Zusammenstellung der öffentlichen Belange“ (vgl. Ziffer 3.b der Planbegründung), eine „Gewichtung der abzuwägenden Belange“ (vgl. Ziffer 3.c. der Planbegründung) und schließlich eine „Abwägung der öffentlichen Belange untereinander“, eine „Abwägung der privaten Interessen untereinander“ und abschließend eine „Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen“ (vgl. Ziffer 3.d – f der Planbegründung) durchgeführt. Dabei hat die Stadt W. bei dem Abwägungsschritt „Ermittlung und Zusammenstellung der öffentlichen Belange“ dargelegt, dass das „öffentliche Interesse an der Durchführung der intensiveren Bebauung am …weg (Schließung des Baufensters) aus folgenden Gründen (bestehe:) (…). Am …weg, am Weg … … … und an der …straße stehen in unmittelbarer Umgebung des geplanten Baues mehrere Häuser (sowohl Doppelwie Einzelhäuser) mit bis zu 4geschossiger Bebauung, die auch im Ausmaß der überbauten Grundfläche dem Neubau (ca. 16 x 33 m) nicht zurückstehen (…). Das geplante Wohnhaus stellt also durchaus keinen Fremdkörper in dieser Umgebung dar. Die Befürchtung, dass der Baukörper durch überhöhtes Sockelgeschoss usw. talseitig unverhältnismäßig hoch aus dem Gelände herausragen könnte und hier bis zu 4 Geschossen und mehr in Erscheinung treten könnten, wird durch die Beschränkung der Traufhöhe auf maximal 8 m und der sichtbaren Sockelhöhe auf max. 70 cm unbegründet. (…). Es ist unvermeidbar, den Grundstückseigentümern der Fl.Nr. …4, die aufgrund öffentlicher Interessen auf die Ausnützung des größten Teils ihres Grundstücks verzichten müssen, als Ausgleich eine intensivere Nutzung des verbleibenden Grundstücksteiles am …weg zuzugestehen, soweit dies städtebaulich und unter dem Gesichtspunkt der nachbarlichen Interessen vertretbar ist. Und dies ist hier ohne Zweifel der Fall: Eine Gesamtgrundfläche für das Doppelwohnhaus von ca. 16 x 33 m, eine Geschossflächenzahl von 0,25 und 0,35, 2 Geschosse am …weg, talseitige Traufhöhenbeschränkung auf maximale 8 m können nicht als ein nachbarbereichsstörendes, für die Umgebung untragbares Bauwerk bezeichnet werden“ (vgl. Planbegründung S. 6 f.).
Hieraus wird deutlich, dass sich die Stadt W. als Plangeberin umfassend mit den öffentlichen Belangen wie auch den Belangen der Grundstückseigentümer, die für die Planung sprechen, auseinandergesetzt hat. Aus der Begründung des Änderungsbebauungsplans lässt sich auch entnehmen, dass sich der Plangeber ausgiebig mit den privaten Belangen des Grundstücksnachbarn auseinandergesetzt und diese in die Abwägung nach § 1 Abs. 6 BauGB einbezogen hat. Die Stadt W. kommt dann zu der Abwägungsentscheidung, dass das öffentliche Interesse, verbunden mit dem Interesse der Grundstückseigentümer an einer intensiveren Bebauung am …weg „dem Wunsch der Nachbarn des Grundstücks Fl.Nr. …4 auf Reduzierung des geplanten Bauvolumens (…) vorzuziehen“ (vgl. Planbegründung, S. 8) sei. Der Plangeber hat sich mithin – wie es das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB erfordert – auch mit den privaten Belangen des Nachbarn auseinandergesetzt. Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass der Plangeber dem Nachbarn darüber hinaus eigene Abwehrrechte hat einräumen wollen, dass er den nachbarlichen Belangen nachbarschützende Wirkung hat zumessen wollen.
2.3.2. Der nachbarschützende Charakter der streitgegenständlichen Festsetzungen ergibt sich – entgegen der Meinung der Antragstellerseite – vorliegend auch nicht aus einer besonderen Konzeption des Bebauungsplans bzw. des Änderungsbebauungsplans. Denn es ist hier nach der von der Kammer durchgeführten Auslegung der streitgegenständlichen Festsetzungen des Bebauungsplans und des Änderungsbebauungsplans unter Heranziehung der Begründung und der Aufstellungsakten nichts dafür ersichtlich, dass der Plangeber die Planbetroffenen in ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis eingebunden hat. Im Einzelnen:
Ziel des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite – …bachtal “ ist es laut der Planbegründung, „das zum größten Teil schon bebaute Gebiet städtebaulich neu zu ordnen und die planungsrechtlichen Voraussetzungen für das Auffüllen vorhandener Baulücken zu schaffen“. Weiter sei es erforderlich, als Ersatz für den Kindergarten … … „die planungsrechtlichen Voraussetzungen für einen neuen Kindergarten in diesem Stadtteil zu schaffen“. Weiter führt der Satzungsgeber zu seiner Motivation für die Aufstellung des Bebauungsplans aus, dass hierdurch „die zum Teil noch unvollendeten Straßenführungen sowie die Einmündungsbereiche des …weges und des Weges … … … in die …straße festgelegt werden“ sollen und „für die Abrechnung der Straßenbaukosten (…) die Festlegung des Maßes der baulichen Nutzung (Geschoßflächenzahl) notwendig“ sei (Begründung, S. 1). Das Maß der baulichen Nutzung werde – so der Satzungsgeber weiter – „unter entsprechender Berücksichtigung der vorhandenen Durchschnittswerte für den größten Teil des Gebietes mit Geschoßflächenzahl von 0,30 bzw. 0,35 festgelegt“ (Begründung, S. 2). Wesentliche Teile der nur vier Seiten umfassenden Begründung des Bebauungsplans beschäftigen sich mit der straßenmäßigen Erschließung des Bebauungsplangebiets und der Verbesserung der bereits vorhandenen, aber schlecht ausgebauten Straßen. Auch hierdurch wird deutlich, dass die wegemäßige Erschließung und die Abrechnung der Straßenbaukosten neben der städtebaulichen Neuordnung des Gebiets das (planerische) Ziel dieses Bebauungsplans sind. Belange der Nachbarn im Baugebiet werden genauso wenig angesprochen oder thematisiert wie eine spezifische Qualität des Wohngebiets oder ein besonderer Gebietscharakter.
Hieraus kann den maßgeblichen Regelungen des Bebauungsplans, auch in Zusammenschau mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zum Maß der baulichen Nutzung und den weiteren Festsetzungen wie auch dem Grünordnungsplan, die allesamt keinerlei Besonderheiten aufweisen, ausschließlich eine städtebauliche, nicht aber eine darüberhinausgehende Zielsetzung dergestalt zugesprochen werden, dass mit den einzelnen Festsetzungen die Nachbarn im Sinne eines besonderen wechselseitigen nachbarlichen Austauschverhältnisses der einzelnen Grundstücke hätten verbunden werden sollen. Insbesondere lässt sich weder den Festsetzungen des Bebauungsplans in zeichnerischer wie auch textlicher Hinsicht noch der Begründung und auch nicht der vorgelegten Aufstellungsakte der geringste Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass der Plangeber mit den Festsetzungen dem vorliegenden Plangebiet eine spezifische Qualität in dem Sinn habe beimessen wollen, dass ein bestimmter Gebietscharakter durch die Kombination von einzelnen (besonderen) Festsetzungen zum Maß beabsichtigt gewesen sei. Es ist vielmehr ein typisches Allgemeines Wohngebiet – bzw. Mischgebiet für das Grundstück Fl.Nr. …8 des Antragstellers zu 1) – für einen Bereich, der bereits überwiegend bebaut war, festgesetzt worden. Die vom Satzungsgeber hierbei verwendeten einzelnen Festsetzungen gehen über das Übliche nicht hinaus und liefern keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass mit ihnen eine spezifische Qualität des Plangebiets und damit ein besonderer Gebietscharakter hätte begründet werden sollen.
Darüber hinaus bleibt noch zu bemerken, dass hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. …2 der Gemarkung W., das im Miteigentum der Antragsteller zu 1) und 2) steht, ein solches Austauschverhältnis der Planbetroffenen schon deshalb auszuscheiden hat, weil dieses Grundstück überhaupt nicht im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans „…weg – …straße – Südseite – …tal “ gelegen ist und somit auch nicht an einem Austauschverhältnis der Planbetroffenen teilnehmen kann. Wie auch derjenige, dessen Grundstück außerhalb des betreffenden Baugebiets gelegen ist, den auf die Art der baulichen Nutzung bezogenen Gebietserhaltungsanspruch nicht geltend machen kann (so ausdrücklich BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55.07 – juris Rn. 6), weil für sein Grundstück nicht das auf die Festsetzung eines Baugebiets beruhende „wechselseitige Austauschverhältnis“ besteht, kann auch derjenige, dessen Grundstück außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegt, eine nachbarschützende Funktion der Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in Bezug auf ein wechselseitig verbundenes, nachbarliches Austauschverhältnis der Planbetroffenen nicht geltend machen.
Nichts Anderes gilt für den Änderungsbebauungsplan „…weg – …straße – Südseite (Ehem. … Keller) – …tal 2/6 – Für das Grundstück Fl.Nr. …4“, wenn dessen räumlicher Geltungsbereich allein auf das Baugrundstück Fl.Nr. …4 beschränkt ist und jedenfalls das Grundstück Fl.Nr. …2 der Antragsteller zu 1) und 2) außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Änderungsbebauungsplans und des Bebauungsplans zum Liegen kommt. Schon aus der Lage außerhalb des Geltungsbereichs folgt, dass ein „wechselseitiges Austauschverhältnis“ zwischen den im Plangebiet gelegenen Baugrundstück des Beigeladenen und dem außerhalb dieses Gebiets gelegenen Grundstück der Antragsteller nicht gegeben sein kann.
Jedenfalls kann die Kammer aus den getroffenen Festsetzungen des Änderungsbebauungsplans auch diesbezüglich keine Anhaltspunkte ableiten, die dafür sprechen würden, dass der Plangeber mit ihnen eine spezifische Qualität des Plangebiets – oder auch nur eines Teilgebiets – und damit dessen besonderen Gebietscharakter in dem Sinn hätte begründen wollen, dass mit diesen die Nachbarn im Sinne eines Austauschverhältnisses der einzelnen Grundstücke hätten verbunden werden sollen. Im Einzelnen:
Anlass für den Änderungsbebauungsplan war eine Untersuchung des Sozialreferates der Stadt W. vom Juli 1983, bei der festgestellt wurde, dass für den ursprünglich auf dem Grundstück Fl.Nr. …4 vorgesehenen Kindergarten mit Kinderspielplatz kein Bedarf mehr besteht. Daraufhin sah sich die Antragsgegnerin aufgrund ihrer Planungshoheit veranlasst, die auf der nördlichen Teilfläche dieses Grundstücks im Bebauungsplan festgesetzte Gemeinbedarfsfläche städtebaulich neu zu entwickeln. Das Ziel der Bebauungsplanänderung wurde in der Begründung zur 1. Änderung in der Folge damit beschrieben, dass eine „Gliederung der gesamten Grundstücksfläche in teils allgemeines Wohngebiet, teils private Grünfläche (…) nun für sinnvoll gehalten“ werde (Begründung des Änderungsbebauungsplans, S. 1). Als wesentlich dabei abzuwägende Belange in diesem Änderungsverfahren werden genannt das öffentliche Interesse an der Erhaltung des ökologisch bedeutsamen Biotops Nr. 117 im nördlichen Grundstücksbereich und die Abwendung drohender Entschädigungsansprüche aufgrund des Wegfalls der Bauflächen im nördlichen und zentralen Bereich, die privaten Interessen der Grundstückseigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …4 an dessen größtmöglicher Ausnutzung, jedenfalls aber daran, als Ausgleich für die freizuhaltende Grundstücksfläche ein größeres Bauvolumen am …weg zu erhalten, sowie die Interessen der benachbarten Grundstücke Fl.Nr. …8 und …2 an einer aufgelockerten Bebauung bzw. daran, das Bauvolumen auf ein kleines, eingeschossiges Wohnhaus möglichst niedrig zu halten (vgl. Begründung des Änderungsbebauungsplans, S. 1 ff.).
Der Plangeber hat einen sachgerechten Ausgleich aller abzuwägenden öffentlichen und privaten Belange schließlich darin gefunden, am …weg ein Baufenster in der Größe von 16 m auf 33 m auszuweisen, das durch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung dem Grundstückseigentümer eine intensive Bebauungsmöglichkeit zuspricht. Im Rahmen der Abwägung wurde dabei auch darauf eingegangen, dass am „…weg, am Weg zur Neuen Welt und an der …straße in unmittelbarer Umgebung des geplanten Baues mehrere Häuser (sowohl Doppelwie Einzelhäuser) mit bis zu 4geschossiger Bebauung (stehen), die auch im Ausmaß der überbauten Grundfläche dem Neubau (ca. 16 x 33 m) nicht zurückstehen. Daß der größte Teil dieser Häuser vor dem Krieg errichtet wurde, also ca. 40 bis 50 Jahre bestehen, spielt für die Beurteilung der Situation keine Rolle“ (vgl. Begründung des Änderungsbebauungsplans, S. 6). Der Plangeber hat sich mithin hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung auch an der Umgebungsbebauung orientiert, um eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu gewährleisten. Er hat auch die vorgebrachten nachbarlichen Einwendungen und dabei insbesondere den Wunsch nach einer eingeschossigen lockeren Bebauung im östlichen Bereich des Baugrundstücks im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung nach § 1 Abs. 7 BauGB eingebracht und bewertet, wobei sich diese hierbei nicht durchsetzen konnten (vgl. Begründung des Änderungsbebauungsplans, S. 8: „Dem Interesse der Grundstückseigentümer von Fl.Nr. …4 (…) verbunden mit dem öffentlichen Interesse (…) muß gegenüber dem Interesse des Nachbarn der Fl.Nr. …4, dieses Bauvolumen durch Beschränkung auf ein kleines Einzelhaus möglichst niedrig zu halten (…), der Vorzug gegeben werden“).
Insoweit hat die Antragsgegnerin im Rahmen der Aufstellung des Änderungsbebauungsplans entsprechend § 1 Abs. 7 BauGB (lediglich) eine Abwägung der relevanten öffentlichen und privaten Belange vorgenommen, nicht aber – wie die Antragstellerseite meint – ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis begründet. Denn nicht jede – der Natur der Sache nach immer auf den Ausgleich unterschiedlicher Interessen und Belange gerichtete – städtebauliche Erwägung kann ein für den Drittschutz maßgebliches Austauschverhältnis begründen; das Vorliegen eines wechselseitig verbundenen, nachbarlichen Austauschverhältnisses wird nicht schon aufgrund der nach § 1 Abs. 7 BauGB stets gebotenen Abwägung der gegenläufigen privaten und öffentlichen Belange durch den Plangeber begründet (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, § 31 BauGB Rn. 69c; Wolnicki, jurisPR-ÖffBauR 11/2020, Anm. 1 C.III.2). Eine derartige Sondersituation, die zu einem solchen wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis führen würde, lässt sich hier aber gerade den Aufstellungsakten und insbesondere der Begründung wie auch dem Zusammenspiel der maßgeblichen Festsetzungen nicht entnehmen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Plangeber mit dem Änderungsbebauungsplan bzw. durch die Kombination von einzelnen (besonderen) Festsetzungen einen spezifischen Gebietscharakter hätte begründen wollen, zumal der Änderungsbebauungsplan nur ein Grundstück umfassen soll und angrenzende Grundstücke (insb. die der Antragsteller) nicht in die Planung einbezogen wurden. Dem Satzungsgeber ging es nicht um die Erhaltung eines irgendwie gearteten spezifischen Charakters des Baugebiets, sondern um eine Abwägung verschiedener öffentlicher und privater Interessen.
Nach allem kommt die Kammer nach der durchgeführten Auslegung zu dem Ergebnis, dass den Festsetzungen, von denen die Antragsgegnerin im Rahmen des streitgegenständlichen Bescheides Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB erteilt hat, keine nachbarschützende Wirkung beizumessen ist.
2.3.3. Mangels Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans kommt es auf die Frage, ob bei der Erteilung der Befreiungen alle Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB vorlagen und insgesamt hierbei eine ermessensfehlerfreie Entscheidung getroffen wurde, daher vorliegend nicht an.
2.4. Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten der Antragsteller wird auch das Gebot der Rücksichtnahme durch die erteilten Befreiungen nicht verletzt.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von – wie hier – nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans die Rechte des Nachbarn verletzen kann, ist im Rahmen der Würdigung nachbarlicher Belange nach den Maßstäben zu beantworten, die das Bundesverwaltungsgericht zum Gebot der Rücksichtnahme i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO entwickelt hat (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris; vgl. auch BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Wird von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erteilt, so hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5). Drittschutz im Falle einer Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung besteht vielmehr nur dann, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Ihm kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Antragstellern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 35 Rn. 80).
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben der Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf die Grundstücke der Antragsteller im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Im Einzelnen:
Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ergibt sich nicht allein aus der Vielzahl der erteilten Befreiungen. Entscheidend ist vielmehr, ob aufgrund der Belastungswirkungen, die aus den Befreiungen – einzeln wie in der Gesamtwirkung – folgen, eine unzumutbare Betroffenheit des Nachbarn resultiert (BayVGH, B.v. 6.3.2007 – 1 CS 06.2764 – juris Rn. 32 f.). Die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans überschreiten weder einzeln noch in ihrer Summe die Schwelle des den Antragstellern im Rahmen des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses noch Zumutbaren.
Eine Verletzung von Nachbarrechten durch die Überschreitung der in der West Zone A festgesetzten Geschossflächenzahl von 0,25 auf die genehmigte Geschossflächenzahl von 0,30 scheidet schon deshalb aus, weil sich die West Zone A auf der von den Antragstellern abgewandten Grundstücksseite des Baugrundstücks befindet, und sich insoweit eine intensivere Bebauung nicht belastend auf die östlichen Grundstücksnachbarn niederschlägt. Hinzu kommt, dass hinsichtlich der den Antragstellern zugewandten Ost Zone B die festgesetzte Geschossflächenzahl von 0,35 nicht ausgeschöpft wird, sondern hier nur eine Geschossflächenzahl von 0,33 in Anspruch genommen wird. Die Überschreitung der Baugrenze im Norden bezieht sich ausschließlich auf die Terrassen im Gartengeschoss und die vorgegliederten Balkone im Erdgeschoss und 1. Obergeschoss und entfaltet ebenfalls keine unzumutbaren Auswirkungen auf die östlich bzw. südöstlich gelegenen Nachbargrundstücke.
Gleiches gilt für die von der Antragsgegnerin erteilten Befreiungen hinsichtlich der im Bebauungsplan festgesetzten Zahl der Vollgeschosse von zwei bergseits (geplant und genehmigt sind drei Vollgeschosse), von der festgesetzten Dachform als Walmdach mit einer Dachneigung bis zu 52° (geplant und genehmigt ist ein begrüntes Flachdach) und der festgesetzten sichtbaren Sockelhöhe von 0,70 m (geplant und genehmigt: 2,65 m Gartengeschoss) und der festgesetzten Traufhöhe von 8,00 m (geplant und genehmigt Attika 1. OG 9,165 m, Attika Penthouse 10,035 m und Attika Dach 12,635 m). Insoweit ist zwar der Antragstellerseite zuzubilligen, dass die intensivere Bebauung zu zusätzlichen Einsichtsmöglichkeiten führt. Allerdings müssen die Antragsteller die Möglichkeit der Einsichtnahme in ihr Grundstück hinnehmen. Das öffentliche Baurecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Der Nachbar hat insbesondere keinen Rechtsanspruch darauf, dass Räume, Fenster und Balkone des Bauvorhabens so angeordnet werden, dass sein Grundstück nicht oder nur eingeschränkt eingesehen werden kann (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand 139. EL Okt. 2020, Art. 66 Rn. 440). Das bauplanungsrechtliche Gebot des Einfügens bezieht sich nur auf die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmale der Art der baulichen Nutzung, des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche. Die Möglichkeit der Einsichtnahme ist – als nicht städtebaulich relevant – davon nicht angesprochen (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89 – juris Rn. 7 und B.v. 3.1.1983 – 4 B 224.82 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 15 CS 12.1852 – juris Rn. 11). Das Gebot der Rücksichtnahme bietet in aller Regel keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten auf Grundstücke (vgl. BayVGH, B.v. 6.8.2010 – 15 CS 09.3006 – juris Rn. 28; OVG Schleswig, B.v. 16.10.2009 – 1 LA 42/09 – juris Rn. 11; VGH Mannheim, B.v. 3.3.2008 – 8 S 2165/07 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblicksmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn durch das neue Bauvorhaben unmittelbare Einsichtsmöglichkeiten aus kurzer Entfernung in Wohnräume geschaffen werden, zumal in rückwärtig gelegene Räume, die sich wegen ihrer Lage besonders zur Nutzung als Schlafräume anbieten (so OVG Thüringen, B.v. 11.5.1995 – 1 EO 486/94 – juris Rn. 51 und OVG Bremen, B.v. 14.5.2012 – 1 B 65/12 – juris Rn. 16) oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 12.12.2011 – 2 M 162/11 – juris Rn. 13).
Des Weiteren ist der Antragstellerseite zuzubilligen, dass die intensivere Bebauung zu einer Erhöhung von Emissionen und einer insgesamt wuchtigeren Bauweise führt. Eine derart erhebliche Belastung bzw. Einschränkung von Nutzungsmöglichkeiten für die Grundstücke der Antragsteller ist damit aber nicht verbunden, dass sie durch die erteilten Befreiungen in ihren geschützten Rechten verletzt wären. Die vorgelegten Planunterlagen geben keine Hinweise darauf, dass die Grundstücke der Antragsteller erhebliche Einbußen an Belichtung, Belüftung und Besonnung erfahren werden.
Die erteilten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans wirken sich nach allem – sowohl einzeln als auch in ihrer Gesamtheit betrachtet – allenfalls unerheblich auf die Nachbargrundstücke der Antragsteller aus.
Schließlich kann nicht die Rede davon sein, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen eine erdrückende oder einmauernde Wirkung auf die Anwesen der Antragsteller hervorruft.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Insbesondere besteht für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes grundsätzlich dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes oder wenn die Gebäude so weit voneinander entfernt liegen, dass eine solche Wirkung ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30; B.v. 8.2.2017 – 15 NE 16.2226 – juris Rn. 22; B.v. 23.8.2018 – 1 NE 18.1123 – juris Rn. 24; VGH BW, U.v. 15.9.2015 – 3 S 975/14 – BauR 2015, 1984 = juris Rn. 29).
Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen den Antragstellern gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, kann nicht gesehen werden. Es ist nicht erkennbar, dass die Zulassung des abstandsflächenrechtlich zulässigen Gebäudes die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der Antragsteller überschreiten würde. Wie bereits dargelegt hält das streitgegenständliche Bauvorhaben die Abstandsflächenvorschriften der Bayerischen Bauordnung zum östlichen Nachbargrundstück Fl.Nr. 1192 – und erst recht zum nordöstlich gelegenen Grundstück Fl.Nr. 1188 des Antragstellers zu 1) – sowohl zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung (vgl. Abstandsflächenplan zur Baugenehmigung) als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Neuregelung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 2021: 0,4 H) ein. Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften zu Lasten der Antragsteller wurde von deren Bevollmächtigten schon nicht geltend gemacht. Auch wenn aus einer Nichteinhaltung bauordnungsrechtlich geforderter Abstandsflächen nicht automatisch auf eine unzumutbare Beeinträchtigung und damit auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 10 m.w.N.), scheidet eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots regelmäßig aus tatsächlichen Gründen aus, wenn die Vorgaben des Art. 6 BayBO eingehalten sind (zu dieser Indizwirkung vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 15.2.2019 – 9 CS 18.2638 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf die Anwesen der Antragsteller scheidet hier sowohl von den Ausmaßen als auch von der baulichen Gestaltung aus. Hinzu kommen die für ein Wohngebiet nicht unerheblichen Abstände zwischen dem Bauvorhaben und den Wohngebäuden der Antragsteller: So liegt das Wohnhaus der Antragsteller auf dem Anwesen Fl.Nr. …2 ca. 25 m vom Vorhaben des Beigeladenen entfernt, zum Wohnhaus des Antragstellers zu 1) auf dem Grundstück Fl.Nr. …8 beträgt der Abstand vom Bauvorhaben sogar 37 m. Schließlich ist auch noch in den Blick zu nehmen, dass die Bebauung des gesamten Baugrundstücks, das in Nord-Süd-Ausdehnung eine Länge von knapp 120 m aufweist, sich lediglich auf eine Länge von ca. 19 m (einschließlich Terrasse und Balkon) beschränkt, mithin ein großer Bereich der westlich der Antragstellergrundstücke gelegenen Fläche von einer Bebauung frei bleiben wird.
Nach allem ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass das Vorhaben der Beigeladenen den Anwesen der benachbarten Antragsteller förmlich „die Luft nimmt“, weil es derartig übermächtig wäre, dass das Wohngebäude auf dem Nachbargrundstück nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 23 f. m.w.N.).
3. Nachdem die Klage der Antragsteller nach allem voraussichtlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse der Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Da sich die Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es nicht der Billigkeit, ihre eventuell entstandenen außergerichtlichen Aufwendungen den Antragstellern aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache für jedes Nachbargrundstück, für das Abwehrrechte geltend gemacht werden, einen Streitwert von jeweils 10.000,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben