Baurecht

Erfolglose Berufungszulassung, wenn Darlegungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind (hier: Gebietserhaltungsanspruch und Rücksichtnahmegebot)

Aktenzeichen  15 ZB 17.2351

Datum:
21.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 20001
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2, § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BauNVO § 5, § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Ein sog. „Umkippen“ eines beplanten oder faktischen Dorfgebiets (§ 34 Abs. 2 BauGB iVm § 5 BauNVO) ist relevant für die Frage, ob ein sog. Gebietserhaltungsanspruch eines Nachbarn besteht. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch ist eine Folge davon, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. (Rn. 5) (red. LS Alexander Tauchert)
2 Dorfgebiete iSv § 5 BauNVO dienen gem. § 5 Abs. 2 BauNVO (hier iVm § 34 Abs. 2 BauGB) u.a. und insbesondere der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sowie dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben. Der Gebietscharakter eines Dorfgebiets iSv § 5 BauNVO als ländliches Mischgebiet hängt allerdings nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis dieser Hauptfunktionen ab. (Rn. 6) (red. LS Alexander Tauchert)
3 Schon wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Zulassungsverfahren einerseits und im nachfolgenden Berufungsverfahren andererseits genügt es in der Regel nicht, etwa unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen und unter schlichter Wiederholung der eigenen Ansichten die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. (Rn. 8) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

RN 12 K 16.1329 2017-10-16 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich als Landwirt gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohnbauvorhabens. Er ist Landwirt mit einer innerhalb des Geltungsbereichs der Einbeziehungssatzung „G* …“ gelegenen Hofstelle sowie einer am nordwestlichen Außenrand des Ortsteils, außerhalb des Geltungsbereichs der vorgenannten Satzung situierten Fahrsiloanlage (FlNr. … Gemarkung P***). Im Rahmen des anhängigen Normenkontrollverfahrens 15 N 17.1566, über das der Senat noch nicht entschieden hat, greift der Kläger die Wirksamkeit der am 24. August 2016 bekannt gemachten 2. Änderung der Einbeziehungssatzung „G* …“ an, mit der am nordwestlichen Rand des Ortsteils der südöstliche Teil der vormaligen FlNr. … (heute FlNr. …1 = Baugrundstück) in den Geltungsbereich der Satzung aufgenommen wurde. Mit Bescheid vom 18. Juli 2016 erteilte das Landratsamt Passau den Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Doppelgarage auf dem Baugrundstück. Die vom Kläger am 18. August 2016 erhobene Klage mit dem Antrag, den Genehmigungsbescheid aufzuheben, wies das Verwaltungsgericht Regensburg mit Urteil vom 16. Oktober 2017 ab. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die angegriffene Baugenehmigung verletze keine nachbarschützenden Vorschriften; auf die Wirksamkeit der Änderung der Einbeziehungssatzung komme es dabei nicht an. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, liegen nicht vor bzw. sind nicht in einer Weise dargelegt worden, die den gesetzlichen Substantiierungsanforderungen (§ 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO) genügt.
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
a) Wohnen ist in einem faktischen Dorfgebiet allgemein zulässig (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Das Verwaltungsgericht hat eine Nachbarrechtsverletzung aufgrund eines „Umkippens“ des bestehenden (faktischen) Dorfgebietscharakters verneint. Umstände, die gegen die Richtigkeit dieser Rechtsansicht sprächen, sind vom Kläger im Zulassungsverfahren nicht substantiiert dargelegt worden.
In der vorliegenden Situation einer Nachbaranfechtung ist entscheidend, ob die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen im Genehmigungsverfahren zu prüfende Vorschriften verstößt, die nicht nur dem Schutz der Interessen der Allgemeinheit, sondern auch dem Schutz der Interessen des Klägers zu dienen bestimmt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. z.B. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 86 m.w.N.). Ein sog. „Umkippen“ eines beplanten oder faktischen Dorfgebiets (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 5 BauNVO) ist relevant für die Frage, ob ein sog. Gebietserhaltungsanspruch eines Nachbarn besteht. Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch ist eine Folge davon, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Die weitreichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen. Aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass in diesem Umfang auch ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9 m.w.N.). Insofern hat auch der Eigentümer eines Grundstücks in einem durch Bebauungsplan festgesetzten oder (vgl. § 34 Abs. 2 BauGB) „faktischen“ Dorfgebiet nach den Grundsätzen des Gebietserhaltungsanspruchs einen vom Rücksichtnahmegebot unabhängigen Abwehranspruch gegen eine „schleichende Umwandlung“ bzw. gegen ein „Umkippen“ dieses Gebietscharakters (BVerwG, B.v. 19.1.1996 – BVerwG 4 B 7.96 – BRS 58 Nr. 67 = juris Rn. 5; U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – BVerwGE 133, 377 = juris Rn. 25).
Dorfgebiete i.S. von § 5 BauNVO dienen gem. § 5 Abs. 2 BauNVO (hier i.V. mit § 34 Abs. 2 BauGB) u.a. und insbesondere der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben. Der Gebietscharakter eines Dorfgebiets i.S. von § 5 BauNVO als ländliches Mischgebiet hängt allerdings nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis dieser Hauptfunktionen ab; indes wandelt sich der Gebietscharakter eines Dorfgebiets, wenn die landwirtschaftliche Nutzung völlig verschwindet und auch eine Wiederaufnahme ausgeschlossen erscheint (zum Ganzen vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – BVerwGE 133, 377 = juris Rn. 8, 10; B.v. 29.5.2001 – 4 B 33.01 – NVwZ 2001, 1055 = juris Rn. 5). Eine – sich jedenfalls in gewissen Grenzen haltende – Zunahme der Wohnbebauung in einem Dorfgebiet führt für sich gesehen noch nicht zu einer – rechtlichen – Änderung des Gebietscharakters im Sinne der Baunutzungsverordnung (BVerwG, B.v. 19.1.1996 – BVerwG 4 B 7.96 – BRS 58 Nr. 67 = juris Rn. 5). Um den (faktischen) Dorfgebietscharakter zu wahren, ist es mithin nicht notwendig, dass die land- und forstwirtschaftlichen Nutzungen quantitativ dominieren, entscheidend ist, ob die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe insgesamt noch ein angemessenes städtebauliches Gewicht gegenüber Wohnen und Gewerbe sowie den übrigen nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 ff. BauNVO zulässigen Nutzungen einnehmen (vgl. VGH BW, U.v. 2.10.2013 – 5 S 1273/12 – juris Rn. 21; OVG Schleswig-Holst., B.v. 21.12.2010 – 1 MB 27/10 – NVwZ-RR 2011, 313 = juris Rn. 9; VG Regensburg, U.v. 5.8.2014 – RN 6 K 13.2160 – juris Rn. 38; Scheidler, GewArch Beilage WiVerw Nr. 02/2016, 65/79 m.w.N.). Aus den vom Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichtshofs ergibt sich nichts anderes (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2010 – 15 ZB 09.3047 – juris Rn. 7; zu BVerwG, B.v. 22.5.2001 a.a.O. vgl. bereits oben).
Das Verwaltungsgericht hat zur Frage der Gefahr des „Umkippens“ des faktischen Dorfgebiets ausgeführt, dass – für den Fall der Wirksamkeit der Satzung – im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich der Gebietscharakter des Ortsteils durch das streitgegenständliche Vorhaben ändern könnte. Es existierten dort nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme drei aktive landwirtschaftliche Betriebe. Insofern bliebe es ohne jeden Einfluss auf den Gebietscharakter, wenn hierzu ein einzelnes Wohnhaus hinzutrete.
Die vom Kläger hiergegen vorgebrachten Einwendungen vermögen eine Zulassung der Berufung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu rechtfertigen. Es fehlt insofern schon an einer den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 2 Satz 2 VwGO genügenden Auseinandersetzung mit den tragenden Erwägungen der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils. Das Darlegungsgebot im Berufungszulassungsverfahren erfordert auch bei der Geltendmachung ernstlicher Zweifel i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine substanzielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes. Schon wegen der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Zulassungsverfahren einerseits und im nachfolgenden Berufungsverfahren andererseits genügt es in der Regel nicht, etwa unter Bezugnahme auf das bisherige Vorbringen und unter schlichter Wiederholung der eigenen Ansichten die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. Auch eine schlichte, unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung genügt nicht. Der Rechtsmittelführer muss vielmehr konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit falsch ist. „Darlegen“ bedeutet insoweit „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird; der Rechtsmittelführer muss im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (BayVGH, B.v. 26.9.2016 – 15 ZB 16.1365 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung hinsichtlich der Problemkomplexe „Umkippen“ des (faktischen) Gebietscharakters und Geltendmachung eines Gebietserhaltungsanspruchs nicht gerecht. Mit den tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich der Kläger nicht substantiiert auseinander. Die – wie schon im erstinstanzlichen Klageverfahren – vorgetragene Rechtsansicht, der Gebietscharakter des Dorfgebiets drohe zu „kippen“, bleibt somit pauschale Behauptung. Insofern hätte es insbesondere einer Erörterung mit der – vom Verwaltungsgericht thematisierten – Frage bedurft, inwiefern ein „Umkippen“ des Dorfgebietscharakters möglich ist, wenn weiterhin drei prägende aktive landwirtschaftliche Betriebe im betroffenen Ortsteil vorhanden sind. Hierzu hat der Kläger im Zulassungsverfahren aber nichts vorgebracht. Warum gerade die in der Zulassungsbegründung hervorgehobenen Umstände, dass mit Ausnahme der klägerischen Fahrsiloanlage die landwirtschaftlichen Betriebe und deren Anlagen in gehöriger Entfernung von den geplanten Wohnhäusern errichtet seien, die Befürchtung begründen könnte, dass der bestehende Gebietscharakter „unkippe“, wird nicht näher erläutert und ist auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der Kläger hiermit geltend machen will, dass das Vorhaben der Beigeladenen im Falle seiner Umsetzung nach dem gewählten Standort aufgrund der Nähe zur Fahrsiloanlage unzumutbaren (Geruchs- und / oder Lärm-) Belastungen ausgesetzt werde und dies für die in unmittelbarer Nachbarschaft bereits vorhandenen emittierenden Anlagen bzw. Nutzungen des Klägers unzumutbar sei, geht es ausschließlich um die Frage der Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots [hierzu im Folgenden b); vgl. auch die vom Kläger zitierte Entscheidung BayVGH, B.v. 22.3.2010 – 15 ZB 09.3047 – juris Rn. 8 ff.], hat aber mit der Thematik „Umkippen eines faktischen Dorfgebietscharakters“ bzw. „Gebietserhaltungsanspruch“ nichts zu tun.
b) Auch die Einwendungen des Klägers gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheide sowohl bei Wirksamkeit als auch bei Unwirksamkeit der Einbeziehungssatzung aus, weil die Wohngrundstücke unmittelbar südlich der Fahrsiloanlage stärker betroffen seien als das Baugrundstück der Beigeladenen, rechtfertigt keine Berufungszulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
Dem Gebot der Rücksichtnahme – das als nachbarschützender bauplanungsrechtlicher Genehmigungsmaßstab im vorliegenden Fall bei Gültigkeit der Einbeziehungssatzung in § 34 Abs. 1 BauGB („einfügen“) bzw. in § 34 Abs. 2 BauGB i.V. mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO, bei Annahme der Unwirksamkeit der Satzung und einer dann gegebenen Außenbereichslage des Baugrundstücks in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu verankern ist – kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Es wird zulasten des Nachbarn – hier des Klägers – verletzt, wenn durch das geplante Vorhaben die Nutzung des Nachbargrundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird, also unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit der Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen überschritten wird, was der Nachbar billigerweise hinnehmen muss (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – BauR 2013, 934 = juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.). Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen – hier der Geruchsbelastung – ist grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 3 Abs. 1 BImSchG) und auf dessen materiell-rechtliche Maßstäbe (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314 = juris Rn. 22; BayVGH, B.v. 3.5.2016 – 15 CS 15.1576 – UPR 2017, 32 = juris Rn. 11; VGH BW, U.v. 12.10.2017 – 3 S 1457/17 – ZfBR 2018, 171 = juris Rn. 29). Eine heranrückende Wohnbebauung verletzt einem bestehenden emittierenden Betrieb gegenüber das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (NdsOVG, U.v. 12.6.2018 – 1 LB 141/16 – juris Rn. 23 m.w.N.).
Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer heranrückenden Wohnbebauung zu Lasten eines bestehenden geruchs- oder lärmemittierenden Betriebs ist demgegenüber grundsätzlich ausgeschlossen, wenn das neue störempfindliche Vorhaben (hier: das streitgegenständliche Wohnbauvorhaben) in der Nachbarschaft eines „störenden Betriebs“ (hier: die Fahrsiloanlage des Klägers) für diesen keine weiteren Einschränkungen zur Folge haben wird, weil er schon auf eine vorhandene, in derselben Weise störempfindliche Bebauung Rücksicht nehmen muss (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2009 – 4 C 5.09 – ZfBR 2010, 262 = juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 24.4.2014 – 15 ZB 13.1167 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 9; B.v. 5.4.2016 – 15 ZB 14.2792 – juris Rn. 4). Hierauf hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils in der Sache abgestellt und ausgeführt, dass hinsichtlich der Geruchsbelastung die Situationsgebundenheit der Fahrsiloanlage in unmittelbarer Nähe zu der südlich angrenzenden Wohnbebauung zu berücksichtigen sei. Diese Bestandsschutz genießende Wohnbebauung setze dem Betrieb der Fahrsiloanlage bereits jetzt Grenzen, die durch das hinzukommende Vorhaben der Beigeladenen nicht zum Nachteil des Klägers verändert werden könne. Von den möglicherweise von der Fahrsiloanlage ausgehenden Geruchsimmissionen wären die unmittelbar südlich angrenzenden Wohnhäuser auf FlNrn. … und …3 stärker betroffen als das weiter entfernte geplante Wohnhaus auf dem Baugrundstück. Dieser Eindruck werde dadurch verfestigt, dass sich das Vorhaben der Beigeladenen genau entgegengesetzt der Hauptwindrichtung befinde. Hinsichtlich der Lärmimmissionen gelte nichts anderes. Insofern sei auch hinsichtlich der Benutzung des Zufahrtwegs das Wohnanwesen auf FlNr. …, das gleich an zwei Seiten vom Zulieferverkehr betroffen sei, deutlich stärker beeinträchtigt als das Baugrundstück.
Dem setzt der Kläger in der Zulassungsbegründung nichts Substantielles entgegen. Soweit er vorträgt, dass das Verwaltungsgericht nicht lediglich auf einen Eindruck habe Bezug nehmen dürfen, der sich angeblich verfestige, und dass solche Eindrücke nicht geeignet seien, eine Einzelfallentscheidung zu begründen, bleiben die Einwendungen ebenfalls zu unsubstantiiert, um dem Darlegungsgebot des § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO zu genügen. Eine nähere Begründung bzw. einen konkreten Gegenvortrag, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die unmittelbar südlich an die Fahrsiloanlage angrenzenden Wohngrundstücke stärker belastet seien als das Baugrundstück, unrichtig sei, bleibt die Zulassungsbegründung schuldig.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Verwaltungsgericht seine Annahme, dass hinsichtlich der Geruchsbelastung keine Rücksichtslosigkeit zu Lasten des Klägers vorliege, auch auf eine weitere, selbständige Begründung gestützt hat: Es hat angenommen, dass selbst für den Fall, dass eine geringfügig höhere Betroffenheit des Baugrundstücks bestünde, das Rücksichtnahmegebots nicht verletzt sei. Hinsichtlich der Geruchsbelastung weise das streitgegenständliche Wohnhaus der Beigeladenen mit Blick auf den vom Bayerischen Arbeitskreis „Immissionsschutz in der Landwirtschaft“ geforderten Mindestabstand (25 m) mit 40 m einen ausreichenden Abstand zur Fahrsiloanlage auf (zur Möglichkeit des Rückgriffs hierauf als Orientierungshilfe zur Bestimmung der Grenze zumutbarer Geruchsbelastung vgl. z.B. BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 2 B 16.231 – juris Rn. 27 m.w.N.). Die Zulassungsbegründung beschränkt sich insofern auf die pauschale Behauptung, dass auch der „Verweis auf den Mindestabstand von 25 Metern“ nicht geeignet sei, eine gebotene „Einzelfallentscheidung zu begründen“. Eine sachliche, substantiierte Auseinandersetzung mit diesem weiteren Begründungsstandbein des Verwaltungsgerichts zur Verneinung einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist auch hierin nicht zu sehen.
Der weitere Einwand, dass bei der Einzelzulassung des streitgegenständlichen Vorhabens dem beim Senat parallel anhängigen Normenkontrollantrag langsam / schleichend das „Substrat“ entzogen werde, mit der Folge, dass irgendwann einmal sogar noch das Rechtsschutzbedürfnis für die Normenkontrollklage fehle, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils vom 16. Oktober 2016. Entscheidend ist im vorliegenden Nachbarrechtsstreit ausschließlich, ob die streitgegenständliche Baugenehmigung subjektive Rechte des Klägers verletzt. Das ist nur dann der Fall, wenn die Baugenehmigung gegen öffentlich-rechtliche Anforderungen verstößt, die auch dem Individualinteresse des Klägers zu dienen bestimmt sind und die als materiell-rechtliche Anforderungen im hier einschlägigen vereinfachten Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) zum sog. Prüfprogramm gehören. Rechtsfragen zur Zulässigkeit eines parallel anhängigen Normenkontrollverfahrens sind hiervon nicht umfasst.
2. Ein Berufungszulassungsgrund gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht ersichtlich. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach dem Zulassungsvortrag des Klägers vorliegend nicht erfüllt bzw. nicht substantiiert dargelegt, wie sich aus den voranstehenden Ausführungen zu 1. ergibt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Denn ein Beigeladener setzt sich im Berufungszulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung grundsätzlich keinem eigenen Kostenrisiko aus (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 15 ZB 16.562 – juris Rn. 18 m.w.N.). Ein Grund, der es gebieten würde, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen im vorliegenden Fall aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise als erstattungsfähig anzusehen (vgl. etwa BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 76), ist nicht ersichtlich. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57) und folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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