Baurecht

Baugenehmigung für Wohnbauvorhaben, Hinterliegerbebauung, Rechtsschutzbedürfnis wegen dinglicher Lasten auf Baugrundstück, Bestimmtheit der Bauvorlagen, Planungsrechtliche Zulässigkeit, Abgrenzung Innenbereich zum Außenbereich, Maß der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  M 1 K 19.3374

Datum:
19.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40177
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 59
BauGB § 34

 

Leitsatz

Tenor

I. Unter Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2019 wird der Beklagte verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung gemäß dem Bauantrag vom 23. März 2018 zu erteilen.
II. Der Beklagte und die Beigeladene haben je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
I.
Die Verpflichtungsklage ist zulässig, insbesondere besteht für die Klage ein Rechtschutzbedürfnis.
Zwar kann das Rechtsschutzinteresse für eine auf Genehmigungserteilung gerichtete Verpflichtungsklage im Einzelfall fehlen, wenn Ziel der Rechtsverfolgung der Erhalt einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung ist, die sich mit Rücksicht auf rechtliche Verhältnisse – ggf. auch auf solche des Zivilrechts – nicht durchsetzen lässt (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.1993 – 4 B 110.93 – juris Rn. 3). Bloße Zweifel daran, ob der Kläger die beantragte Baugenehmigung verwirklichen kann, genügen hingegen nicht, um ein schutzwürdiges Interesse an der Rechtsverfolgung über eine Verpflichtungsklage zu verneinen.
Ein Anspruch auf Erhalt der Baugenehmigung besteht, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO. Art. 68 Abs. 5 BayBO hebt hervor, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird. Dennoch kann ein Bauantrag zur Entlastung der Behörde von unnötiger und nutzloser Verwaltungstätigkeit wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses als unzulässig angelehnt werden, wenn von vornherein feststeht, dass der Bauherr aus privatrechtlichen Gründen definitiv nicht in der Lage sein wird, das Bauvorhaben auszuführen. Entsprechendes gilt für die hier inmitten stehende Frage des Rechtschutzbedürfnisses. Dieses ist zu verneinen, wenn die dem Begehren entgegenstehenden privaten Rechte Dritter offensichtlich bestehen und deshalb die Baugenehmigung für den Bauantragsteller ersichtlich nutzlos wäre (vgl. BayVGH, U.v. 27.1.2017 – 15 B 16.1834 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die gegen ein Rechtschutzbedürfnis ins Feld geführten dinglichen Rechte zugunsten des Grundstücks FlNr. 2833/1 stehen dem Vorhaben schon nicht entgegen, weil sie aufgrund ihrer Belegenheit nicht von dem Vorhaben berührt werden. Sie kommen im südöstlichen Teil des Vorhabengrundstücks zu liegen und damit in einem anderen als dem mit dem streitgegenständlichen Bauantrag zur Bebauung vorgesehenen Teil. Im Übrigen bestehen privatrechtliche Möglichkeiten zur Umgestaltung und Einigung.
II.
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung der unter dem 23. März 2018 beantragten Baugenehmigung, sodass der Beklagte entsprechend zu verpflichten ist. Der Ablehnungsbescheid vom 31. Mai 2019 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Bauvorlagen sind, jedenfalls unter Berücksichtigung der neu eingereichten Bauvorlagen vom 1. September 2021, hinreichend bestimmt.
Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. Der Lageplan muss den Bestand enthalten (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 BauVorlV), und bei beabsichtigter Beseitigung ist die Lage der zu beseitigenden Anlagen darzustellen (§ 6 Nr. 1 BauVorlV). Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner/Reuber in Busse/Kraus, BayBO, 143. EL Juli 2021, Art. 64 Rn. 75). Dies war bei dem zunächst eingereichten Lageplan vom 24. August 2017 nicht der Fall, weil auf dem Vorhabengrundstück weder der aktuelle Bestand dargestellt war noch die beabsichtigte Beseitigung desselben; die Beseitigung wurde im Übrigen auch nicht in der Beschreibung des Vorhabens genannt. Andererseits war aus den Umständen zu schließen, dass die mindestens teilweise Beseitigung des Bestands beabsichtigt war angesichts der vom Bauherrn geplanten Zuwegung zum Vorhaben, die jedenfalls zum Teil auf der Fläche des Bestandsgebäudes zu liegen kommt.
Der Austauschplan vom 1. September 2021 enthält die fehlenden Darstellungen und ist insoweit hinreichend bestimmt. Die Kammer vermag diesen Bauplan der Entscheidung zugrunde zu legen. Dabei kann offenbleiben, ob es sich um eine bloße Klarstellung handelt, wie die Klagepartei meint. Anderenfalls wäre von einem Tekturantrag auszugehen, dessen Einbeziehung in das Verfahren durch zulässige Klageänderung nach § 91 VwGO erfolgte. Diesbezüglich ist jedenfalls ihre Sachdienlichkeit gegeben, weil der Streitstoff im Wesentlichen der gleiche bleibt und das Bauvorhaben nur unwesentliche Änderungen erfährt.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass mit dem neuen Eingabeplan ein Bauherrnwechsel nicht inmitten steht. Die überarbeitete Eingabeplanung vom 1. September 2021 ist für denselben Bauherrn – die Klägerin – erstellt worden wie der Bauantrag vom 23. März 2018 mit den Planunterlagen vom 24. August 2017, und ist von diesem auch unterschrieben worden. Dies lässt sich zweifelsfrei dem Feld „Bauherr und Antragsteller“ des Eingabeplans vom 1. September 2021 entnehmen.
2. Das Bauvorhaben ist mit den im hier maßgeblichen vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfenden Vorschriften vereinbar. Entgegen der Annahme des Beklagten und der Beigeladenen ist das Vorhaben insbesondere planungsrechtlich (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB) zulässig.
a) Der Vorhabenstandort ist dem Innenbereich (§ 34 BauGB) und nicht dem Außenbereich (§ 35 BauGB) zugehörig.
Ein Vorhaben liegt im Innenbereich, wenn es Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinn des § 34 Abs. 1 BauGB ist. Während die Ortsteilqualität hier nicht zweifelhaft und zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, besteht Uneinigkeit darüber, ob der geplante Standort innerhalb des Bebauungszusammenhangs liegt. Für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs ist maßgebend, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Wie weit der Bebauungszusammenhang im Einzelfall reicht, kann stets nur das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts sein. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (stRspr, vgl. etwa BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28/15 – juris Rn. 5 m.w.N.).
Der Vorhabenstandort auf dem Grundstück FlNr. 2833 steht im Bebauungszusammenhang der Umgebungsbebauung. Zu dieser Überzeugung ist die Kammer angesichts der beim Augenschein vorgefundenen örtlichen Verhältnisse gelangt. Die Kammer berücksichtigte bei dieser Beurteilung weder die vorhandenen Nebengebäude, weil diese grundsätzlich keinen Bebauungszusammenhang zu vermitteln vermögen; auch die vorhandene Vegetation war wegen ihrer Flüchtigkeit bei der planungsrechtlichen Beurteilung hinwegzudenken. Für den hier gegebenen Bebauungszusammenhang spricht maßgeblich die als gering wahrgenommene Entfernung zwischen den Hauptbaukörpern um den Vorhabenstandort herum. Namentlich ist dies die Beziehung zwischen den Hauptnutzungen auf den nördlich gelegenen Grundstücken (FlNrn. 3004/10 und 3004/3) einerseits und denen der südlich gelegenen Grundstücke (FlNrn. 2831, 2831/2) einschließlich der vorhandenen Bebauung auf dem Vorhabengrundstück andererseits; ferner tritt Richtung Osten das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Vorhabenstandort liegende Wohnhaus auf dem Grundstück FlNr. 2833/1 deutlich wahrnehmbar in Erscheinung. Diese vorhandene Bebauung auf drei Seiten wirkt auf den Vorhabenstandort in der Weise ein, dass es als Baulücke wirkt und sich dort die Bebauung zwanglos fortzusetzen vermag. Dabei legt die Kammer die vorhandene Bebauung auf dem südöstlichen Teil des Vorhabengrundstücks zugrunde. Maßstabsbildend ist die vorhandene Bebauung, zu der der Baukörper mit der Hausnummer 18 zählt. Ob auch dem nördlichen Gebäudeteil eine prägende Wirkung zukommt, kann offengelassen werden. Dies ist zweifelhaft, weil nach dem Anschein im Ortstermin der nördliche, ehemals landwirtschaftliche Gebäudeteil offensichtlich ungenutzt und baulich schadhaft ist; er soll beseitigt werden. Zwar prägen auch beseitigte oder nicht mehr genutzte bauliche Anlagen die Eigenart der näheren Umgebung weiter, solange nach der Verkehrsauffassung mit einer Wiederbebauung oder einer Wiederaufnahme der Nutzung zu rechnen ist. Ob dies hier der Fall ist, muss nicht entschieden werden. Denn jedenfalls der südliche Teil des Gebäudes, der sichtlich intakt ist, genutzt wird und nach den Plänen nicht zur Beseitigung ansteht, hat prägende Wirkung und stellt zusammen mit den anderen genannten Gebäuden einen baulichen Zusammenhang her, dem der Vorhabenstandort zugehörig ist.
Der bislang unbebaute Bereich vermag den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit nicht zu unterbrechen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass vom Vorhabenstandort in Blickrichtung Westen eine sich anschließende größere Freifläche wahrnehmbar ist. Es mag zutreffen, dass sich die Freifläche Richtung Westen trichterförmig weitet. Allein dieser Umstand ist jedoch für die hier vorzunehmende Beurteilung des Vorhabenstandorts ohne Belang. Selbst wenn das Ende eines Freiflächen-„Trichters“ als Außenbereich einzuordnen wäre, gibt es keinen Rechtssatz dergestalt, dass dann auch der Beginn des „Trichters“ im Außenbereich liegt. Es kommt vielmehr auch in einem solchen Fall darauf an, ob ein Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit besteht. Bezogen auf den Vorhabenstandort ist die Prägung durch die nahegelegene Umgebungsbebauung erheblich. Eine etwaige Außenbereichsqualität weiter westlich gelegener Grundstücke – die hier nicht streitgegenständlich sind – hätte nicht die Kraft, auf den Vorhabenstandort derart einzuwirken, dass sich der Grundstücksstreifen als „Außenbereichsnase“ darstellt.
Die mittels des BayernAtlas vorgenommene Vermessung der Entfernungen bestätigen die beim Augenschein gewonnenen Eindrücke. Zwischen den jeweiligen Wohnhäusern auf den Grundstücken FlNrn. 3004/10 und 2831/2 liegen ca. 56 m. Die Entfernung zwischen dem Vorhaben (östliche Außenwand) und dem Hauptbaukörper auf dem Grundstück FlNr. 2833/1 beträgt ca. 23 m (herausgemessen aus dem Lageplan der Baueingabe). Die ohnehin geringen Entfernungen unterstreichen den in der eher aufgelockerten Bebauung und angesichts der in der Umgebung vorhandenen Grundstückszuschnitte den Eindruck der Zusammengehörigkeit. Dabei ist der Zuschnitt der Grundstücke, jedenfalls der nördlich gelegenen, mit dem streitgegenständlichen vergleichbar. Der zur Bebauung anstehende Teil des Vorhabengrundstücks misst sogar eine geringere Tiefe als die nördlich gelegenen Grundstücke.
b) Das Vorhaben fügt sich nach der Art, dem Maß und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein.
aa) Die geplante Wohnnutzung ist als Art der Nutzung zulässig und zwischen den Beteiligten nicht streitig.
bb) Das Vorhaben fügt sich auch nach dem Maß in die nähere Umgebung ein.
(1) Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Daraus folgt, dass nicht nur die unmittelbare Nachbarschaft des Baugrundstücks zu berücksichtigen ist, sondern auch die Umgebung insoweit, als ihre Bebauung noch prägend auf das Baugrundstück wirkt. Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Dabei ist die nähere Umgebung für jedes der in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB aufgeführten Zulässigkeitsmerkmale gesondert zu ermitteln, weil die prägende Wirkung der jeweils maßgeblichen Umstände unterschiedlich weit reichen kann. Bei den Kriterien Nutzungsmaß und überbaubare Grundstücksfläche ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2015 – 2 ZB 14.1965 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Nach diesen Vorgaben erstreckt sich die für die Frage des Maßes maßgebliche nähere Umgebung zum einen auf den Bereich zwischen der L.-straße im Norden und Osten sowie der Von-E Straße im Süden. Die Kammer zieht nach den Erkenntnissen des Augenscheins ferner die straßenseitige Bebauung südlich der Von-E Straße sowie östlich der L.-straße in den maßgeblichen Bereich mit ein. Die genannten Straßen weisen angesichts ihrer Breite, ihrer untergeordneten Verkehrsbedeutung und ihres einfach gehaltenen Ausbauzustandes keine trennende Wirkung auf; auch die Entfernungen der dortigen Baukörper zum Vorhabenstandort sind in einer Bandbreite von 50 bis 100 m verhältnismäßig gering. Die wechselseitige Prägung ist ferner unter dem Aspekt zu bejahen, als teilweise, gerade bei Hinwegdenken von Begrünung, auch eine Sichtbeziehung gegeben ist, etwa vom Grundstück FlNr. 2827 zum Vorhabengrundstück.
(2) In die Eigenart der näheren Umgebung fügt sich ein Vorhaben ein, das sich innerhalb des aus seiner näheren Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, es sei denn, es lässt die gebotene Rücksichtnahme auf die in der unmittelbaren Umgebung vorhandene Bebauung fehlen. Im Ausnahmefall kann sich auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des Rahmens hält, noch in seine nähere Umgebung einfügen; Voraussetzung hierfür ist, dass es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen. Bedeutsam für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind solche Maße, die nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten und anhand derer sich die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung leicht in Beziehung zueinander setzen lassen. Ihre absolute Größe nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe, bei offener Bebauung zusätzlich auch ihr Verhältnis zur Freifläche, prägen das Bild der maßgeblichen Umgebung und bieten sich deshalb vorrangig als Bezugsgrößen zur Ermittlung des Maßes der baulichen Nutzung an (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 17; v. 3.4.2014 – 4 B 12/14 – juris Rn. 3). Dabei verbietet sich eine Kombination der in der maßstabsbildenden Umgebung bei einzelnen Gebäuden separat jeweils größten vorzufindenden Faktoren wie Grundfläche, Geschosszahl und Höhe („Rosinentheorie“), weil dadurch Baulichkeiten entstehen, die in ihren Dimensionen kein Vorbild in der näheren Umgebung haben (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 15 ZB 17.985 – juris Rn. 11). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob es ein vergleichbares Gebäude mit derselben Nutzungsart gibt. Denn die Merkmale, nach denen sich ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu prüfen. Fügt sich – wie hier – ein Vorhaben seiner Art nach ein, so kommt es im Rahmen der Prüfung, ob es sich auch seinem Maße nach einfügt, nicht mehr erneut auf seine Art an (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – Rn. 18). Es würde eher zu Spannungen als zu einer harmonischen Weiterentwicklung zusammenhängend bebauter Ortsteile führen, wenn den dort zulässigen baulichen Anlagen unterschiedlicher Art jeweils artspezifisch ein unterschiedliches Maß der Nutzung zugestanden würde. Außerdem würde für ein Vorhaben, das es in der näheren Umgebung bisher noch nicht gibt und das sich gleichwohl seiner Art nach einfügt, der in § 34 Abs. 1 BauGB für das Maß der baulichen Nutzung vorausgesetzte Maßstab fehlen (BVerwG, U.v. 15.12.1994 – 4 C 19/93 – juris Rn. 17).
Das beantragte Bauvorhaben hält das in der näheren Umgebung vorgefundene und verwirklichte Maß der baulichen Nutzung ein. Jedenfalls das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 2827 gegenüber dem Vorhabengrundstück ist in seiner Kubatur mit dem Bauvorhaben vergleichbar.
Das streitgegenständliche Vorhaben ist mit E+I+D geplant und soll über eine Wandhöhe von 6,70 m sowie eine Firsthöhe von 10,64 m verfügen. Die Maße des Gebäudes betragen 21,00 x 11,70 m, damit verfügt es über eine Grundfläche von 245,70 m² auf einem Vorhabengrundstück mit einer Größe von 2.347 m².
Für dieses Maß der baulichen Nutzung ist das von der Klagepartei angeführte Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 2827 Referenzobjekt. Dieses verfügt straßenseitig über einen Wohngebäudeteil (vgl. Fotos Behördenakte S.17 und Fototafel des Gerichts, S. 6 unten) und über einen im rechten Winkel dazu angebauten, mutmaßlich landwirtschaftlichen Gebäudeteil von 45,00 x 12,00 m mit gleicher Firsthöhe. Es hat zum einen eine größere Grundfläche als das Vorhaben; nach Angaben der Klagepartei, die angesichts des Katasterplans nachvollziehbar sind, beträgt diese 586,56 m². Das genannte Gebäude verfügt ebenfalls über E+I+D und weist eine mindestens gleiche Höhenentwicklung zum geplanten Vorhaben auf; die Klagepartei gibt die Firsthöhe des Referenzobjekts konkret mit 11,30 m an. Auch im Hinblick auf das Verhältnis der Bebauung zur Freifläche sind keine nennenswerten Abweichungen erkennbar.
Die Betrachtung weiterer baulicher Anlagen in der Umgebung als Referenzobjekte erübrigt sich daher. Insbesondere muss nicht die Frage beantwortet werden, ob das – bezogen auf alle Parameter mindestens gleich große – Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück angesichts seiner geplanten Beseitigung hierfür herangezogen werden kann.
c) Das Vorhaben fügt sich auch im Hinblick auf die überbaubare Grundstücksfläche ein.
Ein Vorhaben muss sich nach § 34 Abs. 1 Satz 1 auch in Bezug auf die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Dabei kann in entsprechender Weise auf die Merkmale des § 23 BauNVO zu Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen zurückgegriffen werden; maßgeblich ist auch hier das in der näheren Umgebung tatsächlich Vorhandene. Die Kammer teilt die diesbezüglichen Einwände der Beigeladenen nicht. Es wird insoweit vorgetragen, dass das Vorhaben den Rahmen überschreite, den die mit der nördlich der Von-E Straße bandartige Bebauung durch die dort befindlichen Hauptgebäude bilde.
Die Zulässigkeit einer rückwärtigen Bebauung eines Grundstücks hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 142. EL Mai 2021, § 34 Rn. 47 m.w.N.).
Es trifft zu, dass auf den von der Beiladenen genannten Grundstücken drei Doppelhäuser in einzeiliger Straßenbebauung befinden. Diese haben jedoch keine prägende Wirkung im Sinne der Beigeladenen, auch nicht unter Berücksichtigung des auf dem Eckgrundstück FlNr. 2835 liegenden Gehöfts. Mit der Hinterliegerbebauung auf dem neben dem Vorhaben liegenden Grundstück FlNr. 2833/1 besteht bereits eine Bebauung in zweiter Reihe. Diese ist ihrerseits für das Vorhaben der Klägerin maßstabbildend. Auch nach den Eindrücken des Augenscheins vermag die Kammer keinen Grund zu erkennen, diese gegebene Bebauung in Bezug auf das Vorhaben als Fremdkörper zu beurteilen und damit unberücksichtigt zu lassen. Es wäre unzulässig, die Eigenart der näheren Umgebung auf das zu beschränken, was städtebaulich wünschenswert ist. Dabei fällt die vorhandene Hinterliegerbebauung nicht aus dem Rahmen, sondern hat aufgrund ihres Erscheinungsbilds und ihrer Lage die Kraft, die Eigenart der näheren Umgebung und damit des Vorhabenstandorts zu beeinflussen. Es handelt sich dabei um eine in der näheren Umgebung mehrfach anzutreffende Form eines Einfamilienhauses, das in dem – baulich heterogenen – Siedlungsteil nordöstlich der Von-E Straße errichtet worden ist. Es wird dort nicht als gleichsam isoliert dastehend wahrgenommen, sondern steht in einem baulichen Zusammenhang mit den ringsherum liegenden Bauten, die sich ihrerseits durch Kubatur und Lage vielfach voneinander unterscheiden. Die straßenseitige Bebauung insbesondere durch die drei Doppelhäuser, die weiter westlich gelegen sind, hat nicht das Gewicht, dass diese als Regelbebauung angesehen wird. Bodenrechtliche Spannungen, die aus dem beantragten Vorhaben resultieren könnten, sind nicht erkennbar. Für die Verwirklichung von städtebaulichen Wünschen der Beigeladenen wäre auf planungsrechtliche Steuerungsinstrumente zurückzugreifen.
d) Anhaltspunkte dafür, dass das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die sonstige, d. h. vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene, Bebauung fehlen lässt, was im Rahmen des „Einfügens“ geprüft wird, bestehen nicht. Es ist im Übrigen auch kein Planungsbedürfnis oder das Entstehen bodenrechtlicher Spannungen erkennbar. Die Frage der Erschließung löst das Bauvorhaben über das Baugrundstück selbst. Soweit die Beigeladene fürchtet, dass mit Verwirklichung des Vorhabens die weiter westlich gelegenen Grundstücke ebenfalls dem Innenbereich zugerechnet werden könnten, würde es sich dabei gegebenenfalls um eine überschaubare Anzahl an denkbaren Bauvorhaben handeln, deren Erschließung durch den jeweiligen Bauherrn nachgewiesen werden müsste.
e) Soweit das Genehmigungsverfahren die Prüfung der Vereinbarkeit mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften vorsieht (Art. 59 Satz 1 BayBO), vermag die Kammer keine Gründe für die Unzulässigkeit des Vorhabens erkennen, insbesondere sieht die Planung die Schaffung von Stellplätzen gemäß den örtlichen Bauvorschriften vor. Bedenken wurden diesbezüglich auch nicht geltend gemacht.
Nach Vorstehendem ist dem Verpflichtungsbegehren auf Erteilung der Baugenehmigung stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beigeladene war durch Stellung ihres Antrags auf Klageabweisung als Unterliegende an den Kosten zu beteiligen und hat ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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