Baurecht

Eilantrag des Nachbarn gegen Neubau einer Mietwohnanlage – Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  M 29 SN 20.684

Datum:
13.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9751
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BauGB § 34
BauNVO § 15
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Für die Annahme der abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Belichtung und Belüftung sind in ausreichendem Maß gesichert, wenn ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad auch an den engsten Stellen an der Fassade des Nachbarn gewahrt ist; in diesen Fällen scheidet eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbarn aus. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als nähere Umgebung i.S.v. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der Betrachtung sind bauliche Anlagen als Fremdkörper auszusondern, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild oder nach ihrer Qualität nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Mietwohnanlage mit zwei Tiefgaragen.
Mit Vorbescheid vom … Juni 2018 betreffend den Neubau einer Mietwohnanlage mit zwei Tiefgaragen auf dem Grundstück R…straße 56, Fl.Nr. 348/15, Gemarkung …, beantwortete die Antragsgegnerin die Frage 2 der Beigeladenen, ob für das Bauvorhaben eine Abweichung von Art. 6 BayBO wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen bis zur Straßenmitte der R…straße (um ca. 3 m) in Aussicht gestellt werden könne, wie folgt: „Ja, die Abweichung wird in Aussicht gestellt. Das geplante Gebäude fügt sich in seiner Höhenentwicklung ein und überschreitet die Straßenmitte um das gleiche relativ geringfügige Maß, wie die vorhandenen Gebäude der geschlossenen Bauweise in der R…straße.“ Die Frage 3 der Beigeladenen, ob das Bauvorhaben mit sieben Vollgeschossen an der Ecke zur R…straße und mit sechs Vollgeschossen in der K…straße unter Einhaltung der Abstandsflächen zur Fl.Nr. 348/16 planungsrechtlich zulässig sei, beantwortete die Antragsgegnerin mit „Ja, siehe Ausführungen oben.“.
Mit Baugenehmigung vom … Januar 2020 (… …) genehmigte die Antragsgegnerin den Beigeladenen den Neubau einer Mietwohnanlage (Häuser A, B und C) mit zwei Tiefgaragen auf dem Grundstück R…straße 56, Fl.Nr. 348/15, Gemarkung …, nach dem Bauantrag vom … Juni 2019 nach Plan … … In der Begründung wurde zur Nachbarwürdigung ausgeführt, dass der nördliche Grundstückseigentümer mit der Fl.Nr. 348/24 Einwendungen gegen das Bauvorhaben vorgetragen habe, insbesondere gegen die Wandhöhe von 20 m des geplanten Eckgebäudes K…straße/R…straße sowie wegen der Nichteinhaltung von Abstandsflächen zu seinem Grundstück. Gegenüber dem Grundstück Fl.Nr. 348/24 würden die Vorgaben des Baulinienplans eingehalten. Das Bauvorhaben füge sich insgesamt hinsichtlich seiner Höhe und der Anzahl der Geschosse nach § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebungsbebauung ein. Auch sei das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt. Ein Lichteinfallswinkel von mindestens 45 Grad gegenüber der Nachbarbebauung sei weiterhin gewährleistet. Nachdem aufgrund des Abstands zwischen dem Bauvorhaben und dem Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. 348/24 trotz der Lage des Bauvorhabens südlich dieses Grundstücks eine spürbare Einschränkung der Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie des Wohnfriedens nicht zu befürchten sei, komme eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht in Betracht. Eine Verletzung von abstandsflächenrechtlichen Vorschriften durch das Bauvorhaben sei nicht gegeben. Auf der Nordseite des Bauvorhabens zur K…straße fielen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Abstandsflächen an, weil nach planungsrechtlichen Vorschriften entsprechend dem Baulinienplan für die K…straße auf die Baulinie, welche in diesem Fall mit der Grundstücksgrenze identisch sei, zu bauen sei. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass der Grundstückseigentümer mit der Fl.Nr. 348/24 bei der Aufstockung seines Wohnhauses selbst die notwendigen Abstandsflächen in Richtung des Baugrundstücks nicht eingehalten habe und ihm insoweit eine Abweichung erteilt worden sei. Die vorgebrachten Einwände hätten daher nach pflichtgemäßem Ermessen unbeachtet bleiben müssen.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des nördlich des Bauvorhabens und durch die K…straße vom Vorhabengrundstück getrennten Grundstücks K…straße 43 bis 49 und R…straße 58 und 60 mit der Fl.Nr. 348/24, Gemarkung …, das mit einer Wohnanlage bebaut ist. Der Antragstellerin wurde mit Baugenehmigung vom … Juni 2016 die Sanierung und Aufstockung auf sechs Geschosse der sich dort befindlichen Wohngebäude genehmigt.
Mit Schreiben vom … Februar 2020 ließ die Antragstellerin gegen die Baugenehmigung vom … Januar 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben (…).
Mit Schreiben vom … Februar 2020 ließ die Antragstellerin einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage stellen und beantragte,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom …02.2020 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom …01.2020 hinsichtlich des Neubaus einer Mietwohnanlage mit zwei Tiefgaragen auf dem Grundstück R…straße 56, Fl.Nr. 348/15, Gemarkung …, (Az.: …) gemäß §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus, dass im Vorbescheid vom … Juni 2014 betreffend die Aufstockung der Wohngebäude auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. 348/24, den die Antragstellerin beantragt habe, die Frage, ob der Gebäudeteil im Kreuzungsbereich K…straße/R…straße mit sieben Geschossen bebaut werden könne, ausdrücklich für planungsrechtlich unzulässig erachtet worden sei. Die Antragsgegnerin habe damals das siebengeschossige Gebäude an der R…straße Nr. … als Ausreißer und damit als nicht maßstabsbildend bezeichnet. Ferner sei gefordert worden, dass der damalige Eigentümer des Baugrundstücks Fl.Nr. 348/19 die Nachbarunterschrift leiste, da sonst keine Abweichung von den Abstandsflächen erteilt werden könne. Es werde darauf hingewiesen, dass der damalige Eigentümer für das streitgegenständliche Grundstück zum damaligen Zeitpunkt bereits die Nachbarunterschrift geleistet habe. Es seien daher vorliegend von der Antragsgegnerin die gleichen Maßstäbe anzulegen wie beim eigenen Bauvorhaben der Antragstellerin. Das eigene Bauvorhaben überschreite offensichtlich auch die Straßenmitte im Bereich der K…straße mit max. 5,78 m. Es müsse eingeräumt werden, dass wohl im Bereich der K…straße 43 – nicht nachvollziehbar – bei dieser Plandarstellung nur die halben Abstandsflächen zugrunde gelegt worden seien. Demgegenüber würden die Abstandsflächen des streitgegenständlichen Gebäudes offensichtlich weit mehr als die Straßenmitte überschreiten und bis weit in den Vorgartenbereich des Grundstücks der Antragstellerin reichen. Angemerkt werde, dass die Baulinie in Bezug auf das streitgegenständliche Bauvorhaben bis an den Straßengrund reiche, jedoch die Baulinie des Grundstücks der Antragstellerin 5 m hiervon abgerückt sei und insofern ein Vorgartenbereich bestehe. Ferner sei die Plandarstellung (Abstandsflächenplan) des Bauherrn nicht vollständig, sondern spare die niedrigeren Gebäudeteile mit dreieinhalb bzw. sechs Geschossen aus. Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass der damalige Antrag auf Vorbescheid der Beigeladenen zwar eine siebengeschossige Bebauung vorgesehen habe, es sich jedoch grundsätzlich nur um einen planungsrechtlichen Bauvorbescheid gehandelt habe, wobei lediglich eine Abweichung von den Abstandsflächen und Nichteinhaltung bis zur Straßenmitte R…straße abgefragt worden sei. Insofern besitze dieser Vorbescheid keine bindende Wirkung gegenüber der Antragstellerin hinsichtlich der Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen in nördlicher Richtung bzw. in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsflächen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass eine Überschreitung der Straßenmitte durch Abstandsflächen letztlich eine Nachbarrechtsverletzung für den gegenüberliegenden Grundstückseigentümer darstelle, da dieser selbst die Abstandsflächen bis zur Straßenmitte in Anspruch nehmen könne. Die Behauptung der Antragsgegnerin, dass hier eine Nachbarverletzung entfiele, da der Nachbar selbst mit seinen Abstandflächen die Straßenmitte überschreite, sei unzutreffend. Die vorgelegten Abstandsflächenpläne würden offensichtlich zeigen, dass die Überschreitung der Straßenmitte durch das Bauvorhaben wesentlich umfangreicher und intensiver sei als der bereits durch das Nachbarbauvorhaben überschrittene Bereich. Ein rechtsmissbräuchliches Berufen auf das Abstandsflächenrecht liege daher nicht vor. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass für das streitgegenständliche Bauvorhaben eine Abweichung ausdrücklich nicht erteilt worden sei, im Gegensatz zum damaligen, eigenen Bauvorhaben der Antragstellerin. Der übergeleitete Baulinienplan enthalte keine Aussage darüber, mit welcher Höhenentwicklung bzw. Geschossigkeit an diese festgesetzte Baulinie angebaut werden könne. Dies richte sich vielmehr nach § 34 Abs. 1 BauGB. Das Anwesen R…straße … mit der Fl.Nr. 348/18 weise eine siebengeschossige Bebauung auf. Das für die Umgebungsbebauung relevante Bauquartier werde durch die K…straße, R…straße und H…straße bestimmt. Das Anwesen mit den sieben Geschossen sei völlig atypisch für das Bauquartier. Insbesondere besitze das daran nördlich angrenzende Bestandsgebäude zwei Geschosse mit ausgebautem Dachgeschoss und die beiden südlich angrenzenden Gebäude lediglich sechs Geschosse. Nur das südlichste Gebäude weise einen siebengeschossigen, turmartigen Aufbau auf. Weiter südlich falle die Höhenentwicklung wiederum auf zwei Geschosse mit ausgebautem Dachgeschoss ab. Die Umgebungsbebauung werde daher durch wesentlich niedrigere Bebauung geprägt. Mit Ausnahme des Anwesens R…straße … (Wandhöhe ca. 21,8 m) und eines turmartigen Teils des Anwesens R…straße … sei die Umgebungsbebauung wesentlich niedriger. Hinzu komme, dass der Abstand vom Anwesen R…straße … bis zur Baulinie an der K…straße … m betrage. Zusammenfassend füge sich das geplante Bauvorhaben mit einer Wandhöhe von 19,64 m nicht in die Umgebungsbebauung ein. Schließlich sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass, wenn Abstandsflächen einzuhalten seien, diese beachtet werden müssten, unabhängig davon, ob der insofern betroffene Nachbar in Fragen der Belichtung und Belüftung des Wohnfriedens tatsächlich beeinträchtigt sei.
Mit den Bauarbeiten sei bereits intensiv begonnen worden, so dass ein Eilantrag geboten gewesen sei.
Die Antragsgegnerin beantragte dagegen,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führte sie mit Schreiben vom … März 2020 im Wesentlichen aus, dass eine Verletzung der Antragstellerin in eigenen Rechten nicht vorliege. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO gelte insbesondere für den Fall, dass durch eine auf der Grundstücksgrenze festgesetzte Baulinie – wie sie für das Baugrundstück zur K…straße hin bestehe – ein Grenzabstand nicht einzuhalten sei. Darüber hinaus füge sich das geplante Vorhaben mit einer Höhenentwicklung von sieben Vollgeschossen zur R…straße und sechs Vollgeschossen zur K…straße in die Umgebungsbebauung ein. Die maßgebliche Umgebung sei das Quartier R…straße … bis … und H…straße 37 bis 45 sowie K…straße 6 und gegenüber K…straße 43 bis 49. Die geplante Aufstockung des Eckgebäudes (Haus A) auf sieben Vollgeschosse sei daher unter Berücksichtigung des hier prägenden siebengeschossigen Gebäudes R…straße …, Fl.Nr. 348/18, planungsrechtlich zulässig. Das zur K…straße ausgerichtete Gebäude (Haus B) sei hingegen sechsgeschossig mit einem Aufbau im östlichen Bereich. Im Gegensatz zu den für das Grundstück der Antragstellerin im Jahr 20… abgefragten Baukörpern, wo sich die prägende nähere Umgebung anders dargestellt habe, sei das siebengeschossige Gebäude auf dem Grundstück R…straße … als Bezugsfall für das geplante Eckgebäude R…straße/K…straße heranzuziehen. Bereits mit Vorbescheid vom … Juni 20… sie diese planungsrechtliche Zulässigkeit mit sieben bzw. sechs Vollgeschossen positiv beantwortet worden. Abgesehen davon seien die Kriterien des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche nicht drittschützend. Das Vorhaben sei gegenüber der Antragstellerin nicht rücksichtslos. Der Lichteinfallswinkel von mind. 45 Grad gegenüber der Nachbarbebauung der Antragstellerin sei gewahrt, so dass unzumutbare Einschränkungen nicht anzunehmen seien. Überdies hielten die aufgestockten Gebäude der Antragstellerin die Abstandsflächen zur K…straße hin selbst nicht ein, sondern es seien Abweichungen erteilt worden. Obwohl das genehmigte Eckgebäude der Beigeladenen (Haus A) siebengeschossig sei, stelle es sich gegenüber den sechsgeschossigen Gebäuden der Antragstellerin nicht als übergroßes Gebäude mit Einmauerungseffekt dar.
Die Beigeladenen haben sich im Verfahren nicht geäußert.
Mit Schreiben vom … April 20… vertiefte der Bevollmächtigte der Antragstellerin sein Vorbringen und zitierte ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom … April 20** (…).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten, auch im Hauptsacheverfahren (M 29 K 20.641), sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Nachbarklage gegen die Baugenehmigung für die Mietwohnanlage auf dem Grundstück R…straße 56, Fl.Nr. 348/15, Gemarkung …, hat keinen Erfolg.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise an-ordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse des Bauherrn oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Die Drittanfechtungsklage wird nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich ohne Erfolg bleiben, da die Antragstellerin in Bezug auf die von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte nicht geltend machen kann (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist deshalb gegenüber dem kraft Gesetzes zugrunde gelegten Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der erteilten Baugenehmigung nachrangig.
Dritte – wie die Antragstellerin – können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22; B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17). Für den Erfolg eines Nachbarrechtsbehelfs genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Ob eine konkrete Norm Drittschutz vermittelt, wird im Wesentlichen nach den Grundsätzen der sog. Schutznormtheorie bestimmt (vgl. st. Rspr. BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 3 C 3/89 – juris Rn. 35; BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Die betreffende Norm muss mithin ein Privatinteresse derart schützen, dass der Träger des Individualinteresses die Einhaltung des Rechtssatzes verlangen können soll (BVerwG, U.v. 17.6.1993 – 3 C 3/89 – juris Rn. 35 m. w. N).
Gemessen daran verstößt der streitgegenständliche Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom … Januar 2020 nicht gegen nachbarschützende Rechte der Antragstellerin.
1. Zunächst kann die Frage, ob die Antragstellerin sich auf eine Verletzung drittschützender Rechte bezüglich der planungsrechtlichen Zulässigkeit der Vorhabens berufen kann oder ob sie insoweit nicht durch den ihr gegenüber bestandskräftig gewordenen Vorbescheid vom … Juni 2018 (Art. 71 BayBO) gebunden ist, vorliegend offen bleiben.
Der sachliche Umfang der Bindungswirkung eines Vorbescheids ergibt sich letztlich aus den im Vorbescheidantrag gestellten Fragen und den diesem Antrag zugrundeliegenden Plänen. Nur die im Vorbescheid ausdrücklich im Sinne einer positiven Bescheidung einzelner Fragen geklärten Aspekte der Bauvoranfrage nehmen an der Bindungswirkung des Vorbescheides teil. Den sachlichen Umfang der Bindungswirkung des erteilten Vorbescheides für das anschließende Baugenehmigungsverfahren bestimmt daher zunächst der Bauherr durch seine Angaben in den Antragsunterlagen (BayVGH, B.v. 30.07.2018 – 15 C 18.795 – juris Rn. 35). Die dortige Prüfung bezieht sich daher auf ein bestimmtes Vorhaben und die dem Vorbescheidsantrag zu Grunde liegenden Planzeichnungen (BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7).
Insoweit kommt dem Bauvorbescheid für die Dauer seiner Gültigkeit eine gegenüber den am späteren Baugenehmigungsverfahren Beteiligten geltende Bindungswirkung dergestalt zu, dass der vorweg entschiedene Teil der Baugenehmigung im späteren Baugenehmigungsverfahren – vorbehaltlich einer Aufhebung gem. Art. 48, 49 BayVwVfG – nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde zu prüfen ist und dass die vorweggenommene Feststellung im Falle der Bestandskraft des Vorbescheids auch gegenüber im Vorbescheidverfahren beteiligter Nachbarn gilt (BayVGH, B.v. 30.07.2018 – 15 C 18.795 – juris Rn. 31).
Unabhängig von der Frage, ob die Planunterlagen im vorliegenden Baugenehmigungsverfahren mit denen des Vorbescheids inhaltlich übereinstimmen – im Rahmen des Baugenehmigungsverfahren haben die Beigeladenen am *. Juni 2019 eine Tektur beantragt – und ob im Vorbescheid die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens in Richtung Norden zur Antragstellerin hin bindend festgestellt ist, wurde die Antragstellerin ausweislich der vorgelegten Behördenakten nicht am Vorbescheidsverfahren beteiligt und ihr wurde auch keine Ausfertigung des Vorbescheids vom … Juni 2018 zugestellt.
Bei einer rechtswidrig unterbliebenen Nachbarbeteiligung sind die Grundsätze über die unterbliebene Nachbarbeteiligung im Baugenehmigungsverfahren anzuwenden. Das bedeutet zum einen, dass der Nachbar die Aufhebung des Vorbescheids nicht deshalb erreichen kann, weil dieser unter Verstoß gegen Art. 71 Satz 4 HS. 1 i.V.m. Art. 66 BayBO erteilt worden ist, da Art. 66 BayBO als solches nicht nachbarschützend ist. Zum anderen reicht es für die Wirksamkeit des Vorbescheids gegenüber dem nicht beteiligten Nachbarn aus, wenn dieser in anderer Weise als durch Bekanntgabe Kenntnis vom Vorbescheid erlangt hat. Hat der Nachbar Kenntnis vom Vorbescheid, dann muss er innerhalb der Jahresfrist des § 74 Abs. 1 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO Klage erheben, ansonsten ist das Anfechtungsrecht nach Treu und Glauben verwirkt, eine etwaige Klage mithin unzulässig (ständige Rspr. seit BVerwG, U.v. 25.1.1974 – IV C 2.72 – juris Rn. 23; siehe auch BVerwG, B.v. 16.3.2010 – 4 B 5/10 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 12.07.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 27).
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin vom Vorbescheid für das streitgegenständliche Vorhaben spätestens seit dem Schreiben des Bevollmächtigten der Antragstellerin vom … Juni 2019 im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens der Beigeladenen sichere Kenntnis. Eine (vorherige) Akteneinsicht der Antragstellerin oder ihres Bevollmächtigten ergibt sich aus den vorgelegten Behördenakten nicht. Entsprechend obigen Ausführungen kann sie daher noch bis zum … Juni 2020 Klage gegen diesen erheben. Ob sie dies tut, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist der Vorbescheid vom … Juni 2018 gegenüber der Antragstellerin derzeit noch nicht bestandskräftig, die bauplanungsrechtliche Situation folglich noch offen (BayVGH, B.v. 12.07.2010 – 14 CS 10.327 – juris Rn. 27).
2. Das Bauvorhaben, dessen bauplanungsrechtliche Zulässigkeit sich im Hinblick auf das vorhandene, gemäß § 173 Abs. 3 BBauG und § 233 Abs. 3 BauGB übergeleitete und fortgeltende Bauliniengefüge nach § 30 Abs. 3 BauGB und im Übrigen nach § 34 BauGB richtet, verstößt nicht gegen drittschützende Normen des Bauplanungsrechts, die im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO zu prüfen sind und insbesondere nicht gegen das in § 34 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme.
a. Als Wohnbauvorhaben fügt sich das Vorhaben der Beigeladenen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein, so dass eine Rechtsverletzung diesbezüglich nicht vorliegt. Das Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 1 BauGB wird vorliegend von der Antragspartei nicht in Frage gestellt. Anhaltspunkte, die gegen die Zulässigkeit der geplanten Wohnnutzung sprechen, sind nach der nur möglichen, aber zugleich ausreichenden summarischen Prüfung nicht ersichtlich.
Das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sind nach ganz herrschender Meinung nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4), weshalb sich die Antragstellerin auf eine subjektive Rechtsverletzung diesbezüglich nicht berufen kann.
b. Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Antragstellerin ist vorliegend nicht ersichtlich. Es kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt eine maßgebende Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen ein Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (BVerwG, U.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn 8 und 9 m.w.N; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4; B.v. 18.06.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 33).
(1) Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot kann in Betracht kommen, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens das Wohngebäude des Nachbarn „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Ob dies der Fall ist, hängt wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
Eine solche erdrückende Wirkung auf das Nachbargrundstück kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.; B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris Rn. 18). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind mithin – neben der bloßen Distanz – insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 15.01.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Für die Annahme der abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 15.01.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 18).
Vorliegend fehlt es bereits an einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Bauvorhaben und den Mehrfamilienhäusern der Antragstellerin. Zwar soll das streitgegenständliche Eckgebäude an der R…straße/K…straße mit einem Vollgeschoss höher errichtet werden als die Mehrfamilienhäuser auf dem Grundstück der Antragstellerin. Jedoch ist das geplante Eckgebäude mit einer Höhe von ca. 20 m nicht wesentlich höher als die Gebäude der Antragstellerin mit ca. 17,70 m (abgegriffen). Insoweit ist eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung nicht gegeben. Auch im Hinblick auf die Gebäudelängen kann hier von keiner abriegelnden bzw. erdrückenden Wirkung gesprochen werden. Die zwei geplanten Wohngebäude der Beigeladenen sind ca. 20 m von den Gebäuden der Antragstellerin entfernt. Die Länge des streitgegenständlichen Baukörpers entlang der K…straße beträgt insgesamt ca. 40 m und ist damit wesentlich kürzer als der Baukörper auf dem Grundstück der Antragstellerin, der nach dem Lageplan ca. 56 m an der K…straße entlang beträgt. Darüber hinaus ist das streitgegenständliche Vorhaben an der K…straße entlang lediglich auf 14 m Länge siebengeschossig und im Übrigen wie der Baukörper der Antragstellerin sechsgeschossig. Das Entstehen einer geschlossen wirkenden Gebäudefront auf dem bisher nur eingeschossig bebauten Grundstück führt in dem verhältnismäßig dicht und überwiegend in geschlossener Bauweise (§ 22 Abs. 3 BauNVO) bebauten innerstädtischen Gebiet nicht zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung. Gerade im innerstädtischen Bereich hat ein Grundstückseigentümer kein Recht auf Beibehaltung einer ungehinderten oder bislang nur geringfügig beeinträchtigten Sicht von seinem Wohngebäude aus (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23).
Die Annahme einer einmauernden bzw. erdrückenden Wirkung scheidet daher aus.
(2) Auch im Hinblick auf die Belichtung erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben der Antragstellerin gegenüber nicht als rücksichtslos.
Belichtung und Belüftung sind in ausreichendem Maß gesichert, wenn ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad auch an den engsten Stellen an der Fassade des Nachbarn gewahrt ist; in diesen Fällen scheidet eine unzumutbare Beeinträchtigung des Nachbarn aus (BayVGH, B.v. 9.6.2011 – 2 ZB 10.2289 – juris Rn 5).
Der Abstand zwischen dem streitgegenständlichen Baukörper und dem Gebäude der Antragstellerin beträgt ca. 20 m. Der streitgegenständliche Baukörper erreicht diese Höhe (knapp) nicht; ein Lichteinfallswinkel von 45 Grad an der Südfassade des Anwesens der Antragstellerin ist damit überschritten. Dies wird von der Antragstellerin auch nicht bestritten.
3. Die Antragstellerin kann sich weiter nicht auf den Verstoß gegen drittschützende Normen des Bauordnungsrechts berufen, da eine Verletzung der nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts vorliegend ausscheidet.
Nach dem Grundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO müssen vor Außenwänden von Gebäuden und Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freigehalten werden. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf.
Die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Anbaus an die Grundstücksgrenze richtet sich im Geltungsbereich eines Bebauungsplans in erster Linie nach den Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche. Der Baulinienplan sieht an entsprechender Stelle auf der Grenze zwischen dem Vorhabengrundstück und der K…straße eine Baulinie vor, auf der gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO gebaut werden muss (BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 27). Das geplante Bauvorhaben wird entsprechend an der nördlichen Grundstücksgrenze, die mit der festgesetzten Baulinie zusammenfällt, errichtet.
Ob allein das genügt, um die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO zu bejahen, oder ob die Privilegierung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nur greift, wenn das Vorhaben unter allen bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig ist, kann vorliegend dahinstehen (BayVGH, U.v. 22.9.2011 – 2 B 11.762 – juris Rn. 34; U.v. 05.07.2017 – 2 B 17.824 – juris Rn. 56).
Denn auch wenn man der zuletzt genannten Auffassung folgt, ist der streitgegenständliche Grenzanbau bauplanungsrechtlich zulässig. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils zulässig‚ wenn es sich hinsichtlich der Art und des Maßes der baulichen Nutzung‚ der Bauweise und der Grundstücksfläche, die bebaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Ein Vorhaben fügt sich im Allgemeinen ein, wenn es sich hinsichtlich dieser vier Kriterien innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird.
a. Hinsichtlich der Nutzungsart (siehe oben), der (sonstigen) überbaubaren Grundstücksfläche sowie der Bauweise hält sich das geplante Vorhaben im Rahmen der Bebauung in der näheren Umgebung. Dies wurde auch von der Antragstellerin nicht bestritten. Auch dass das Vorhaben insoweit den Anforderungen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügt, als es die gebotene Rücksichtnahme auf die Bebauung in der unmittelbaren Nachbarschaft nimmt, wurde vorstehend bereits dargelegt.
b. Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, insbesondere der Höhenentwicklung, fügt sich das streitgegenständliche Gebäude in die maßgebliche nähere Umgebung ein.
Dabei ist auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Das sind vor allem die (absolute) Grundfläche, die Anzahl der Geschosse und die Höhe des Gebäudes (BVerwG, B.v. 3.4.2014 – 4 B 12.14 – juris Rn. 3). Der Bereich, der als nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilen ist, ist für jedes Merkmal des Einfügens gesondert zu ermitteln, weil die wechselseitige Prägung unterschiedlich weit reichen kann (BVerwG, B.v. 6.11.1997 – 4 B 172/97 – juris; BayVGH, B.v. 11.11.2015 – 2 CS 15.1251 – juris Rn. 11). Als nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der umliegende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – juris Rn. 33; B.v. 20.8.1998 – 4 B 79/98 – juris Rn. 7). Die Grenzen sind nicht schematisch, sondern nach der jeweiligen städtebaulichen Situation zu bestimmen (BVerwG, B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris 3). Bei dem Nutzungsmaß ist der maßgebliche Bereich in der Regel enger zu begrenzen als bei der Nutzungsart; meist führt die größere Nähe zu einer stärker prägenden Wirkung (BayVGH, U.v. 18.12.2009 – 2 B 08.2154 – juris Rn. 14). Bei der für die Prüfung erforderlichen Bestandsaufnahme ist grundsätzlich alles tatsächlich Vorhandene in den Blick zu nehmen. Die Bebauung auf dem Baugrundstück selbst gehört regelmäßig zu der den Maßstab bildenden Bebauung (BVerwG, B.v. 21.6.2007 – 4 B 8/07 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 31). Grundsätzlich gelten als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegenden Straßenseiten (BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775 – juris Rn. 4, B. v. 30.1.2013 – 2 ZB 12.198 – juris Rn. 5; U.v. 24.07.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20).
Wie sich hier aus den in den Verwaltungsakten befindlichen Lageplänen und Luftbildern (vgl. Bayern-Atlas) entnehmen lässt, ist als nähere Umgebung des Bauvorhabens das Geviert zwischen der R…straße im Westen, der K…straße im Norden und der H…straße im Osten zu sehen und reicht im Süden zumindest bis zur Einfahrt des Hinterliegergrundstücks R…straße 44. Es sind dort zwar auch ein- und zweigeschossige Gebäude vorhanden, wie das sich aktuell noch auf dem streitgegenständliche Grundstück befindliche Gebäude und das Doppelhaus in der R…straße 52 und 54, jedoch ist das Geviert vor allem entlang der R…straße durch eine mehrgeschossige Bebauung mit bis zu sieben Geschossen in geschlossener Bauweise geprägt, an die sich die Bebauung auf dem Grundstück der Beigeladenen auch angesichts des geplanten Flachdachs hinsichtlich der Höhenentwicklung und der Anzahl der Geschosse anpasst.
Bei den beiden siebengeschossigen Gebäuden in der R…straße 50 und 46 handelt es sich nicht um sogenannte „Fremdkörper“, sondern die Wohnhäuser prägen vielmehr die Umgebung mit.
Als Fremdkörper sind lediglich bauliche Anlagen auszusondern, die von ihrem quantitativen Erscheinungsbild oder nach ihrer Qualität gar nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rand wahrnimmt (BVerwG, U.v. 15.02.1990 – 4 C 23/86 – juris Rn. 14; BayVGH, U.v. 13.09.2012 – 2 B 12.109 – juris Rn. 32; U.v. 2.8.2017 – 2 B 17.544 – juris Rn. 21). Dies ist hier nicht der Fall. Zum einen sprechen quantitative Gesichtspunkte gegen eine Einordnung als Fremdkörper. Die beiden Wohngebäude bestehen jeweils aus größeren Gebäudekörpern und sind deutlich wahrnehmbar (vgl. Lichtbilder in der Behördenakte). Dabei fallen die Mehrfamilienhäuser hinsichtlich ihrer Größe keineswegs aus dem Rahmen, sondern fügen sich als siebengeschossige Bebauung nahtlos in geschlossener Bauweise in die angrenzenden Wohnbauten ein. Die beiden Anlagen fallen auch ihrer Qualität nach nicht aus dem Rahmen der auch sonst in der näheren Umgebung anzutreffenden Wohnbebauung heraus. Die beiden Wohnhäuser sind auch offensichtlich nicht als singuläre Anlagen zu sehen, die in einem auffälligen Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung stehen und damit regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich sind, soweit sie nicht ausnahmsweise ihre Umgebung beherrschen oder mit ihr eine Einheit bilden (BVerwG, U.v. 15.2.1990 – 4 C 23.86 – juris Rn. 15; B.v. 16.6.2009 – 4 B 50.08 – juris Rn. 6; U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 -juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 7.2.2020 – 15 CS 19.2013 – juris Rn. 38).
4. Die Antragstellerin kann sich zuletzt auch nicht auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG im Verhältnis zu den Beigeladenen berufen. Denn ein solcher ist schon nicht Prüfungsgegenstand im Baugenehmigungsverfahren der Beigeladenen (vgl. Art. 59 BayBO). Aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ergibt sich ein öffentlich-rechtlicher Rechtsanspruch des Bauherrn auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn das Bauvorhaben den im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspricht (Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: Dezember 2019, Art. 68 Rn. 24). Ein Nachbar kann sich nur auf die Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden drittschützenden Normen berufen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22; B.v. 28.1.2019 – 15 ZB 17.1831 – juris Rn. 17).
Vorliegend ist überdies bereits eine Vergleichbarkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens mit der von der Antragstellerin ursprünglich geplanten Aufstockung ihrer Mehrfamilienhäuser auf sieben Geschosse nicht gegeben. Denn für das Grundstück der Antragstellerin ist die maßgebliche nähere Umgebung anders zu beurteilen als für das streitgegenständliche Bauvorhaben, da das Grundstück der Antragstellerin im Quartier K…straße, R…straße, G…-K…-Straße und … Straße liegt und damit nicht im selben Quartier wie die streitgegenständliche Mietwohnanlage. Die Gebäude R…straße 50 und 46 liegen folglich nicht in der näheren Umgebung des Grundstücks der Antragstellerin im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und wurden daher im Vorbescheid vom … März 2014 von der Antragsgegnerin richtigerweise weder als Bezugsfall noch als Fremdkörper, wie von der Antragstellerin dargelegt, herangezogen.
5. Insgesamt sind die Erfolgsaussichten der Klage daher als gering einzuschätzen und der Antrag somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Beigeladenen tragen billigerweise ihre außergerichtlichen Kosten selbst, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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