Baurecht

Beeinträchtigung einer kleinen Hoffläche (verneint)

Aktenzeichen  W 5 S 18.95

Datum:
20.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 4034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 2, § 212a
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
VwGO § 80a Abs. 3, § 113 Abs. 1
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Sind die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften schon nach dem Vortrag der Antragsteller eingehalten, ist für die Prüfung, ob die offenkundig nicht eingehaltene Abstandsfläche zugleich eine Verletzung des Gebotes der Rücksichtnahme darstellt, kein Raum.  (Rn. 28) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. (Rn. 30) (red. LS Alexander Tauchert)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des nahezu vollständig mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …, …-gasse … in W. gegen ein Bauvorhaben des Beigeladenen auf Errichtung einer Doppelgarage mit Carport auf dem südwestlich angrenzenden Grundstück Fl.Nrn. …, … und … der Gemarkung …, …-gasse … in W. (Baugrundstück).
1. Das Wohnhaus der Antragsteller steht auf seiner Nordostseite und seiner Südostseite (zur …gasse) vollständig und auf seiner Nordwestseite zur Hälfte grenzständig. Auf seiner Südwestseite (zum Baugrundstück hin) steht das zweigeschossige Wohngebäude der Kläger im vorderen Bereich (giebelständig), auf einer Länge von ca. 6,50 m grenznah, in einem Abstand von ca. 0,70 m von der Grundstücksgrenze. Im rückwärtigen Bereich hält die Außenwand auf einer Länge von ca. 4,50 m einen Abstand von ca. 4,80 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze ein. Hier befindet sich eine kleine Hoffläche, die zu den Grundstücksgrenzen von einer über 2 m hohen Mauer eingefasst ist.
Das Grundstück des Beigeladenen ist bisher auf seiner gesamten Grenze (ca. 10 m) zum Grundstück der Antragsteller mit einem eingeschossigen Wohnhaus in traufständiger Bauweise (Wandhöhe ca. 3 m) mit Satteldach (Dachneigung ca. 50°, Firsthöhe ca. 7,20 m) bebaut.
Das Baugrundstück wie auch das Grundstück der Antragsteller befinden sich im unbeplanten Innenbereich des Stadtteils … der Stadt Würzburg.
2. Auf die Bauvoranfrage vom 24. August 2014 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen den Vorbescheid vom 15. Dezember 2014 unter dem Betreff „Abriss von Gebäuden, Grundstücksvereinigung (Fl.Nrn. …, … und …, Gemarkung …) und Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit 3 WE, Errichtung eines Anbaues mit Doppelgarage und Carport“. Unter Ziffer III. erfolgte der Ausspruch, dass das Bauvorhaben (Wohngebäude zweigeschossig und Satteldach, Garagengebäude einschließlich Carport eingeschossig und Satteldach) grundsätzlich planungsrechtlich vertretbar sei.
Mit Baugesuch vom 24. August 2017, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 4. September 2017, beantragte die Beigeladene für das Baugrundstück eine Baugenehmigung für den Abriss bestehender Gebäude sowie den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit 3 Wohneinheiten sowie einer Doppelgarage und eines Carports. Ausweislich der Planunterlagen grenzt die Doppelgarage, die zur Brunnfloßgasse einen Abstand von ca. 5 m einhält, mit einer Gesamtlänge von 7,49 m auf einer Länge von 5,40 m an das Grundstück der Antragsteller in dessen rückwärtigen Bereich an. Die Garage ist giebelständig aufgeplant bei einer Wandhöhe zwischen 2,20 m und 2,60 m, einer Firsthöhe von 5,50 m und einer Dachneigung von 45°. An die 5,50 m breite Doppelgarage schließt sich Richtung Südwesten, verbunden durch das Satteldach, ein 3,50 m breiter Carport und hieran das geplante Wohnhaus an.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2017 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren die beantragte Baugenehmigung unter Nebenbestimmungen. Je eine Ausfertigung der Baugenehmigung wurde den Antragstellern am 22. Dezember 2017 gegen PZU zugestellt.
3. Mit der am 22. Januar 2018 erhobenen Klage (W 5 K 18.94) begehrt der Bevollmächtigte der Antragsteller die Aufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 2017, soweit darin eine Baugenehmigung für zwei Garagen und einen Carport erteilt worden ist. Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2018, bei Gericht eingegangen am 22. Januar 2018, stellte er den Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage im Umfang der Anfechtung anzuordnen.
Zur Begründung trug er im Wesentlichen mit Schriftsätzen vom 13. Februar 2018 und 16. März 2018 vor: Die Klage sei begründet, da hier konkret eine Verletzung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in Verbindung mit dem Gebot der Rücksichtnahme vorliege. Die Abwägung der Belange der Antragsteller als Rücksichtnahmeberechtigte mit denen des Nachbarn als Rücksichtnahmeverpflichtete sei im vorliegenden Fall unzureichend. Hinsichtlich der Besonderheiten könne der Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften keine Indizwirkung zugemessen werden. Vielmehr sei zugunsten der Antragsteller in die Abwägung einzustellen, dass der kleine Hof die einzige Freifläche ihres Grundstücks darstelle. Die geplante Bebauung führe zur kompletten Verschattung des Hofs, was zu einer erheblichen Einschränkung der Nutzbarkeit der Freifläche führe. Auch werde die Sicht aus den Fenstern des Wohnhauses der Antragsteller erheblich eingeschränkt. Richtigerweise wären die Interessen der Antragsteller und des Nachbarn dergestalt in Ausgleich zu bringen gewesen, dass – wenn schon nicht gänzlich auf die Grenzbebauung verzichtet werde – jedenfalls nur ein Flachdach auf Garage und Carport genehmigt werde. Hierdurch wäre die abriegelnde Wirkung der Grenzbebauung signifikant reduziert worden. Die Interessen des Nachbarn wären dann allenfalls marginal berührt worden, da die Nutzung des Dachraums über der Garage ohnehin unzulässig sei. Der nicht nutzbare und ausbaufähige Dachaufbau habe, wenn überhaupt, nur ästhetische Gründe für das Erscheinungsbild des Bauvorhabens des Beigeladenen. Diese müssten hinter den Interessen der Antragsteller zurücktreten. Wenn die Antragsgegnerin davon ausgehe, dass durch den geplanten Abriss des Gebäudes auf dem Baugrundstück die Situation hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung des Grundstücks der Antragsteller verbessert werde, sei dies offenkundig unrichtig. Denn bei dem abzubrechenden Gebäude handele es sich um ein traufständiges Gebäude, das eine Höhe von höchstens 3 m an der Grundstücksgrenze aufweise. Nun werde ein giebelständiges Gebäude errichtet mit einer Giebelhöhe von mindestens 5,60 m unmittelbar an der Grenze. Es sei unschwer einzusehen, dass dies zu einer gänzlich anderen Beschattung des Grundstücks der Antragsteller führen werde. Um diese rechtswidrige Bebauung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verhindern, sei die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
4. Die Antragsgegnerin stellte den Antrag,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen: Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2017 sei rechtsfehlerfrei im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren ergangen und begegne planungsrechtlich keinen Bedenken. Hinsichtlich der Grenzgarage sei keine Prüfung des Abstandsflächenrechts erfolgt, der Antragsteller aber anlässlich einer Vorsprache auf die Regelung des Art. 6 Abs. 9 BayBO hingewiesen worden. Bei der Beurteilung, ob die Grenzgarage ggf. aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls unzulässig bzw. das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sei, sei zu berücksichtigen, dass auf dem Baugrundstück auf der gesamten Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze bereits bislang ein Wohnhaus errichtet sei. Dieses sei eingeschossig mit Satteldach (Dachneigung ca. 50°) und weise eine Firsthöhe von ca. 7,20 m auf. Durch den Abriss dieses Gebäudes und der Errichtung einer Grenzgarage auf einer Länge von nur noch ca. 5 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze werde die Situation hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Besonnung für das Grundstück der Antragsteller sogar nachhaltig verbessert. Zudem weise das Anwesen der Antragsteller außer der Hoffläche noch eine bestehende Dachterrasse in gleicher Größenordnung auf, die vom Obergeschoss begangen werde. Durch das streitbefangene Garagengebäude sei keine Beeinträchtigung für die Dachterrasse zu erwarten.
5. Der Beigeladene äußerte sich im hiesigen Verfahren wie auch im Hauptsacheverfahren (bisher) nicht.
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist zulässig.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (§ 80 Abs. 1 VwGO) entfällt vorliegend, weil sie sich gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens wenden (§ 212a BauBG). In einem solchen Fall kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen (§ 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO). Ein derartiger Antrag kann unmittelbar bei Gericht gestellt werden.
2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
Im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO normierten Kriterien. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bzw. seines Widerspruchs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dann von maßgeblicher Bedeutung, wenn nach summarischer Prüfung von der offensichtlichen Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts und der Rechtsverletzung des Antragstellers auszugehen ist. Jedenfalls hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs bei seiner Entscheidung mit zu berücksichtigen, soweit diese sich bereits übersehen lassen (vgl. BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68 und 73 ff.). Sind diese im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen offen, ist eine reine Interessenabwägung vorzunehmen.
Vorliegend lässt sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung anhand der Akten feststellen, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Stadt Würzburg vom 19. Dezember 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird, da der angefochtene Bescheid die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Nach Art. 59 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde aber die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die baulichen Anlagen nach § 29 bis 38 BauGB zu prüfen.
2.1. Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. OVG Münster, B.v. 5.11.2013 – 2 B 1010/13 – DVBl. 2014, 532; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
Im vorliegenden Fall ist nach Überzeugung der Kammer ein derartiger Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO) aber nicht gegeben.
2.2. Offen bleiben kann, ob sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens seiner Art nach nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 (allgemeines Wohngebiet) oder i.V.m. § 3 BauNVO (reines Wohngebiet – so die Antragsgegnerin) richtet. Das Vorhaben des Beigeladenen auf Errichtung der Doppelgarage und des Carports ist jedenfalls nach § 12 Abs. 1 BauNVO zulässig.
Auch im Übrigen bestehen keine rechtlichen Bedenken an der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das Vorhaben des Beigeladenen fügt sich hinsichtlich der allein maßgeblichen vorgenannten Kriterien in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
Im Übrigen werden Nachbarrechte durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann verletzt, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Dies ist aber – entgegen der Ansicht der Antragstellerseite, die ausschließlich eines Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme rügt – (ebenfalls) nicht der Fall. Im Einzelnen:
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Antragstellern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, Vorbem. zu §§ 29 – 38 Rn. 49).
Das streitgegenständliche Bauvorhaben verletzt nach diesen Maßstäben das Rücksichtnahmegebot nicht. Die anhand des Rücksichtnahmegebots durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass die Antragsteller dem Interesse des Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens keine überwiegenden eigenen Interessen entgegenzusetzen haben.
2.3. So spricht vorliegend gegen einen Verstoß des Vorhabens gegen das Rücksichtnahmegebot der Umstand, dass das Vorhaben unstreitig die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO einhält. Die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen, die vor allem den Zielen einer ausreichenden Belichtung, Besonnung und Belüftung der benachbarten Grundstücke dienen, indiziert für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in tatsächlicher Hinsicht, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – NVwZ 1999, 879; U.v. 7.12.2000 – 4 C 3/00 – NVwZ 2001, 58; BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris; B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris). Auch wenn die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften im – hier richtigerweise zugrunde gelegten – vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO nicht mehr zum Prüfungsgegenstand gehört und damit Abstandsflächenrecht nicht Gegenstand der Feststellungswirkung der streitgegenständlichen Baugenehmigung ist (vgl. BayVGH, B.v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – BayVBl 2011, 174; B.v. 7.2.2011 – 2 ZB 11.11 – juris; BayVGH, B.v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris m.w.N.), ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des Wohnfriedens auch städtebauliche Bedeutung haben (BVerwG, U.v. 16.5.1991 – 4 C 17/90 – NVwZ 1992, 165). Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot, das selbständig neben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zu prüfen ist, im Hinblick auf die genannten Belange auch dann verletzt sein kann, wenn die Abstandsflächenvorschriften eingehalten sind (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – NVwZ 1999, 879; s.a. BayVGH, B.v. 21.1.2008 – 15 ZB 06.2304 – juris). Mit diesem Grundsatz lässt sich zwar nicht im Umkehrschluss bei jedem Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot herleiten; diesbezüglich kommt es vielmehr stets auf die tatsächlichen Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls an (BayVGH, B.v. 9.10.2006 – 26 ZB 06.1926 – juris). Es ist aber zumindest bei offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen zu prüfen, ob hierin nicht zugleich auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gesehen werden kann (Wolf in Simon/Busse, BayBO, 128. EL Dez. 2017, Art. 59 Rn. 44). Von derart offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen kann im vorliegenden Fall allerdings keinesfalls die Rede sein, insbesondere zumal der Bevollmächtigte der Antragsteller selbst darauf hinweist, dass vorliegend die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften eingehalten sind. Es ist nicht der geringste Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht gegeben wären.
2.4. Insbesondere kann die Kammer nach summarischer Prüfung eine erdrückende oder einmauernde Wirkung im Hinblick auf die Gebäudehöhe und -länge sowie in Bezug auf die Stellung und Entfernung der Baukörper zueinander zu Lasten der Antragsteller nicht feststellen.
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung (auch) dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zu 2,5-geschossigem Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind u.a. die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung.
Dass das Bauvorhaben des Beigeladenen den Antragstellern gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, hat von vornherein auszuscheiden. Es ist nicht erkennbar, dass die erneute Zulassung eines (jetzt abstandsflächenrechtlich privilegierten) Gebäudes an der Grundstücksgrenze – an dieser Stelle stand bereits bisher ein deutlich größeres Gebäude – die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der Antragsteller überschreiten würde. Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Anwesen der Antragsteller scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Vielmehr überragt die nahe an der Grundstücksgrenze errichtete bauliche Anlage auf dem Grundstück der Antragsteller das geplante Garagengebäude in der Höhe deutlich und auch die Kubatur der jeweiligen Gebäude fällt hier einseitig zu Lasten des Beigeladenen aus.
2.5. Soweit der Bevollmächtigte der Antragsteller vorträgt, dass die Interessen des Nachbarn zurückstehen müssten, da die Nutzung des Dachraums über der Garage ohnehin unzulässig sei und damit der Dachaufbau, wenn überhaupt, nur ästhetische Gründe für das Erscheinungsbild des Bauvorhabens des Beigeladenen habe, wird die Rechtslage verkannt. Denn der Privilegierung nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO unterfällt zwar die ursprünglich im Vorbescheidsverfahren beantragte Nutzung des Dachraumes des Garagengebäudes als Aufenthaltsraum nicht (vgl. Ziffer IV des Vorbescheids vom 15.12.2014). Nach der vg. Vorschrift sind nämlich in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig „Garagen einschließlich deren Nebenräume, (…) mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m“. Entscheidend dafür, ob Räume – insbesondere Dachräume – als (den Garagen zugehörige) Nebenräume in diesem Sinn zu qualifizieren sind, ist, dass sie der Garage funktionell und optisch zu- und untergeordnet sind (Dhom/Franz/Rauscher in: Simon/Busse, BayBO, 128. EL Dez. 2017, Art. 6 Rn. 536; Schönfeld in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Stand 1.12.2017, Art. 6 Rn. 128). Das ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dann der Fall, wenn es sich um einen Dachbodenraum handelt, der nur über die darunter liegende Garage, nicht jedoch vom Hauptgebäude aus zugänglich ist (BayVGH, U.v. 15.12.1986 – 14 B 85 A.2085 und B.v. 21.6.1991 – 2 CS 94.2567 – beide juris), wie es im vorliegenden Fall den genehmigten Planunterlagen zu entnehmen ist.
Auch sonst kann hier von einer einmauernden Wirkung der streitgegenständlichen Garage, die im Unterschied zu dem bisher auf der gesamten Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze von ca. 10 m auf dem Baugrundstück vorhandenen Bebauung nur noch auf der halben Länge errichtet werden soll und deren abstandsflächenrechtlich relevante Höhe nur zwischen 2,20 m und 2,60 m (und damit deutlich weniger als vorher) betragen wird, nicht gesprochen werden. Betrachtet man die von Antragstellerseite mit Schriftsatz vom 16. März 2018 vorgelegten Lichtbilder, gewinnt man den Eindruck, dass sich die Antragsteller vielmehr selbst „eingemauert“ haben. Denn die Lichtbilder zeigen, dass der kleine, Richtung Nordwesten exponierte Hof auf der einzig von einer Bebauung freigehaltenen Fläche des Grundstücks der Antragsteller auch Richtung Südwesten (zur Grundstücksgrenze des Beigeladenen) und Richtung Nordwesten mit einer massiven, augenscheinlich deutlich über 2 m hohen Mauer umfasst worden ist. Dass sich insoweit die Situation auf dem Grundstück der Antragsteller hinsichtlich Belüftung, Belichtung und Besonnung nach Durchführung der streitgegenständlichen Baumaßnahme gegenüber dem bisherigen Zustand deutlich verschlechtern sollte, kann aus Sicht der Kammer ausgeschlossen werden. In diesem Zusammenhang darf auch nicht verkannt werden, dass es sich bei der Hoffläche gerade nicht um einen Wohnbereich bzw. einen zum dauernden Aufenthalt von Personen gedachten Bereich, sondern lediglich um eine Außenfläche handelt.
2.6. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich schließlich auch nicht auf Grund der – nach Auffassung des Bevollmächtigten der Antragsteller – eingeschränkten Aussicht der Antragsteller durch das streitgegenständliche Vorhaben. Denn gerade im innerörtlichen Bereich hat ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten oder bislang nur geringfügig beeinträchtigten Sicht von seinem Wohngebäude aus (vgl. BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris mit Verweis auf BVerwG, B.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – NVwZ 1994, 686).
3. Nachdem die Klage der Antragsteller nach allem voraussichtlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird, überwiegt das Interesse des Beigeladenen an einer baldigen Ausnutzung der Baugenehmigung das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage. Somit konnte der Antrag keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzulehnen.
Da sich der Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Prozesskostenrisiko beteiligt hat, entsprach es nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Aufwendungen den Antragstellern aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO). Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 GKG. Nachbarklagen werden nach Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 mit 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR im Hauptsacheverfahren bewertet. Die Kammer hält im vorliegenden Fall in der Hauptsache einen Streitwert von 7.500,00 EUR als angemessen, der für das vorliegende Sofortverfahren zu halbieren ist (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).


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