Baurecht

Baugenehmigung, Bescheid, Bebauungsplan, Gemeinde, Vorhaben, Verletzung, Bauvorhaben, Wohnnutzung, Antragstellung, Berechnung, Bebauung, Landratsamt, Neubau, Verfahren, Kosten des Verfahrens, Zeitpunkt der Antragstellung, gemeinsame Verhandlung

Aktenzeichen  Au 5 K 19.427

Datum:
15.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 43388
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1. Eine Baunachbarklage kann ohne Rücksicht auf die etwaige objektive Rechtmäßig keit oder Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlichrechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind und dieser dadurch in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das objektivrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann.
Der Bescheid vom 20. Februar 2019 verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
2. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Bauvorhaben bau ordnungsrechtlichen Vorschriften widerspricht.
Die Baugenehmigung ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden, in dem die Bauaufsichtsbehörde die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB, Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO, den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1b BayBO, den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1c BayBO, beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO, sowie andere öffentlichrechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlichrechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird, Art. 59 Satz 1 Nr. 3 BayBO, prüft.
2.1 Das Bauvorhaben hält zum Grundstück der Klägerin hin die nach Bauordnungs recht erforderlichen Abstandsflächen ein.
2.1.1 Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 BayBO nach der Wandhöhe. Die Wandhöhe wiederum ist nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand.
Ausgangspunkt für eine korrekte Berechnung der Wandhöhe und der Tiefe der Abstandsfläche vor dieser Außenwand ist danach die Geländeoberfläche auf dem Baugrundstück vor der betroffenen Außenwand. Dabei differenziert der Gesetzgeber seit der Neufassung der Bayerischen Bauordnung im Jahr 2008 nicht mehr zwischen der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche, so dass grundsätzlich auf das vorhandene Geländeniveau auf dem Baugrundstück abzustellen ist. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Geländeoberfläche ohne rechtfertigenden Grund verändert worden ist. Mit oder ohne direkten Bezug zu einem Bauvorhaben herbeigeführte Niveauveränderungen durch Aufschüttungen oder Abgrabungen können zu Lasten des Bauherrn berücksichtigt werden, um einem missbräuchlichen sukzessiven Vorgehen wirksam entgegenwirken zu können. Die Abstandsflächenvorschriften sollen in Gegenwart und Zukunft eine Bebauung gewährleisten, die mit den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und dem gebotenen Nachbarschutz vereinbar ist. Es soll vermieden werden, dass durch Manipulationen des Geländes die gesetzlichen Regelungen unterlaufen werden (BayVGH, B.v. 7.11.2014 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 17.3.2003 – 2 CS 03.98 – juris Rn. 13). Liegt die Veränderung der Geländeoberfläche mehr als 30 Jahre zurück, so ist allein der Zeitablauf ausreichend, um von der Rechtmäßigkeit der Veränderung auszugehen (BayVGH, B.v. 17.4.2015 – 15 CS 14.2612 – juris Rn. 7). Im Einzelfall kann auch eine kürzere Frist ausreichen, um von einer in der Vergangenheit veränderten Geländeoberfläche ausgehen zu können. Dabei kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an (BayVGH, B.v. 7.11.2017 – 1 ZB 15.1839 – juris Rn. 5 m.w.N.).
In den mit einem Genehmigungsvermerk versehenen Plänen „Erdgeschoss/Ansicht Süden“ sowie „Abstandsflächenplan/Ansicht Süden“ werden die vorhandene natürliche Geländeoberfläche an der südwestlichen bzw. südöstlichen Ecke der beiden Baukörper unmittelbar vor der südlichen Außenwand mit ca. 530,35 üNN. und das geplante Gelände mit ca. 530,25 üNN. angegeben.
Es haben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Höhenangaben nicht für die Berechnung der vor der südlichen Außenwand der streitgegenständlichen Gebäude erforderlichen Abstandsflächen herangezogen werden können.
Bei einer am 25. September 2019 im Auftrag der Eigentümerin des Nachbargrundstückes Fl.Nr. II durchgeführten Vermessung wurden auf dem Baugrundstück unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin Höhenkoten von 529,601 m und 529,664 m ermittelt. An denselben Messpunkten unmittelbar an der Grundstücksgrenze, aber auf dem Grundstück der Klägerin, wurden Höhenkoten von 529,518 m und 529,640 m ermittelt. Diese Höhenkoten mögen zwar gegebenenfalls den Schluss zulassen, dass das Grundstück der Klägerin zu diesem Zeitpunkt unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze etwas tiefer lag als das Baugrundstück. Die Geländehöhen unmittelbar entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze sind aber insoweit nicht von entscheidungserheblicher Bedeutung für die Ermittlung der erforderlichen Abstandsfläche, als für die Bestimmung der hier maßgeblichen Geländeoberfläche die Geländehöhe unmittelbar vor der südlichen Außenwand des geplanten Gebäudes maßgeblich ist. Höhenkoten hierzu finden sich in dem Vermessungsbericht nicht.
Das Gericht geht auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen danach von folgender Situation aus.
Ein Indiz dafür, dass das Grundstück Fl.Nr. V der Beigeladenen vor der Bebauung mit dem Stallgebäude im Jahr 1980 höhengleich mit den Nachbargrundstücken Fl.Nrn. I, dem Grundstück der Klägerin, und II, war, lässt sich den Lichtbildern auf Bl. 79 und 80 der Gerichtsakte Parallelverfahren Au 5 K 19.439 entnehmen, die den damaligen Blick vom Grundstück Fl.Nr. I auf das heutige Grundstück Fl.Nr. V, das Baugrundstück, zeigen. In den genehmigten Plänen zu der Baugenehmigung vom 29. Januar 1980 für den Neubau des Stalles sind keine konkreten Höhenangaben für das Baugrundstück enthalten. Den genehmigten Plänen „Schnitt A – A“ lässt sich allerdings entnehmen, dass die Bodenplatten der Hochsilos 1,00 m unter der in dem Plan eingezeichneten Geländeoberfläche und der Bodenplatte des Stalles liegen. Die inzwischen abgebrochenen Hochsilos sind auf dem Lichtbild vom Juli 1981 auf Bl. 166 der Gerichtsakte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes der Eigentümerin des Nachbargrundstückes Fl.Nr. II, Au 5 S 19.1354, abgebildet. Das Lichtbild zeigt darüber hinaus, dass wohl im Zusammenhang mit der Errichtung des Stalles und der Hochsilos auch die bis dahin vorhandene natürliche Geländeoberfläche auf dem Grundstück Fl.Nr. V mit einer Planierraupe großflächig verändert worden ist. Es spricht viel dafür, dass das ursprüngliche natürliche Gelände auf dem Baugrundstück im Zusammenhang mit der Errichtung des Stalles und der Hochsilos bzw. der Güllegruben auf das Geländeniveau gebracht worden ist, wie es sich aus den genehmigten Planunterlagen „Schnitt A – A“ zu der Baugenehmigung vom 29. Januar 1980 ergibt. Auf den Lichtbildern Bl. 53 und Bl. 54 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354 sieht man, wie im Zusammenhang mit der aktuellen Baumaßnahme die Bodenplatten der Hochsilos, die auf den Lichtbildern ca. 1,00 m unter der vorhandenen Gebäudeoberfläche liegen, aus dem Untergrund herausgebrochen werden. Davon ausgehend, dass die Bodenplatten der Hochsilos auch nach den genehmigten Planunterlagen „Schnitt A – A“ zu der Baugenehmigung vom 24. Januar 1980 1,00 m unter der in den damaligen Plänen eingetragenen Geländeoberfläche liegen, lässt sich aus den Lichtbildern Bl. 53 und Bl. 54 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354 daher auch entnehmen, dass das darauf abgebildete ca. 1,00 m höher liegende Gelände nördlich und östlich der Hochsilos noch die Geländehöhe wiedergibt, wie sie bereits dem Lichtbild vom Juli 1981, Bl. 166 der Gerichtsakte, entnommen werden kann. Die Baugenehmigung vom 15. April 1996, mit der der Einbau der zwei Wohnungen in das Stallgebäude genehmigt wurde, enthält im genehmigten Eingabeplan „Grundriss – Schnitte“ die Feststellung „Das bestehende Gelände wird nicht verändert“. Dass diese Feststellung im Rahmen der Nutzungsänderung des ehemaligen Stallgebäudes zu einem Wohngebäude jedenfalls für die Freiflächen nördlich und westlich des ehemaligen Stall- bzw. nunmehrigen Wohngebäudes und den Bereich des ehemaligen Stall- bzw. Wohngebäudes selbst eingehalten worden ist, legen die Lichtbilder Bl. 171 bis 174 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354, die den Baufortschritt von September 1996 bis Dezember 1996 dokumentieren, nahe.
Für den Bereich zwischen der südlichen Außenwand des zum Wohngebäude umgebauten ehemaligen Stalles und der Grundstücksgrenze der Klägerin ergibt sich aus dem genehmigten Plan „Schnitt B – B“ zur Baugenehmigung vom 15. April 1996, dass das dortige Gelände 0,27 m tiefer liegt, als die Oberkante des Fußbodens des Wohnhauses. Dieser Höhenunterschied findet sich in etwa so auch auf dem Lichtbild auf Bl. 196 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354 vom Juni 1997 wieder, dem zu entnehmen ist, dass die Unterkante der Terrassentüren bzw. der Fußboden des Wohnhauses ungefähr diese 0,27 m über dem vorhandenen Gelände liegen. Vergleicht man die Geländeoberfläche der Terrasse auf dem Lichtbild vom Juni 1977 allerdings mit den Lichtbildern der Gerichtsakte Bl. 175 aus dem Verfahren Au 5 S 19.1354 aus dem August 1997 bzw. Bl. 177 aus dem Jahr 1999, spricht einiges dafür, dass in diesem Zeitraum das Gelände vor den Terrassentüren soweit aufgefüllt wurde, dass es nahezu ebenerdig mit der Oberkante des Fußbodens abschloss. Zur Grundstücksgrenze hin fällt das Gelände dann wieder leicht ab und endet ungefähr auf Höhe der Oberkante des Grenzsockels. Wie sich aus dem Lichtbild Bl. 176 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354 ergibt, wurde auch westlich der Terrasse vor der südlichen Außenwand des inzwischen abgebrochenen Wohnhauses das bestehende Gebäude aufgefüllt. Vor der westlichen Außenwand des abgebrochenen Wohnhauses wurde, wie das Lichtbild vom September 1996, Bl. 171 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354, zeigt, ein überdachter Freisitz errichtet, dessen betonierte Bodenplatte über dem umgebenden Gelände liegt. Dieses Gelände ist – wie der Vergleich mit dem Lichtbild vom April 1996, Bl. 167 der Gerichtsakte im Verfahren Au 5 S 19.1354, das den Zustand vor der Umgestaltung des Rinderstalles zu einem Wohnhaus zeigt – unverändert geblieben. Soweit die Klägerin geltend macht, dass über das damalige natürliche Gelände hinaus vor der westlichen Außenwand des zwischenzeitlich abgebrochenen Wohnhauses zu einem späteren Zeitpunkt das Gelände hügelartig aufgeschüttet worden sei, lässt sich das dem Lichtbild auf Bl. 103 der Gerichtsakte so nicht eindeutig entnehmen. Das kann letztlich aber auch dahingestellt bleiben, da – wie die Lichtbilder Bl. 83 bis 85 und Bl. 116 bis 118 der Gerichtsakten zeigen – dort evtl. vorhandene Auffüllungen neueren Datums jedenfalls im Zusammenhang mit der Errichtung des streitgegenständlichen Wohngebäudes wieder beseitigt wurden.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt man auch nicht unter Berücksichtigung der im Verfahren Au 5 K 19.427 in der mündlichen Verhandlung vorgelegten weiteren Lichtbilder Bl. 119 bis 123 der Gerichtsakte im Klageverfahren Au 5 K 19.427 und den von den Beigeladenen vorgelegten Lichtbildern (Bl. 86 bis 89 der Gerichtsakte), die sowohl den aktuellen tatsächlichen Geländeverlauf auf dem Baugrundstück im Bereich des dem Grundstück der Klägerin gegenüberliegenden Wohngebäudes als auch den Geländeverlauf auf dem Grundstück der Klägerin zeigen.
Angesichts dessen hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel daran, dass sowohl die vom … am 25. September 2019 festgelegten Höhenkoten unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze als auch die von den Beigeladenen in den genehmigten Planunterlagen angegebene Geländehöhe unmittelbar vor der südlichen Außenwand der streitgegenständlichen Wohngebäude zutreffend sind.
Maßgeblich für die Ermittlung der Wandhöhe der südlichen, dem Grundstück der Klägerin gegenüberliegenden Außenwand der beiden Wohngebäude des streitgegenständlichen Bauvorhabens und damit der erforderlichen Abstandsflächentiefe ist das natürliche Gelände unmittelbar vor der südlichen Außenwand. Während die zwischenzeitlich abgebrochene südliche Außenwand des Stall- bzw. späteren Wohngebäudes keinen größeren Abstand als 6 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit dem Grundstück der Klägerin aufwies (herausgemessen aus dem genehmigten Grundrissplan zur Baugenehmigung vom 29. Januar 1980), weisen der Teil der südlichen Außenwand des östlichen Gebäudes des streitgegenständlichen Bauvorhabens, der dem Grundstück der Klägerin gegenüberliegt, sowie die südliche Außenwand des westlichen Gebäudes einen Mindestabstand von 7 m (herausgemessen aus dem genehmigten Lageplan) zur gemeinsamen Grundstücksgrenze auf. Das bedeutet, dass sich die südliche Außenwand des streitgegenständlichen Bauvorhabens nördlich der Außenwand der zwischenzeitlich abgebrochenen Außenwand des ehemaligen Stall- bzw. Wohngebäudes befindet. Sie liegt damit auf dem Grundstücksteil, der bereits – wie oben dargelegt – im Zusammenhang mit der Errichtung des Stallgebäudes im Jahr 1980, also vor nahezu 40 Jahren, auf die heute noch vorhandene Geländehöhe aufgefüllt worden ist.
Im Weiteren kann daher von der in den Planunterlagen zugrunde gelegten Geländeoberfläche von 530,35 üNN. als maßgeblichen Bezugspunkt für die Prüfung der Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächentiefe ausgegangen werden.
2.1.2 Ausgehend von der maßgeblichen Höhe des natürlichen Geländes vor der je weils relevanten südlichen Außenwand der beiden Gebäudeteile von ca. 530,35 üNN. ergeben sich danach folgende zum Grundstück der Klägerin hin einzuhaltenden Abstandsflächentiefen.
Die maßgebliche Wandhöhe im Bereich der vor die Außenwand hervortretenden Balkone beträgt 3,755 m. Die nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Abstandsfläche von 1 H liegt nach dem genehmigten Abstandsflächenplan in ihrem vollen Umfang auf dem Baugrundstück (rot gestrichelte Linie). Darüber hinaus lässt sich dem genehmigten Abstandsflächenplan entnehmen, dass die für die Balkone maßgebliche Wandhöhe über die erforderliche Mindestabstandsfläche hinaus einen weiteren Abstand zwischen 0,2 m und 0,8 m zur Grundstücksgrenze der Klägerin einhält.
Die für die im zweiten Obergeschoss umlaufende Attika maßgebliche Wandhöhe beträgt ausweislich des genehmigten Abstandsflächenplans 5,99 m (schwarz gestrichelte Linie). Auch sie liegt nach dem genehmigten Abstandsflächenplan mit 1 H in ihrem vollen Umfang auf dem Baugrundstück und hält zudem noch einen darüber hinausgehenden Abstand zur Grundstücksgrenze der Klägerin zwischen 0,7 m und 1,4 m (herausgemessen aus dem genehmigten Abstandsflächenplan) ein.
Die maßgebliche Wandhöhe, die sich für das zurückgesetzte zweite Obergeschoss ergibt, ist im Plan nicht vermaßt angegeben, lässt sich aber aus dem genehmigten Abstandsflächenplan entnehmen (violett gestrichelte Linie). Sie beträgt (aus dem genehmigten Abstandsflächenplan herausgemessen) 8,4 m, liegt mit 1 H in ihrem vollen Umfang auf dem Baugrundstück und hält darüber hinaus einen weitergehenden Abstand zwischen 1,20 m und 1,80 m (herausgemessen aus dem genehmigten Abstandflächenplan) zur Grundstücksgrenze der Klägerin hin ein.
2.1.3 Soweit die Klägerin geltend macht, dass die Abstände zwischen dem östlichen Gebäudeteil und dem westlichen Gebäudeteil auch unter Berücksichtigung der erteilten Abweichungen nicht den Abstandsflächenvorschriften entsprächen, diese aber erst die Errichtung des Gebäudes im genehmigten Umfang auf dem Baugrundstück ermöglichten und daher zu einer Verletzung nachbarschützender Rechte der Klägerin führten, trägt das nicht. Die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dienen dem Ziel, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung des Nachbargrundstückes sicherzustellen. Zum Grundstück der Klägerin hin werden die Abstandsflächen aber – wie oben dargelegt – in vollem Umfang eingehalten und wird damit der nachbarschützenden Zielsetzung der Abstandsflächenvorschriften ausreichend Rechnung getragen.
Jede Verkürzung der Abstandsflächentiefe kann nur den Eigentümer des Grundstückes in seinen Rechten verletzen, gegenüber dem die Verkürzung vorgenommen wurde (sog. relative Schutzwirkung, vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2020 – 15 B 19.1562 – Rn. 16; BayVGH, B.v. 17.4.2000 – GrS 1/1999 – 14 B 97.2901 – juris Rn. 20; BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 18.11.2019 – 2 CS 19.1891 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 24.3.2020 – 1 ZB 19.659 – juris Rn. 9).
2.1.4 Der streitgegenständliche Bescheid vom 20. Februar 2019 verletzt auch keine brandschutzrechtlichen Vorschriften, denen nachbarschützende Wirkung in Bezug auf das Grundstück der Klägerin zukommt.
Die zeitlich nach dem Baugenehmigungsbescheid vom 20. Februar 2019 mit Bescheid vom 15. März 2019 erteilten Abweichungen, nach denen die Tiefe der Abstandsfläche vor der Außenwand der Produktions- und Lagerhalle auf dem östlich an das Baugrundstück Fl.Nr. V angrenzenden Grundstück Fl.Nr. III auf einer Länge von 12,30 m 0,00 m anstelle der erforderlichen 3,00 m betragen darf und die nordwestliche Gebäudeaußenwand an der Grundstücksgrenze zum Grundstück Fl.Nr. V statt mit Brandwandqualität ohne Feuerwiderstandsdauer bestehen bleiben darf, betrifft die östliche Grundstücksgrenze des Baugrundstückes Fl.Nr. V. Zum Grundstück Fl.Nr. I der Klägerin hin hält die bestandskräftig genehmigte Produktions- und Lagerhalle die erforderliche Abstandsfläche sowie aufgrund des vorhandenen Abstandes auch die brandschutzrechtlichen Vorschriften ein.
Soweit die Klägerin geltend macht, dass die erteilten Abweichungen erst die Situierung und den Umfang der genehmigten Wohnbebauung auf dem Grundstück ermöglichten, ergibt sich daraus keine Verletzung nachbarschützender Rechte der Klägerin. Wie bereits unter 2.1.3 ausgeführt, dienen die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Ziel, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung des Nachbargrundstückes sicherzustellen. Da die Abstandsflächen zum Grundstück der Klägerin hin in vollem Umfang eingehalten werden und damit der nachbarschützenden Zielsetzung der Abstandsflächenvorschriften ausreichend Rechnung getragen wird, verletzt die Verkürzung der Abstandsflächentiefe vor der östlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstückes im Bescheid vom 15. März 2019 keine nachbarschützenden Rechte der Klägerin (sog. relative Schutzwirkung, BayVGH, U.v. 30.9.2020 – 15 B 19.1562 – Rn. 16 m.w.N.).
3. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften, die zu einer Verletzung von Nachbarrechten der Klägerin führen.
Das Vorhaben liegt in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil, für den kein Bebauungsplan existiert. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich daher nach § 34 BauGB.
3.1 Das Vorhaben fügt sich im Hinblick auf die Art der Nutzung in die nähere Umge bung ein.
In der maßgeblichen Umgebung des Baugrundstückes finden sich überwiegend Einfamilienhäuser. Ein Mehrfamilienwohnhaus mit insgesamt 17 Wohneinheiten und Tiefgarage ist in der näheren Umgebung des Baugrundstückes bislang nicht vorhanden.
Gleichwohl steht der Klägerin ein aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO abzuleitender Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebietes nicht zu.
Die Anzahl der Wohnungen ist im Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt (BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77 – juris Rn. 20). Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – juris Rn. 17), weisen die beiden Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 17 Wohneinheiten keine Größe auf, die es rechtfertigen würde, von einer gegenüber den überwiegend vorhandenen Einfamilienhäusern andersartigen Nutzungsart zu sprechen. Auf die Ausmaße des Gebäudes kommt es hierbei nicht an, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht auf das Maß der baulichen Nutzung abstellt (BayVGH, B.v. 8.1.2019 – CS 17.2482 – juris Rn. 16).
Darüber hinaus kann einer Nachverdichtung unter Zulassung von Wohnnutzung über den bislang vorhandenen Umfang hinaus, der zwischenzeitlich nicht mehr nur im Umkreis von Großstädten durchaus üblich ist, nur mit den Mitteln der Bauleitplanung begegnet werden (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 15 m.w.N.).
3.2 Ob sich das Vorhaben auch nach den in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannten weiteren Einfügensvoraussetzungen in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche einfügt, kann vorliegend letztlich dahingestellt bleiben, da Regelungen zum Maß der baulichen Nutzung grundsätzlich nicht nachbarschützend sind (BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26).
3.3 Eine Verletzung von Nachbarrechten der Klägerin kommt daher vorliegend nur in Betracht, wenn sich das Vorhaben ihr gegenüber nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebotes, § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, als rücksichtslos und nicht mehr hinnehmbar darstellen würde.
Hält ein Bauvorhaben den bauordnungsrechtlich nach Art. 6 BayBO für eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung erforderlichen Abstand von dem Nachbargrundstück ein, ist darüber hinaus für das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr. Auch wenn die Verletzung des Rücksichtnahmegebotes nicht in jedem Fall davon abhängt, ob die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind, kommt dem aber durchaus eine indizielle Bedeutung zu und ist bei deren Einhaltung grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – NVwZ-RR 1997, 516; BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 22; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – NVwZ 1987, 34).
Wie unter 2. dargelegt hält das Bauvorhaben der Beigeladenen zum Grundstück der Klägerin hin die nach Bauordnungsrecht erforderlichen Abstandsflächen ein.
Besondere Umstände, bei denen trotz Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, sind zu verneinen.
3.3.1 Eine gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende Riegelwirkung kommt dem streitgegenständlichen Bauvorhaben gegenüber dem Grundstück der Klägerin und der darauf befindlichen Wohnbebauung nicht zu.
Eine gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßende Riegelwirkung oder erdrückende Wirkung einer Baugenehmigung kommt nur bei übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Als Beurteilungsmaßstab dafür, ob von einem Bauvorhaben eine abriegelnde bzw. erdrückende Wirkung auf ein Nachbargrundstück ausgeht, sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens im Vergleich zur Höhe der Gebäude auf dem Nachbargrundstück, die Länge der Gebäude sowie die Entfernung des Gebäudes zur Grundstücksgrenze bzw. der Bebauung auf dem Nachbargrundstück heranzuziehen (BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928: 12-geschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zu zweigeschossigem Nachbarwohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – NVwZ 1987, 34: 11,5 m hohe und 13 m lange Siloanlage in einem Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnhaus).
Der dem Grundstück der Klägerin gegenüberliegende Gebäudeteil weist eine Gesamthöhe von 10,265 m auf, wobei das zweite Obergeschoss hinter die darunterliegende Außenwand zurückweicht und nach den genehmigten Plänen kein Vollgeschoss ist. Selbst wenn das Einfamilienwohnhaus der Klägerin nicht die Gesamthöhe der ihrem Grundstück gegenüberliegenden streitgegenständlichen Gebäude erreicht, haben sich für das Gericht keine konkreten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sich aus der Höhenentwicklung der Gebäude der Beigeladenen ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ergeben könnte, zumal die Grundstücke keine signifikant unterschiedliche Geländehöhe aufweisen. Eine erdrückende Wirkung oder Riegelwirkung ist im Übrigen auch deshalb zu verneinen, weil östlich des Wohnhauses der Klägerin auf einer Länge von 50 m deren Gartenfläche anschließt und das Wohnhaus der Klägerin auch zu der nördlich auf dem Grundstück Fl.Nr. IV vorhandenen Bebauung einen Abstand von mehr als 15 m (herausgemessen aus dem genehmigten Lageplan) einhält.
Angesichts dessen geht von dem Bauvorhaben der Beigeladenen keine einmauernde, abriegelnde oder erdrückende Wirkung auf das Grundstück der Klägerin aus.
3.3.2 Von der Tiefgaragenzufahrt geht ebenfalls keine erhebliche Störung und Be einträchtigung aus. Einstellplätze für Kraftfahrzeuge und auch die dazugehörige Tiefgaragenzufahrt hinsichtlich der von ihnen ausgehenden Geräuschemissionen gehören typischerweise zu Gebieten, die durch Wohnnutzung geprägt sind und deren Auswirkungen deshalb der Nachbarschaft als sozialadäquat zuzumuten sind.
3.3.3 Die Klägerin wird auch bezüglich einer eventuellen nachteiligen Veränderung der bisher bestehenden Aussicht aus ihren Wohnräumen nicht unzumutbar beeinträchtigt, denn die Aufrechterhaltung einer vorhandenen Aussicht ist lediglich eine Chance, die durch das Bauplanungsrecht grundsätzlich nicht geschützt wird (vgl. BVerwG, U.v. 13.6.1969 – DVBl. 1970, 60).
Dem Gebot der Rücksichtnahme lässt sich auch nicht das Recht entnehmen, vor jeglichen Einblicken auf das eigene Grundstück verschont zu bleiben. Auf einen Schutz vor Einsicht in ein Grundstück kann sich der Nachbar regelmäßig nur dann berufen, wenn eine Festsetzung in einem Bebauungsplan diesem Schutz dienen soll (vgl. BayVGH, B.v. 13.7.2005 – 14 CS 05.1102 – juris). Ein solcher Schutz vor Einsicht ist hier bereits mangels Vorliegens eines Bebauungsplanes nicht anzunehmen. Im Übrigen sind gegenseitige Einsichtsmöglichkeiten in bebauten innerörtlichen Bereichen unvermeidbar und hat der Nachbar in der Regel keinen Schutz vor der Schaffung neuer Einsichtsmöglichkeiten in sein Grundstück.
4. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Baugenehmigung vom 20. Februar 2019 keine nachbarschützende Rechte der Klägerin verletzt und die Klage deshalb erfolglos bleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO er stattungsfähig, da sie einen Antrag gestellt und sich am Kostenrisiko beteiligt haben.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben