Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen ein Mehrfamilienhaus im unbeplanten Innenbereich

Aktenzeichen  AN 9 K 17.01623

Datum:
4.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 18296
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 3, Art. 59, Art. 63 Abs. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71
BauNVO § 22 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1 Eine gegen eine Baugenehmigung gerichtete Nachbarklage ist sachlich unbegründet, soweit sie sich auf Feststellungen stützt, die dem Nachbarn gegenüber durch einen Vorbescheid schon bestandskräftig geworden sind. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wird durch ein Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich das durch eine Doppelhausbebauung begründete nachbarschaftliche Austauschverhältnis einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht, liegt darin ein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des „Einfügens“ verankerte Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf die Bauweise. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 In einem bebauten innerstädtischen Wohnbereich ist es grundsätzlich hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden können und es dadurch zu einer gewissen Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. auch von einzelnen Wohnräumen kommt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Klage ist zwar zulässig. Ihr fehlt insbesondere nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Frage, ob einem Vorbescheid Bindungswirkung im Hinblick auf die streitgegenständliche Baugenehmigung zukommt, ist erst eine Frage der Begründetheit der Klage (BVerwG, U.v. 17.3.1989 – 4 C 14/85 – juris Rn. 15), so dass dessen Bestandskraft der Zulässigkeit der Klage gegen die Baugenehmigung nicht entgegenstehen kann.
Die Klage ist aber unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom … 2017 den Kläger nicht in seinen nachbarschützenden Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bei der Klage von Dritten – hier vom baurechtlichen Nachbarn – haben diese aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht schon dann einen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung, wenn diese lediglich objektiv rechtswidrig ist; vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus solchen Normen ergeben, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtlichen Verfahren gehören (vgl. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO; BayVGH, B.v. 10.10.2013 – 15 ZB 11.1480 – juris Rn. 9) und zugleich auch dem Schutz dieser Dritten dienen (sog. Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Im gerichtlichen Verfahren von Dritten findet somit keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle der Baugenehmigung statt.
Das beantragte Bauvorhaben verletzt nach Maßgabe dieser Vorgaben keine Rechte des Klägers. Ausgehend vom hier relevanten Prüfungsumfang des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens (Art. 59 BayBO) scheidet eine Verletzung derartiger Rechte in bauplanungsrechtlicher Hinsicht bereits aufgrund der Bindungswirkung des bestandskräftigen Vorbescheids aus (dazu 1.). Selbst bei Außerachtlassen dieser Bindungswirkung wäre hier allenfalls eine Verletzung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots denkbar, wobei ein derartiger Verstoß hier nicht vorliegt (dazu 2.). Auch eine Verletzung drittschützender Vorschriften des Bauordnungsrechts ist nicht ersichtlich (dazu 3.).
1. Eine Verletzung von Nachbarrechten aufgrund von Bauplanungsrecht kann der Kläger aufgrund des bestandskräftigen Vorbescheids vom … 2017 nicht mehr mit Erfolg geltend machen. Eine gegen eine Baugenehmigung gerichtete Nachbarklage ist nämlich auch dann sachlich unbegründet, soweit sie sich auf Feststellungen stützt, die dem Nachbarn gegenüber durch einen Vorbescheid schon bestandskräftig geworden sind (BayVGH, B.v. 30.11.2009 – 2 CS 09.1979 – juris Rn. 23). Ein bestandskräftiger Vorbescheid hat hinsichtlich der Fragen, die inhaltlich denen entsprechen, die mit dem Vorbescheid bereits beantwortet wurden für die Bauaufsichtsbehörde sowie für im Verfahren beteiligte Nachbarn grundsätzlich eine auf drei Jahre befristete Bindungswirkung (vgl. Art. 71 Satz 2 BayBO). Hier wurde mit dem Vorbescheid vom … 2017 die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestätigt. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Tenor und den Gründen des Bescheides.
Die Bindungswirkung ist auch nicht deshalb entfallen, weil die Bauantragsunterlagen hinsichtlich einiger Wandlängen um einige Zentimeter von denen in den Vorbescheidsunterlagen abweichen oder die Dachneigung leicht verändert wurde. Zwar erstreckt sich eine Bindung nur auf Vorhaben, die inhaltlich dem Vorbescheid vollständig entsprechen oder von diesem ohne Veränderung der Grundkonzeption allenfalls geringfügig abweichen. Wird das Vorhaben hingegen derart verändert, dass es in rechtserheblicher Weise von den entschiedenen Punkten abweicht und die Genehmigungsfrage neu aufwirft, entfällt die Bindungswirkung des Vorbescheids (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 7 f.). Vorliegend sind die Änderungen jedoch allenfalls geringfügig. Die Grundkonzeption wird gerade nicht infrage gestellt, zumal insbesondere die Außenwände des Vorhabens gegenüber dem bestandskräftigen Vorbescheid sogar leicht verkürzt wurden. Nach dem Vorbescheid hätte der Kläger sogar die längeren Außenwände hinnehmen müssen. Letztlich weicht der Bauantrag nicht in rechtserheblicher Weise von den durch den Bauvorbescheid entschiedenen Punkten ab, so dass die Genehmigungsfrage hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit, nur diese war Frage des Bauvorbescheides, nicht neu aufgeworfen wird.
Diese Bindungswirkung gilt auch gegenüber dem Kläger, da ihm der Vorbescheid seitens der Beklagten bekannt gegeben worden ist. Auch wenn das Original der diesbezüglichen Postzustellungsurkunde bei der Beklagten nicht mehr auffindbar war, geht aus der im Gerichtsverfahren vorgelegten Kopie hiervon eindeutig hervor, dass dem Kläger der Vorbescheid am … 2017 durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt wurde. Überdies hat der Kläger sich gerade mit Schreiben vom 1. März 2017 über den Erlass des Bauvorbescheids vom 12. Januar 2017 bei der Beklagten beschwert und eine Klage angedroht, womit deutlich wird, dass er diesen erhalten bzw. Kenntnis hiervon erlangt hat. Auf Grund der Bindungswirkung des bestandskräftigen Vorbescheids, der mit der Aussage, dass das Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig ist, eine abschließende Beurteilung getroffen hat, kann der Kläger eine Verletzung bauplanungsrechtliche Vorschriften nicht mehr geltend machen.
2. Selbst wenn man hier zu Gunsten des Klägers unterstellen würde, der Vorbescheid entfalte ihm gegenüber keine Bindungswirkung, ergäbe sich letztlich auch nichts anderes, insbesondere läge eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht vor.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist das Maß der gebotenen Rücksichtnahme jeweils von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig. Gegeneinander abzuwägen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben weder unter Berücksichtigung der seitens des Klägers geltend gemachten Grundsätze der Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris m.w.N.) noch aus anderen Gründen dem Kläger gegenüber als rücksichtslos dar.
Wird durch ein Vorhaben im nicht beplanten Innenbereich das durch eine Doppelhausbebauung begründete nachbarschaftliche – durch den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den gemeinsamen Grundstücksgrenzen hervorgerufene – Austauschverhältnis einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht, liegt darin zwar ein Verstoß gegen das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des „Einfügens“ verankerte Gebot der Rücksichtnahme in Bezug auf die Bauweise. Allerdings scheidet ein solcher Verstoß hier selbst dann aus, wenn man zugunsten des Klägers annehmen würde, dass sein Wohnhaus und das ehemalige, mittlerweile abgerissene, Wohnhaus des Beigeladenen derart als Einheit zusammengefügt waren, dass diese ein Doppelhaus bildeten. Denn ein Austauschverhältnis besteht regelmäßig nur hinsichtlich der wechselseitigen Grenzbebauung. Vorliegend ist jedoch der Teil des Vorhabens, der überhaupt geeignet wäre, das Austauschverhältnis zu überschreiten, gerade nicht grenzständig errichtet. Vielmehr hält der nach Südwesten orientierte Queranbau die zum klägerischen Grundstück erforderlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ein und überschreitet den Rahmen der wechselseitigen Grenzbebauung damit nicht.
Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall vermag das Gericht nicht zu erkennen. Insbesondere ist der vorliegende Fall entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht mit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Juli 2010 vergleichbar (9 CS 10.894 – juris). In dieser Einzelfallentscheidung wurde bei einem Anbau an ein Reihenhaus unter Durchbrechung der profilgleichen Reihenhausbauweise trotz Einhaltung der Abstandsflächen das Vorhaben wegen der Möglichkeit der Einsichtnahme als rücksichtslos eingestuft. Allerdings lagen der damaligen Entscheidung im Vergleich zur Lage des Klägers völlig andere tatsächliche Verhältnisse zugrunde. Dort erstreckte sich der Queranbau nämlich gerade in den Ruhe- und Gartenbereich der Reihenhauszeile hinein. Ein solcher Ruhe- und Gartenbereich ist hier entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegeben. So besteht der Bereich vor dem klägerischen Anwesen aus einer nahezu auf die gesamte Länge der gemeinsamen Grundstückgrenze errichteten Garage sowie einer sich nach Westen anschließenden befestigten Fläche, die der Zufahrt zur Garage dient und allein schon deshalb nicht als Erholungsbereich genutzt werden kann. Den beiden auf dem klägerischen Grundstück noch befindlichen Grünstreifen kommt insoweit lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu. Diesbezüglich dürfte ohnehin der auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze befindlichen Garage eine erhebliche Abschirmwirkung zukommen, die bereits jetzt einen ausreichenden Schutz vor Einblicke in das klägerische Grundstück bietet. Soweit der Kläger einen fehlenden Schutz vor Einblick auf den schmalen Grünstreifen zwischen seinem Wohnhaus und dem Beginn der Garage vorbringt, ist ihm insoweit zumutbar, sich bzw. seine Mieter durch eigene Vorkehrungen (Sichtschutzwand), Begrünung, entsprechend abzuschirmen.
Auch die Annahme einer optisch „erdrückenden“ Wirkung scheidet bereits mangels einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhaben des Beigeladenen und dem Wohnhaus des Klägers aus. Auch mit Blick auf die Belange der Belichtung, Besonnung oder Belüftung, kann eine unzumutbare Beeinträchtigung bei dem hier vorliegenden Abstand der beiden Gebäude ausgeschlossen werden. Soweit der Kläger hier eine Verschattung seines Grundstücks befürchtet, resultiert auch hieraus keine Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne. In einem bebauten innerstädtischen Wohnbereich ist es grundsätzlich hinzunehmen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden können und es dadurch zu einer gewissen Verschattung des eigenen Grundstücks bzw. auch von einzelnen Wohnräumen kommt. Aufgrund der Lage des streitgegenständlichen Vorhabens dürfte es, wenn überhaupt, allenfalls in den Morgen- und frühen Mittagsstunden zu einer Beeinträchtigung der nach Südwesten ausgerichteten Fenster des klägerischen Wohnhauses kommen.
3. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das Vorhaben gegen drittschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts verstoßen würde. Soweit im streitgegenständlichen Bescheid in Ziffer 2 eine Abweichung von den Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 3 BayBO nach Art. 63 Abs. 1 BayBO wegen Überdeckung der Abstandsflächen erteilt wurde, kann auch hierin keine Verletzung subjektiver Klägerrechte liegen. Denn die Abstandsflächenüberdeckung betrifft lediglich Abstandsflächen vor Gebäudeteilen auf dem Vorhabengrundstück selbst und hat keine Auswirkung auf das Wohngebäude oder Belange des Klägers. Überdies wäre mit Blick auf den Grundsatz von Treu und Glauben ohnehin fraglich, inwieweit sich der Kläger überhaupt auf die Einhaltung der rechtlich normierten Abstandsflächen berufen könnte, da die auf seinem Grundstück errichtete Garage mit ihrer Länge von knapp 10 m selbst die Abstandsflächen zum Grundstück des Beigeladenen hin nicht einhalten dürfte.
Nach alledem ist die streitgegenständliche Baugenehmigung vom … 2017 nicht geeignet, den Kläger in drittschützenden Vorschriften zu verletzen. Die Klage ist mithin unbegründet und ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt billigerweise seine außergerichtlichen Kosten selbst. Er hat im Klageverfahren keinen Antrag gestellt und sich deshalb auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).


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