Baurecht

Dachgeschossausbau im Außenbereich

Aktenzeichen  1 ZB 19.1663

Datum:
13.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9448
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, § 35 Abs. 2, Abs. 3
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

1. Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder im weiteren Sinne Nebenanlagen zu einer landwirtschaftlichen, gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 18.784 2019-07-03 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Ausbau des Dachgeschosses in eine dritte Wohneinheit auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung O… Nachdem der Kläger von einer beabsichtigten Betriebsumsiedlung Abstand genommen hatte, genehmigte der Beklagte für das im Jahr 2000 ursprünglich als Betriebsleiter- und Altenteilwohnhaus mit zwei Wohneinheiten genehmigte Gebäude im Jahr 2002 die Nutzungsänderung in ein Wohnhaus mit zwei Wohneinheiten. Das Vorhabengrundstück grenzt im Süden an einen gemeindlichen Feldweg an. Zwischen dem Feldweg und der weiter südlich in einer Kurve angelegten Wohnbebauung, die im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „O…-Nord-West“ liegt, befinden sich unbebaute Flurnummern. Im Norden und Westen des Vorhabengrundstücks befinden sich Lagerhallen. Die gegen die ablehnende Entscheidung des Beklagten gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Juli 2019 abgewiesen. Dem Bauvorhaben stünden öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen. Das nicht privilegierte Vorhaben läge im Außenbereich und beeinträchtige als sonstiges Vorhaben im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Grundstück, auf dem sich das Bestandsgebäude befindet, im Außenbereich liegt. Die Zulassungsbegründung zeigt keine Umstände auf, die eine Zurechnung des Vorhabens zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB rechtfertigen könnten.
Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275; B.v. 17.1.2005 – 4 B 3.05 – juris Rn. 7; U.v. 12.12.1990 – 4 C 40.87 – NVwZ 1991, 879). Bebauung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 16.7.2018 – 4 B 51.17 – NVwZ 2018, 1651; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 a.a.O.; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 a.a.O.; U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – BauR 2007, 1383; B.v. 2.3.2000 – 4 B 15.00 – BauR 2000, 1310; U.v. 14.9.1992 – 4 C 15.90 – NVwZ 1993, 985; BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 1 ZB 16.2599 – juris Rn. 5; B.v. 9.12.2017 – 1 ZB 16.1301 – juris Rn. 5).
Gemessen an diesen Maßstäben, die das Verwaltungsgericht seiner Beurteilung auf der Grundlage eines Ortstermins zugrunde gelegt hat, endet der Bebauungszusammenhang am nördlichen Rand der Wohnbebauung. Das Vorhabengrundstück sowie die beiden westlich angrenzenden Lagerhallen nehmen nicht mehr an einem Bebauungszusammenhang mit der südlich vorhandenen Wohnbebauung teil. Sie stellen sich vielmehr als ein von der Wohnbebauung getrennter Bereich dar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Lagerhallen um (selbständige) Hauptanlagen handelt, denen entsprechend landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden eine prägende und damit maßstabbildende Bebauung zukommen kann, oder ob nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten genehmigte Nutzungen der Hallen als landwirtschaftliche Maschinenhallen bzw. als Stallgebäude mit Boxen für die Unterbringung von Pferden sowie (teilweise) als Lagerhalle für gewerbliche Erzeugnisse vorliegen. Eine solche Nutzung legt nahe, dass es sich um Gebäude handelt, die nicht einem regelmäßigen Aufenthalt von Menschen dienen. Denn auch bei Annahme einer maßstabbildenden Bebauung stellt sich die Frage, ob das am Rande eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegende Grundstück diesem Bebauungszusammenhang noch zuzurechnen ist oder nicht. Ausschlaggebend dafür ist, inwieweit die Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Hierfür kommt es auf die Verkehrsauffassung und damit jeweils auf die Lage des Einzelfalls an. Aus diesem Grundsatz kann sich, beispielsweise unter besonderen topografischen Verhältnissen, auch ergeben, dass die Bebauung auf einem an einen Bebauungszusammenhang angrenzenden Grundstück nicht mehr an diesem Bebauungszusammenhang teilnimmt (vgl. BVerwG, B.v. 9.11.2005 – 4 B 67.05 – BauR 2006, 492; U.v. 15.5.1997 – 4 C 23.95 – NVwZ 1998, 58). Das Verwaltungsgericht hat dies seiner Bewertung zugrunde gelegt und ist angesichts der örtlichen Verhältnisse im Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks zu dem zutreffenden Ergebnis gekommen, dass es nicht von der südlich gelegenen Wohnbebauung derart geprägt ist, dass es als dieser zugehörig betrachtet werden könnte. Das Vorhabengrundstück befinde sich deutlich abgesetzt nördlich des Ortsrands. Die Wohnbebauung ist, wie sich der Begründung des Ablehnungsbescheids und den vorliegenden Luftbildern entnehmen lässt, in einer Kurve angelegt, die wie eine nach außen abschließende Grenze des Bebauungszusammenhangs wirkt. Hinzu kommt, dass die jeweils nördlich davon liegenden Grundstücke allesamt unbebaut geblieben sind. Bei den unbebauten Grundstücken handelt es sich nicht lediglich um Baulücken. Die kurze Begründung des Verwaltungsgerichts lässt im Zusammenhang mit dem Änderungsbescheid und der Ortseinsicht die vom Kläger vermisste Feststellung der örtlichen Verhältnisse hinreichend erkennen. Denn ob eine zusammenhängende Bebauung vorliegt oder nicht, lässt sich nicht unter Anwendung von geografisch-mathematischen Maßstäben bestimmen, sondern bedarf einer am konkreten Sachverhalt orientierten Wertung und Bewertung (vgl. BVerwG, U.v. 6.11.1968 – 4 C 2.66 – BVerwGE 31, 20). Der Kläger setzt dem vom Verwaltungsgericht im Rahmen seines Augenscheins gewonnenen Eindruck, der durch die vorliegenden Licht- und Luftbilder bestätigt wird, nur die eigene gegenteilige Betrachtung entgegen, ohne damit die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu erschüttern. Soweit der Kläger vorträgt, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von einer indiziellen Bedeutung gegen einen Bebauungszusammenhang ausgegangen sei, übersieht er, dass es darauf nicht entscheidend ankommt, da das Verwaltungsgericht seine Entscheidung maßgebend auf die von der Wohnbebauung abgesetzte Lage des Bestandsgebäudes gestützt hat. Unabhängig davon ist das Verwaltungsgericht zutreffend von einem vollständig im Geltungsbereich eines Bebauungsplans errichteten Wohngebiet ausgegangen.
Aufgrund der Lage im Außenbereich ist der Ausbau des Dachgeschosses in eine dritte Wohneinheit gemäß § 35 Abs. 2 und 3 BauGB unzulässig. Dass das Vorhaben als Vorgang einer siedlungsstrukturell zu missbilligenden Entwicklung öffentliche Belange beeinträchtigt (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1, 5 und 7 BauGB), wird von dem Kläger nicht bestritten.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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