Baurecht

Einstweilige Anordnung im Normenkontrollverfahren gegen Bebauungsplan und Rechtsschutz gegen Baugenehmigung

Aktenzeichen  1 NE 17.502

Datum:
30.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 47 Abs. 6, § 80a Abs. 3
BauGB BauGB § 9

 

Leitsatz

1 Die einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vermittelt Rechtsschutz in der Weise, dass der suspendierte Bebauungsplan für die Zukunft als Rechtsgrundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen oder für die Errichtung von Vorhaben im Freistellungsverfahren ausscheidet. Die Anordnung lässt aber ergangene Verwaltungsakte unberührt, verbietet dem Bauherrn also nicht, von einer bereits erteilten Baugenehmigung Gebrauch zu machen.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Daher fehlt es zumindest in den Fällen eines auf ein Grundstück bezogenen Bebauungsplans, dessen Festsetzungen durch die Baugenehmigung vollständig umgesetzt werden, an der nach § 47 Abs. 6 VwGO erforderlichen Dringlichkeit, wenn die Betroffenen sich als Nachbarn im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Individualrechtsschutzes gegen die Ausführung eines Vorhabens zur Wehr setzen können. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin beantragt, die 23. Änderung des Bebauungsplans „… Nord“, die ein weiteres Wohnhaus im Norden ihres Anwesens zulässt, vorläufig außer Vollzug zu setzen, weil sie das im Bebauungsplan zugelassene Gebäude ablehnt, mit dessen Errichtung bereits begonnen worden ist. Darüber hinaus hat sie beim Verwaltungsgericht die der Beigeladenen mit Bescheid vom 19. Januar 2017 erteilte Baugenehmigung angefochten und beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die angegriffene Änderung des Bebauungsplans zieht die bauplanungsrechtlichen Konsequenzen aus der zivilrechtlichen Teilung eines im Geltungsbereich des Bebauungsplans gelegenen Wohngrundstücks, das die Antragstellerin von ihrem Vater geerbt und von dem sie aufgrund eines Vermächtnisses eine Teilfläche an die beigeladene Tochter ihrer Schwester und deren inzwischen verstorbenen Sohn zum Zweck der Bebauung zu übertragen hatte. Die Planänderung sieht anstelle eines einheitlichen Baufensters, das die 19. Änderung um das bereits damals bestehende Wohnhaus der Antragstellerin gezogen hatte und für das eine Grundfläche von 190 m² festgesetzt war, ein verkleinertes Baufenster mit 163 m² Grundfläche auf dem Grundstück der Antragstellerin und ein weiteres Baufenster mit 90 m² Grundfläche auf dem neu entstandenen rückwärtigen Grundstück der Beigeladenen vor. Da die Nordseite des Wohngebäudes der Antragstellerin in Folge der Grundstücksteilung auf der Grundstücksgrenze zu liegen kam, setzt die 23. Änderung zugleich fest, dass abweichend von Art. 6 BayBO auf dem Grundstück der Antragstellerin ein Wohngebäude an dessen Nordgrenze zugelassen wird.
Die Antragstellerin rügt insbesondere die fehlende Erforderlichkeit sowie Abwägungsfehler der Planung. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Eilantrag entgegen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Normaufstellungsakten der Antragsgegnerin und die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
II.
Der Antrag, dem ungeachtet der Möglichkeit, nach § 80a Abs. 3 VwGO vorläufigen Rechtsschutz gegen die erteilte Baugenehmigung zu erlangen, nicht das Rechtsschutzinteresse fehlt (vgl. BayVGH, B.v. 3.1.2013 – 1 NE 12.2151 – BayVBl 2013, 406), hat keinen Erfolg. Denn der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist im vorliegenden Fall nicht dringend geboten.
1. Die einstweilige Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vermittelt Rechtsschutz in der Weise, dass der suspendierte Bebauungsplan für die Zukunft als Rechtsgrundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen oder für die Errichtung von Vorhaben im Freistellungsverfahren ausscheidet. Die Anordnung lässt aber ergangene Verwaltungsakte unberührt, verbietet dem Bauherrn also nicht, von einer bereits erteilten Baugenehmigung Gebrauch zu machen. Daher fehlt es zumindest in den Fällen eines auf ein Grundstück bezogenen Bebauungsplans, dessen Festsetzungen durch die Baugenehmigung vollständig umgesetzt werden, an der nach § 47 Abs. 6 VwGO erforderlichen Dringlichkeit, wenn die Betroffenen sich als Nachbarn im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Individualrechtsschutzes gegen die Ausführung eines Vorhabens zur Wehr setzen können (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2016 – 1 NE 16.1174 – juris).
2. Darüber hinaus erweist sich der Normenkontrollantrag voraussichtlich als unbegründet, so dass auch aus diesem Grund der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – BauR 2015, 968).
2.1 Zweifel an der Erforderlichkeit des angegriffenen Bebauungsplans (vgl. BVerwG, U.v. 27.3.2013 – 4 C 13.11 – BVerwGE 146, 137) bestehen nicht, weil der Bebauungsplan die städtebaulichen Konsequenzen aus der Grundstücksteilung zieht. Zutreffend weist die Antragstellerin zwar darauf hin, dass nach § 19 Abs. 2 BauGB Grundstücksteilungen der Realisierung von Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht entgegenstehen dürfen. Das schließt es jedoch nicht aus, dass Gemeinden derartige privatrechtliche Verfügungen zum Anlass nehmen, bestehende Bebauungspläne aus städtebaulichen Gründen zu ändern. Da die Antragsgegnerin das bereits in der 19. Änderung verfolgte Konzept, eine Bebauung in zweiter Reihe zuzulassen, auf das Grundstück der Beigeladenen ausdehnt, konnte die Änderung des Bebauungsplans im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB erfolgen.
2.2 Auch die von der Antragstellerin geltend gemachten Bedenken gegen die Abwägung greifen nicht durch. Eine Gemeinde ist nicht gehalten, im Rahmen der Bauleitplanung die potenzielle Bebaubarkeit eines Grundstücks aufrecht zu erhalten (vgl. BVerwG, B.v. 26.8.2009 – 4 BN 35.09 – BauR 2010, 54). Im Übrigen ist die Reduzierung des Maßes der baulichen Nutzung auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht unverhältnismäßig. Vergleicht man die Grundfläche von 163 m², die der Antragstellerin in der angegriffenen 23. Änderung zugestanden wird – was der Grundfläche ihres Wohnhauses und des abgebrochenen Wintergartens entspricht, der auf dem neu gebildeten Grundstück der Beigeladenen lag – mit dem Teil des Baufensters, das auf der Fläche liegt, die nach der Grundstücksteilung noch von der Antragstellerin genutzt werden kann (175 m² ohne Garage), so erweist sich die Reduzierung der Grundfläche als ebenso maßvoll wie die Reduzierung der Wohneinheiten von drei auf zwei, zumal der Beigeladenen bereits unter Geltung der 19. Änderung des Bebauungsplans auf ihrem Grundstück innerhalb der damaligen Baugrenzen ein Baurecht zustand. Ebenso wenig muss die Antragstellerin befürchten, dass ihrem Haus im Norden die fehlende Abstandsfläche entgegengehalten wird. Denn die 23. Änderung lässt ausdrücklich beim Bestand, aber auch bei einem Ersatzbau einen Grenzanbau nach § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO an der rückwärtigen Grundstücksgrenze zu, was nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO dazu führt, dass keine Abstandsflächen einzuhalten sind. In dieser Festsetzung liegt auch keine Aufhebung der im Bebauungsplan festgesetzten offenen Bauweise, die nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO die Einhaltung von Abstandsflächen zu den seitlichen Grundstücksgrenzen verlangt. Da das Baufenster auf dem Grundstück der Beigeladenen ausreichend weit nach Norden gesetzt worden ist, können die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange trotz des Grenzbaus eingehalten werden mit der Folge, dass sich das nach dem Bebauungsplan zugelassene Wohnhaus der Beigeladenen gegenüber der Antragstellerin nicht als rücksichtslos erweist. Auf den der Beigeladenen im Jahr 2007 erteilten Vorbescheid, der einen Anbau an das bestehende Wohnhaus der Antragstellerin zuließ, kommt es nicht an, weil dieser Vorbescheid nur bis zum 27. Juli 2012 verlängert worden ist und dem zurückgestellten Verlängerungsantrag nunmehr die 23. Änderung des Bebauungsplans entgegensteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene sich mit ihrem Antrag dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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