Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Nutzungsänderungsgenehmigung von Gastronomie zu Wohnzwecken

Aktenzeichen  AN 3 K 19.01669

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23009
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BauNVO § 15
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Nachbarn haben einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung erst dann, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, sondern auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im unbeplanten Innenbereich kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (BVerwG, BeckRS 9998, 49089) mit der Folge, dass eine geschlossene Bauweise, bei der die seitlichen Grundstücksgrenzen bebaut werden, Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens im unbeplanten Innenbereich ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen, (Rn. 33)  (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme  ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem sie diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Gründe

Die Entscheidung konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger können das streitgegenständliche Vorhaben für die Nutzungsänderung von Gastronomie zu Wohnen unter Erteilung von Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO für die Nichteinhaltung der Abstandsflächen nach Süden und Westen nicht abwehren. Sie werden durch die angefochtene Baugenehmigung vom 5. August 2019 nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG, U. v. 6.10.1989 – 4 C 40.87 – juris).
Eine Rechtsverletzung der Kläger durch die Nichteinhaltung von drittschützenden Abstandsflächenvorschriften ist nicht gegeben, da das Vorhaben die Anforderungen des Art. 6 BayBO einhält (1.). Zudem ist das geplante Bauvorhaben der Klägerin gegenüber nicht rücksichtslos (2.). Auch die übrigen klägerseits gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung vorgebrachten Einwände verhelfen der Klage nicht zum Erfolg (3.).
1. Im vorliegenden Fall war zwar aufgrund der Nutzungsänderung eine Neubeurteilung der Abstandsflächen notwendig (a). Das Vorhaben der Beigeladenen verletzt jedoch keine nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts, da gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine Abstandsflächen einzuhalten sind (b). Folglich geht die erteilte Abweichung (Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides) ins Leere, entfaltet daher keine Wirkung und kann die Kläger auch nicht in ihren Rechten verletzen. Darüber hinaus könnten sich die Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf eine Verletzung des Abstandsflächenrechts berufen (c).
a) Das streitgegenständliche Bauvorhaben, mit dem erstmals eine Wohnnutzung im 1. Obergeschoss beantragt wurde, erforderte eine Neubewertung der Abstandsflächen.
Die Frage der Beurteilung von Abstandsflächen ergibt sich nicht nur bei Neubauten, sondern kann auch bei Nutzungsänderungen oder baulichen Veränderungen neu aufgeworfen werden. Eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung ist bei der Änderung eines Gebäudes immer dann veranlasst, wenn sich entweder die für die Ermittlung der Abstandsflächentiefe relevanten Merkmale ändern oder wenn die Änderung für sich betrachtet zwar keine abstandsflächenrelevanten Merkmale betrifft, das bestehende Gebäude aber die nach dem geltenden Recht maßgeblichen Abstandsflächen nicht einhält und die Änderung möglicherweise zu nicht nur unerheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange wie Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden führen kann (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 15 ZB 13.2384 – juris; BayVGH, U.v. 26.11.1979 – 51 XIV 78 – juris; VG Ansbach, U.v. 27.8.2014 – AN 9 K 13.00456 – juris).
Die Umnutzung eines Gastronomiebereichs, in dem sich Personen nur zu bestimmten Tageszeiten aufhalten, hin zu einer Wohnung, die zum dauerhaften Aufenthalt von Menschen bestimmt ist, stellt eine intensivere Nutzung mit möglicherweise einhergehenden ungünstigeren Beeinträchtigungen in Bezug auf den Wohnfrieden zu Lasten der Nachbarn dar. Eine Neubeurteilung war daher schon aufgrund der beantragten Nutzungsänderung notwendig. Zudem gingen damit auch bauliche Veränderungen (Erschließung der Wohnung über ein Carportdach) einher, die abstandsflächenrelevante Merkmale betreffen.
b) Nach Art. 6 Abs. 1 und 5 Satz 1 BayBO hat das Beigeladenengebäude zum Klägergrundstück hin grundsätzlich eine Abstandsfläche von 1 H einzuhalten. Dies ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO jedoch nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Der Vorrang des Städtebaurechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, sondern auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) kommt grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – NVwZ 1994, 1008; BayVGH, U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – juris; VG Ansbach, U.v. 12.9.2012 – AN 9 K 11.01743 – juris). Eine geschlossene Bauweise, bei der die seitlichen Grundstücksgrenzen bebaut werden, kann sich also in den Fällen, in denen nach § 34 BauGB der planungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens die vorhandene Bebauung ist, auch aus dieser ergeben, mit der Folge, dass sie dann die verbindliche Bauweise ist (vgl. VG Würzburg, B.v. 30.5.2014 – W 4 S 14.472 – juris; VG Ansbach, B.v. 4.8.2014 – AN 9 S 14.00575 – juris). Denn aus § 34 Abs. 1 BauGB folgt, dass sich ein Vorhaben auch im Hinblick auf die Bauweise in die Eigenart der näheren Umgebung einzufügen hat.
Nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist der Bereich, auf den sich das Bauvorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalles (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Für das hier streitgegenständliche Bauvorhaben wird die nähere Umgebung unter Berücksichtigung der tatsächlichen Grundstückssituation, wie sie sich der Kammer aus den Plänen darstellt, gebildet durch die beidseitig vorhandene Bebauung in der … … beginnend etwa auf Höhe der … bis zum Kreuzungsbereich sowie ab dem Kreuzungsbereich durch die nach Südosten verlaufende … Straße bis zur Einmündung … In der so umgrenzten, den Einfügensrahmen bildenden näheren Umgebung befindet sich auf mehreren Grundstücken Bebauung ohne oder nur mit geringem seitlichen und vorderen Grenzabstand (geschlossene Bauweise), etwa auf den Grundstücken FlNr. …, …, … und … der Gemarkung … Zugleich finden sich dort Gebäude mit seitlichem und vorderem Grenzabstand, sodass ein Zustand „regelloser Bebauung“ festzustellen ist, bei dem aufgrund einer Mischung von Gebäuden mit und ohne Grenzabstand keine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise einzustufen wäre (vgl. BayVGH, U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – juris).
c) Nach alledem darf das streitgegenständliche Bauvorhaben gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ohne Einhaltung von Abstandsflächen verwirklicht werden. Dies gilt auch für den Carport, welcher sich wegen seiner Erschließungsfunktion für die Wohnungen im 1. Obergeschoss der in Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO normierten Privilegierung begibt.
Die nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilte Abweichung hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen nach Süden und Westen geht somit ins Leere, entfaltet keine Wirkung und kann die Kläger folglich auch nicht in ihren Rechten verletzen.
Die Kläger könnten sich darüber hinaus nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Verletzung drittschützenden Abstandsflächenrechts oder die Rechtswidrigkeit einer erteilten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO berufen, da ihr Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut ist, welches – insbesondere zum Beigeladenengrundstück – ebenfalls die Abstandsflächen nicht einhält.
Ein Nachbar kann sich nach Treu und Glauben gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris). Unerheblich ist dabei, ob das Gebäude der Kläger seinerzeit – etwa aufgrund einer erteilten Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO – ohne Einhaltung der Abstandsflächen errichtet werden durfte und Bestandsschutz genießt (vgl. BayVGH, U. v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris). Abzustellen ist alleine auf die tatsächliche Situation, wonach das Klägergebäude auf Höhe des Beigeladenengebäudes lediglich einen Grenzabstand von 1,75 Metern einhält und damit die Mindestabstandsfläche von 3 Metern (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO) ebenfalls deutlich unterschreitet.
2. Ferner verletzt das streitgegenständliche Bauvorhaben nicht das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme, auf welches sich die Kläger grundsätzlich berufen können.
a) Das entweder in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des Einfügens enthaltene oder jedenfalls über § 15 Abs. 1 BauNVO Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung findende Rücksichtnahmegebot soll einen angemessenen Interessensausgleich zwischen dem Bauherren und den Nachbarn sicherstellen, orientiert an dem, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
In Bezug auf das hier in Rede stehende Innenbereichsvorhaben kann ein Vorbringen zum fehlenden Einfügen wegen der Höhe und Situierung des Gebäudes schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt, sondern es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten der Kläger allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BayVGH, B. v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26 m.w.N; B. v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 8 m.w.N.; B. v. 12.2.2019 – 9 CS 18.2305 – BeckRS 2019, 2299 Rn. 14).
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U. v. 23.09.1999 – 4 C 6.98 – juris; U. v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris).
Entspricht ein Bauvorhaben – wie das streitgegenständliche – den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, ist für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B. v. 27.03.2018 – 4 B 50.17 – juris; U. v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, U. v. 11.1.1999, a.a.O.; BayVGH, B. v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris). Eine solche ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem er diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B. v. 2.10.2018, a.a.O.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B. v. 11.05.2010 und 17.07.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris; B. v. 12.09.2013 – 2 ZS 13.1351 – juris). In der obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies bislang etwa angenommen bei einem 12-geschossigen Gebäude in Entfernung von 15 Metern zum Nachbarwohnhaus oder beispielsweise bei drei 11 Meter hohen Siloanlagen im Abstand von 6 Metern zu einem Wohnanwesen (vgl. BayVGH, B. v. 10.4.2006 – 1 ZB 04.3506 – juris).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen gehen von dem Bauvorhaben keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit, obwohl das Bauvorhaben den Abstandsflächenvorschriften entspricht, ist nicht zu erkennen. Das streitgegenständliche Bauvorhaben riegelt das Klägergrundstück auch nicht derart ab, dass Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht mehr sichergestellt wären. Insbesondere ist den Klägern die Erschließungssituation der Wohnungen im 1. Obergeschoss (Betreten über das Carportdach) nicht unzumutbar. Der neu errichtete Carport mit Erschließungstreppe entfaltet aufgrund seiner geringen Höhe im Vergleich zu den Wohngebäuden der Kläger und Beigeladenen und durch die fehlenden Seitenwände keine erdrückende Wirkung. Das auf dem Carportdach angebrachte Geländer ist lichtdurchlässig. In die angefochtene Baugenehmigung ist ausdrücklich aufgenommen, dass eine Terrassennutzung des Carportdachs und des Daches des Anbaus nicht zulässig ist, sodass die Auswirkungen auf das Wohnhaus der Kläger möglichst gering gehalten werden. Eine Einsichtnahme in die Räume der Kläger ist aufgrund der unterschiedlichen Gebäudehöhen ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich (vgl. hierzu die beiden mit Schriftsatz des Beklagten vom 19. Februar 2020 vorgelegten Skizzen) und erfolgt zudem nur für jeweils kurze Zeit, nämlich wenn die Wohnungen im 1. Obergeschoss betreten oder verlassen werden. Auch werden auf diese Weise lediglich zwei Wohnungen erschlossen, sodass der Publikumsverkehr überschaubar ist. Die Kläger trugen vor, dass sich zu dieser Seite ihr Schlafzimmer befindet. Wenn sich die Kläger darin zum Schlafen aufhalten, ist ohne Weiteres eine Abhilfe durch das Herunterlassen von Rollos möglich. Sollte, wie von den Klägern offenbar befürchtet, dennoch eine nicht genehmigte Terrassennutzung stattfinden, so kann dies nicht mittels der Anfechtung der streitgegenständlichen Baugenehmigung im hier zu entscheidenden Verfahren erfolgreich geltend gemacht werden. Vielmehr obliegt dies zunächst der Bauaufsichtsbehörde; gegebenenfalls hätten die Kläger ihren Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten durchzusetzen.
3. Schließlich verfängt auch der Vortrag des Klägervertreters, die Baugenehmigung sei ermessensfehlerhaft (vgl. § 114 Satz 1 VwGO), weil die Kläger nicht hinreichend beteiligt worden seien und ihre Interessen daher keine Berücksichtigung gefunden hätten, nicht.
a) Bei der Erteilung der Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO handelt es sich ausweislich des eindeutigen Gesetzeswortlautes um eine gebundene Entscheidung, bei der der Genehmigungsbehörde kein Ermessensspielraum eingeräumt ist. Ermessensfehler i.S.d. § 114 Satz 1 VwGO können daher nicht vorliegen.
Die vom Klägervertreter angeführte Abwägung nachbarlicher Interessen ist zwar im Rahmen der nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erteilten Abweichung vorzunehmen. Wie bereits festgestellt, geht die überflüssige Abweichung jedoch ins Leere und kann die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen.
b) Auch die Rüge der Kläger, sie seien am Baugenehmigungsverfahren nicht hinreichend beteiligt worden, greift nicht durch. Art. 66 BayBO ist nicht in der Art nachbarschützend, dass ein solcher Verfahrensmangel zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führt. Vielmehr muss der Nachbar daneben geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl. Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, 136. EL Januar 2020, Art. 66 Rn. 208). Eine solche Rechtsverletzung der Kläger liegt jedoch, wie bereits festgestellt, nicht vor.
Der BayVGH führt hierzu in seiner Entscheidung vom 16. Oktober 2018 (9 CS 18.1415 – juris) aus:
„Auf eine fehlende oder fehlerhafte Nachbarbeteiligung kann sich der Nachbar nicht berufen (BayVGH, B.v. 9.1.2018 – 9 C 17.88 – juris); maßgebend ist allein die Verletzung drittschützender materieller Rechte (Dirnberger in Simon/Busse, a.a.O., Art. 66 Rn. 208; Edenhardter in Spannowsky/Manssen, a.a.O., Art. 66 Rn. 6, 68). Im Rahmen der Nachbarbeteiligung obliegt die Verpflichtung, den Eigentümern benachbarter Grundstücke den Lageplan und die Bauzeichnungen zur Unterschrift vorzulegen, allein dem Bauherren oder seinem Beauftragten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Eine Beteiligung der Nachbarn vor Abschluss des Baugenehmigungsverfahrens ist – ohne Antrag des Bauherren – weder von der Gemeinde (Art. 66 Abs. 1 Satz 3 BayBO) noch von der Bauaufsichtsbehörde durchzuführen. Die Nachbarbeteiligung nach Art. 66 BayBO ist vielmehr so angelegt, dass ohne den ausdrücklich zu äußernden Willen des Bauherren die Nachbarbeteiligung unterbleibt (vgl. LT-Drs. 12/13482, S. 82).
Das bloße Fehlen der Nachbarunterschrift löst für die Bauaufsichtsbehörde allerdings die Pflicht aus, die Baugenehmigung nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO zuzustellen, unabhängig davon, aus welchen Gründen die Nachbarunterschrift fehlt oder ob der Nachbar überhaupt beteiligt wurde (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 155, 169 f.).“
c) Die Kläger können auch nicht durch einen Verstoß gegen die Vorlagepflicht von Schall- und Brandschutznachweisen in ihren Rechten verletzt sein. Die in Art. 62 ff. BayBO geregelten Vorlagepflichten für bautechnische Nachweise entfalten keinen Drittschutz (vgl. Shirvani in Simon/Busse, BayBO, a.a.O., Art. 62 Rn. 22), sodass auch die hierauf bezogenen klägerischen Ausführungen der Klage nicht zum Erfolg verhelfen.
4. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich die Beigeladenen nicht durch eine Antragstellung am Kostenrisiko beteiligt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).


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