Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Errichtung einer Garage unter Teilabbruch eines Wohngebäudes

Aktenzeichen  W 5 K 16.938

Datum:
27.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 3, Art. 28, Art. 59 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Art. 63, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Abs. 4
BauGB BauGB § 34 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
BauNVO BauNVO § 5 Abs. 2 Nr. 6, § 6 Abs. 2 Nr. 4, § 12 Abs. 1, § 22 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1
GaStellV GaStellV § 9

 

Leitsatz

1. Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO kommt auch dann zur Anwendung, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden in der Umgebung des Baugrundstücks mit und ohne seitlichen Grenzabstand “regellos” erscheint. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kommt in einem unbeplanten Gebiet teilweise offene, teilweise geschlossene, aber auch abweichende Bauweise vor, dann sind regelmäßig die offene und die geschlossene Bauweise planungsrechtlich in dem Sinn zulässig, dass nicht an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss, aber an die Grenze gebaut werden darf. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, kann im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Baugenehmigung ist inhaltlich auf das öffentliche Recht beschränkt. Private Rechte können nicht vor den Bauaufsichtsbehörden und Verwaltungsgerichten, sondern nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Der Klage, über die auch in Abwesenheit des ordnungsgemäß geladenen Klägers (vgl. Postzustellungsurkunde vom 24.5.2017, Bl. 29 der Gerichtsakte) entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig aber nicht begründet.
Nach sachgerechter Auslegung, die sich am Rechtsschutzziel zu orientieren hat (§ 88 VwGO), ist der Antrag des anwaltlich nicht vertretenen Klägers, der sich explizit gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 16. August 2016 wendet und eine „Baueinstellung bzw. Rückziehung der Baugenehmigung bis zur rechtlichen Klärung in allen Punkten“ beantragt, jedenfalls dahingehend zu verstehen, dass er die Aufhebung dieses Bescheids begehrt.
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung des Landratsamts H. vom 16. August 2016 nicht rechtswidrig ist und damit den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Einem Nachbarn des Bauherrn steht ein Anspruch auf Versagung der Baugenehmigung grundsätzlich nicht zu. Er kann eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg anfechten, wenn Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt.
Nach Art. 59 BayBO ist im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Prüfungsrahmen beschränkt. Die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften der Bayerischen Bauordnung wird grundsätzlich nicht mehr geprüft. Nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO hat die Bauaufsichtsbehörde aber die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die baulichen Anlagen nach § 29 bis 38 BauGB zu prüfen und nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO beantragte Abweichungen i.S.d. Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO.
2. Soweit vom Kläger im Rahmen seiner Klageschrift vom 11. September 2016 wie auch in der Begründung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz vorgebracht wird, dass die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO nicht eingehalten seien und eine Grenzbebauung in der genehmigten Länge ohne seine Unterschrift nicht zulässig sei, kann dies nicht zum Erfolg der Klage führen.
Denn es liegt keine Verletzung abstandsflächenrechtlicher Vorschriften zu Lasten des Klägers vor. Hierzu hat die Kammer im Beschluss vom 21. September 2016 im Verfahren W 5 S. 16.939 bereits Folgendes ausgeführt:
„Hier hat das Landratsamt H. auf den Antrag vom 8. August 2016 im streitgegenständlichen Baugenehmigungsbescheid eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 BayBO von den Abstandsflächen auf der Südost- und Nordostseite erteilt. Es spricht einiges dafür, dass die Baugenehmigungsbehörde wohl zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass das Vorhaben des Beigeladenen insoweit einer Abweichung von den Regelungen über Abstandsflächen bedarf, so dass sie ins Leere geht. Im Einzelnen:
Zwar sind nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Eine Abstandsfläche ist nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO aber gerade nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf.
Diese Regelung räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Dazu gehören die Vorschriften über die geschlossene (§ 22 Abs. 3 BauNVO) und abweichende Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO). Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand (Bauwich) als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder als Hausgruppen mit einer Länge von höchstens 50 m errichtet. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BauNVO werden in der geschlossenen Bauweise die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.
Dieser Vorrang des Planungsrechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, vielmehr kommt auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO, 122. EL 2016, Art. 6 Rn. 33 f. m.w.N. zur Rspr.). Eine solche geschlossene Bauweise (Bebauung der seitlichen Grundstücksgrenzen) bzw. abweichende Bauweise kann also nicht nur in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, sondern sie kann sich in den Fällen, in denen nach § 34 BauGB der planungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens die vorhandene Bebauung ist, auch aus dieser ergeben, mit der Folge, dass sie dann die verbindliche Bauweise ist.
Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO kommt nach zutreffender Auffassung auch dann zur Anwendung, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden in der Umgebung des Baugrundstücks mit und ohne seitlichen Grenzabstand „regellos“ erscheint, wie dies hier der Fall ist (BayVGH, B.v. 8.10.2013 – 9 CS 13.1636; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363; U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616; alle juris). Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist für eine einschränkende Auslegung, dass diese Vorschrift bei „regelloser“ Bauweise nicht zur Anwendung komme, kein Raum. Außerdem ist in historisch gewachsenen, nicht von einer Bauleitplanung gelenkten Strukturen kaum jemals eine völlige Regelmäßigkeit anzutreffen. Das Anliegen, eine Grenzbebauung bei einer vorhandenen Mischung aus unterschiedlichen Bauweisen, wie im vorliegenden Fall, aufgrund städtebaulich zu missbilligender Zustände zu verhindern, ist vielmehr über das Bauplanungsrecht wegen eines Verstoßes gegen das objektive Gebot der Rücksichtnahme zu lösen (vgl. BayVGH, U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616- juris).
Der aus dem in der Behördenakte enthaltenen Katasterplan und Luftbild ersichtliche Bebauungsbereich zwischen der B … Straße (im Nordwesten und Nordosten), der …rstraße (im Südwesten) und dem S … (im Südosten) wird weder allein durch die geschlossene, noch die offene noch die halboffene Bauweise geprägt. Gleiches gilt für den weiteren Bereich jenseits der B … Straße, der …rstraße und dem S … Das Baugrundstück selbst zeigt eine geschlossene Bauweise, denn das bisher vorhandene Wohnhaus steht (nach dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster und dem Luftbild) mit seinen beiden seitlichen Außenwänden auf (oder jedenfalls in unmittelbarer Nähe) der Grundstücksgrenze. Die rückwärtige Gebäudewand befindet sich ebenfalls auf der hinteren Grundstücksgrenze. Auch auf dem Grundstück des Antragstellers findet sich Bebauung auf beiden seitlichen Grundstücksgrenzen bzw. in deren unmittelbarer Nähe sowie an der rückwärtigen Grenze (zum Anwesen des Beigeladenen). Auf dem südwestlich des Grundstücks des Antragstellers gelegenen Grundstück Fl.Nr. 6 ist eine Grenzbebauung an beiden Grundstücksseiten gegeben, allerdings ist die hintere Grundstücksgrenze von einer solchen freigehalten. Anders verhält es sich bei dem hieran in südwestlicher Richtung anschließenden Grundstück Fl.Nr. …0. Dieses ist an seiner hinteren und an einer seitlichen Grenze bebaut. Durch eine halboffene Bauweise zeichnen sich (ebenfalls) die südlich bzw. südöstlich des Grundstücks des Antragstellers gelegenen Grundstücke Fl.Nr. 0, 2, …2 und 9 aus. Das in östlicher Richtung gelegene und an den S … anschließende Grundstück Fl.Nr. 4 ist sowohl an seinen seitlichen Grenzen wie auch an seiner rückwärtigen Grenze bebaut. Jenseits der B … Straße findet sich unmittelbar gegenüber dem Grundstück des Beigeladenen beidseitige seitlich Grenzbebauung auf Fl.Nr. …2 und Fl.Nr. …5. Es findet sich aber auch Bebauung auf einer Seite, so auf Fl.Nr. …8, wie auch Bebauung der rückwärtigen Grundstücksgrenze, bspw. auf Fl.Nr. 115. Offene Bauweise ist im Umgriff des Baugrundstücks zwar ebenfalls gegeben, wenn auch selten. Nach allem existiert jedenfalls im fraglichen Bereich um das Baugrundstück eine Regel, den Bereich an den seitlichen und rückwärtigen Grundstücksgrenzen von einer Bebauung freizuhalten, offensichtlich nicht.
Kommt in einem unbeplanten Gebiet, wie im vorliegenden Fall, teilweise offene, teilweise geschlossene, aber auch abweichende Bauweise vor, dann sind regelmäßig die offene und die geschlossene Bauweise planungsrechtlich in dem Sinn zulässig, dass nicht an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss, aber an die Grenze gebaut werden darf (BayVGH, B.v. 16.1.2014 – 9 CS 13.1808; U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616; beide juris). Daraus folgt, dass sich die Errichtung des (Garagen-)Gebäudes des Beigeladenen an der Grundstücksgrenze zum Grundstück des Antragstellers planungsrechtlich innerhalb des aus der Umgebung hervorgehenden Rahmens hält.
Abgesehen davon begegnet auch die Erteilung einer Abweichung durch das Landratsamt nach Art. 63 Abs. 1 BayBO keinen Bedenken. Die Baugenehmigungsbehörde hat dem Beigeladenen hinsichtlich der nordöstlichen und südöstlichen Seite ohne Rechtsverstoß eine Abweichung von den Abstandsflächen gewährt; hinsichtlich der südwestlichen Seite liegen jedenfalls die Voraussetzungen für die Erteilung vor.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen u.a. von Anforderungen dieses Gesetzes zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Das Baugrundstück weist insoweit einen atypischen Zuschnitt auf, als es mit seiner geringen Größe von ca. 100 m² vom wesentlich größeren Grundstück des Antragstellers auf drei Seiten umfasst wird und den Eindruck erweckt, aus diesem „herausgeschnitten“ worden zu sein. Das Baugrundstück war und ist unter Einhaltung der Abstandsflächen (sinnvoll) nicht zu bebauen. Eine vernünftige Bebauung war und ist nur möglich unter Nichteinhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen. Eine Beeinträchtigung geschützter Nachbarbelange wie Belichtung, Belüftung, Besonnung und Erhaltung des Wohnfriedens wurde von Seiten des Antragstellers schon nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Hierbei ist von wesentlicher Bedeutung, dass sich die Kubatur des bisher bestehenden Gebäudes wie auch dessen auf das Grundstück des Antragstellers einwirkenden Außenwände durch die streitgegenständlichen baulichen Maßnahmen nicht erhöht, sondern (und zwar) deutlich reduziert werden. Somit tritt aufgrund der Baumaßnahme sogar eine Verbesserung hinsichtlich Besonnung, Belichtung und Belüftung des Grundstücks des Antragstellers ein. Des Weiteren ist hier von wesentlicher Bedeutung, dass die Gebäude auf dem Grundstück des Antragstellers zum Grundstück des Beigeladenen selbst keine Abstandsflächen einhalten. So kann aber derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, kann im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht auch noch die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen. Diese Billigkeitserwägung ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Einbeziehung der Umstände des einzelnen Falles mit zu beachten (BayVGH, B.v. 19.4.1994 – 2 CS 94.755 – BayVBl 1995, 22).“
Im Rahmen des (weiteren) Klageverfahrens hat der Kläger insoweit nichts Neues vorgebracht, so dass sich weitere Ausführungen erübrigen.
3. Dem Vorhaben des Beigeladenen stehen auch keine – nach Art. 59 Abs. 1 Nr. 1 BayBO zu prüfenden – bauplanungsrechtlichen Gründe entgegen.
Bauplanungsrechtlich beurteilt sich das Vorhaben des Beigeladenen seiner Art nach nach § 34 Abs. 2 BauGB – wobei offenbleiben kann, ob i.V.m. § 5 oder § 6 BauNVO – und im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB. Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist das Vorhaben des Beigeladenen gemäß § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB i.V.m. § 12 Abs. 1 BauNVO bzw. i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO oder § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO zulässig. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach der Art und dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Das Vorhaben der Beigeladenen fügt sich im vg. Sinne in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Im Übrigen werden Nachbarrechte durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann verletzt, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des „Einfügens“ enthaltene (drittschützende) Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Insoweit hat die Kammer im Beschluss vom 21. September 2016 im Verfahren W 5 S. 16.939 bereits Folgendes ausgeführt:
„Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Kläger aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB 2016, § 35 Rn. 78). In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Ob dies der Fall ist, hängt ganz wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben des Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Anwesen des Antragstellers im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung kann nicht gesprochen werden.
Dass das Bauvorhaben des Beigeladenen dem Antragsteller gegenüber erdrückende Wirkung entfalten würde, hat von vornherein auszuscheiden. Es ist nicht erkennbar, dass die erneute Zulassung eines Gebäudes an der Grundstücksgrenze – an dieser Stelle stand bereits bisher ein deutlich größeres Gebäude – die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten des Antragstellers überschreiten würde. Eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das Anwesen des Antragstellers scheidet sowohl von den Ausmaßen als auch der baulichen Gestaltung aus. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris). Vielmehr überragen die auf der Grundstücksgrenze errichteten baulichen Anlagen auf dem Grundstück des Antragstellers das geplante Garagengebäude in der Höhe um ein Mehrfaches und auch die Kubatur der jeweiligen Gebäude fällt hier einseitig zu Lasten des Beigeladenen aus.
Soweit der Antragsteller behauptet, dass die Nutzungsänderung zu einer nicht ertragbaren Emissionserhöhung führen würde, kann dies dem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen. Zum einen bleibt der Antragsteller hierfür jegliche Begründung schuldig. Zum anderen ist auch sonst nicht das Geringste dafür ersichtlich, dass durch das vom Beigeladenen geplante Garagengebäude mit voraussichtlich maximal vier Pkw-Einstellplätzen unzumutbare Emissionsbelastungen auf dem Anwesen des Antragstellers drohen würden. Insoweit kann auch nicht außer Ansatz bleiben, dass sich der Wohnbereich auf dem weitläufigen Grundstück des Anwesens des Antragstellers in den dem Bauvorhaben abgewandten Bereich befindet und der Antragsteller unmittelbar angrenzend an das Baugrundstück ebenfalls eine Nutzung als Garage bzw. zu gewerblichen Zwecken betreibt (es sind Garagentore in den in der Behördenakte enthaltenen Lichtbildern erkennbar).“
Da auch insoweit im Rahmen des (weiteren) Klageverfahrens der Kläger nichts Neues vorgebracht hat, erübrigen sich (ebenfalls) weitere Ausführungen.
4. Soweit der Kläger eine Erhöhung der Brandgefahr durch die Errichtung der Garage bzw. einen Verstoß gegen Grundsätze der Standsicherheit oder der Zufahrt rügt, kann er hiermit ebenfalls nicht durchdringen.
Zum einen ist weder von Klägerseite vorgetragen noch sonst wie ersichtlich, worin hier eine Verletzung derartiger Vorschriften gegeben sein soll. Wenn der Kläger geltend macht, dass Fensteröffnungen auf der Grenze bei Garagenanlagen nicht genehmigungsfähig seien, so bleibt darauf zu verweisen, dass ausweislich der in der Behördenakte enthaltenen Eingabepläne bzw. des angebrachten Genehmigungsvermerks (vgl. Bl. 45 f. der Bauakte) Fensteröffnungen nicht vorgesehen sind bzw. eine Brandwand zu errichten ist. Insoweit ist ein Verstoß gegen Art. 28 BayBO i.V.m. § 9 der Garagen- und Stellplatzverordnung (GaStellV) nicht ersichtlich. Die vom Kläger gerügte Verletzung der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV (Zu- und Abfahrt zwischen Garage und öffentlichem Verkaufsraum von mindestens 2 m Länge) kann schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil ein derartiger Stauraum allein aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erforderlich ist. Der Nachbar kann aus der sich aus der Verkehrssituation gegebenenfalls ergebenden Forderung, einen Stauraum einzuhalten, keine Rechte herleiten (Würfel in Simon/Busse, BayBO, Art. 47 Rn. 191 m.w.N zur Rspr.).
Zum anderen scheidet eine Verletzung von Nachbarrechten durch die Baugenehmigung aus, da die Regelungen der Bayerischen Bauordnung zum Brandschutz, zur Standsicherheit und zur Zufahrt nicht zum Prüfungsgegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens i.S.v. Art. 59 Satz 1 BayBO gehören und somit nicht Gegenstand der vom Kläger angegriffenen Baugenehmigung sind.
5. Soweit der Kläger die „vorsätzliche Überbauung von Grenzen“ rügt und damit die Verletzung privater Rechte durch den Beigeladenen, ist dies unbehelflich. Gemäß Art. 68 Abs. 4 BayBO wird die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt.
Eine von der Behörde erteilte Baugenehmigung kann private Rechte mithin nicht verletzen, dies ist erst durch die Ausführung des Vorhabens möglich, so dass die Rechtsverletzung eines Dritten nicht durch die Baugenehmigungsbehörde, sondern nur durch den Bauherrn erfolgen kann (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Art. 68 Rn. 76). Das bedeutet aber auch, dass grundsätzlich weder bei Erteilung der Baugenehmigung das private Recht zu prüfen ist noch eine erteilte Baugenehmigung sich darauf auswirkt. Die Baugenehmigung ist vielmehr inhaltlich auf das öffentliche Recht beschränkt. Private Rechte können nicht vor den Bauaufsichtsbehörden und Verwaltungsgerichten, sondern nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden. Es ist nicht Aufgabe der Verwaltungsbehörden und -gerichte, private Rechtsverhältnisse zu regeln und über sie zu entscheiden (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Art. 68 Rn. 76, 255). Eine ausschließlich privatrechtliche Frage ist auch der zivilrechtlich nicht zulässige Grenzüberbau, wobei im Übrigen eine bestandskräftige Baugenehmigung den Nachbarn nicht dazu verpflichtet, einen Grenzüberbau zu dulden und die Baugenehmigung den Bauherrn öffentlich-rechtlich auch nicht berechtigt (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Art. 68 Rn. 81, 258 m.w.N.). Dem Nachbarn stehen vielmehr die privaten Abwehrrechte zu (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Art. 68 Rn. 257).
6. Selbst wenn der Antrag des Klägers („Baueinstellung bzw. Rückziehung der Baugenehmigung bis zur rechtlichen Klärung in allen Punkten“) im Sinne eines möglichst umfassenden Rechtsschutzes nicht nur als solcher auf Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids vom 16. August 2016, sondern auch auf bauaufsichtliches Einschreiten zu verstehen sein sollte, könnte dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Denn für einen solchen Anspruch ist nichts ersichtlich. Das streitgegenständliche Bauvorhaben erweist sich als formell und materiell-rechtlich zulässig, insbesondere scheidet eine Verletzung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften des Art. 6 BayBO aus (s.o. unter 2.). Im Übrigen kommt der Erlass einer Baueinstellung nach Abschluss der Bauarbeiten nicht mehr in Betracht. Darüber hinaus wäre ein Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten zunächst bei der Bauaufsichtsbehörde zu stellen gewesen, so dass der bei Gericht gestellte Antrag schon unzulässig wäre.
Nach allem war die Klage abzuweisen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es der Billigkeit, seine außergerichtlichen Aufwendungen dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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