Baurecht

Baugenehmigung für eine Spielhalle

Aktenzeichen  15 ZB 17.848

Datum:
29.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 141
BayBO BayBO Art. 47 Abs. 3, Art. 81 Abs. 1

 

Leitsatz

Im Berufungszulassungsverfahren sind grundsätzlich alle vom Rechtsmittelführer (fristgemäß) dargelegten Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für den Erfolg des angestrebten Rechtsmittels entscheidungserheblich sein können, auch wenn diese vom Verwaltungsgericht mangels Vortrags im erstinstanzlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden konnten und das Erstgericht mangels entsprechender Anhaltspunkte keinen Anlass hatte, diesbezüglich von Amts wegen zu ermitteln. (Rn. 9)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.916 2017-02-23 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten wird zugelassen.
II. Der Streitwert wird vorläufig auf 59.508,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung („Einbau einer Spielhalle in eine ehemalige Metzgerei“) für das Grundstück FlNr. … der Gemarkung O… (Baugrundstück). Ihr Bauantrag vom 17. Dezember 2015, der mit aktualisierten Plänen vom 11. Februar 2016 korrigiert wurde, wurde bislang von der Beklagten nicht förmlich beschieden.
Mit am 3. Juni 2016 bekannt gemachten Beschluss vom 2. Juni 2016 beauftragte der Stadtrat der Beklagten die Stadtverwaltung, in Fortschreibung der vorbereitenden Untersuchung für das bestehende Sanierungsgebiet „O…“ ergänzende vorbereitende Untersuchungen gem. § 141 BauGB für den Bereich „H… Straße“, in dem auch das Baugrundstück liegt, einzuleiten und durchzuführen. Im Anschluss stellte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Juni 2016 den Bauantrag der Klägerin bis 6. Juni 2017 zurück. Am 24. Juni 2016 erhob die Klägerin beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage mit der sie beantragte, (1) den Zurückstellungsbescheid vom 8. Juni 2016 aufzuheben sowie (2) die Beklagte zu verpflichten, ihr die bauaufsichtliche Genehmigung zur Nutzungsänderung und Einrichtung eine Spielhalle für das Baugrundstück zu erteilen. Mit Urteil vom 23. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage gegen den Zurückstellungsbescheid ab, verpflichtete aber – u.a. weil der Zurückstellungsbescheid nicht für sofort vollziehbar erklärt wurde – die Beklagte, der Klägerin die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Gegen das Urteil haben – nach Maßgabe ihres jeweiligen Unterliegens – sowohl die Beklagte als auch die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt. Die Beklagte hat mit ihrer Zulassungsbegründung einen Ergänzungsbescheid vom 12. April 2017 vorgelegt, mit dem sie die sofortige Vollziehung des Zurückstellungsbescheids vom 8. Juni 2016 anordnete.
Im Anschluss an beiderseitige Erledigungserklärungen im Berufungszulassungsverfahren hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den Zurückstellungsbescheid hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. September 2017 den vorgenannten Streitgegenstand abgetrennt und sodann mit Beschluss vom 18. September 2017 (15 ZB 17.1813) das gerichtliche Verfahren, soweit Gegenstand des Rechtsstreits der Antrag der Klägerin war, den Zurückstellungsbescheid der Beklagten vom 8. Juni 2016 aufzuheben, eingestellt und festgestellt, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 23. Februar 2017 insoweit wirkungslos geworden ist. Im vorliegenden Verfahren verfolgt die Beklagte ihren Berufungszulassungsantrag (hinsichtlich der Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung) weiter.
II.
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 23. Februar 2017 (soweit der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet wurde, die streitgegenständliche Baugenehmigung zu erteilen), ist gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil insoweit – hinreichend dargelegte (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) – ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen.
a) Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf die beantragte Baugenehmigung gem. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO zu, begegnet mit Blick auf den im Zulassungsverfahren erhobenen Einwand der Beklagten zum nicht erbrachten Stellplatznachweis ernstlichen Zweifeln.
Die Beklagte hat vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe die Beklagte unter Verkennung entgegenstehender örtlicher Bauvorschriften i.S. von Art. 81 Abs. 1 BayBO zur Genehmigungserteilung verpflichtet. Es habe übersehen, dass die Klägerin bis zur letzten mündlichen Verhandlung keinen Nachweis der notwendigen Stellplätze nach Maßgabe von Art. 47 Abs. 3 BayBO i.V. mit der am 23. April 2016 in Kraft getretenen Stellplatzsatzung der Beklagten vorgelegt habe. Bei einer beantragten Nutzfläche von 99,18 m² wären hiernach in Anwendung von § 4 Abs. 1, Abs. 5 der Stellplatzsatzung i.V. mit Nr. 10.1 der Anlage 1 zu dieser Satzung unter Anrechnung von zwei fiktiven Stellplätzen für den vormaligen Metzgereibetrieb sechs weitere Kfz-Stellplätze zu schaffen. Auch sei kein – den erforderlichen Stellplatznachweis ersetzender – Ablösevertrag von der Klägerin geschlossen worden. Es sei zu prognostizieren, dass der Stellplatznachweis auf dem Vorhabengrundstück tatsächlich nicht erbracht werden könne. Eine Stellplatzablöse sei nach § 7 Abs. 2 Satz 2 der Stellplatzsatzung bei Vergnügungsstätten nicht zulässig.
Unter Berücksichtigung dieses Vortrags bedarf die Richtigkeit des angefochtenen Urteils am Maßstab von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO weiterer Prüfung, weil ein Erfolg der angestrebten Berufung der Beklagten nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens als möglich erscheint (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 8). Die Klägerin hat nach Maßgabe der von der Beklagten vorgelegten Stellplatzsatzung bislang weder die Herstellung der erforderlichen Stellplätze auf dem Baugrundstück oder in dessen Nähe nachgewiesen (vgl. Art. 47 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 BayBO) noch einen Ablösungsvertrags abgeschlossen (Art. 47 Abs. 3 Nr. 3 BayBO). Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO besteht ein Anspruch auf eine beantragte Baugenehmigung aber nur, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Auch im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gehört die Übereinstimmung eines Vorhabens mit den Anforderungen einer Stellplatzsatzung gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 i.V. mit Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO zum Prüfprogramm (BayVGH, B.v. 21.12.2016 – 9 CS 16.2082 – juris Rn. 26). Selbst wenn – wie von der Klägerin gerügt – das in § 7 Abs. 2 Satz 2 der Stellplatzsatzung geregelte Ablösungsverbot für Vergnügungsstätten unwirksam sein sollte, wäre damit der für den Genehmigungsanspruch erforderliche Stellplatznachweis nach Maßgabe der sonstigen Satzungsbestimmungen – hier insbesondere gem. § 4 Abs. 1, Abs. 5 der Stellplatzsatzung i.V. mit Nr. 10.1 der Anlage 1 nicht automatisch erbracht: Denn diesbezüglich wird in der Rechtsprechung vertreten, dass im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf Genehmigungserteilung der klagende Bauherr nicht geltend machen kann, er habe einen Anspruch auf Stellplatzablösung; ein etwaiger Anspruch auf den Abschluss eines Ablösungsvertrages muss hiernach vielmehr mit einer gesonderten Leistungsklage gegen die Kommune verfolgt werden (vgl. BayVGH, U.v. 10.12.1985 – 26 B 83 A.996 – BayVBl 1987, 85/86; VG München, U.v. 18.11.2013 – M 8 K 12.5721 – juris Rn. 38 ff.; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 47 Rn. 45; vgl. in anderem Zusammenhang BayVGH, U.v. 15.3.1990 – 2 B 89.336 – BayVBl 1991, 246/247).
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es der Beklagten als Rechtsmittelführerin nicht verwehrt, sich im Zulassungsverfahren erstmals auf einen im erstinstanzlichen Verfahren nicht thematisierten Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften (hier: Art. 47 Abs. 3 BayBO i.V. mit der Stellplatzsatzung) zu berufen. Mit Blick auf die Aufgabe der Berufung als zweite Tatsacheninstanz ist auch im Berufungszulassungsverfahren – jedenfalls solange keine Präklusion entsprechend § 128a VwGO i.V. mit § 87b VwGO eingetreten ist – neuer Vortrag von bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vorgelegenen Umständen grundsätzlich nicht ausgeschlossen. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will den Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren in den Fällen eröffnen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist. Diesem Zweck entsprechend sind im Zulassungsverfahren alle vom Rechtsmittelführer (fristgemäß) dargelegten Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die für den Erfolg des angestrebten Rechtsmittels entscheidungserheblich sein können. Dies gilt auch dann, wenn diese Umstände vom Verwaltungsgericht mangels Vortrags im erstinstanzlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden konnten und das Erstgericht mangels entsprechender Anhaltspunkte keinen Anlass hatte, diesbezüglich von Amts wegen zu ermitteln (BVerwG, B.v. 14.6.2002 – 7 AV 1.02 – NVwZ-RR 2002, 894 = juris Rn. 6 ff.; OVG Rh-Pf, B.v. 23.8.2002 – 8 A 11101/02 – juris Rn. 3; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 20).
Nach Aktenlage stellt sich der Sachverhalt hier so dar, dass der beantragte Bauantrag aufgrund des Zurückstellungsbescheids nicht weiter bearbeitet wurde, weil die Beklagte bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht davon ausging, sie sei aufgrund des Zurückstellungsbescheids zur Nichtbescheidung des Bauantrags berechtigt. Vor diesem Hintergrund sowie unter Berücksichtigung des von der Klägerin zitierten Vermerks der Beklagten vom 8. März 2016 (Akte der Beklagten 630/NU-2015-97-1), wonach 9 Stellplätze abzulösen seien, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Einwand des fehlenden Stellplatznachweises aufgrund unzulässiger Rechtsausübung nach Treu und Glauben (etwa aufgrund Verwirkung und / oder widersprüchlichen Verhaltens) nicht erheben könnte, zumal in diesem Aktenvermerk ausdrücklich notiert ist, dass bislang kein Ablösevertrag vorliegt. Auch gibt der Aktenvermerk vom 8. März 2016 für einen Genehmigungsanspruch kraft Zusicherung gem. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG nichts her. Im Berufungsverfahren wird für die Beteiligten Gelegenheit bestehen, hierzu ggf. vertieft einzugehen.
b) Die Frage, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO seitens der Beklagten auch mit Blick auf die nachträgliche Anordnung des Sofortvollzugs des Zurückstellungsbescheids vom 8. Juni 2016 hinreichend geltend gemacht worden sind, bedarf aufgrund der voranstehenden Erwägungen zum Stellplatznachweis keiner Beantwortung mehr (zur Möglichkeit, im Zulassungsverfahren Änderungen der Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen, die erst nach Erlass der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eingetreten sind vgl. BVerwG, B.v. 11.11.2002 – 7 AV 3.02 – NVwZ 2003, 490 = juris Rn. 10 ff.; OVG NW, B.v. 29.4.2011 – 18 A 1491/10 – NVwZ-RR 2011, 623 = juris Rn. 6; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 22). Nachdem die Geltungszeit des Zurückstellungsbescheids zwischenzeitlich ausgelaufen ist (vgl. den Beschluss des Berichterstatters vom 18. September 2017 – 15 ZB 17.1813) und für den Erfolg der hier vorliegenden Verpflichtungsklage die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsverfahrens maßgeblich ist, wird es jedenfalls für die Entscheidung des Senats über die Berufung nicht mehr streitentscheidend darauf ankommen, ob die Zurückstellung und die (nachträgliche) Anordnung des Sofortvollzugs rechtmäßig erfolgten.
c) Soweit es mit Blick auf die Stellplatzproblematik (s.o.) noch darauf ankommt, wird im Berufungsverfahren ferner dem von der Beklagten erhobenen Einwand, dass es sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte handele, die im Mischgebiet planungsrechtlich unzulässig sei, nachzugehen sein.
2. Die vorläufige Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GKG i.V. mit Nr. 9.1.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 (99,18 m² gewerbliche Nutzfläche x 600 Euro/m² = 59.508,- Euro). Die Streitwertfestsetzung orientiert sich insofern an der erstinstanzlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts (zur korrigierten Streitwertberechnung hinsichtlich des mit Beschluss des Senats vom 15. September 2017 abgetrennten Teils vgl. den Einstellungsbeschluss des Berichterstatters vom 18. September 2017 im Verfahren 15 ZB 17.1813).


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