Baurecht

Baugenehmigung, Bebauungsplan, Bescheid, Festsetzungen, Wohnhaus, Nachbarschutz, Plangebiet, Bebauung, Streitwertfestsetzung, Anfechtungsklage, Naturschutz, Gemarkung, Verletzung, Drittschutz, aufschiebende Wirkung, Anordnung der aufschiebenden Wirkung, Art der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  Au 4 S 21.2371

Datum:
29.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45992
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung des bestehenden Zweifamilienhauses um drei Wohneinheiten auf dem Grundstück Fl.Nr. A/1 der Gemarkung *.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des westlich gelegenen Grundstücks Fl.Nr. A/2 der Gemarkung *. Beide Grundstücke sind jeweils mit einem selbst genutzten Wohnhaus bebaut und befinden sich im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans * „*“ vom 24. November 2020, welcher in diesem Bereich Festsetzungen zum Maß nicht aber zur Art der baulichen Nutzung enthält. Beim Plangebiet handelt es sich um ein locker bebautes Villenviertel in der sogenannten „*“ mit einer überwiegend aus den 1960er und 1970er Jahren stammenden Bebauung mit Ein- bis Zweifamilienhäusern. Ziel des Bebauungsplans ist es, eine verträgliche Baudichte zuzulassen. Der Bebauungsplan enthält auch Festsetzungen zur Grünordnung und zum Naturschutz.
Die Beigeladenen beantragten mit Formblatt vom 19. April 2021 die Erteilung einer Baugenehmigung zum Umbau und Erweiterung des bestehenden Zweifamilienhauses um drei Wohneinheiten.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2021, der Antragstellerin zugestellt am 22. Oktober 2021, wurde den Beigeladenen die Baugenehmigung mit Auflagen u.a. zur Grünordnung erteilt. Danach sind für den mehrstämmigen Laubbaum südlich des geplanten Neubaus ein Ersatz zu pflanzen (Ziff. 4.6.), die Bäume auf dem Grundstück dauerhaft zu erhalten und zu pflegen (Ziff. 4.7) sowie die unbebauten Grundstücksflächen mit Ausnahme der notwendigen Zufahrten und Zugänge als offene Vegetationsfläche mit Erhaltung der natürlichen Bodenfunktion zu belassen (Ziff. 4.8). Weiter enthalten sind Vorgaben für Fällung von Bäumen und Gehölzen auf dem Vorhabengrundstück.
Hiergegen ließ die Antragstellerin am 18. November 2021 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erheben, über die noch nicht entschieden ist (Au 4 K 21.2370). Zugleich ließ sie im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 14. Oktober 2021 anzuordnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die angegriffene Baugenehmigung die auf dem Grundstück der Antragstellerin in unmittelbarer Grenznähe befindliche Buche nicht ausreichend berücksichtige. Diese drohe im Zuge der Baumaßnahmen abzusterben, weil zur Durchführung des Vorhabens überragende Äste dieses fast 20 m hohen und rund 100 Jahre alten Baums beseitigt werden müssten. Infolge der Baumaßnahme komme es zur Bodenverdichtung durch Baufahrzeuge. Die Vorgaben des Bebauungsplans * „*“ zum Baumerhalt bzw. für den Fall eines Eingriffs seien in der Baugenehmigung nicht hinreichend beachtet.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 19. November 2021 wurden die Bauherren zum Verfahren beigeladen.
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Schriftsatz vom 25. November 2021 entgegen. Für sie ist beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Baugenehmigung sei zu Recht erteilt worden. Das Vorhaben halte die öffentlichrechtlichen Vorschriften insbesondere auch die Abstandsflächen ein und entspreche den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die gerügte Verletzung naturschutzrechtlicher Bestimmungen eröffne keinen Nachbarschutz, die Antragstellerin könne sich folglich hierauf nicht berufen. Im Übrigen werde der Anbau nicht unterkellert, so dass hier ein Eingriff in das Wurzelwerk des Baumes nicht zu besorgen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 18. November 2021 gegen die den Beigeladenen mit Bescheid vom 14. Oktober 2021 erteilte Baugenehmigung ist zulässig, aber unbegründet.
1. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bau aufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber zu treffen, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen einer Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zugunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also bereits bei summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. Hat dagegen die Anfechtungsklage von Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. (BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 15 CS 21.2447 – juris Rn. 16).
2. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2020 – 10 AS 20.477 – juris Rn. 20) verletzt die mit der Klage angegriffene Baugenehmigung die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren subjektivöffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (sog. Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 4; B.v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 23 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kommt es demnach für die Begründetheit der Klage bzw. des Antrags nicht nur auf eine eventuelle objektive Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 14. Oktober 2021 an. Vielmehr muss die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung die Antragstellerin auch in nachbarschützenden materiellen Rechten verletzen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 22.1.2020 – 15 ZB 18.2547 – juris Rn. 4 m.w.N.; allg. zur Schutznormtheorie: BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 15; HessVGH, B.v. 3.3.2016 – 4 B 403/16 – juris Rn. 12; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89).
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das streitgegenständliche Bauvorhaben widerspricht voraussichtlich keinen im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlichrechtlichen Vorschriften, die zu einer Verletzung von Nachbarrechten der Antragstellerin führen.
a) Ein Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften ist nach summarischer Prüfung nicht gegeben. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen folgt aus § 30 Abs. 3 BauGB in Verbindung mit dem Bebauungsplan * „*“. Weder der Bebauungsplan selbst noch die Vorschrift des § 30 BauGB vermitteln Drittschutz (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.10.2006 – 15 CS 06.2184 – juris Rn. 15). Subjektivöffentliche Rechte des Nachbarn können sich allenfalls aus den einzelnen Festsetzungen ergeben, wenn sie über die reine städtebauliche Funktion hinaus auch dem Ausgleich privater Interessen zu dienen bestimmt sind und die betroffenen Eigentümer wechselseitig in ein Austauschverhältnis (Schicksalsgemeinschaft) einbinden (BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – NVwZ 1996, 170/171; BayVGH B.v. 11.8.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 13 f.; Tophoven in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand 1.8.2021, § 30 Rn. 54). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Bebauungsplanes und seiner Festsetzungen gegebenenfalls unter Zuhilfenahme insbesondere der Planbegründung zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4).
Gemessen an diesen Vorgaben ist den der Kammer verfügbaren Unterlagen zum Bebauungsplan (BayernAtlas) nicht zu entnehmen, dass die planende Kommune beim Satzungsbeschluss den Willen hatte, den betroffenen Festsetzungen dritt- bzw. nachbarschützende Wirkung zuzuschreiben, da sich weder unmittelbar dem Bebauungsplan selbst, aus dessen Planzeichnung und textlichen Festsetzungen noch aus dessen Begründung Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die Vorgaben zur Grünordnung/Naturschutz (Nr. 6) oder zum speziellen Artenschutz (Nr. 7) nicht nur städtebaulich bzw. öffentlichrechtlich motiviert waren (vgl. VG München, U.v. 7.6.2021 – M 9 K 20.3065 – juris Rn. 32; VG Ansbach, B.v. 22.5.2020 – AN 17 S 19.02158 – juris Rn. 122; VG Würzburg, U.v. 19.7.2018 – W 5 K 16.931 – juris Rn. 51), sondern (zumindest auch) den Interessen der Nachbarn dienen sollten. Es fehlt dabei an hinreichenden Anhaltspunkten, aus den Festsetzungen einen Schutz der Grundstückseigentümer im Plangebiet abzuleiten, insbesondere in dem Sinne, dass die antragstellerseits in Bezug genommenen Festsetzungen (auch) in deren Interesse im Sinne eines wechselseitigen Austauschverhältnisses erfolgt ist. Vielmehr soll mit diesen Vorgaben den naturschutzrechtlichen Eingriffs- und Zugriffsregelungen aus § 14 und § 44 BNatSchG Rechnung getragen werden (s. S. 19 f. der Begründung des Bebauungsplans und S. 3 f. der Zusammenfassenden Erklärung des Bebauungsplans).
Richtet sich – wie hier – die Vorhabenzulässigkeit im Rahmen der Festsetzungen nach § 30 Abs. 3 BauGB ergänzend nach § 34 BauGB, so bemisst sich der Nachbarschutz insoweit (auch) nach den dort geltenden Grundsätzen. Welche Beeinträchtigungen seines Grundeigentums der Nachbar hinnehmen muss und wann er sich gegen ein Bauvorhaben wenden kann, richtet sich folglich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots, das auch in dieser Vorschrift (§ 34 BauGB) enthalten ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 4).
Allerdings ist vorliegend ein Verstoß voraussichtlich nicht gegeben. Das beabsichtigte Vorhaben hält die landesrechtlich erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin ein (s.u.). Eine Rücksichtslosigkeit des Vorhabens ist mithin nicht zu erkennen.
Auch der Vortrag der Antragstellerin zu der von ihr befürchteten Gefahr für den Baumbestand auf ihrem Grundstück kann nicht zum Erfolg ihres Antrages führen. Die Baugenehmigung wird unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Sollten sich die Befürchtungen der Antragstellerin als berechtigt erweisen und ein einzelner Baum konkret und greifbar bestandsoder umsturzgefährdet werden, ist sie darauf zu verweisen, im Wege des privaten Nachbarrechts ihre Rechte geltend zu machen (vgl. VG Aachen, U.v. 26.8.2008 – 5 K 271/07 – juris Rn. 42). Erst recht steht der Antragstellerin kein Anspruch auf Erhaltung des geschützten Baumbestandes auf einem benachbart liegenden Grundstück zu (BayVGH, U.v. 16.5.1980 – 2 B 1597.79 – juris m.w.N.).
b) Zuletzt werden auch (unstreitig) die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin eingehalten. Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt hier 3 m (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BayBO). Die direkt an der Grundstücksgrenze befindliche Garage ist auch ohne eigene Abstandsflächen zulässig (vgl. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO), da sie die mittlere Wandhöhe von 3 m und die zulässige Gesamtlänge von 9 m nicht überschreitet.
3. Nach alldem wird die von der Antragstellerin erhobene Anfechtungsklage voraus sichtlich erfolglos bleiben. Besondere Gründe, die dennoch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zugunsten der Antragstellerin rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
4. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beilgeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen. Diese haben sich nicht durch die Stellung eines eigenen Antrags in das Kostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO begeben.
5. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9.7.1. und 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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