Baurecht

Duldungsanordnung für Vorarbeiten für den Bau einer Staatsstraße

Aktenzeichen  8 CS 19.1472

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27440
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5, § 146
BayEG Art. 7 Abs. 1, Art. 28 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Gegen die Straßenplanung selbst gerichtete Einwendungen sind in Verfahren gegen Duldungsanordnungen ausgeschlossen, die bereits im Vorgriff eines Planfeststellungsbeschlusses zur Vorbereitung der Planung erlassen werden. Solche Einwendungen müssen nach Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses im Rahmen einer Anfechtungsklage erhoben werden, weil andernfalls die Möglichkeit einer – unzulässigen – vorbeugenden Unterlassungsklage gegeben wäre. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einwendungsausschluss gilt erst recht für Einwendungen gegen die Anordnung der Duldung von Vorbereitungsmaßnahmen zur Durchführung eines planfestgestellten Vorhabens, die von der Enteignungsbehörde auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 BayEG erlassen wird, wenn der Planfeststellungsbeschluss bereits erlassen und bestandskräftig ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem in Art. 28 BayEG zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie der Verfahrensbeschleunigung und Verwaltungsvereinfachung kommt Vorrang vor dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit zu. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 S 19.610 2019-07-18 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen die sofortige Vollziehung einer mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2019 erlassenen Ermächtigungs- und Duldungsanordnung für Vorarbeiten auf Teilflächen der Grundstücke FlNr. … … … und … Gemarkung B. für die Verlegung der Staats straße St 2205 von W. bis zur Stadtgrenze C., die mit Beschluss der Regierung von Oberfranken vom 12. April 2013 bestandskräftig planfestgestellt wurde.
Die Antragsteller sind Mitglieder einer Erbengemeinschaft, die Eigentümerin dieser Grundstücke ist. Bereits mit für sofort vollziehbar erklärten Bescheiden vom 8. April 2019 (Az. 30-5-013/19b) hatte die Antragsgegnerin den Beigeladenen ermächtigt, zum Zwecke des Baus der Staats straße St 2205 die oben aufgeführten Grundstücke für den Zeitraum vom 15. April 2019 bis 15. Juni 2019 zu betreten, zu vermessen und näher bezeichnete Vorarbeiten vorzunehmen. Die Antragsteller legten hiergegen Widerspruch ein und stellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, der mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 16. Mai 2019 abgelehnt wurde. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat der Senat mit Beschluss vom 19. Juli 2019 (Az. 8 CS 19.1080) zurückgewiesen.
Wegen des Ablaufs des für die Anordnungen in diesem Bescheid vorgegeben Zeitraums ermächtigte die Antragsgegnerin den Beigeladenen auf dessen Antrag hin erneut mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Juni 2019 (Az. 30-5-013/19e), zum Zwecke des Baus der Staats straße 2205 Teilflächen der Grundstücke FlNr. … … … und … zu betreten, zu vermessen (Nr. 1 des Bescheids) und näher bezeichnete Vorarbeiten vorzunehmen (Nr. 2). Die Maßnahmen dürften frühestens am 1. Juli 2019 beginnen und seien bis zum 31. August 2019 zu beenden. Sollte seitens der Antragsteller Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines gegen diesen Bescheid erhobenen Rechtsbehelfs gestellt werden, so ende die Frist abweichend hiervon acht Wochen nach dem Erlass der letzten rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (Nr. 3). Die Maßnahmen seien erst nach Durchführung einer für die Zustandsfeststellung erforderlichen Ortseinsicht durch den landwirtschaftlichen Gutachter des Staatlichen Bauamtes Bamberg zulässig (Nr. 4). Die Antragsteller wurden als Miteigentümer der Grundstücke verpflichtet, die Maßnahmen zu dulden (Nr. 5). Für Zuwiderhandlungen wurden gegen die Antragsteller Zwangsgelder – bezogen auf das jeweilige Grundstück – in einer Höhe von jeweils zwischen 500 und 2.000 Euro (insgesamt für jeden Antragsteller 5.500 Euro) angedroht (Nr. 6). Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 bis 5 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 8).
Die Antragsteller erhoben gegen diesen Bescheid mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 1. Juli 2019 entsprechend der dem Bescheid angefügten Rechtsbehelfsbelehrung:Widerspruch und stellten am 1. Juli 2019 beim Verwaltungsgericht Bayreuth Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.
Mit Beschluss vom 18. Juli 2019 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Widerspruch bleibe nach summarischer Prüfung ohne Erfolg. Die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 BayEG lägen vor. Bei dem planfestgestellten Vorhaben handle es sich um ein Vorhaben, für das nach Art. 38, 40 Abs. 2 BayStrWG, Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayEG enteignet werden könne. Die unter Nr. 2 des Bescheids genannten Arbeiten seien Vorarbeiten im Sinn von Art. 7 Satz 1 BayEG. Die Duldungsanordnung sei verhältnismäßig. Soweit sich die Antragsteller gegen die planfestgestellte Trasse wendeten und erneut eine andere Trassenvariante ins Spiel brächten, sei dies unbeachtlich, weil der Plan bestandskräftig festgestellt und Grundlage für die Durchführung der Maßnahme sei. Dass der Beigeladene die planfestgestellte Maßnahme nicht mehr verwirklichen werde, sei nicht ersichtlich und werde von den Antragstellern auch nicht substantiiert vorgetragen. Das hierzu ins Feld geführte Argument einer geplanten Anbindung der Staats straße St 2205 an die Bundesautobahn A 73 sei nicht stichhaltig. Auch im Übrigen ergebe die Interessenabwägung ein überwiegendes öffentliches Interesse gegenüber dem privaten Interesse der Antragsteller, von Vollzugsmaßnahmen vorerst verschont zu bleiben.
Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO fehlt nicht das Rechtschutzbedürfnis, obwohl der gegen den angegriffenen Bescheid eingelegte Widerspruch unstatthaft ist. Ein obligatorisches Widerspruchsverfahren ist diesbezüglich nicht gesetzlich vorgesehen (vgl. auch Art. 44 Abs. 2 BayEG). Auch eine Fallgruppe des fakultativen Widerspruchsverfahrens (Art. 15 Abs. 1 VwGO) liegt hier nicht vor, sodass es bei dem Regelausschluss des Vorverfahrens nach Art. 15 Abs. 2 AGVwGO bleibt. Allerdings ist die Klagefrist noch nicht abgelaufen, weil wegen der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung:die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO gilt. Deshalb ist dem Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das Rechtschutzbedürfnis nicht von vornherein abzusprechen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 139).
2. Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass ein Rechtsbehelf gegen den Bescheid 27. Juni 2019 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Das Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung des Senats beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 BayEG vorliegen. Nach Satz 1 und 2 dieser Vorschrift sind der Träger des Vorhabens und seine Beauftragten mit Ermächtigung der Enteignungsbehörde befugt, schon vor Einreichung des Enteignungsantrags Grundstücke zu betreten, zu vermessen und auf ihnen andere Vorarbeiten vorzunehmen, die notwendig sind, um die Eignung der Grundstücke für Vorhaben, für die enteignet werden kann, beurteilen zu können. Die Ermächtigung ist nach Art. 7 Abs. 1 Satz 3 BayEG zu befristen; sie kann mit Auflagen und Bedingungen versehen und von der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 4 BayEG haben Eigentümer und Besitzer die Maßnahmen zu dulden.
a) Dass die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 BayEG hier erfüllt sind, stellen die Antragsteller selbst nicht infrage. Dies gilt insbesondere für die Notwendigkeit der Vorarbeiten, um die Tragfähigkeit und Verwertbarkeit des Bodens der betroffenen Grundstücksflächen vorab zu untersuchen (vgl. Beschluss des Senats vom 19. Juli 2019 – 8 CS 19.1080 – juris Rn. 13).
b) Mit ihrem Vorbringen, dass die Sonderbelastung ihres landwirtschaftlichen Betriebs in den Gerichtsverfahren gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Bau der Staats straße St 2205 nicht ausreichend geprüft worden und dass der Betrieb durch den Verlust des für eine Betriebserweiterungsfläche geeigneten Grundstücks FlNr. … in seiner Existenz gefährdet sei, können die Antragsteller nicht mehr gehört werden.
Derartige gegen die Straßenplanung selbst gerichtete Einwendungen sind schon in Verfahren gegen Duldungsanordnungen ausgeschlossen, die bereits im Vorgriff eines Planfeststellungsbeschlusses zur Vorbereitung der Planung erlassen werden. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung müssen solche Einwendungen nach Ergehen des Planfeststellungsbeschlusses im Rahmen einer Anfechtungsklage erhoben werden, weil andernfalls die Möglichkeit einer – unzulässigen – vorbeugenden Unterlassungsklage gegeben wäre (vgl. BVerwG, B.v. 6.2.2004 – 9 VR 2.04 – juris Rn. 4; B.v. 30.3.2007 – 9 VR 7.07 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v 13.7.2009 – 8 CS 09.1386 – juris Rn. 12 jeweils zu Art. 16a Abs. 1 FStrG; vgl. auch Ronellenfitsch in Marschall, Bundesfern straßengesetz, 6. Aufl. 2012, Art. 16a Rn. 21). Erst recht gilt der Einwendungsausschluss auch für Einwendungen gegen die Anordnung der Duldung von Vorbereitungsmaßnahmen zur Durchführung des planfestgestellten Vorhabens, die von der Enteignungsbehörde auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 1 BayEG erlassen wird, wenn – wie hier – der Planfeststellungsbeschluss bereits erlassen und bestandskräftig geworden ist. Dafür spricht auch die Regelung des Art. 28 Satz 1 BayEG, wonach in diesen Fällen der unanfechtbare Planfeststellungsbeschluss Bindungswirkung für das Enteignungsverfahren entfaltet mit der Folge, dass Einwendungen nach Art. 28 Satz 2 BayEG präkludiert sind, über die im Planfeststellungsverfahren der Sache nach entschieden ist oder die in diesem Verfahren nicht mehr erhoben werden können. So liegen die Dinge hier.
Etwas anderes ergibt sich – entgegen der Auffassung der Antragsteller – nicht aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Eigentumseingriffen (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 14 GG). Denn abgesehen davon, dass eine Anordnung nach Art. 7 Abs. 1 BayEG noch keine Enteignung darstellt, sondern nur vorbereitende Maßnahmen mit geringer Eingriffsintensität betrifft (vgl. BVerwG, B.v. 17.8.2017 – 9 VR 2.17 – NVwZ 2018, 268 = juris Rn. 14 f.), kommt dem in Art. 28 BayEG vom Gesetzgeber zum Ausdruck gebrachten Grundgedanken der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens sowie der Verfahrensbeschleunigung und Verwaltungsvereinfachung (vgl. LT-Drs. 7/5505 S. 31) Vorrang vor dem Gebot der Einzelfallgerechtigkeit zu.
Aus diesem Grund ist auch der Einwand der Antragsteller, dass infolge eines Antrags auf Neubau einer Anschlussstelle Coburg-Nord an der Bundesautobahn A 73 über eine veränderte Trassenführung der Staats straße St 2205 mit einer für die Antragsteller schonenderen Planung „nachgedacht werde“, für das vorliegende Verfahren ohne Belang, zumal ein entsprechendes Planfeststellungsverfahren bislang tatsächlich auch nicht eingeleitet wurde. Abgesehen davon hat das Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt, dass eine zusätzliche Autobahnausfahrt der A 73 und der Bau einer Verbindung zur St 2205 das planfestgestellte Vorhaben nicht infrage stelle (Beschlussabdruck S. 8 f.). Dem sind die Antragsteller mit ihren Ausführungen in der Beschwerde nicht substanziiert entgegen getreten.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen entspricht der Billigkeit, weil dieser im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko übernommen hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.1.3, 1.5 Satz 1 Alt. 1 und 1.7.2 Satz 2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Wertfestsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die Bedenken nicht vorgebracht wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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